WISSENSCHAFTSPREIS DES SOZIALMINISTERIUMS FÜR JUNGAKADEMIKERiNNEN Kurzfassungen der nominierten Arbeiten 4. Gerold, Stefanie und Nocker, Matthias Reduction of Working Time in Austria A Mixed Methods Study Relating a New Work Time Policy to Employee Preferences Masterthesis. WU Wien. 2015 © kay biskupski © kay biskupski Kurzdarstellung von Inhalt und Methodik Methodik In der vorliegenden Thesis werden sowohl qualitative als auch quantitative Methoden angewandt, um den Wunsch nach kürzeren Arbeitszeiten in Österreich umfassend zu untersuchen. Im Zentrum dieser Mixed-Methods-Studie stehen die individuellen Einstellungen: Während im quantitativen Teil individuelle Präferenzen untersucht wurden, widmet sich der qualitative Teil den tatsächlichen Entscheidungen für kürzere Arbeitszeiten. Der quantitative empirische Teil dieser Studie basiert auf Daten des Mikrozensus 2012 von unselbständig Beschäftigten in Österreich. Durch die Bildung der Differenz zwischen tatsächlicher und präferierter Wochenarbeitszeit lassen sich jene Personen, die weniger arbeiten wollen (Reducers) von jenen, die gleich viel arbeiten wollen (Nonchangers), abgrenzen. In einem binär-logistischen Regressionsmodell werden zudem diverse Faktoren ermittelt, die mit einer Präferenz für Arbeitszeitreduktion einhergehen. Die Forschungsfrage des quantitativen Teils lautet wie folgt: Welche Eigenschaften besitzen jene Personen, die ihre Arbeitszeit reduzieren wollen? Als erklärende Faktoren dienen (1) sozio-demographische Faktoren (Alter, Geschlecht, Bildung), (2) Haushalts- und Familiencharakteristika (Anzahl der Kinder im Haushalt, Alter des jüngsten Kindes, Single-/Mehrverdienerhaushalt), (3) Beschäftigungsbedingungen (Position, Betriebsgröße, Wirtschaftssektor des Betriebes, Dauer der Betriebszugehörigkeit, leitenden Tätigkeit, Vertragsdauer, Beruf, tatsächliche wöchentliche Arbeitszeit) und (4) extrinsische Motivatoren (Stundenlohn). Diese Faktoren werden im Rahmen der binär-logistischen Regression jeweils für Frauen und Männer auf die abhängige Variable mit den zwei Ausprägungen Reducers und Nonchangers bezogen. Als Ausgangspunkt für die qualitative Analyse dient die sog. Freizeitoption, welche im Rahmen des Kollektivvertrags 2013 der Elektro- und Elektronikindustrie erstmals eingeführt wurde. Diese Option ermöglichte es den Beschäftigten, in der betreffenden Industriebranche zwischen einer ca. 3%igen Lohn- bzw. Gehaltserhöhung und zusätzlicher Freizeit im Ausmaß von fünf Stunden pro Woche (bei Vollzeitbeschäf- Gerold, Stefanie und Nocker, Matthias 31 WISSENSCHAFTSPREIS DES SOZIALMINISTERIUMS FÜR JUNGAKADEMIKERiNNEN Kurzfassungen der nominierten Arbeiten tigung) zu wählen. Die Beschäftigten hatten somit die Möglichkeit, auf kollektivvertraglicher Ebene ihre Erwerbsarbeitszeit zu reduzieren. Im Rahmen des qualitativen empirischen Teils wurden Beschäftigte nach ihren Argumenten und Motiven für ihre Entscheidung befragt. Die Forschungsfrage des qualitativen Teils lautet folgendermaßen: Welche Motive geben Beschäftigte an, um ihre Entscheidung zwischen einer Lohn- bzw. Gehaltserhöhung und zusätzlicher Freizeit zu begründen? Dazu wurden 17 problemzentrierte Interviews mit Beschäftigten einer Firma in der Elektro- und Elektronikindustrie in Österreich durchgeführt, die 2013 die Möglichkeit hatten, sich für die Freizeitoption zu entscheiden. Bei der Auswahl der InterviewpartnerInnen wurde auf ein ausgewogenes Verhältnis bezüglich Alter, Geschlecht, Position (ArbeiterInnen/Angestellte) sowie Stellung im Betrieb geachtet. Das Sample umfasst sowohl Personen, die sich für die Freizeitoption entschieden haben, als auch Beschäftigte, die die Lohn- bzw. Gehaltserhöhung gewählt haben. Im Anschluss an das problemzentrierte Interview wurde den Befragten ein Fragebogen mit (leicht modifizierten) Fragen aus dem Mikrozensus 2012 vorgelegt, die den verwendeten Variablen im Regressionsmodell zugrunde liegen. Nach der vollständigen Transkription aller Interviews wurden diese anhand der Framework-Methode analysiert. In dieser Studie wird der Mixed-Methods-Ansatz der Triangulation verfolgt. Diese Forschungsstrategie sieht vor, mehrere Methoden oder Daten zur Untersuchung desselben Phänomens heranzuziehen, um eine höhere Validität der Forschungsergebnisse zu erzielen. Der Triangulationsprozess dieser Studie durchlief drei Phasen. In der Vorbereitungsphase wurde die für die Triangulation nötige Kongruenz durch Einengung der Forschungsfelder hergestellt sowie die Forschungsfragen in enger Kooperation miteinander entwickelt und aufeinander bezogen. In der Kernphase wurden die qualitativen und quantitativen Daten unabhängig voneinander ausgewertet, analysiert und die jeweiligen Ergebnisse zusammengefasst. In der Finalphase wurden die Ergebnisse synthetisiert und gemeinsame Schlüsse gezogen. Ergebnisse des quantitativen Teils Die Präferenz für Arbeitszeitverkürzung ist für Männer und Frauen bei einer Vielzahl der Variablen sehr ähnlich ausgeprägt. Für beide Geschlechter ist die tatsächlich geleistete wöchentliche Arbeitszeit der ausschlaggebenste Faktor, was die Präferenz nach Arbeitszeitverkürzung betrifft. Je länger die wöchentliche Arbeitszeit, desto eher wollen Beschäftigte ihre Arbeitszeit reduzieren. Darüber hinaus sind Reducers, also jene Personen, die weniger arbeiten wollen, tendenziell älter, höher gebildet und haben keine oder wenige Kinder. Reducers arbeiten zudem eher als Angestellte in größeren Betrieben. Hingegen haben der Stundenlohn, eine Anstellung in leitender Funktion, die Vertragsdauer sowie der Wirtschaftssektor des Betriebes keinen oder nur äußerst geringen Einfluss auf die Präferenz für kürzere Arbeitszeiten. Die größten geschlechtsspezifischen Unterschiede lassen sich bei jenen Variablen finden, die sich auf Haushalts- und Familiencharakteristika beziehen. Frauen mit jüngeren Kindern, die in Mehrverdienerhaushalten leben, neigen besonders dazu, ihre Arbeitszeit zu reduzieren. Auf Männer hingegen haben das 32 Gerold, Stefanie und Nocker, Matthias WISSENSCHAFTSPREIS DES SOZIALMINISTERIUMS FÜR JUNGAKADEMIKERiNNEN Kurzfassungen der nominierten Arbeiten Alter des jüngsten Kindes sowie die Haushaltszusammensetzung kaum Auswirkungen. Eine Untersuchung der Erklärungswerte der Variablen lässt auch den Schluss zu, dass die Arbeitszeitpräferenzen von Frauen stärker von Haushalts- und Familiencharakteristika, jene von Männern stärker von Beschäftigungsbedingungen abhängen. Diese Ergebnisse folgen der Logik der male breadwinner & part-time-Norm, die besagt, dass Männer durch Vollzeitarbeit für den Unterhalt aufkommen, während Frauen primär in Teilzeit arbeiten und zusätzlich für Haus- und Pflegetätigkeit aufkommen. Diese Ergebnisse unterstreichen die in Österreich weit verbreitete, ungleiche Aufteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit zwischen Frauen und Männern. Der Erklärungswert beider Modelle nach McFadden beschränkt sich auf 17% für Frauen und 18,5% für Männer. Dies bedeutet, dass die überwiegende Mehrheit der Informationen, welche die Präferenz für Arbeitszeitverkürzung beschreiben, nicht in den verwendeten Variablen enthalten ist. Arbeitszeitpräferenzen sind demnach hoch komplex und hängen stark mit der individuellen Lebenssituation zusammen. Ergebnisse des qualitativen Teils Im Zuge der qualitativen Analyse wurden die Befragten, die sich für die Freizeitoption entschieden hatten, mit jener Gruppe verglichen, welche die Lohn- bzw. Gehaltserhöhung gewählt hatte. Auf Basis der Auswertung der genannten Motive sowie der anhand des Fragebogens erhobenen sozio-demographischen Daten wurden drei Thesen entwickelt, die als zentrale Ergebnisse der qualitativen Untersuchung zu betrachten sind. Die erste These lautet, dass Freizeit und Zeit mit der Familie für Beschäftigte mit höherem Bildungsniveau intrinsische Werte darstellen, was den Wunsch nach kürzeren Arbeitszeiten erhöht. Diese These beruht auf der Beobachtung, dass jene InterviewpartnerInnen, die die Freizeitoption gewählt haben und sich eine weitere Verkürzung ihrer Arbeitszeit wünschen, diese Entscheidung getroffen haben, um mehr Zeit für Familie und Kinder zu haben bzw. darauf hingewiesen haben, dass ihnen Freizeit als solches sehr wichtig ist. Demgegenüber haben jene Beschäftigten, die die Freizeitoption gewählt haben, ihre Arbeitszeit jedoch nicht zusätzlich verkürzen möchten, ihre Entscheidung aus einer extrinsischen Motivation heraus getroffen. Zudem war zu beobachten, dass all jene, die die Bedeutung von Freizeit bzw. Zeit mit Familie und Kindern betonten, über einen höheren Bildungsgrad verfügen als jene, die diese Aspekte nicht genannt haben. Dieser Zusammenhang zwischen Arbeitszeitpräferenzen und Bildungsniveau lässt sich mit dem Konzept der adoleszenten Sozialisation erklären, welches besagt, dass Personen mit längerem Bildungsweg in ihren Einstellungen weniger durch arbeitsweltliche Einflüsse und stärker durch alltägliche Erfahrungen geprägt werden. Daraus lässt sich schließen, dass Personen mit höherem Bildungsabschluss sich nicht nur an Erwerbsarbeit orientieren, sondern auch Freizeit und Zeit mit der Familie als zentrale Aspekte in ihrem Leben betrachten. Gerold, Stefanie und Nocker, Matthias 33 WISSENSCHAFTSPREIS DES SOZIALMINISTERIUMS FÜR JUNGAKADEMIKERiNNEN Kurzfassungen der nominierten Arbeiten Die zweite These besagt, dass Geld aus einer langfristigen Perspektive gesehen und stark mit Sicherheitsaspekten verknüpft wird. Dies führt dazu, dass manche Beschäftigte eine Lohn- bzw. Gehaltserhöhung vorziehen, obwohl sie sich in einer guten finanziellen Situation befinden. Diese Annahme beruht auf der Auswertung der Interviews mit jenen Beschäftigten, die sich für die Lohn- bzw. Gehaltserhöhung entschieden haben. Während einige dieser Gruppe angaben, dass sie das zusätzliche Einkommen für ihre Familie brauchen würden, sagten andere – teilweise mit relativ hohem Einkommen und keinen Kindern –, dass ihnen das Geld einfach lieber gewesen wäre, ohne einen spezifischen Grund anzugeben. Oftmals wurde auch auf die negativen Auswirkungen der Freizeitoption auf die zukünftige Einkommensentwicklung bzw. die spätere Pension verwiesen. Die dritte These postuliert, dass die in der Arbeitswelt vorherrschende Tendenz, Arbeitsleistungen verstärkt durch Output-Indikatoren anstatt durch die geleistete Arbeitszeit zu beurteilen, als wesentliches Hindernis für kürzere Arbeitszeiten betrachtet werden muss. Neben finanziellen Gründen war eines der meistgenannten Motive für die Nicht-Inanspruchnahme der Freizeitoption die Tatsache, dass die zusätzliche Freizeit nur schwer hätte konsumiert werden können, da bereits Schwierigkeiten bestanden, die derzeitigen Urlaubsansprüche abzubauen. Als primäre Gründe dafür wurden die hohe Arbeitsbelastung sowie Probleme, eine Vertretung bei Abwesenheit zu gewährleisten, genannt. Diese Aussagen legen nahe, dass Arbeitsaufträge sowie deren Ausführung nicht länger in Zeit sondern verstärkt durch Output-Indikatoren bewertet werden. Diese Tendenz in Richtung Ergebnisorientierung wird in der betreffenden Literatur unter dem Begriff Subjektivierung von Arbeit beschrieben. In diesem Zusammenhang wird ein steigendes Risiko der Selbstausbeutung konstatiert, welches sich durch die Dezentralisierung von Verantwortlichkeiten ergibt. Synthese Die Resultate beider empirischer Teile verdeutlichen, dass die Gründe für Arbeitszeitpräferenzen sehr vielfältig und komplex sind. Dies spiegelt sich einerseits in dem relativ geringen Erklärungswert des Regressionsmodells wider. Andererseits sind die sozio-demographischen Merkmale innerhalb der zwei Subgruppen der qualitativen Analyse – jene mit bzw. ohne Freizeitoption – sehr heterogen ausgestaltet. Das bedeutet, dass eine affirmative Einstellung zu kürzeren Arbeitszeiten in verschiedensten Gesellschaftsschichten aufzufinden ist. Daraus lässt sich ableiten, dass Politikmaßnahmen für Arbeitszeitverkürzung so gestaltet sein sollten, dass sie von sämtlichen Personengruppen in Anspruch genommen werden können. Sie sollten daher nicht auf einen kleinen Teil der Erwerbstätigen begrenzt sein, wie es ursprünglich für die Freizeitoption angedacht war. Die Resultate beider empirischer Teile überschneiden sich zudem in Bezug auf den erreichten Bildungsabschluss. Die Ergebnisse der Regression und jene der Interviews zeigen, dass Beschäftigte mit höheren Bildungsabschlüssen verstärkt zu kürzeren Arbeitszeiten neigen. Man könnte vermuten, dass sich dieses Ergebnis aufgrund einer Korrelation zwischen Bildungs- und Einkommensniveau ergibt. Jedoch konnte 34 Gerold, Stefanie und Nocker, Matthias WISSENSCHAFTSPREIS DES SOZIALMINISTERIUMS FÜR JUNGAKADEMIKERiNNEN Kurzfassungen der nominierten Arbeiten in beiden empirischen Teilen kein eindeutiger Einfluss der Einkommenshöhe auf den Wunsch bzw. die Entscheidung für kürzere Arbeitszeiten festgestellt werden. In der Regressionsanalyse ist der Effekt des Stundenlohns nicht signifikant. Die qualitative Auswertung zeigt, dass sich die zwei Gruppen von Befragten nicht maßgeblich hinsichtlich der Einkommenshöhe unterscheiden. Zudem kann beobachtet werden, dass die Einkommenshöhe im qualitativen Sample weniger stark vom Bildungsgrad, sondern eher von der Betriebszugehörigkeitsdauer abhängt. Im quantitativen Teil wird gezeigt, dass Arbeitszeitpräferenzen stark geschlechtsspezifisch geprägt sind. Zum Beispiel neigen gerade Mütter junger Kinder in Mehrverdienerhaushalten zu kürzeren Arbeitszeiten, wohingegen sich diese Haushaltsmerkmale nicht auf die Präferenzen von Männern auswirken. Dieses Resultat lässt auf das Voherrschen des sog. male breadwinner & part-time-Modells in Österreich schließen. Daraus lässt sich ableiten, dass in Österreich Bedarf nach politischen Rahmenbedingungen besteht, die es Frauen und Männern gleichermaßen ermöglicht, sich an Erwerbsarbeit sowie Haushalts- und Pflegearbeit zu beteiligen. Darüber hinaus geht aus der quantitativen Untersuchung hervor, dass von der tatsächlich geleisteten wöchentlichen Arbeitszeit die höchste Erklärungskraft ausgeht. Je länger Beschäftigte arbeiten, desto eher äußern sie den Wunsch nach kürzeren Arbeitszeiten. Dieser positive Zusammenhang zwischen tatsächlicher Wochenarbeitszeit und der Präferenz für Arbeitszeitverkürzung legt den Schluss nahe, dass Arbeitszeitpräferenzen stark von Arbeitszeitnormen geprägt werden. In der qualitativen Untersuchung konnte diese Relation nicht beobachtet werden. In diesem Kontext ist es jedoch notwendig, auf verschiedene Arbeitszeitkonzepte einzugehen. Der Datensatz für die quantitative Analyse enthält lediglich Daten über die normale Wochenarbeitszeit der Beschäftigten. Es stellt sich also die Frage, ob die Freizeitoption auch zur Reduktion der Wochenarbeitszeit verwendet wird. Die qualitative Untersuchung zeigt, dass es Beschäftigte gibt, welche die Freizeitoption in Anspruch genommen haben, obwohl sie mit ihrer Wochenarbeitszeit zufrieden sind. Demgegenüber haben sich einige Beschäftigte für die Lohn- bzw. Gehaltserhöhung entschieden, obwohl sie ihre Wochenarbeitszeit durchaus reduzieren wollen. Der Grund liegt darin, dass die Freizeitoption von den Beschäftigten nicht als ein Instrument zur Reduktion der Wochenarbeitszeit angesehen wird. Für SchichtarbeiterInnen oder Beschäftigte mit All-in-Verträgen wäre es darüber hinaus auch gar nicht möglich, die Freizeitoption stundenweise zu konsumieren. Tatsächlich wird die Freizeitoption von den meisten Beschäftigten über einige Monate hinweg angespart und für zusätzliche Urlaubstage oder verlängerte Wochenenden verwendet, was zu einer kürzeren jährlichen Arbeitszeit führt. Dies führt vor Augen, dass neben der Wochenarbeitszeit auch weitere Arbeitszeitkonzepte wie Monats-, Jahres-, aber auch Lebensarbeitszeit durchaus relevant sind und deutet auf einen diesbezüglichen Forschungsbedarf für die Zukunft hin. Diese Arbeit wurde in englischer Sprache verfasst. Gerold, Stefanie und Nocker, Matthias 35
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