Ski alpin29 sonntagszeitung.ch | 29. November 2015 Janka lässt die Schweizer aufatmen Der Bündner wird in der Abfahrt von Lake Louise Fünfter – Aksel Svindal krönt seine Rückkehr René Hauri Lake Louise Er hätte die Faust ballen k önnen. Mit einem Strahlen durch das Zielgelände schlendern können. Doch eben: So ist Carlo Janka nicht. Der Bündner wirkte nach der ersten Abfahrt des Winters wenig euphorisiert, sagte: «Ein paar Abschnitte waren sehr gut, im Flachen habe ich viel Zeit verloren. Aber ich bin nicht unzufrieden, wie ich die einzelnen Teile zusammensetzen konnte.» Dabei war Janka in Lake Louise gerade auf den 5. Platz gefahren. Ein Resultat, mit dem kaum einer im Schweizer Team gerechnet hätte. Nach dieser «suboptimalen Vorbereitung», wie es Janka nennt. Den Rücken problemen, die immer gravierender wurden, ihn an einem Start im Riesenslalom von Sölden hinderten und letztlich eine fünf wöchige Pause zur Folge hatten. «Das Resultat ist positiv», sagte der 29-Jährige dann doch noch. Und ja, das war es. Nicht nur für ihn, für das ganze Abfahrtsteam, das auf Beat Feuz, Mauro Caviezel, Ralph Weber und auch auf Sandro Viletta verzichten musste, der wegen seiner Rückenbeschwerden nicht antrat. Viel, wenn nicht alles, hing von J anka ab. Und der zeigte vor allem im Steilhang, dass er nichts von seinem technischen Können eingebüsst hat. Das will er auch heute im Super-G beweisen, in dem er sich noch wohler fühle als in der Abfahrt. Janka stellte dann noch mit Genugtuung fest: «Ich habe einige hinter mir gelassen, von denen ich nicht gedacht hätte, dass ich sie schlagen kann.» Damit meinte er allen voran Kjetil Jansrud, den Dominator der SpeedDisziplinen im letzten Jahr. Ein Fehler im oberen Teil kostete den Norweger aber schon viel Zeit. «Ein bisschen enttäuscht» sei er, sagte der Neuntplatzierte. Es war eine Un- tertreibung. Denn nach den drei Trainings in Kanada hatte noch alles darauf hingedeutet, dass er seinen Vorjahressieg wiederholen könnte. Zweimal war er der Schnellste gewesen, einmal Zweiter. Geschlagen nur von seinem Teamkollegen Aksel Svindal. Und sein «bester Freund» war es auch, der seine Rückkehr in den Weltcup nach einem Jahr Pause wegen eines Achillessehnenrisses mit seinem 26. Sieg krönte – seinem siebten in Lake Louise. «Dieser Ort ist gut zu mir», sagte der 32-Jährige. Fürwahr: Er gewann mit einer Hundertstel Vorsprung vor dem Südtiroler Peter Fill. Dritter wurde der US-Amerikaner Travis Ganong. Für den Abfahrtsweltmeister ist der 16. Rang ein Erfolgserlebnis Auch für Patrick Küng gab es ein Erfolgserlebnis, wenn auch eines der etwas bescheideneren Art. Der Abfahrtsweltmeister wurde 16. Er hatte sich noch überlegt, auf den Start zu verzichten, «weil ich doch gewisse Ansprüche habe und nicht um einen 20. Platz fahren möchte». Nach dem schwierigen Herbst, in dem er wegen einer entzündeten Patellasehne erst Ende Oktober wieder auf Schnee trainieren konnte, wusste er, dass er nicht um die vordersten Ränge würde mitfahren können. «Es war auch jetzt noch ein Kampf, weil das Tempogefühl noch nicht wieder da ist. Ich habe mich bei gewissen Passagen auch schwer damit getan, mich zu überwinden», sagte der 31-jährige Glarner. Wie wichtig es war, dass er startete, zeigt der Blick auf die anderen Schweizer: 32. Marc Gisin. 40. Niels Hintermann. 49. Fernando Schmed. 54. Nils Mani. Hätten die beiden übriggebliebenen Teamleader Forfait geben müssen, die Schweiz hätte erstmals überhaupt in einer Abfahrt keinen Punkt geholt. Sprung in die Top 5: Carlo Janka überrascht nach «suboptimaler Vorbereitung» Foto: Getty «Spitzensport ist nie gesund» Swiss-Ski-Arzt Walter O. Frey erklärt, warum die vielen Verletzungen der Schweizer Männer viel mit Pech zu tun haben und welche Änderungen Sinn machen Zürich Über mangelnde Arbeit konnte sich Walter O. Frey nicht beklagen. Die Schweizer Skifahrer besuchten den Verbandsarzt gleich zuhauf. Mauro Caviezel wegen eines Wadenbeinbruchs, Patrick Küng mit einer Entzündung im Knie, Ralph Weber mit einem Innenbandriss, Justin Murisier wegen eines Meniskusschadens. Beat Feuz erlitt einen Teilabriss der Achillessehne, Carlo Janka und Sandro Viletta haben Rückenprobleme. Die Liste wurde in diesem Sommer und Herbst immer länger, die Kader immer schmaler. Das Speedteam um Abfahrtsweltmeister Küng und dem WM-Dritten Feuz? Ein Rumpfteam. 12 Schweizer punkteten im letzten Winter in der Königsdisziplin – von den Top 10 sind Didier Défago und Silvan Zurbriggen nicht mehr dabei, keiner der übrigen 8 Athleten hatte eine beschwerdefreie Vorbereitung. Was so manchen Trainer und Fan verzweifeln lässt, nimmt Frey unaufgeregt hin. «Es gibt Jahre, da kumuliert sich das Ganze einfach», sagt er. «Es gab auch schon Saisons, in denen ich Frauentrainer Hans Flatscher alle zwei Wochen über einen Ausfall informieren musste.» Courant normal also bei den Skifahrern. Ist die Häufung im Schweizer Team reiner Zufall? «Es ist klar, dass man denkt, dass irgendwo der Wurm drin ist bei den Schweizern. Von der Statistik her stimmt das aber nicht. Manchmal hatten wir Glück, manchmal weniger», sagt Frey und fügt an: «Das sollte uns aber nicht davon abhalten, den Ursachen nachzugehen.» Knieverletzungen bekämpft, Rückenprobleme geerntet Da wäre die Unterlage. Pulver ist Schnee von gestern. Längst sind die Pisten pickelhart, nicht selten sind es Eisbahnen, auf denen sich die Fahrer hinunterstürzen. «Mit dem entsprechenden Material entstehen brutale Kräfte. Der menschliche Körper, der vor Tausenden von Jahren entstand, kommt so schnell ans Limit», sagt der 58-Jährige. Im Riesenslalom hat man reagiert. 2012 wichen extreme Carvingski weniger taillierten Exemplaren. Die Knieverletzungen sind seither deutlich zurückgegangen. Dafür hat ein Athlet wie Carlo Janka, der jetzt viel Kraft aufwenden muss, um das nächste Tor zu erwischen, nun andere Symptome wie die starken Rückenschmerzen. «Es sind darüber sehr grosse Diskussionen im Gang», sagt Frey. «Was «Letztlich müssen Athleten und Betreuer entscheiden, sie sind für den Erfolg zuständig, nicht ich» Walter O. Frey ist schlimmer? Ein rascher, heftiger Druck oder eher ein Rutschen, bei dem sich die Kräfte in der Kurve verteilen?» Wichtig sei vor allem, dass dauernd über solche Themen debattiert werde, «auch über die Streckensetzung und den Pistenbau». Etwa über Sprünge. Künftig soll dort eine technische Anlage aus dem Skispringen zum Einsatz kommen, mit der berechnet werden kann, bei welcher Kupierung ein Fahrer wo landet – «ohne wie bis anhin zuerst Athleten darüber springen zu lassen», erklärt Frey. Seit diesem Jahr ist er in der medizinischen Kommission des internationalen Verbandes FIS, er sei Ideen- und Inputgeber, «wir werden sehr stark eingebunden», sagt er. Genauso wie er das im Schweizer Verband wird, bei dem er seit 16 Jahren zuerst die Frauen- und nun auch die Männerteams betreut. So versuche er, in den Trainingsmonaten September bis November, in denen die Fahrer «den Körper mehr beanspruchen als während der Saison», Einfluss zu nehmen. «Es geht dann um ein Abwägen: Ich sehe die Gefahren von Verletzungen und Überbelastung, der Trainer hat die technischen Fortschritte und die Schneekilometer im Fokus», eschreibt er. «Letztlich müssen b Athleten und Betreuer entscheiden, sie sind für die Erfolge zuständig, nicht ich.» Und, so sagt es der leitende Arzt von Balgrist Move Med, der auch für den Eislauf-, den Bob-, den Unihockey- und den Tennisverband tätig ist: «Spitzensport ist ohnehin nie gesund.» Hinzu kommen die Gefahren, die gerade im Skisport nicht ganz beseitigt werden können: «Wir schwanken zwischen Attraktivität und Gesundheit. Wir können auf die alten Pulverpisten zurück, aber dann hätten wie früher nur die ersten zehn Starter eine Chance. Solange wir Spektakel wollen, gibt es immer ein Gesundheitsrisiko.» Verbesserungen aber sind möglich. So ist Frey überzeugt, dass die Die verletzten Schweizer Ausfälle Beat Feuz Mauro Caviezel Ralph Weber Marc Berthod Justin Murisier Sandro Viletta Teilabriss der Achillessehne Wadenbeinbruch Innenbandriss Kreuzbandriss im letzten Winter Meniskusschaden Rückenprobleme Beeinträchtigte Vorbereitung Carlo Janka Patrick Küng Rückenprobleme Entzündung der Patellasehne Arm- und Schulterverletzungen verhindert werden könnten, die entstehen, wenn der Athlet in einer Torstange einhängt. Es werde an einer neuen Torflagge getüftelt, die sich schneller von den Stangen löse. Eine kleine Verbesserung, die für etwas mehr Sicherheit sorgen soll. Wie der Airbag, den einige österreichische Fahrer in der gestrigen Abfahrt in Lake Louise trugen. Michael von Grünigen, das positive Beispiel Eine Gratwanderung aber bleibt dieser Sport für jeden Athleten. «Wer diese am besten beherrscht, der gewinnt», sagt Frey. Kaum einer, dem das gelingt. Ein Beispiel fällt ihm dann doch ein: Michael von Grünigen. Frey betreute damals neben den Frauen die Gruppe um den zweifachen Weltmeister mit dem eleganten Fahrstil. «Man kann sagen, dass er sehr viel richtig gemacht hat. Es war sicher nicht nur Zufall, dass er ohne Verletzung durchkam», glaubt Frey. Es dürfe aber nicht der Umkehrschluss gemacht werden, dass Fehler begangen habe, wer verletzt sei. «Zumindest eine schwere Knieverletzung gehört eigentlich zu einer Skikarriere dazu – leider», sagt er. René Hauri
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