BMW F 800 R - Fahrbericht aus MOTORRAD 04/2015 - Was Kleinigkeiten doch ausmachen können. Da finden die BMW-Designer im verstaubten Husqvarna-Regal noch eine Charge Nuda-Scheinwerfer – und schwupp, schon wird aus der mittlerweile etwas angejahrten F 800 R ein trendiger Feger. Na ja, fast. Er vollzieht sich langsam, aber stetig, der Abschied von Karl Dall. Nein, nicht von dem Karl Dall, der reißt noch immer seine Witze. Gemeint ist das vom einstigen BMW-Chefdesigner David Robb zum Credo erklärte asymmetrische Scheinwerferdesign. Das wandert, so scheint es, langsam aber sicher in die Asservatenkammer der bayerischen Designirrtümer und lagert dort direkt zwischen dem lenkerfesten Vieraugengesicht der R 1200 CL (Montauk) und dem Zyklopenantlitz der unglücklichen R 1200 ST. Die neue F 800 R jedenfalls strahlt nur noch aus einem Scheinwerfer – und das steht ihr besser, als es die ersten Bilder vermuten ließen. Sie sieht jetzt flotter aus, gar keine Frage. Und das liegt nicht nur am Scheinwerfer. Allein die neue goldene 45er-Upside-down-Gabel mit radialen Bremssattelaufnahmen am Gabelfuß macht mächtig was her. Dazu kam ein wenig Plastik-Makeup rund um Tankattrappe, Kühler und Kotflügel sowie eine neues, luftigeres Felgendesign und natürlich neue Farben. Besonders Weiß-Blau steht ihr gut – und das passt ja auch zur Marke. Wie natürlich auch der Sound, denn nach wie vor zündet der Paralleltwin im Boxerrhythmus mit 360 Grad. Für alle, die gehofft hatten, beim Stöbern im Husqvarna-Regal wären die BMWProduktplaner auch auf den stärkeren, agileren, einfach begeisternden Nuda-Motor gestoßen, ist das keine gute Nachricht. Für alle, denen die gelassene und gleichmäßige Leistungsentfaltung des 800er-Twins immer entgegenkam, hingegen schon, zumal nach dem aktuellen Software-Update nun 90 statt bisher 87 PS bei gleicher Nenndrehzahl (8000/min) im Fahrzeugschein stehen. Damit ist die neue R gut, aber nicht überschwänglich motorisiert, schiebt bis zirka 5500/min nachdrücklich an, um dann noch einmal spürbar nachzulegen. Allerdings auch, was die Vibrationen und die mechanische Geräuschkulisse angeht. Nein, locker aus dem Kurbelgehäuse schüttelt dieser Motor mit seinem speziellen Schwenkpleuel als Massenausgleich seine Leistung nie. Dafür liefert er zuverlässig – schon die Vorgängerin drückte auf dem Prüfstand regelmäßig mehr Leistung ab als versprochen. Rund 90 PS also und ein maximales Drehmoment von 86 Newtonmetern bei bekömmlichen 5800/min. Das ist vielleicht nicht aufregend, aber auch für Routiniers allemal genug, um bei der Ausfahrt selbst mit PS-Protzen mithalten zu können, während gleichzeitig weniger versierte Fahrer nicht überfordert werden. Im Gegenteil: Dieser Motor macht dank seines unspektakulären Wesens und seiner gleichmäßigen Leistungsentfaltung schneller, als es sich anfühlt. Gerade für Einsteiger (eine 48-PSVersion ist aufpreisfrei erhältlich) ist das eine feine Sache. Genau auf diese Klientel ist auch die zweite Modifikation der Antriebseinheit zugeschnitten. Eine kürzere Sekundärübersetzung und eine längere Abstufung der Gänge vier bis sechs bedeuten unter dem Strich einfacheres Fahren bei geringem oder gar Schritttempo, weil die Motordrehzahl in den unteren Gängen dann höher aus- und das Spiel mit der Kupplung entfällt. Angenehmer Nebeneffekt: Beim Ampelstart gibt sich die Neue etwas spritziger als bisher. Das wiederum harmoniert gut mit der aktiveren Sitzposition, weil der konische Aluminiumlenker weniger gekröpft ist als bisher. Der Fahrer sitzt nun spürbar vorderradorientierter, aber nicht weniger komfortabel, zumal die Fußrasten nun zehn Millimeter tiefer und um dasselbe Maß nach vorn wanderten. Zumindest kleinere Menschen finden so mit der ebenfalls um zehn Millimeter reduzierten Sitzhöhe ein kommodes Plätzchen vor, während Fahrer über 1,70 Meter unbedingt auf die hohe Sitzbank (820 statt 790 Millimeter) zurückgreifen sollten, weil sonst der Kniewinkel nach wie vor eng ausfällt. Auch eine niedrige Sitzbank (770 Millimeter) ist im Angebot. Wenn dann alle passend untergebracht sind, steht entspanntem Fahrspaß auf der neuen F 800 R nichts entgegen. Das Fahrwerk glänzt nach wie vor mehr mit famoser Zielgenauigkeit und Neutralität als mit quicklebendigem Handling, doch Trägheit ist bei versprochenen 202 Kilogramm vollgetankt ohnehin kein F 800 R-Thema. Ebenso wenig wie maue Bremsen. Verzögern konnte schon die Vorgängerin, und die Neue kann es mit jetzt radial verschraubten Vierkolbensätteln nicht schlechter. Einzig ein ausgeprägtes Aufstellmoment beim Bremsen in Schräglage fährt einem spürbar in die Parade. Und ein wenig die doch recht softe Zugstufendämpfung der nicht einstellbaren Gabel. Das gilt jedoch erst, wenn es engagiert vorangeht, während die Abstimmung für weniger eilige Zeitgenossen völlig in Ordnung ist. „Wieso, es gibt doch ESA“, werden aufmerksame Leser nun einwenden. Stimmt, als Extra (315 Euro) oder im Touring-Paket. Aber: Eingestellt wird nur die Zugstufe des Federbeins. Ein Spar-ESA also, genauso wie die Traktionskontrolle ASC nichts mit dem DTC der großen Geschwister gemein hat, sondern nur einen grob regelnden Basisschutz darstellt. Mehr darf man in dieser Preisklasse bei BMW auch gegen Aufpreis nicht erwarten. Dass eine voll ausgestattete F 800 R bei knapp 11.000 Euro landet, hingegen schon. Technische Daten BMW F 800 R Motor Wassergekühlter Zweizylinder-Viertakt-Reihenmotor, zwei obenliegende, kettengetriebene Nockenwellen, vier Ventile pro Zylinder, Schlepphebel, Trockensumpfschmierung, Einspritzung, 2 x Ø 46 mm, geregelter Kat, Lichtmaschine 400 W, Batterie 12 V/12 Ah, mechanisch betätigte MehrscheibenÖlbadkupplung, Sechsganggetriebe, O-Ring-Kette, Sekundärübersetzung 2,470. Bohrung x Hub: 82,0 x 75,6 mm Hubraum: 798 cm³ Verdichtungsverhältnis: 12,0:1 Nennleistung: 66,0 kW (90 PS) bei 8000/min Max. Drehmoment: 86 Nm bei 5800/min Fahrwerk Brückenrahmen aus Aluminium, Upside-down-Gabel, Ø 45 mm, hydraulischer Lenkungsdämpfer, Zweiarmschwinge aus Aluminium, Zentralfederbein, direkt angelenkt, verstellbare Federbasis und Zugstufendämpfung, Doppelscheibenbremse vorn, Ø 320 mm, Vierkolben-Festsättel, Scheibenbremse hinten, Ø 265 mm, Einkolben-Schwimmsattel, ABS. Alu-Gussräder: 3.50 x 17; 5.50 x 17 Reifen: 120/70 ZR 17; 180/55 ZR 17 Maße und Gewicht Radstand 1526 mm, Lenkkopfwinkel 64,0 Grad, Nachlauf 100 mm, Federweg v/h 125/125 mm, Sitzhöhe 790 mm, Leergewicht 202 kg, zulässiges Gesamtgewicht 405 kg, Tankinhalt/Reserve 15,0/4,0 Liter Preis und Garantie Gewährleistung: zwei Jahre Leistungsvariante: 35 kW (48 PS) Farben: Blau/Weiß, Weiß, Schwarz/Weiß, Blau/Schwarz Preis/Nebenkosten: 8900/390 Euro Preis Dynamik-/Touren-/Sicherheits-Paket: 305/510/715 Euro* *Dynamik-Paket: LED-Leuchten, Motorspoiler, Sozius-Abdeckung; Touren-Paket: Heizgriffe, Bordcomputer, Hauptständer, Gepäckbrücke, Kofferhalter, Steckdose; Sicherheits-Paket: ESA, RDC, ASC Copyright: MOTORRAD, Motor Presse Stuttgart GmbH & Co. KG
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