Implantate im sozialen Gedächtnis. Theorie und Beispiele

Institut für Germanistik und Institut für Soziologie
der Adam-Mickiewicz-Universität zu Posen
laden im Rahmen des von der Deutsch-Polnischen
Wissenschaftsstiftung geförderten Projektes
Erinnerungsimplantate? Der (Wieder-)Aufbau der Schlösser in
Posen und Berlin im interdisziplinären Vergleich
zu der wissenschaftlichen Tagung
Implantate im sozialen Gedächtnis.
Theorie und Beispiele
am 21.–22. März 2016
im Collegium Novum der Adam-Mickiewicz-Universität zu Posen
(Al. Niepodległości 4) ein.
Zum Thema der Konferenz:
Der Begriff „Implantate des sozialen Gedächtnisses“ (poln.: implanty pamięci
społecznej) wurde von Marian Golka entwickelt und bezeichnet „nachträgliche und post factum kreierte Bauten, Schriften, Bilder und Filme, sowie Wissens- bzw. Bewusstseinsinhalte,
die Defizite des Gedächtnisses beheben und seine vermuteten Inhalte wiederherstellen oder
sogar in einer neuen Form erschaffen sollen, damit diese mit der aktuellen Politik der Gemeinschaft oder dem aktuellen System von Interessen, Werten und Zielen konform gehen“
(Golka M.: Pamięć społeczna i jej implanty. Warszawa: SCHOLAR 2009, S. 161 [Übersetzung durch D. Gortych]).
Das Ziel der Konferenz ist, Veränderungen innerhalb von dominierenden Vergangenheitsinterpretationen nachzuspüren. In der Diskussion wollen wir uns auf die gegenwärtige
Entstehung bzw. die intentionelle Schaffung materieller Objekte oder Kulturtexte konzentrieren, die das sozial konstruierte Wissen über Vergangenheit gemäß den Gemeinschaftsinteressen vervollständigen und auf diese Art und Weise eine der vielen möglichen Vergangenheitsvisionen rechtfertigen oder aber ganz neue Lesarten der Vergangenheit durchsetzen. Überlegen wir also, inwieweit die Implantate des sozialen Gedächtnisses in den Legitimierungsprozessen gegenwärtiger Interessen von verschieden Erinnerungsgemeinschaften benutzt werden
sowie – last but not least – ob der von Golka vorgeschlagene Begriff tatsächlich eine neue
Qualität in den wissenschaftlichen Diskurs um Erinnerungskulturen bringt.
Themenkreise:
1. Bauten als Implantate des sozialen Gedächtnisses. Unser besonderes Interesse gilt zwei
Arten architektonischer Objekte:
a) Objekte, die den Namen zerstörter historischer Bauten tragen, über deren ursprüngliche
Form man heute wenig oder nichts weiß (etwa das Königsschloss in Posen oder das Großfürstliche Schloss Vilnius);
b) Objekte, die am Ort abgerissener Bauten entstehen und gleichzeitig an ursprüngliche Gebäude an diesem Ort erinnern sollen, wie der Changgyeong-Palast in Seoul (der an Stelle des
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japanischen Gouverneurspalastes entstand) oder das Berliner Schloss/Humboldt-Forum (das
den Palast der Republik ersetzte).
2. Literarische Texte und filmische Darstellungen als Implantate des sozialen Gedächtnisses. Immer häufiger begegnet man heute Kulturtexten, die alternative Geschichtsversionen
liefern. Indem sie auf eine kreative und konstruktive Weise historische Persönlichkeiten darstellen oder ihre Handlungen reinterpretieren, ermöglichen sie, die Vergangenheit aus einer
neuen, auch überraschenden Perspektive zu betrachten. Das Beispiel hierfür liefert der Film
Marlene (2000, Regie: Joseph Vilsmaier), in dem die Affäre zwischen Dietrich und dem fiktiven Offizier Carl Seidlitz eine wichtige Rolle spielt. Interessant erscheinen in diesem Kontext
auch zahlreiche Texte, die den historischen Personen fiktive Eigenschaften oder Lebensgeschichten zuschreiben, etwa Ich Claudius, Kaiser und Gott von Robert Graves oder sehr populäre TV-Serien über die Borgia oder Wikinger.
3. Die Retro Mode / der Vintage-Stil als Implantat des sozialen Gedächtnisses. Charakteristisch für die stets sich verändernden Moden und Stile ist die Wiederkehr von Elementen der
Garderobe oder Herstellungsmustern aus der Vergangenheit. Es lohnt sich die Frage zu stellen, ob sich hinter dieser Rückkehr nicht etwa soziale Distinktionsmerkmale verstecken, die
die Menschen nicht nur nach den Kategorien Geschmack oder gesellschaftliche Schicht differenzieren, sondern auch nach der Art, wie sie die Vergangenheit interpretieren. Als Beispiel
kann hier das seit den 1980er wiederkehrende Motiv des weiblichen Korsetts fungieren. Kann
man dieses Phänomen als eine Form von Reinterpretationen der Vergangenheit erklären, in
denen eines der erkennbarsten Symbole der Unterdrückung der Frau zum Sinnbild neuer Ästhetik wird? Ähnliche Fragen könnte man auch in Bezug auf das Vintage-Design bei Haushaltsartikeln oder in der Autoindustrie stellen.
Die dargestellte Liste von Themen und Fragen besitzt einen offenen Charakter. Wir laden Sie zur Entwicklung weiterer Ideen ein.
An wen richtet sich die Konferenz?
Zur Teilnahme an der Konferenz laden wir Historiker, Kunsthistoriker, Soziologen, Kulturwissenschaftler, Theaterwissenschaftler, Literaturwissenschaftler, Filmwissenschaftler sowie andere Forscher
ein, die in ihrer Forschung auf den erinnerungskulturellen Ansatz Bezug nehmen.
Die Zeit und die Sprache der Beiträge: Bis zu 20 Minuten, Polnisch oder Deutsch (zur Wahl).
Anmeldefrist: 14. Februar 2016 (Anmeldeformular im Anhang). Die Entscheidung über die Annahme des Beitrags wird bis zum 19. Februar bekannt gegeben.
Konferenzbeitrag: 60 Euro (die Gebühr beinhaltet die Übernachtung und Verpflegung während der
Konferenz sowie die Konferenzmaterialien; sie wird im Falle eines Rücktritts nicht erstattet); einzuzahlen auf das den Konferenzteilnehmern bekanntgegebene Konto bis zum 28. Februar 2016.
Publikation der Beiträge:
Falls ein ernstes Interesse an der Publikation der Konferenzbeiträge in einem Sammelband besteht,
werden die Organisatoren den Publikationszuschuss anstreben.
Organisationskomitee:
dr Dominika Gortych (Institut für Germanistik, [email protected])
dr Łukasz Skoczylas (Institut für Soziologie, [email protected])
www.amu.edu.pl