Parlamentsrecht des Bundes»: Der Nationalrat

Quelle
Dr. Christoph Lanz: Unterlagen für die Lehrveranstaltung zum Thema „Parlamentsrecht des Bundes“, FS 2012,
Universität Bern (Auszug)
Der Nationalrat
I.
Zusammensetzung und Sitzzahl
Der Nationalrat besteht aus 200 Mitgliedern, die alle vier Jahre in einer Gesamterneuerungswahl
gewählt werden (Art. 149 BV; Details in Art. 16 ff. BPR). Jeder Kanton bildet einen Wahlkreis und hat
Anspruch auf mindestens einen Sitz.
Art. 149 Abs. 1 BV sieht eine feste Sitzzahl von 200 Nationalratsmitgliedern vor. Die Verteilungszahl,
also die Zahl der auf jeden Sitz entfallenden Einwohner, wird jeweils aufgrund der letzten
Volkszählung der Entwicklung der Bevölkerungszahl angepasst.
II.
Wählbarkeit
Wer in eidgenössischen Angelegenheiten stimmberechtigt ist, ist in den Nationalrat wählbar (Art. 143 i.
V. m. Art. 136 BV und Art. 2 BPR). Die folgenden Voraussetzungen sind kumulativ erforderlich:
1. Schweizer Bürgerrecht,
2. zurückgelegtes 18. Lebensjahr und
3. kein
Ausschluss
vom
Stimmrecht
wegen
Entmündigung
infolge
von
dauernder
Urteilsunfähigkeit.
Nicht erforderlich ist der Wohnsitz in der Schweiz, sodass Auslandschweizerinnen und –schweizer
wählbar sind.
III.
Wahlverfahren
Die Nationalratsmitglieder werden in direkter Wahl nach dem Grundsatz des Proporzes gewählt (Art.
149 Abs. 2 BV). Die Stimmberechtigten wählen also nicht ein Wahlgremium, das dann seinerseits den
Nationalrat
bestellt,
sondern
direkt
die
Nationalratsmitglieder.
Beim
Proporz-
oder
Verhältniswahlsystem werden die Sitze des Nationalrates auf die verschiedenen Parteien im
Verhältnis der Stimmen verteilt, welche für die Parteien oder ihre Kandidaten abgegeben worden sind.
Dadurch entspricht die Verteilung der Sitze dem Wähleranteil der Parteien.
Der Proporzgedanke erleidet jedoch gewisse Einschränkungen: Je tiefer die Anzahl der
Nationalratssitze ist, umso höher ist der Stimmenanteil, den eine Partei zur Erreichung eines Sitzes
erzielen muss. Kleine Parteien können folglich nur in grösseren Kantonen Sitze erzielen. In
denjenigen Kantonen, welchen nur ein Nationalratssitz zusteht (Uri, Obwalden, Nidwalden, Glarus,
Appenzell-Ausserrhoden, Appenzell-Innerrhoden), wird die Wahl zur Majorzwahl: gewählt ist die
Person, die am meisten Stimmen erhält (Art. 47–51 BPR, Mehrheitswahl).
Das kantonale Recht kann eine stille Wahl vorsehen, wenn nur eine einzige Person kandidiert.
Näheres zu Wahlvorschlägen, Wahlakt und Ermittlung der Ergebnisse findet sich in den Art. 21–46
BPR.
Wegen Unregelmässigkeiten bei der Vorbereitung und Durchführung der Nationalratswahlen kann bei
der Kantonsregierung Beschwerde geführt werden (Art. 77, Abs. 1 lit. c BPR). Gegen den Entscheid
der Kantonsregierung kann beim Bundesgericht Beschwerde geführt werden (Art. 189, Abs. 1, Bst. f
BV; Art. 80 BPR). Die frühere Wahlprüfung durch das provisorische Büro des Nationalrates und den
Nationalrat ist entfallen, seit die Beschwerdemöglichkeit an das Bundesgericht eröffnet wurde.
Nach der Wahl muss sich der Nationalrat konstituieren, indem er die Gültigkeit der Wahl feststellt (Art.
53 BPR und Art. 1–4 GRN). Danach haben die Abgeordneten den Eid oder das Gelübde abzulegen
(Art. 3 ParlG).
Wenn ein Nationalratsmitglied vor Ablauf der Amtszeit vorzeitig ausscheidet, erklärt die zuständige
Kantonsregierung die erste Ersatzperson von der gleichen Liste als gewählt (Nachrücken, Art. 55
BPR). Kann der Sitz ausnahmsweise nicht mit einer nachrückenden Person besetzt werden, findet
eine Ergänzungswahl statt (Art. 56 BPR), wobei ein Urnengang nur stattfindet, wenn die Unterzeichner
und Unterzeichnerinnen der Liste keinen Wahlvorschlag machen.
In Kantonen, die nur ein Mitglied in den Nationalrat entsenden, findet immer eine Ergänzungswahl
statt.
Der Nationalrat wird auf eine feste Amtsdauer von vier Jahren gewählt. Alle vier Jahre findet eine
ordentliche
Gesamterneuerung
statt.
Ausnahmsweise
erfolgt
eine
ausserordentliche
Gesamterneuerung, wenn das Volk in einer Vorabstimmung die Totalrevision der Bundesverfassung
beschlossen hat (Art. 193 Abs. 2 und 3 BV). Ansonsten kann der Nationalrat (wie auch der Ständerat)
nicht aufgelöst werden.
IV.
Unvereinbarkeit
Aufgrund
des
Zweikammersystems
und
der
personellen
Gewaltenteilung
ergeben
sich
Unvereinbarkeitsgründe. Im Gegensatz zur fehlenden Wählbarkeit ist die Wahl gültig. Der Gewählte
kann jedoch sein Amt nicht antreten oder länger als sechs Monate ausüben, falls er den
Unvereinbarkeitsgrund nicht beseitigt.
Nach Art. 144 BV dürfen Nationalratsmitglieder weder dem Ständerat noch dem Bundesrat angehören
und auch nicht als Richter am Bundesgericht tätig sein. Weitere Unvereinbarkeiten finden sich in Art.
14 ParlG. Unvereinbarkeitsbestimmungen des kantonalen Rechts wirken sich nur auf kantonaler
Ebene aus. Das Nationalratsmandat darf angetreten werden, der Gewählte kann aber gezwungen
werden, das kantonale Amt niederzulegen. (Bsp. Art. 68 Abs. 3 KV BE: Mitglieder des
Regierungsrates dürfen nicht der Bundesversammlung angehören.)