Fälle und Fragen (Einführung ins SGB - mit Lösungen)

Fälle und Fragen zum Recht der gesetzlichen Krankenversicherung (SGB V)
Fall 1:
M verliert seinen versicherungspflichtigen Arbeitsplatz im mittleren Management
bei der D-Bank. Aus Stolz verschweigt er es nicht nur seiner Freundin, sondern
lehnt auch den Gang zum Arbeitsamt ab. Stattdessen macht er ausgedehnte
Spaziergänge in den Parks seiner Stadt, wo er eines Tages auf nassem Laub
ausrutscht und sich das Bein bricht. Ist M krankenversichert?
Lösung:
• Vgl. Liste der Versicherungspflichtigen in § 5 SGB V
• Konkret hier: § 5 Abs. 1 Nr. 13 lit. a SGB V
• Fehlender Antrag egal: vgl. Versicherung kraft Gesetzes, § 186 Abs. 11 S. 1
SGB V
• Zum Ende der Versicherungspflicht: § 190 SGB V
Fall 2:
Irgendwann bemerkt die Freundin des M doch, dass mit ihm etwas nicht stimmt.
Ihr fällt auf, dass er niedergeschlagen und nur noch negativ ist und für ihn alles
keinen Sinn mehr macht. Am liebsten würde sie ihn zu einem Psychiater schicken, weiß aber nicht, ob die gesetzliche Krankenversicherung zahlen würde.
Lösung:
• §§ 27 ff. SGB V: Leistungen bei Krankheit (durchlesen!)
• Aber liegt hier überhaupt eine Krankheit vor?
• Im Gesetz nicht definiert!
• BSG: Regelwidriger Körper- oder Gesundheitszustand, der ärztlicher Behandlung bedarf oder (zugleich oder allein) Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat
• Regelwidrig: Abweichung von der Norm oder entstellende Wirkung
• Denkbare Leistungen bei M:
• Ärztliche Behandlung nach § 28 Abs. 1 SGB V
• Psychotherapie nach § 28 Abs. 3 SGB V
• Arzneimittel nach § 31 SGB V (z.B. Antidepressiva)
• Krankenhausbehandlung nach § 39 SGB V (ambulant oder stationär)
Fall 3:
Die Studentin S ist unglücklich mit ihrer Nase: sie findet sie zu sehr gebogen.
Obwohl ihr Umfeld ihr versichert, dass eine schöne Frau nichts entstellen kann,
verfällt sie in eine schwere Depression deswegen. Könnte sie darauf hoffen, von
der GKV eine Schönheitsoperation bezahlt zu bekommen?
Lösung:
• Die dadurch verursachte Depression ist natürlich eine Krankheit.
• Die schiefe Nase selbst aber nicht:
• Selbst wenn eine Abweichung von der Norm vorläge, ist sie nicht behandlungsbedürftig (die Depression ist behandlungsbedürftig, nicht die Nase).
• Auch entstellend ist sie nach der Rechtsprechung im Regelfall nicht (anders wäre das etwa bei Verbrennungen nach einem Unfall).
Fall 4:
Nachdem sich die Studentin S nach einer Verhaltenstherapie mit ihrer Nase angefreundet hat, lernt sie den in einem Krankenhaus angestellten Arzt A kennen.
Sie bricht ihr Studium ab und heiratet ihn nach kurzer Zeit. Nachdem sie
schwanger wird, fragen die beiden sich, ob die GKV die Kosten für Frauenarztbesuche etc. übernimmt.
Lösung:
• S ist als Ehefrau des A familienversichert, vgl. § 10 SGB V
• Eine Schwangerschaft ist allerdings keine Krankheit.
• Gleichwohl bestehen Ansprüche nach dem SGB V, vgl. § 24c SGB V
• Im Einzelnen: §§ 24 d – i SGB V
Fall 5:
Sozialpädagogikstudent P erfährt von der Ehe und Schwangerschaft der S, die er
schon lange kennt und anbetet. Er ist entsetzt und entschließt sich das zu tun,
was ein Mann tun muss: Er will seine letzte Chance nutzen und S überzeugen,
dass er der einzig wahre Mann für sie ist. Mit einem Rosenstrauß in der Hand
begibt er sich nachts zum Wohnhaus der S, stellt eine Leiter an ihr Fenster und
kraxelt hinauf. Fast am Ziel angekommen, tritt er aus Unachtsamkeit neben eine
Leitersprosse und stürzt 3 Meter in die Tiefe, wobei er sich mehrere Brüche zuzieht und im Krankenhaus landet. Muss die GKV für das leichtsinnige Verhalten
des P aufkommen?
Lösung:
• § 52 Abs. 1 SGB V: Leistungsbeschränkung bei Selbstverschulden
• Bei vorsätzlich zugezogener Krankheit oder bei Verbrechen oder vorsätzlichem Vergehen
• Doppel-Ermessen:
• Bzgl. der Frage des „ob“ („kann“): Will die GKV Leistungen überhaupt
beschränken, also eine Eigenbeteiligung festsetzen?
• Bzgl. der Frage der Höhe („in angemessener Höhe“): Grad des Verschuldens, finanzielle Leistungsfähigkeit, Höhe der verursachten Kosten
• Vorliegend hat P weder ein Verbrechen oder Vergehen begangen noch sich
vorsätzlich eine Krankheit zugezogen – allenfalls grob fahrlässig.
• (Einfache oder grobe) Fahrlässigkeit reicht für eine Beteiligung an den Kosten
aber nie aus.
Fall 6:
Als S davon erfährt, entschließt sie sich, dem P zu zeigen, dass er niemals eine
Chance bei ihr hat; ihr Herz gehört nur Ihrem Mann A. Sie begibt sich in ein Tattoo-Studio und lässt sich ein großes „A“ auf beide Unterarme tätowieren. Leider
entzünden sich die Stellen nach kurzer Zeit und S muss sich in eine kostspielige
Krankenbehandlung begeben. Werden die Kosten von der GKV getragen?
Lösung:
• Vgl. § 52 Abs. 2 SGB V: Leistungsbeschränkung bei medizinisch nicht indizierten ästhetischen OPs, bei Tätowierungen und Piercings.
• Dabei kein Doppel-Ermessen:
• Pflicht der GKV zur Kostenbeteiligung des Versicherten („hat“).
• Nur bzgl. der Höhe bleibt es beim Ermessen („in angemessener Höher“):
siehe oben.
Fälle und Fragen zum Recht der sozialen Pflegeversicherung (SGB XI)
Fall 1:
T ist Testpilot bei einem Hubschrauberhersteller. Als er durch ein Unwetter fliegt,
sagt er sich, dass er neben seiner GKV auch eine Pflegeversicherung gut brauchen könnte. Er ist unsicher, ob er versichert ist.
Lösung:
• § 20 SGB XI: Nachdem T gesetzlich krankenversichert ist, ist er auch gesetzlich pflegeversicherungspflichtig.
• Privat Krankenversicherte müssen sich privat pflegeversichern (§ 1 Abs. 2
S. 2, § 23 SGB XI) – damit ist ein Gleichlauf hergestellt, so dass praktisch
jeder Bundesbürger gesetzlich oder privat pflegeversichert ist.
Fall 2:
Sekunden nach diesen Gedanken schlägt der Blitz ein und sein Hubschrauber
stürzt ab. T zieht sich schwere Verletzungen zu, überlebt aber. Fortan ist er jedoch querschnittsgelähmt und bei zahlreichen alltäglichen Verrichtungen auf Hilfe
angewiesen. Liegt hier Pflegebedürftigkeit vor und wie wird diese festgestellt?
Lösung:
• Pflegebedürftigkeit = Versicherungsfall, vgl. § 14 SGB XI
• Grund-Definition: Abs.1
• Bestimmte Krankheiten oder Behinderungen, Abs. 2
• „Hilfe“: Abs. 3
• „Gewöhnliche oder wiederkehrende Verrichtungen“ des täglichen Lebens:
Abs. 4
• Pflegestufen: § 15 SGB XI
• Pflegestufe I: erheblich Pflegebedürftige
• Pflegestufe II: Schwerpflegebedürftige
• Pflegestufe III: Schwerstpflegebedürftige
• Feststellung durch Gutachter des Medizinischen Dienstes der Krankenkasse,
§ 18 SGB XI
• Beschleunigung des Verfahrens durch knappe Fristen für MDK (Abs. 3 mit
Sanktionen für die Kasse, Abs. 3b)
• Unverzügliche Übermittlung des Ergebnisses an die Pflegekasse (Abs. 6)
• Für die Beurteilung gibt es Begutachtungsrichtlinien und eine Pflegebedürftigkeitsrichtlinie (§ 17 SGB XI)
Fall 3:
Da T keine zusätzliche (private) Pflegeversicherung abgeschlossen hat, fragt er
sich, welche Leistungen ihm nun zustehen und ob die gesetzliche Pflegeversicherung alle anfallenden Kosten übernimmt. Seine Ehefrau würde zumindest einen Teil der häuslichen Pflegeleistungen übernehmen.
Lösung:
• Allgemein zu den Leistungen: § 28 SGB XI
• Durchlesen!
• Grundsatz des Vorrangs der häuslichen Pflege, vgl. § 3 SGB XI (ebenso: teilstationär vor vollstationär)
• Also: „Häusliche Pflege“ bedeutet zunächst nur: Pflege zuhause (nicht
zwingend auch durch Angehörige)
• Speziell bei häuslicher Pflege:
• Wahl zwischen Pflegesachleistungen (§ 36 SGB XI), Pflegegeld (§ 37 SGB
XI) oder einer Kombination (§ 38 SGB XI)
• Kosten für Pflegemittel und Wohnungsumbauten (§ 40 SGB XI)
• Achtung: Pflegemittel vorrangig leihweise (§ 40 Abs. 3 SGB XI)
• Grundsatz der Kostendeckelung
• Für alle Leistungen bestehen bestimmte Obergrenzen.
• Alles, was darüber hinaus geht, muss privat getragen werden (aus eigener
Tasche oder über eine private Pflegeversicherung)
Fall 4:
Dem T wurden Leistungen der sozialen Pflegeversicherung bewilligt. Seine Frau
F, die ihn mehr als 14 Stunden wöchentlich pflegt, fragt sich, ob auch sie selbst
Ansprüche hat.
Lösung:
• F ist Pflegeperson i.S.d. § 19 SGB XI: nicht erwerbsmäßige Pflege in häuslicher Umgebung
• Eigene Ansprüche:
• § 44 SGB XI: Anspruch auf Übernahme von Rentenversicherungsbeiträgen
durch die soziale Pflegeversicherung (da mindestens 14 Stunden wöchentliche Pflege)
• §§ 44a, 45 SGB XI
• § 2 Abs. 1 Nr. 17 SGB VII: Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung
Fall 5:
T fragt sich, wie es wird, wenn er im Alter vielleicht nicht mehr häuslich gepflegt
werden kann. Welche Kosten werden bei einer Unterbringung in vollstationärer
Pflege übernommen?
Lösung:
• § 43 SGB XI:
• Abs. 1: Nochmals Grundsatz des Vorrangs häuslicher Pflege bzw. teilstationärer Pflege
• Abs. 2: Einerseits absolute Deckelungsbeträge, andererseits auch relative
(niemals mehr als 75 % der tatsächlichen Kosten)
• Achtung: Übernommen werden nur die pflegebezogenen Leistungen, nie die
sog. „Hotelkosten“ (vgl. § 43 Abs. 2 S. 1 SGB XI)
• Pflegebezogen: pflegebedingte Aufwendungen, Aufwendungen der sozialen Betreuung, Aufwendungen für Leistungen der medizinischen Behandlungspflege
• „Hotelkosten“: Kosten für Unterkunft und Verpflegung
Fälle und Fragen zum Recht der gesetzlichen Unfallversicherung (SGB VII)
Fall 1:
M ist Mitarbeiter einer Bank. Er fragt sich, ob er bei einem Arbeitsunfall überhaupt
von der gesetzlichen Unfallversicherung geschützt wäre.
Lösung:
• Mitgliedschaft in der gesetzlichen Unfallversicherung:
• § 2 SGB VII: Versicherung kraft Gesetzes
• § 3 SGB VII: Versicherung kraft Satzung
• § 4 SGB VII: Versicherungsfreiheit
• § 5 SGB VII: Versicherungsbefreiung
• § 6 SGB VII: Freiwillige Versicherung
• Konkret bei M:
• § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII: „Beschäftigter“
• Zum Begriff: vgl. § 7 SGB IV – nichtselbständige Arbeit, insbesondere in
einem Arbeitsverhältnis
Fall 2:
Nachdem sich der Sozialpädagogikstudent P von seinem Leitersturz erholt hat,
schwört er den Frauen ab und will sich künftig wieder ganz auf sein Studium konzentrieren. Vor seinen Vorlesungen in einem mehr als baufälligen Hörsaal hat er
aber große Angst, schließlich scheint er ein vom Pech verfolgter Mensch zu sein.
Wäre er im Falle eines Unfalls wenigstens durch die gesetzliche Krankenversicherung geschützt?
Lösung:
• P ist kein Beschäftigter.
• Allerdings gibt es auch die sog. „unechte Unfallversicherung“; Beispiele:
• Ehrenamtliche nach § 2 Abs. 1 Nr. 9 und Nr. 10 SGB VII
• Zeugen vor Gericht nach § 2 Abs. 1 Nr. 11 lit. b SGB VII
• Nothelfer nach § 2 Abs. 1 Nr. 13 lit. a SGB VII
• Blutspender nach § 2 Abs. 1 Nr. 13 lit. b SGB VII
• Helfer bei Straftaten nach § 2 Abs. 1 Nr. 13 lit. c SGB VII
• Und (Wiederholung): Pflegepersonen im Sinne des § 19 SGB XI, vgl. § 2
Abs. 1 Nr. 17 SGB VII
• P selbst ist ebenfalls durch die „unechte Unfallversicherung“ geschützt: § 2
Abs. 1 Nr. 8 lit. c SGB VII
Fall 3:
Zurück zu Bankmitarbeiter M. Während er über seinen Versicherungsschutz
nachdenkt, verletzt er sich an der scharfen Kante seines Geldzählautomaten an
der Hand und ist 2 Wochen arbeitsunfähig. Handelt es sich um einen Versicherungsfall? Und wenn ja: Welche Leistungen gibt es nach dem SGB VII?
Lösung:
• § 7 Abs. 1 SGB VII definiert die Versicherungsfälle:
• Arbeitsunfall (§ 8 SGB VII)
• Berufskrankheit (§ 9 SGB VII)
• Legaldefinitionen in § 8 Abs. 1 SGB VII
• Arbeitsunfall = Unfall infolge einer den Versicherungsschutz begründenden
Tätigkeit (S. 1)
• Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (S. 2)
• Bei vorsätzlicher Selbstverletzung liegt kein Arbeitsunfall vor: Dann kommt
das Ereignis nämlich nicht von außen.
• Bei (einfach oder grob) fahrlässiger Selbstverletzung gilt dieser Ausschluss nicht.
• § 8 Abs. 1 SGB VII enthält eine zeitliche Begrenzung: Der Unfall muss sich
während der Arbeitsschicht ereignen.
• Die Definition ist bei M erfüllt – es liegt ein Arbeitsunfall vor.
Leistungen (allgemein):
• Heilbehandlung, §§ 27 ff. SGB VII
• Auch hier: Sachleistungsprinzip.
• Vorrang der Leistungen der Unfallversicherung vor den Leistungen der
Krankenversicherung (vgl. § 11 Abs. 5 SGB V).
• Möglich: Einschränkung des Rechts auf freie Arztwahl bei besonderer unfallmedizinischer Behandlung (§ 28 Abs. 4 S. 2 SGB VII).
• Leistungen zur Teilhabe und ergänzende Leistungen, vgl. §§ 35, 39 ff.
SGB VII
• Leistungen bei Pflegebedürftigkeit, § 44 SGB VII
• Verletztengeld und Übergangsgeld, §§ 45 ff., 49 f. SGB VII
• Renten, Beihilfen, Abfindungen, §§ 56 ff. SGB VII
• z.B. Renten ab einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 (für
mehr als 26 Wochen) hinaus (§ 56 Abs. 1 SGB VII) [MdE # GdB # GdS]
Fall 4:
Nachdem die Schnittverletzung ausgestanden ist, beginnt M wieder zu arbeiten.
Kurz nach Aufnahme der Tätigkeit bekommt er einen Kreislaufkollaps. Bereits
seit längerem plagen ihn solche Schwächeanfälle. Handelt es sich hierbei auch
um einen Arbeitsunfall?
Lösung:
• § 8 Abs. 1 SGB VII
• Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (S. 2)
• Der Kreislaufkollaps hat eine innere Ursache; ein Zusammenhang speziell mit
der versicherten Tätigkeit besteht nicht (kein Arbeitsunfall).
Fall 5:
M hält nebenbei auch Vorträge für Hobby-Modellbauer. Da er während seiner
Arbeit gerade Zeit hat, entschließt er sich, ein Vorführ-Modell zu überarbeiten.
Dabei rutscht er mit dem Teppichmesser ab und schneidet sich erneut in die
Hand.
Lösung:
• Es handelt sich zwar um einen Unfall während der Arbeitszeit.
• Dennoch liegt kein Arbeitsunfall vor: Denn es fehlt ein innerer bzw. sachlicher Zusammenhang zwischen der Unfallhandlung (Arbeiten am Modell) und
der versicherten Tätigkeit (Bankkaufmann).
Fall 6:
Zu allem Unglück leidet M auch noch an diversen Allergien. Als er in einem brütend heißen Sommer bei offenem Bürofenster arbeitet, meldet sich sein Heuschnupfen und er erleidet einen Asthmaanfall, weswegen er ins Krankenhaus
muss.
Lösung:
• Das Ereignis kommt von außen.
• Es tritt auch während der Arbeitsschicht und bei Ausübung seiner versicherten
Tätigkeit ein.
• Die versicherte Tätigkeit muss aber auch die wesentliche Ursache für die
Gesundheitsstörung darstellen.
• Theorie der wesentlichen Bedingung: Damit eine Ursache (Bedingung)
eine „wesentliche“ ist, muss mehr dafür als dagegen sprechen, dass sie
den Eintritt der Gesundheitsstörung hervorgerufen oder verschlimmert hat.
• Haben mehrere Umstände zu der Gesundheitsstörung beigetragen, sind
sie versorgungsrechtlich nebeneinander stehende Mitursachen (und wie
Ursachen zu werten), wenn sie in ihrer Bedeutung und Tragweite für den
Eintritt des Erfolges „annähernd gleichwertig“ sind.
• Eine „annähernde Gleichwertigkeit“ (= Mitursächlichkeit) liegt erst dann
nicht mehr vor, wenn die Alternativursache im Vergleich zur versicherten
Tätigkeit eine überragende Bedeutung hat
• Hier: Kein Arbeitsunfall, sondern sog. Gelegenheitsursache.
• Der Asthmaanfall trug sich nur zufällig während der Arbeitszeit zu. Es hätte
ihm jederzeit auch zu Hause passieren können.
• Die wesentliche (überragende) Ursache ist die Grundbelastung (Allergien)
des M.
Fall 7:
Gerade gesund aus dem Krankenhaus zurückgekehrt, tritt M seinen Dienst in der
Bank wieder an. Da ereignet sich ein Überfall: Der Täter bedroht M mit einem
Vorschlaghammer und fordert ihn zur Übergabe des Geldes auf. Da M sich weigert, schlägt ihm der Täter mit dem Hammer auf die erhobenen Hände. Der Täter
flieht, aber M bricht sich den Handknöchel. Erneut wird er ins Krankenhaus eingeliefert, wo sich seine Pechsträhne fortsetzt: Er kommt dem völlig überarbeiteten Chirurgen C unter die Hände, der bei der OP einen Fehler begeht und den
Schaden an der Hand des M noch verschlimmert (bleibende Versteifung des
Handgelenks). Kann diese weitere gesundheitliche Verschlimmerung auch noch
als Arbeitsunfall gewertet werden?
Lösung:
• Klar ist: Ohne den ersten Gesundheitsschaden (Knöchelbruch durch Vorschlaghammer) wäre M nicht ins Krankenhaus gekommen – dann hätte sich
auch der weitere Schaden (Verschlimmerung durch Versteifung) nicht ereignet.
• Jedoch: Der weitere Schaden ereignete sich nicht mehr während der Arbeitsschicht, jedenfalls aber nicht durch eine versicherte Tätigkeit (sondern durch
den Kunstfehler des Chirurgen).
• Hier hilft der Gesetzgeber: auch Einbeziehung mittelbarer Folgen von Versicherungsfällen, vgl. § 11 SGB VII (lesen!)
Fall 8:
Nach seiner Genesung beginnt M wieder zu arbeiten. Nach einem anstrengenden Arbeitstag fährt er nach Hause, bekommt aber auf der Fahrt Hunger. Er biegt
vom direkten Heimweg ab und fährt in eine Nebenstraße, wo er sich in einer
Metzgerei eine Wurstsemmel kaufen will. Dabei kollidiert er mit einem anderen
Fahrzeug und verletzt sich erneut. Handelt es sich um einen Arbeitsunfall?
Lösung:
• Geschützt sind nicht nur Arbeitsunfälle während der Arbeitsschicht, sondern
auch sog. Wegeunfälle, vgl. § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII
• Diese müssen aber auf dem „unmittelbaren“ Weg nach oder von dem Ort der
Tätigkeit eintreten.
• „Unmittelbarer Weg“ = direkter Weg von der Arbeit nach Hause u.u.
• Nicht versichert sind „Umwege“ und „Abwege“
• Umweg = der Versicherte bewegt sich weiter in Richtung nach Hause,
nimmt aber aus privaten Gründen einen nicht unerheblich längeren Weg
als den kürzesten
• Abweg = der Versicherte bewegt sich aus privaten Gründen in eine andere
Richtung als nach Hause
• Wissenswert:
• Ein längerer Weg als der direkte gilt immer noch als „unmittelbar“, wenn er
verkehrsgünstiger ist als der kürzeste.
• Bei Abwegen schaden grds. schon sehr kurze Abstecher. Wird der versicherte Weg innerhalb von zwei Stunden wieder aufgenommen, gilt (für den
restlichen Weg) wieder Versicherungsschutz.
• § 8 Abs. 2 SGB VII beschreibt einige Ausnahmen, in denen trotz Abweichung vom unmittelbaren Weg Versicherungsschutz besteht (lesen!).
• Hier:
• M befand sich auf einem Abweg, als er die Wurstsemmel holen wollte – es
besteht kein Versicherungsschutz.
• Hätte sich der Unfall erst zugetragen, nachdem er die Semmel geholt und
binnen 2 Stunden wieder auf seinen direkten Heimweg begeben hätte,
würde er dagegen Versicherungsschutz genießen.
Fall 9:
B ist als Mitarbeiter in einer Biogasanlage für die Einbringung der Substrate
(Rohstoffe und Abfälle) zuständig. Im Laufe der Zeit entwickelt er gesundheitliche
Beschwerden: Kopfschmerzen, Appetitlosigkeit, oberflächliche Veränderungen
der Hornhaut mit Lichtscheu, Lidkrämpfe und Nebelsehen. Eine Untersuchung
ergibt, dass die Sicherheitseinrichtungen der ortsfesten Sammelbehälter defekt
und zudem die H2S-Konzentrationsmessgeräte über einen längeren Zeitraum
ausgefallen waren. Liegt bei B ein Versicherungsfall nach dem SGB VII vor?
Lösung:
• Ein Arbeitsunfall liegt nicht vor: Es handelt sich nicht um ein isoliertes Unfallereignis, sondern um eine langzeitige Einwirkung.
• Nach § 9 SGB VII können aber auch Berufskrankheiten anerkannt werden.
• Abs. 1: Berufskrankheiten liegen vor, wenn eine Gesundheitsstörung in der
sog. Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) gelistet ist und infolge einer
versicherten Tätigkeit entstanden ist.
• Hinweis: Zu den einzelnen BKV-Nummern gibt es auch Merkblätter, in
denen die Voraussetzungen für eine Anerkennung näher beschrieben
werden und die den wissenschaftlichen Stand wiedergeben sollen.
• Hierdurch soll die Beweisführung für die Betroffenen erleichtert werden.
• Abs. 2: Auch ohne Aufnahme in die BKV oder bei Nichterfüllung der dortigen Voraussetzungen kann es ausnahmsweise zur Anerkennung kommen,
sofern neue wissenschaftliche Erkenntnisse hierzu vorliegen.
• Erleichterungen der Beweisführung wie bei der BKV gibt es hier nicht.
• Vorliegend hat B gute Chancen, bei bleibenden Schäden Ansprüche nach
dem SGB VII zu erhalten, vgl. BKV Nr. 1202 samt zugehöriges Merkblatt.
Fälle und Fragen zum Recht der gesetzlichen Rentenversicherung (SGB VI)
Fall 1:
C ist Chirurg im Krankenhaus. Beim Golfspielen will er seine Ehefrau beim Abschlag korrigieren. Die Ehefrau bemerkt ihn jedoch nicht, holt aus und trifft den C
dabei mit dem Eisen an der rechten Hand, wobei sie ihm zwei Finger abtrennt.
Fortan kann C seinen Beruf als Chirurg nicht mehr ausüben. Kann er wenigstens
eine Erwerbsunfähigkeitsrente beantragen?
Lösung:
• C ist zwar im Hinblick auf seinen konkreten Beruf berufsunfähig.
• Dies ist für die (volle) EM-Rente aber irrelevant:
• Nach § 43 Abs. 2 SGB VI kommt es ausschließlich auf das abstrakte Unvermögen an, überhaupt irgendeinen Beruf ausüben zu können.
• Auch die tatsächliche Arbeitsmarktlage ist hier irrelevant (arg. e § 43 Abs. 3
SGB VI)
• Einzige Chance: Berufsunfähigkeits-Rente nach § 240 SGB VI
• Die gibt es eigentlich nicht mehr – aber Bestandsschutzregelung in § 240
SGB VI bei Geburtstag vor dem 02.01.1961
• BU = Unfähigkeit, seinen bisherigen Beruf mindestens 6 Stunden täglich
auszuüben (§ 240 Abs. 2 S. 1 SGB VI)
• Aber: Verweisungsmöglichkeiten nach § 240 Abs. 2 S. 4 SGB VI:
• BU liegt nicht vor, wenn eine Verweisung auf einen anderen Beruf zumutbar ist
• Mehrstufen-Schema der Rechtsprechung: Zumutbarkeit besteht bei jeder Tätigkeit, die maximal eine Stufe unter der bisherigen angesiedelt ist
• Die tatsächliche Arbeitslage ist erneut irrelevant.
Fall 2:
S ist Straßenfeger. Aufgrund einer chronischen Venenerkrankung der Beine kann
er nach einem Gutachten in den nächsten Jahren nur 5 Stunden täglich einer
Erwerbstätigkeit nachgehen. Nachdem er seinen Job verloren hat und ihm die
Agentur für Arbeit auch nach einem Jahr nicht einmal eine Teilzeittätigkeit vermitteln konnte, fragt er wegen einer EM-Rente nach.
Lösung:
• S ist nicht voll erwerbsgemindert: Da er unter 6 Stunden, aber mehr als 3
Stunden täglich arbeiten kann, ist er teilweise erwerbsgemindert.
• Nachdem der dennoch arbeitslos ist, ist das ein schwacher Trost.
• Hier hilft die Rechtsprechung:
• Sofern ein teilweise Erwerbsgeminderter keinen Teilzeitarbeitsplatz innehat, ist die Lage auf dem Arbeitsmarkt doch zu berücksichtigen.
• Ist der Teilzeitarbeitsmarkt verschlossen (hier: bereits seit einem Jahr keine
Teilzeittätigkeit vermittelbar), besteht ein Anspruch auf volle EM-Rente
nach § 43 Abs. 2 SGB VI
• Bedeutet hier:
• S bekommt eine Rente wegen voller EM.
• Sollte er doch noch einen Teilzeitjob finden, hat er immer noch Anspruch
auf eine Rente wegen teilweiser EM.
• Hinweis: EM-Renten sind nach § 102 Abs. 2 SGB VI befristet.
Fälle und Fragen zum Recht der Arbeitsförderung (SGB III)
Fall 1:
B verliert seinen Job als Banker, bei dem er zuvor 6.000 EUR brutto verdiente. Er
meldet sich arbeitsuchend und erhält tatsächlich bereits nach 6 Wochen ein konkretes Jobangebot bei einer anderen Bank. Allerdings müsste er zwei „Kröten“
schlucken: Zum einen muss er zur neuen Arbeitsstelle jeweils 30 Minuten pendeln, zum anderen verdient er dort trotz eines Vollzeitjobs nur noch 3.500 EUR
brutto. Riskiert er seinen ALG I-Anspruch, wenn er die Stelle ablehnt?
Lösung:
• Die Voraussetzungen des § 137 Abs. 1 SGB III müssen erfüllt sein.
• Fraglich kann vorliegend sein, ob bei einer Ablehnung des Vermittlungsvorschlags noch „Arbeitslosigkeit“ besteht: Ggf. steht B dann nämlich den „Vermittlungsbemühungen“ nicht mehr zur Verfügung (§ 138 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 5
SGB III).
• B könnte evtl. an § 138 Abs. 5 Nr. 3 SGB III scheitern: die Bereitschaft zur
Annahme zumutbarer Beschäftigungen.
• § 140 SGB III definiert die Zumutbarkeit:
• Abs. 1: Zumutbar ist zunächst einmal alles, was der Arbeitsfähigkeit (!)
eines Menschen entspricht
• Abs. 5: Unzumutbarkeit besteht nicht schon allein deswegen, weil eine
befristete Tätigkeit angeboten wird oder vorübergehend eine getrennte
Haushaltsführung erforderlich wäre oder weil die Tätigkeit nicht der Ausbildung oder zuletzt ausgeübten Tätigkeit entspricht.
• Abs. 2: Unzumutbarkeit aus allgemeinen Gründen (lesen!)
• Abs. 3 und 4: Unzumutbarkeit aus personenbezogenen Gründen:
• Die Pendelzeiten wären bei B zwar nicht unzumutbar (vgl. Abs. 4).
• Aber die Gehaltseinbußen wären (derzeit noch) unzumutbar hoch
(vgl. Abs. 3).
Fall 2:
Harry H fühlt sich in seinem Job vom Chef und den Kollegen gemobbt. Da er es
nicht mehr aushält, schmeißt er alles hin und kündigt. Auf dem Weg zur Agentur
für Arbeit kommen ihm Zweifel, ob seine Reaktion negative Folgen für den Anspruch auf ALG I haben kann.
Lösung:
• Grundsätzlich liegen bei H die Voraussetzungen für ALG I vor, vgl. § 137 SGB
III.
• Allerdings könnte sein Anspruch ruhen, wenn die Agentur für Arbeit eine
Sperrzeit verfügt, § 159 SGB III.
• Anders als bei den Ruhens-Tatbeständen der §§ 156 – 158, 160 SGB III
verschiebt sich bei versicherungswidrigem Verhalten nicht nur der Leistungsbeginn, sondern die Dauer des Anspruchs vermindert sich ebenfalls
(vgl. § 148 Abs. 1 Nr. 3 + 4 SGB III).
• Dauer der Sperrzeit: Vgl. Absätze 3 – 6
• Vorliegend: Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe, Abs. 1 S. 2 Nr. 1
• Die Dauer der Sperrzeit wäre 12 Wochen.
• Fraglich kann nur sein, ob ein wichtiger Grund vorlag (ob also das Mobbing
nachweisbar und als nachvollziehbarer Anlass ausreichend war).