Heinz-Jürgen Böhme Von der Brache zum Viertel Die Erwartungen sind kaum zu steigern: Platz und Baufeld sollen durch ein »hochkarätiges Nutzungsprogramm« zum einen den Promenadenring stärken, zum anderen »Top-Standort für das Premiumsegment« und nicht zuletzt stark frequentiertes, vielgestaltiges Bindeglied zwischen der Südvorstadt und der historischen Innenstadt sein. Das in den 1990er Jahren als Rahmenplan fixierte, solide städtebauliche Leitbild wurde 2008 durch die Trassierung des Citytunnels, die Markthallenidee und den Wettbewerb zum Freiheits- und Einheitsdenkmal schnell und rigoros ausgehebelt. Nun scheint sich diese Misere mit dem Entwurf eines Bebauungsplans fortzusetzen, der insbesondere durch einen überdimensionierten Platz das Potential der jahrzehntealten Brache eher beschneidet denn ausschöpft. Massive Kritik an den offensichtlichen Defiziten dieser Vorlage hatte engagierte Vertreter unter anderen des Bundes Deutscher Architekten (BDA), des Bundes Deutscher Baumeister (BDB), des Stadtforums Leipzig, des Bundes Bildender Künstler Leipzig e. V. (BBKL) und von Pro Leipzig e. V. zunächst in einem Kolloquium im März 2014 zusammengeführt, in dem die Historie des Gebiets analysiert und seine Zukunftschancen erörtert wurden. Nach Abbruch des Denkmalverfahrens trafen sich die Akteure erneut und erarbeiteten in einem am 14. November 2014 durchgeführten Workshop städtebauliche Alternativen. Insgesamt ein substantielles Plädoyer dafür, die Perspektiven für den Ort neu zu überdenken. Die Kernfragen sind längst umrissen, sie betreffen die notwendige Größe des Platzes, folglich auch die Bebauung der Grundstücke westlich der Markthallenstraße sowie den Status der Markthalle selbst. Der Wilhelm-Leuschner-Platz ist im Format des früheren Königsplatzes der städtebaulichen Situation ebenso angemessen wie den hohen multifunktionalen Anforderungen. Mit rund 8 000 Quadratmetern übertrifft er sogar den von der Verwaltung jüngst bezifferten tatsächlichen Nutzflächenbedarf. Er betont in seiner Längsausrichtung die tradierte Nord-Süd-Wegachse, gibt jedoch im Gegensatz zum B-Plan-Entwurf den Gebäuden die Möglichkeit, miteinander in Beziehung zu treten. So könnte sich ein Ensembleklang entfalten und die Physiognomie der Stadt um sehr individuelle Züge bereichern. Das Grassimuseum Hugo Lichts, die heutige Stadtbibliothek, ist dafür architektonisch wie ideell ein Glücksfall, es begrenzt den Platz im Süden und fungiert trotz fehlendem Dachaufbau als souveräner Blickfang. Es wäre unsinnig, diese Position etwa durch ein davorgesetztes großflächiges Baumraster zu schwächen. Daß die neue Propsteikirche sehr wohl am Ort, nicht aber am Platz interessiert ist, ist kaum zu übersehen. Sie wendet sich ab, kein Licht dringt aus dem Inneren, kein Blick dringt hinein. Über die Nonnenmühlgasse darf immerhin ihr Turm in den Platzraum wirken. Wenn auf der Westseite des Platzes (der Peterssteinweg beginnt erst an der Wächterstraße) keine Architekturen mit attraktiver Ladenzone hinzukommen, ist diese Seite für Passanten komplett uninteressant. Die Ostseite ist noch in Gänze formbar. Neben der stringenteren Platzfassung durch Bebauung des Quartiers westlich der Markthallenstraße besteht ein weiterer Vorteil darin, daß das Eingangsbauwerk zum Citytunnel seine überzogene Präsenz auf der Freifläche verliert und in die Randbebauung integriert wird, so wie es auch der Ursprungsentwurf des Architekten Max Dudler 1998 vorsah. Die Überbauung des Tunnels ist sicher teurer, stellt jedoch statisch kein Problem dar, wie kürzlich Manfred Grohmann vom renommierten Büro Bollinger + Grohmann (Frankfurt am Main) in einer Studie belegte. Leipziger Blätter · Ausgabe 66 · 2015 Die somit vergrößerte Tiefe des Baufelds bis hin zur Grünewaldstraße ermöglicht eine deutlich differenziertere Raumbildung, für die vor allem Parzellierung, Kleinteiligkeit sowie die Einordnung eines Binnenplatzes mit hoher Aufenthaltsqualität Kriterien sein sollten. Sowohl die bestens erschlossene zentrale Lage als auch die Nähe zum Universitätscampus prädestinieren das Viertel als Standort für wissenschaftliche Einrichtungen und Institute. In jedem Fall aber ist ein hoher Wohnanteil von Vorteil, gern auch über 20 Prozent und keineswegs nur im geschniegelten Luxussegment. Über die Wiederansiedlung einer Markthalle besteht allgemein Konsens. Auch darüber, den offenen Wochenmarkt in der Innenstadt unabhängig von der Halle weiterhin durchzuführen. Am 18. April 2012 beschloß der Stadtrat, daß die neue Halle auf den Grundmauern der alten zu errichten und das Grundstück in entsprechender Größe auszuschreiben ist. Im gleichen Jahr wurde sie in gekappter Form in den B-Plan-Entwurf eingeordnet und gleichzeitig als »Sondergebiet« wieder aus ihm herausgelöst. Im Frühjahr 2013 erfolgte die Ausschreibung über drei Viertel der alten Markthallenfläche, wobei das ausgeschriebene Grundstück teilweise vom ursprünglichen Grundriß abweicht. Für gebotene 2,5 Millionen Euro erhielt die Leipziger Stadtbau AG den Zuschlag. Der Kaufvertragsentwurf erging am 28. November 2013. »Wann kommt die Markthalle?« fragte die Grünen-Fraktion am 3. April 2014. Die Verwaltung nannte keinen Zeitpunkt, erklärte aber dafür das Verfahren: Die Baugenehmigung für die Halle setze einen »vorhabenbezogenen Bebauungsplan« voraus, dieser wiederum einen »Durchführungsvertrag« zwischen Verwaltung und Stadtbau AG. Die Verhandlung dieses Vertrags hat die Der nach dem Workshop City Süd von 1991 entwickelte Rahmenplan lehnte sich einerseits an den historischen Stadtgrundriß an, bot aber andererseits viel Spielraum für eine zeitgemäße Neuinterpretation des Gesamtareals. Dieses qualitätvolle Leitbild wurde 2008 aufgegeben. 23 ARCHITEKTUR · DENKMALPFLEGE Klärungsbedarf am Wilhelm-Leuschner-Platz Der von der Verwaltung 2012 vorgelegte Entwurf des Bebauungsplans Nr. 392 Wilhelm-Leuschner-Platz /Ost sieht einen bis zur Markthallenstraße aufgeweiteten Platz vor. Östlich davon schließen sich bis zur Grünewaldstraße drei durch die verlängerte Leplay- und die verlängerte Brüderstraße unterteilte Baublöcke an. Der mittlere Block, die Markthalle, wurde zum Sondergebiet erklärt. Der Platz ist überdimensioniert und klafft unvorteilhaft auseinander. Das deutlich reduzierte Baufeld und seine simple Gliederung schränken die Möglichkeiten und damit die potentielle Kraft des neuen Stadtteils von vornherein ein. WORKSHOP-STUDIE 2014: ARBEITSGRUPPE DES BUNDES DEUTSCHER ARCHITEKTEN (BDA), LEIPZIG, RONALD WANDERER, THOMAS RAU, UWE BRÖSDORF, WOLF-HEIKO KUPPARDT, SIEGFRIED KOBER Angestrebt wird ein qualifizierter Städtebau als »wirkliche Stadterweiterung im europäischen Maßstab«. Die bis an den Ring herangeschobenen Baublöcke sind durch Straßen, Gassen, Plätze und Passagen gegliedert und orientieren sich an der Dichte des Grundrisses der Innenstadt. Durch vielfältige Teilungsmöglichkeiten der Bauflächen können sowohl Großformen als auch Stadthäuser entstehen, die ein in sich differenziert strukturiertes Gesamtgefüge bilden. WORKSHOP-STUDIE 2014: ARBEITSGRUPPE DES STADTFORUMS LEIPZIG STEFAN RIEDEL, ARCHITEKT (BDA), HEINZ-JÜRGEN BÖHME, GRAFIKER, GESTALTER Ziel ist es, eine städtebauliche Struktur anzulegen, aus der sich die urbanen Qualitäten eines neuen, sehr individuellen Leipziger Viertels entwickeln können. Die Überbauung der Tunnelstation u. a. mit einer großzügigen Stadtloggia, etwa als Entree zur Markthalle, ist zweifellos eine Herausforderung. Im Kontext zur Stadtbibliothek könnte hier eine markante Architektur nicht nur den Wilhelm-Leuschner-Platz prägen, sondern darüber hinaus als Stadtzeichen wirken. 24 Leipziger Blätter · Ausgabe 66 · 2015 Realisierung eines Architektenwettbewerbs zur Voraussetzung. Derzeit seien »aus Sicht der Stadtbau AG bestimmte Vorfragen« zu klären, hieß es kryptisch. Nach dieser »Information« wurde im Stadtrat auf weitere diesbezügliche Anfragen verzichtet, und das, obwohl bislang zur Halle nur dürftige Stichworte aus der Anfangszeit der politischen Diskussionen bekannt sind: Frischmarkt mit Probierständen, regionales Kunsthandwerk, gastronomische Einrichtungen und Kulturangebote. Der eigentliche Knackpunkt ist jedoch ein anderer: Falls die Stadtbau AG einen Architekturwettbewerb für die Halle auslobt, darf sie von der städtebaulichen Konstellation des unbestätigten B-Plan-Entwurfs ausgehen und sich einen Bau an einem unnötig aufgeblähten Platz entwerfen lassen. Spätestens hier zeigt sich die Doppelbödigkeit des Vorgehens. Die Optimierung der Bebauungsstruktur für das gesamte Areal droht durch das Separieren dieses zentralen Teils schlichtweg unterlaufen zu werden. Für die Verwaltung scheint die Welt in Ordnung, sie hat diese Situation herbeigeführt, redet den B-Plan-Entwurf schön und duckt sich hinter den Beschlüssen des Stadtrats. Ebendieser ist nun aufgefordert, das Verfahren zu konsolidieren und dafür einzutreten, erst nach Bestätigung des verbesserten städtebaulichen Leitbilds einzelne Grundstücke zu veräußern. Trotz allen Klärungsbedarfs, eine Markthalle ist als Kern des Viertels ausgesprochen wünschenswert. Doch sollte das klassische Markthallenbild den Blick auf die Realitäten nicht vernebeln. Empfohlen wird heute gemeinhin nur eine Größe von 2 500 bis 3 000 Quadratmetern, das entspricht etwa einem Drittel der alten Hallenfläche. Hinzu kommt vermutlich ein Vollsortimenter, der als Ankermieter gesetzt sein dürfte. Wie jedoch das eigentliche Profil der neuen Halle aussehen wird, also was sich in der hart kalkulierten Wirtschaft- lichkeitsberechnung aus Angebotspalette, Miete und Rendite herauskristallisieren wird, scheint derzeit völlig offen, ebenso, welche Nutzungen ergänzend hinzukommen könnten. Daß eine Markthalle per se kein »Frequenzbringer« ist, sondern möglichst vielschichtige Einbindung braucht, darüber sind sich die Experten einig. Das Umfeld der Markthalle mit Einzelhandel, Gastronomie, öffentlichen Einrichtungen und einer hohen Wohn- und Arbeitsplatzdichte muß insgesamt von großer Anziehungskraft sein, damit die Synergien tragen. Wenn jedoch laut B-Plan-Entwurf ohne Not wertvolle bebaubare Flächen zugunsten eines überdimensionierten Platzes preisgegeben werden, dann wird es noch schwieriger, den Nährboden für ein lebendiges urbanes Milieu zu bereiten. Im übrigen entgingen der Stadt hier nicht nur mehr als eine Million Euro aus möglichen Grundstücksverkäufen, sondern in der Folge blieben auch immerhin 12 000 bis 15 000 Quadratmeter vermietbare Fläche ungenutzt. Vor dem Hintergrund, daß Leipzig – nach offizieller Einschätzung – »derzeit eine Phase der besonders dynamischen Stadtentwicklung« erlebt, woraus »ein nicht unerheblicher nationaler und internationaler Bedeutungszuwachs« resultiert, ist der oben genannte Widerspruch in puncto Flächennutzung noch weniger nachvollziehbar. Wenn Leipzig sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht wächst, und viele Indizien, nicht zuletzt der jährliche Zuwachs von zehntausend Einwohnern, sprechen dafür, dann sollte es jetzt erst recht darum gehen, dem exponiertesten Areal am Ring durch die umfassende Qualifizierung des Bebauungsplanentwurfs den denkbar besten Start zu ermöglichen. Zumal es nicht um Rekonstruktion eines historischen Zustands geht, sondern darum, daß sich die Kraft des Neuen allein und in allen Belangen als zukunftstauglich erweisen muß. Q S E N. S E M . R E T US MÄRKTE. M ie Verleihung 850 Jahren. D it se s da d un urde Messestadt – hen. Leipzig w Leipzig ist eine Handel aufblü n de ß lie 65 und ts um 11 , Neuigkeiten des Marktrech für Geschäfte m ru nt Ze n le na er Beruf – zum internatio zeit, Hobby od e gilt: Ob Frei ut he s Bi n. entdecken Attraktione Interessantes el vi so ch si t t läss e und nirgends sons sen, Kongress r als 150 Mes eh M . se es M e zusätzliche wie auf der 15 – und viel 20 hr Ja im e ten Si Events erwar e dabei: läum. Seien Si um unser Jubi nd ru e ot eb Ang ie Zukunft! Wir feiern d Gemeinsam feiern mit: Leipziger Blätter · Ausgabe 66 · 2015 www.leipziger-messe.de 25
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