Mit acht Pfoten, zwei Füßen und vier Sohlen durch die Eifel

Mit acht Pfoten, zwei Füßen und vier Sohlen durch die Eifel
Wenn
einer mit zwei Hunden und einem Lama loszieht die Eifel zu Fuß zu
durchqueren, dann muss er sich auf was gefasst machen. Neben wunderbar stillen
Momenten, intensivem Naturgenuss und einem harmonischen Zusammenwachsen des
Mensch-Tier-Teams begegnet ihm vor allem eines: die aus Neugier und Verwunderung
gepaarte hohe Aufmerksamkeit der Menschen entlang seines Weges.
Zusammen mit meinen beiden Australian Shepherds „Timber und Bounty“, sowie einem
stattlichen Lamawallach namens „Maipo“ war ich Mitte September (2010) in meiner
Heimatstadt Düren zur „Nord-Süd-Passage“ durch die Eifel aufgebrochen. Ein Ziel für die
knapp zweiwöchige Tour war nicht ausgemacht. Richtung Süden hieß es lediglich, denn
ausschließlich die Bedürfnisse der Tiere sollten das Tempo und damit auch die jeweilige
Tagesdistanz bestimmen. Die Streckenführung orientierte sich grob am Eifelsteig, der als
Premiumwanderweg von Aachen nach Trier wunderbar beschildert, dafür aber auch viel
begangen ist.
Teamwork ist angesagt
Die Rollen wurden bereits vor Tourbeginn gerecht verteilt und dann auch konsequent
beibehalten. Maipo war zuständig für den Transport des gesamten Gepäcks, einschließlich
Hundefutter. Sein Tempo war unser Tempo. Die merle-bunt gefleckte Bounty war der Scout,
der auf allen Trails Entgegenkommenden signalisierte, dass ein besonderes Gespann folgen
würde. Timber, dunkel und kräftig, war der Bewacher und gleichzeitig Orientierungspunkt für
das achtjährige Lama, das den Großteil seiner Lebensjahre auf einer spanischen Weide
verbracht hatte. Und ich, Polizeibeamter, 46 Jahre, bekam kraft meines Menschseins die
Aufgabe, alle anderen noch unerledigten Dinge fortlaufend zu bewältigen.
Saisonal hatte ich offenbar genau den richtigen Zeitpunkt gewählt, wie sich während der Tour
herausstellte, denn bis auf einige Regengüsse waren die Tagestemperaturen von bis zu 19
Grad weder zu warm, noch zu kalt, und ließen auch noch halbwegs komfortable
Zeltübernachtungen zu. Zudem war die Vegetation, nach einem viel zu nassen August, mehr
als üppig, was fortwährend ein genüssliches Leuchten in den Augen des Gepäckträgers
erzeugte, für den wirklich überall schmackhafte Wegzehrung bereit stand.
Für meine Fernwanderungen mit nur einem Lama hatte ich keine aussagekräftige Literatur
gefunden. Mir war bewusst, dass ein Lama als Herdentier einen sozialen Anschluss braucht.
Deswegen war auch die Trennung von der Herde sukzessive eingeübt und die Bindung an die
Hunde trainiert worden. Mit Erfolg, wie sich heraus stellte.
Nur das Gleichgewicht zählt
Als erfahrener Langstreckenwanderer mit Hang zur Penibilität hatte ich mir natürlich den
Kopf zerbrochen, wie der Gepäcktransport bei meinem mehrtägigen Trekking im Dauertest
von statten gehen würde. Bei meinen Überlegungen hatte ich aus Gründen der
Gewichtsreduzierung auf ein hölzernes Tragegestell als Unterbau für die Gepäcktaschen
verzichtet. Ich verwendete statt dessen einen mit Filz belegten und mit Holzlatten verstärkten
Tragesattel mit frei gestelltem Wirbelfortsatz, an dem die Gepäcktaschen mittels
Klickverschlüssen eingehangen werden. Mit dem Packvolumen, zwei Mal 20 Liter, kam ich
leidlich zurecht, denn die Menge Hundefutter, auch wenn es sich bereits um eine ausgewählt
energiereiche Sorte handelt, ist auf so einer Tour nicht zu unterschätzen. Dafür verzichtete ich
selbst konsequent auf alles Überflüssige, trug aber Sachen wie Geld, Handy, Kamera, die
einzige Karte und - ganz wichtig - Belohnungshappen für die Tiere, immer griffbereit in
meiner Outdoorweste.
Neben zwei leichten Isomatten wurde auch das kleingewichtige Zelt auf den Packtaschen mit
Gummiriemen verspannt. Hatte sich die Tragevorrichtung bei Testwanderungen im Umfeld
der heimischen Rur noch als völlig ausreichend bewiesen, spielte jetzt im Ernstfall die
richtige Austarierung des Gewichtes doch die entscheidende Rolle. Denn auf längeren
Wanderungen hat nicht nur das wechselnde Geländeprofil Einfluss auf den Sitz der
Packtaschen. Auch das Grasen am Wegesrand und die damit einhergehenden
Körperbewegungen sind ein ständiger Einfluss auf die Beladung. So war es schließlich für
das Gleichgewicht der ausgangs etwa 19 Kilogramm Bepackung und den Tragekomfort für
Maipo entscheidend, für die Literflasche mit Wasser einen möglichst tiefen Schwerpunkt zu
finden. Denn die Pendelbewegungen des zu Beginn mittig auf dem Lamarücken
transportierten Wassers führten zunächst zu einer kontinuierlichen Verschiebung der Last.
Das Problem löste sich von selbst, als die Aluflasche auf den Boden knallte und undicht
wurde. Als die Frage des Gleichgewichts somit geklärt war und wir die Stadt in südliche
Richtung endlich verlassen hatten, kam langsam auch in mir eine erste gefühlte Balance zum
Vorschein. Und Wasser begleitete uns als Bach oder Fluss sowieso auf allen Wegen.
Der Weg beginnt vor Deiner Tür
Wer zu einer Fernwanderung aufbricht, der spürt schon beim Verlassen des heimischen
Treppenabsatzes ein besonderes Gefühl in sich. Aus der anfänglich-freudigen Aufregung,
dass es endlich losgeht, wird Meter für Meter etwas wie eine kleine Befreiung. Nachdem ich
mit meinen tierischen Begleitern mitten im belebten Düren aufgebrochen und entlang der Rur
losgewandert war, mussten wir zu Beginn zunächst noch die eine oder andere unangenehme
Situation managen. Als Hundehalter und -trainer weiß ich selbst natürlich um alle Phänomene
im Umgang mit unseren vierbeinigen Freunden. Dennoch war es mehr als ärgerlich, wenn
man auf Zeitgenossen trifft, die angesichts meines Gespanns in eine lähmende Schockstarre
zu fallen schienen und keinen Einfluss mehr auf ihre kläffend um uns herum springenden
Hunde mehr nehmen konnten oder wollten. Da muss man souverän bleiben, sonst frisst der
Ärger die Freude auf. Gut, dass meine Tiere Selbstbewusstsein ausstrahlten und auch ich
musste die eine oder andere klare Anweisung an schlecht funktionierende Mensch-HundKombinationen geben, damit aus Begegnungen keine Konfrontation wurde. Doch Schritt für
Schritt und mit der zunehmenden Schönheit des Rurtals fiel ganz langsam die Anspannung
des so genannten zivilisierten Lebens ab und das Fenster im Kopf ließ Licht und Farben
herein.
Die Wichtigkeit der Pausen
Es gab von Beginn der Reise an
bemerkenswert freundliche Gespräche, denn
offenbar nahm jeder Notiz von Maipo, dem
langhalsigen Packtaschenträger. War ich es
von vielen Spaziergängen bereits gewohnt,
die Fragen der Passanten geduldig zu
beantworten und Neuweltkameliden zu erklären, so erzeugte meine Mini-Karawane einen
nochmals deutlich gesteigerten Effekt. Wo es denn hingehe, war die im Vorbeigehen am
meisten zugeworfene Frage. Meine Standard-Antwort „Einmal durch die Eifel, grobe
Richtung Trier“ schien die Menschen plötzlich nach innen horchen zu lassen. Spontane
Seufzer mit den Worten „Ach, wie schön“ waren erste Anzeichen dafür, dass meine
Unternehmung nicht nur mein eigener Traum war. Die Menschen überraschten mich und uns
mit einem wohltuenden Sympathievorschuss, der freudigen Vortrieb gab. So ging es weiter
durch sattes Grün und selbst der Nieselregen tat einer nährenden Wohlstimmung keinen
Abbruch. Nur eine Frage, die wollte ich irgendwann wirklich nicht mehr hören. „Spuckt der?“
Dazu gab es jedenfalls bei diesem Trip keinen Grund.
Wie schön kann Ruhe sein. Doch wie schwer fällt es, sich dem gewohnten Rhythmus vom
getrieben sein zu entziehen und sich statt dessen treiben zu lassen. Die erste Tagesetappe
diente der Einstimmung und Harmonisierung des Teams, denn mit einer „von Null auf
Hundert-Mentalität“ kann man den Zieleinlauf gefährden, wie ich als alter Marathonläufer
weiß. Das gilt auch für Fernwanderungen.
Ein Zelt ist keine Burg
Nach zwei vom Regen befeuchteten Zeltübernachtungen ließen wir die ersten 30 Kilometer
und das Dürener Rurtal mit den schönen Burgenstädtchen Nideggen und Heimbach hinter
uns. Dem zivilisierten Bettschläfer fällt die Outdoor-Übernachtung auf abgelegenen Wiesen
nicht leicht. Der Schlaf ist unruhig. Liegt es am mangelnden Komfort meiner Unterlage?
Oder ist es eine Mischung aus Faszination und Urangst, die einen nachts immer wieder wach
werden lässt, wenn man, mit zwei Hunden im Arm, hinter dünnwandigem Stoff auf schöne
Träume wartet? Wer aus der Stadt kommt, ist überreizt. Die tägliche Vorsicht im
Straßenverkehr, die drei Jahrzehnte lange dienstliche Berieselung mit Straftaten und die
alltägliche Wahrnehmung verunsichern. Das spürt man dann, wenn wirklich Ruhe einkehrt
und einen nichts wirklich in Gefahr bringt. So geht es sicher auch dem wachsamen Maipo, der
sich schnell daran gewöhnt, ganz in der Nähe des Zeltes angepflockt die Nacht zu verbringen.
Die Hunde genießen meine unmittelbare Nähe sehr und rollen sich wie selbstverständlich
neben den Schlafsack ein. Drei Tierseelen passen auf mich auf, während hinter dem
Wildzaun, am Rande von Wolfgarten, der Wald auch zur Nachtzeit lebt.
Kriminalisten unter sich
Der Abbruch eines nassen Zeltlagers dauert etwa 90 Minuten. Wer danach morgens bereits
vor dem eigenen Frühstück, mit einer zuvor jedoch beköstigten Tierkarawane, die Steilhänge
vom Kermeter herab nach Gemünd bewältigt hat, freut sich auf ein Brötchen, zum Beispiel
auf der Terrasse des Kurparks. Noch vor meiner Bestellung wurden wir vieläugig beobachtet.
Denn zufällig traf ich mitten in die „Criminale“, einem jährlichen Treffen deutscher
Krimiautoren, von denen etliche umher schwirrten und uns nicht so recht einordnen konnten.
Was macht ein Polizist mit einem Lama und zwei Hütehunden in der Nordeifel?
„Unbelievable“, meinte eine blasse Papier-Kriminalistin mit englischem Akzent und ihrem
gedruckten Werk im Arm, als ich am Ende ihrer Fragen ergänzte, dass ich zudem begonnen
hätte, einen Thriller zu schreiben. Bislang stünde aber lediglich der Titel fest… und dann
legte ich mein Handy zum Aufladen an der Theke des Hotels ab, ohne Angst, dass es
gestohlen werden könnte. Immerhin waren wir ja in der Eifel und nicht in der Bronx.
Noch mehr Fragen prasselten wenig später auf mich ein, als der Kaffee und die Brötchen
aufgetischt waren. Ein Zeitungsschreiber, den eine örtliche Touristikberaterin eilig hinzu
geholt hatte, kam aus dem Nichts. Meine Anwesenheit hatte sich also offenbar herum
gesprochen. Aus dem besinnlichen Frühstück wurde somit ein Interview. Und weil der Mann
nach Botschaften forschte und ich ob meines Wandergenusses gut gelaunt war, zeigte ich
mich gesprächsbereit. Selbst schuld, wie sich später noch heraus stellen sollte.
24 Stunden hatte ich meine Tiere im Blick und schnell festgestellt, dass das Lama einfach nur
behandelt werden wollte wie die Hunde, damit es zufrieden war. Von Beginn an entwickelte
sich, wie erwartet, auch eine komplexere Beziehung zwischen den so unterschiedlichen
Vierbeinern, wobei das sozial obligate Herdentier sich naturgemäß mehr an den Hunden
ausrichtete, als an mir. Umgekehrt stellte sich eine tiefer gehende Freundschaft seitens der
Aussies zum Lama nicht ein. Maipo durfte dazugehören, mehr aber auch nicht. Trotzdem
harmonisierten sich meine Begleiter miteinander, so dass sie zusammen ein entspanntes, aber
überall stark beäugtes Trio abgaben.
Wenn der Ruf voraus und das Lachen entgegen eilt
Zu Fuß ging es von der Rur an die Olef ins Schleidener Land. Herrlich. Kleine versteckte
Dörfer, die sich wie Oasen am Ende einer bewaldeten Steigung auftun. Zum Beispiel
Wintzen, ein 100-Seelen-Ort, in dem die lokale Wanderreitstation leider schon mit
Teilnehmern der „Criminale“ voll belegt war. Doch die Liebenswürdigkeit der Betreiber
führte nicht zu einer Abweisung, sondern zur Zuweisung eines Notquartiers in einem 3Sterne-Luxus-Gartenpavillon, der mir in dieser Nacht den Zeltaufbau ersparte. Zum Frühstück
bekam ich die Tageszeitung gereicht, mit der Bitte, auf der halbseitigen Berichterstattung über
einen Lama-Wanderer, inklusive Farbbild im Großformat, doch eine kleine Widmung fürs
Gästebuch zu hinterlassen.
„Kick ens do, da kütt doch der
mit demm Lama!“ So, oder so
ähnlich begleiteten mich fortan
die Sprüche der Menschen in
den Dörfern, durch die ich
kam. Fenster wurden geöffnet
und Schulbusse hielten neben
uns
an.
Fragen
und
Fotowünsche prasselten auf
uns herein. Das war nicht
immer
angenehm,
denn
eigentlich war ich ja nicht als
Botschafter,
sondern
als
Urlauber mit meinen Tieren
unterwegs.
Insbesondere
Timber verbat sich so manche
distanzlose Annäherung durch ein vernehmbares Knurren, wenn Menschen mit Kameraaugen
all zu plötzlich und viel zu nah in unsere Sphäre hinein sprangen. Dennoch brachte ich
Geduld auf, die notwendig ist, wenn man verstanden hat, dass eben nicht alle Menschen
gelernt haben, die Bedürfnisse von Tieren sehr feinfühlig wahrzunehmen. Wer freundlich
war, bekam auch freundliche Antworten. Und niemals zuvor habe ich es je erlebt, dass man
fast allerorten mit einem Lächeln begrüßt wurde.
Auf meiner Wanderung durfte ich erahnen, wie es sein könnte auf dieser Welt, wenn man bei
fast jeder Begegnung mit einem lachenden Gesicht als Freundschaftsvorschuss bedacht
würde. Ein herrlich wohltuendes Gefühl von Friedfertigkeit könnte sich ausbreiten, das einen
Polizisten genau so erwärmt, wie jeden anderen Menschen. Ob Eifelbewohner, Mountainbiker
im Wald, Wandergruppen an den Maaren, Asylbewerber oder Kinder auf dem Schulweg.
Mein Lama hatte offenbar mehr Aufgaben, als nur das Gepäck zu tragen. Er wurde
„Türöffner“ zu den Herzen der Menschen. Immer wieder entsponn sich aus der Begegnung
mit Erstaunten und Fragenden, ein vertrauensseliger Austausch über Erlebnisse, die für die
Menschen irgendwie elementar und sehr privat waren. Deswegen erzähle ich sie hier auch
nicht, komme aber nicht umhin zu bemerken, dass es wohl kein Zufall gewesen sein kann,
dass ich nach einem solchen Gespräch aus einem geparkten Auto heraus ausgerechnet mit
John Lennon´s „Imagine“ bedudelt wurde und auf der nächsten ungestörten Waldpassage ins
Träumen geriet. Ein gutes Zeichen, denn es machte sich offenbar auch Erholung breit.
Auf einem einladenden Einzelgehöft verbrachte ich zwei Tage am Stück, denn Bounty hatte
sich irgendwo eine Pfote am Hinterlauf gequetscht. Als „Flummi“, der sie nun mal ist, lief sie
zwar klaglos auch auf drei Beinen, aber ich hatte mir vorgenommen, ganz gegen meine Natur,
die Langsamkeit als Herausforderung anzunehmen. Endlich Zeit für mein Buch, das ganz
unten im Gepäck schlummerte. Und wie schön kann das Leben mit ganz wenig sein, wenn
man nur Zeit und vielleicht noch gute Gastgeber hat. Es sind die Pausen, in denen man in sich
horcht und nach dem forscht, was man wirklich für erstrebenswert hält. Stillstand ist eben
nicht immer ein Rückschritt.
Missverständnisse zwischen
Zivilisation und Wildnis
Die Landschaft war ein Genuss.
Meter für Meter. Und dann noch
Richtung
Süden,
mit
Sonnenschein im Gesicht.
An Tag Sieben erhielt ich bei
Dahlem Besuch von meiner
Partnerin, die ich für wenige
Stunden
an
meinem
ausnahmsweise mal nicht ganz so
gestressten Gemütszustand Teil
haben lassen wollte. Doch es gab
ungeahnte Probleme. Während
ich in der zerklüfteten Landschaft
meinem Lama beim Wiederkäuen
zuschaute, hielt sie anderthalb
Stunden vergeblich Ausschau
nach mir, obwohl der Treffpunkt
mehr als genau bezeichnet war.
Das kann passieren, wenn ein
halbwegs entspannter LamaWanderer mit seinen Tieren
zeitlos in einer Landschaftskuhle
wartet, aber die aus dem Alltag
Vorbeischauende
mehr
dem
Navigationsgerät vertraut, als der
Intuition. Dafür wurde kurz darauf der intuitiv gewachsene Bart mit dem Akku-Rasierer erst
mal wieder auf ein gesittetes Maß reduziert.
Am Abend freute ich mich zu früh über den Tipp eines Ortsansässigen, der ein „Eifel-Camp“
am Waldrand als solide Übernachtungsvariante anpries. Und wirklich, das Zeltplatzsymbol
auf meiner Karte entpuppte sich als abenteuerlich-wunderbares Holzblockdorf mit Jurten,
Hütten und Lagerfeuerplatz. Leider war ich offenbar der einzige Gast. Doch alles lud zur
Selbstversorgung ein, denn die als Büro gekennzeichnete Tür öffnete niemand. Ich hatte mir
bereits einen Schlafplatz ausgewählt und gedanklich bereits ein herzliches Kompliment an die
noch zu ermittelnden Erfinder dieses Camps formuliert. Was für ein Geschenk an die
Erholungssuchenden! Plötzlich fuhr ein Auto vor und eine Frau, zivilisiert aussehend, jedoch
mit eher unzivilisierter Empörung ausgestattet, kam auf mich zugestürmt. Das sei ein
Erlebnisdorf, meinte sie, und ließ keinen Zweifel daran, dass sie mal kein Fan von uns war.
Sie tat sehr deutlich kund, dass ausgerechnet wir dort nicht hingehören sollten. Als verklärter
Erlebniswanderer wollte ich das Problem wohl nicht schnell genug erkennen, so dass sie
atem- und verständnislos nachlegen musste, bis ich begriff, dass es sich um ein kommerziell
genutztes Erlebnisdorf mit pädagogischer Anleitung handelte. Da hat ein richtiger
Naturbursche natürlich nichts zu suchen. Ein echtes Missverständnis also. Ich verzieh der
Wildnispädagogin also meinen Fehler, und seltsam, was hatte diese Landschaft einen Einfluss
auf mich, ich lachte beim Verlassen des Camps. Aber man hat ja bereits früher von Menschen
gehört, die beim Umherziehen mit Kamelen einer Halluzination verfallen sein sollen.
Die Gerechtigkeit nahm nur 150 Meter weiter ihren Lauf, als ich in der Abenddämmerung,
genau gegenüber des Luxuscamps, eine bescheidene, halboffene Blockhütte entdeckte, in der
wir, nach abendlicher Bewunderung der Ausbeute einiger Pilzesammler, einen zugigen, aber
immerhin trockenen Schlafplatz fanden.
Grenzerfahrungen
Irgendwann überschreitet man die Landesgrenze nach Rheinland-Pfalz, was einem aber egal
ist, wenn man zwischendurch feststellt, dass auch ein Lama den ausgiebigen Spaziergang
nicht als Selbstzweck versteht, sondern fortwährend nach Lieblingshappen schielt. Als da
wären: frische Brombeerblätter, Buchenblätter (in jeder Variation, gerne auch gewelkt) und
breit blättriges Gras. Der Wald war endlos und ich blätterte in meinen Gedanken. Darin
versunken erreichten wir nach Stunden ohne jede Menschenbegegnung, aber auch noch ohne
Frühstück, die Kyll bei Jünkerath. Und dann wurde gleich die erste Tagesbegegnung mit
einem Artgenossen auf zwei Beinen zum echten Highlight.
Ich blieb an einem Garten stehen und warf einen interessierten Blick auf die dort agil
schwadronierenden Laufenten. Das war dem Besitzer der Tiere nicht entgangen. Schnell kam
er mit zwei Händen voller Brot. Den Hunden durfte er, ausnahmsweise, ein frisches Brötchen
offerieren. Maipo lehnte alle Gebäckangebote jedoch ab. Nach einem kurzen Plausch griff der
Mann, ein harmloser Senior, mit einem vieldeutigen „warte mal“ kramend in seine
Hosentaschen und zog einen Zehn-Euro-Schein heraus. Ich solle mir und den Tieren etwas
Schönes gönnen. Diese Warmherzigkeit wollte ich nicht vor den Kopf stoßen. Also
verschwieg ich, dass ich kein Landstreicher sondern Urlauber war, nahm das Geld und
versprach auf seine Bitte hin, uns für den Winter ein Quartier zu suchen. Nachdem er
verschwunden war, merkte ich mir jedoch seinen Namen vom Klingelschild und seine
Hausnummer. Er wird sich Weihnachten bestimmt über eine Überraschung freuen.
Wie die anderen Flüsse zuvor, war
auch die Kyll ein guter Wegweiser
und eine reine Tränke zudem. Ein
Lob übrigens an die regionalen
Brückenbauer: alle Stege waren
quasi Lama gerecht und in einem
guten Zustand. Demzufolge hatte es
keine abfällige Bedeutung, als
Maipo sich auch mal in der Kyll
erleichterte,
was
einer
Radfahrgruppe immerhin Zeit für
eine
Fragerunde
mit
mir
verschaffte. So lange ich selbst
nicht auf dem Klo gestört wurde,
sollte es mir recht sein.
E
rkenntnisse
Lamatrekkings kommen in Mode. Sind sie inzwischen bereits in der Schweiz, Österreich und
auch im süddeutschen Alpenraum etabliert, so wächst das Angebot auch in anderen deutschen
Landstrichen. Dennoch war es mir im Vorfeld nicht gelungen echte Erfahrungen zu
Fernwanderungen mit Lamas zu bekommen. Zumeist bestehen Trekkings aus mehrstündigen
Spaziergängen,
die
keine
Aussagen
zu
den
Langzeitbelastungen
einer
Langstreckenwanderung zulassen. Und das, obwohl das Lama Glama, domestiziert vor 4.000
bis 5.000 Jahren, dem Menschen bereits lange vor dem Pferd als Lastentier im
südamerikanischen Ursprungsraum diente. So war unsere Reise auch eine Sammlung von
wertvollen Erkenntnissen für zukünftige Unternehmungen. Die Frage, wie Maipo denn mit
den oft steinigen und harten Eifelböden zurecht kam, ist mit „Kein erkennbares Problem“
schnell beantwortet. Obwohl Lamas zur Tierordnung der Paarhufer gezählt werden, sind es
keine Huftiere, wie z.B. Pferde. Ihre Sohlen sind üppig mit Schwielen versehen und in etwa
vergleichbar mit Hundepfoten. Problematisch könnte es meiner Erfahrung nach jedoch bei
sehr warmem Wetter und längeren Asphaltpassagen werden, wenn heißer Teer die Sohle noch
ganz anders malträtiert. „Pfoteneffekte“ müssen aber bei allen Tierwanderungen unbedingt
bedacht werden, denn letztlich sind sie eben keine Schuhsohlen. Oft kam die Frage nach den
Kilometern. Klare Antwort: ohne Lama ist man schneller. Aber die Leichtigkeit, keinen
Rucksack tragen zu müssen, macht frei.
Bei mehrtägigen Wanderungen muss
man auch tagsüber Pausenzeiten für
Grasen und Wiederkäuen einplanen.
Auch, wenn es schwer fällt dieses
nachzuvollziehen, so hat selbst das
stumpfe
Betrachten
eines
zum
Wiederkäuen
daniederliegenden
Geschöpfes
einen
nicht
zu
unterschätzenden
Erholungswert.
Durchschnittlich geht die untere
Kieferplatte 25 mal von links nach
rechts, bis dass in einem kleinen, aber
bemerkenswerten
Schauspiel
das
Vorverdaute den langen Hals erkennbar
hinunter rollt und gleich darauf eine neue Kugel aus dem Vormagen zum weiteren Zerkauen
im Maul landet. Ein lebenserhaltender Kreislauf von Schlucken und Würgen. Nie war
Rülpsen so interessant.
Erst später, auf heimischen Wiesen, fiel im Vergleich mit den Daheimgebliebenen auf, dass
Maipo in den zwei Wochen an Gewicht verloren hatte. Der Speckmantel war nach einem
üppigen Sommer während der Wanderung einfach geschrumpft.
Ein Lama ist ein Herdentier und braucht die soziale Einbindung. War es überhaupt möglich,
Maipo über Tage vom Herdenverband zu trennen und zeigten sich Auswirkungen? Auch
diesbezüglich ergab sich die Antwort durch Beobachtung. Bereits nach zwei Tagen war die
Bindung an die Hunde und eine Verhaltenssynchronisierung offensichtlich. Legten die Hunde
sich entspannt zur Pause, tat das Lama es ihnen gleich.
War Aufregung, zeigte auch Maipo sich als talentierter Wachhund. Verschwanden Timber
und Bounty aus seinem Blickfeld, brauchte der Wallach eine gewisse Zeit um seine
Contenance wieder zu finden, die aber letztlich immer in entspanntes Fressen mündete. Es
wuchs Bindung, so dass er unterwegs auf Eifel-Hochweiden frei laufend grasen konnte. Im
Fazit hat sich jedoch bestätigt, dass eine Reise in Begleitung eines richtigen Artgenossen
einem Lama sicher noch besser gefällt. Aber auch mir fehlte ab und zu ein Begleiter, mit dem
man dann an einem abendlichen Lagerfeuer seine Tageserlebnisse noch einmal hätte
austauschen können. Geteilte Freude ist halt doppelte Freude.
Ich bin ein Vulkanier
War ich vor Jahren schon einmal wandernd in der Vulkaneifel gewesen, so freute ich mich
nun besonders darauf. Gute Wege und Fernblicke in die Unendlichkeit. Die Eifel ist am
schönsten, wie ich finde, wenn Wolken den Himmel bereichern.
Nichts gegen ein erheiterndes Blau, jedoch kommt echte Highland-Atmosphäre nur auf, wenn
schweres Grau am Firmament für Bildgewalt sorgt. Einfach ein episches Gefühl, frei darunter
umher zu ziehen.
Da spielt es dann auch keine Rolle, dass ich geologisch eher wenig im Bilde bin, was man ja
Dank eines reichhaltigen Informationsangebotes jederzeit ändern könnte. Der spürbare
Genuss ist alleine bereits das Vorwärtsgehen mit der Vorstellung, dass lange vor
Menschengedenken dort Magma in Verbindung mit Wasser für vulkanische Explosionen
sorgte. Für leichte Implosionen in meinem Kopf sorgte dann am Abend ein zufällig zustande
gekommenes Gespräch mit einem Viehhändler, der an meinem Quartier zu Besuch war und
sich ebenfalls als Besitzer mehrerer Lamas outete. Der erhoffte Erfahrungsaustausch
scheiterte dann aber schnell an dem leider nur äußerst begrenzten Wissen des Herrn über
diese faszinierende Tierart, das so wenig fundiert war, dass ich in der Nacht davon träumte,
ich hätte eine Lamaherde aus einem dunklen Stall befreit und auf einer von einem Bach
durchflossenen Wiese laufen gelassen. Während die nächtliche Illusion mir ein lustig
springendes Flüsschen vorgaukelt hatte, war echter Regen durch das undichte Dach neben
mein Bett getropft. Nach dem Frühstück machte ich mich davon.
„Wenigstens bis zu den Eifel-Maaren“, lautete das in meinem Kopf formulierte Mindestziel
unserer Reise, weil ich mir dort einen pralinenhaften Landschaftsgenuss erhoffte. Und bekam.
Alleine dieser eine Abend, unterhalb des bei Daun liegenden Totenmaares, um das sich
etliche Sagen ranken, war Belohnung genug. Nach einem abendlichen Schnitzel am
Stadtrand, umgarnt von den üblichen liebenswerten Wirtshausfragen, suchte ich uns einige
Kilometer weiter einen leicht windgeschützten Biwakplatz in einer Talmulde. Südseehaft
versank die Sonne hinter fernen Westgipfeln, während sehr dunkle Wolken und der gefühlte
Wetterbericht Schlimmeres erahnen ließen. Wichtig ist beim Zeltaufbau, dass sattes Gras als
Unterlage Komfort bereitet und Wasser für den Durst der Tiere in der Nähe ist. Nach dem
Zähneputzen an einer Viehtränke legten ein Lama, zwei Hunde und ein Mensch sich ungestört
ins Grün. Während Homo Sapiens verträumt in die immer mehr werden Sterne blickte,
begann ein tierisches Schnarchen. Zufriedenheit zog auf, an einem Ort, an dem es nichts gab,
außer eben Frieden. Kein TV, kein Kfz und kein Gedanke an die Pflichten des nächsten
Tages. Nichts tat weh und nichts war wichtig. Pures Dasein satt. Erst als die Tiere hoch
schreckten, weil eine Eule dicht über unseren Körpern schwebte, nutzte ich die Gelegenheit
um ins Zelt zu kriechen. Ein bekennender Vulkanier schlief gut. Als der Regen fiel und
Feuchtigkeit auf Fell und Schlafsack sich ausbreiteten, war es uns egal.
Einfach schön ist es auch am
Lauf der südlich fließenden
Lieser, deren Name keltischen
Ursprungs ist. Sie führte uns
schließlich über einen sich
talwärts schlängelnden Trail zu
einer letzten abenteuerlichen
Flussüberquerung unterhalb der
Manderscheider Burgen. So fand
die Langstreckenwanderung mit
nassen Socken ein gemütliches
Ende auf dem Kapellenhof, der
auch wegen der Freundlichkeit
seiner Besitzer eine namentliche
Erwähnung verdient. Ich gönnte
uns noch zwei Tage, an denen
unbeschwerte Kurzwanderungen ins Manderscheid Umland für hinreichend Erlebnisse
sorgten, bevor der Glücksfall meines Lebens uns abholen und mit dem Pferdeanhänger zurück
ins richtige Leben transportieren sollte.
Bei Manderscheid liegt, mitten im Idyll, eine Fachklinik für psychosomatische Erkrankungen.
Als Teilnehmer am „großen Menschenrennen“ waren auch mir die Folgen der uns
umgebenden Stressoren bereits körperlich sehr bewusst. Zufällig trafen wir vor den Toren auf
heimkehrende Patienten. Erst zwei, dann mehr, denn zur Essenszeit war Anwesenheit
erwünscht. Angesichts von Maipo, der ausgerechnet in der Einflugschneise zum Wiederkäuen
Platz nahm, quollen Einzelschicksale hervor. Menschen, deren Körper mit Krankheit auf die
jeweiligen Lebensbedingungen reagiert hatten und die sich nach Linderung sehnten, waren
offen zu mir. Wer mit Tieren wandert, dem kann man offenbar vertrauen und so hörte ich zu
und ermunterte auch. Am Ende gingen meine Gesprächspartner durch das Tor hinein und
meinten, es sei schön gewesen, mich zu treffen. Danke gleichfalls, liebe Leute. Auch ihr habt
mir gut getan. Gedankenschwer wurde mir wieder einmal klar, wie schmal der Grat
heutzutage ist, von dem man auch als starker Mensch unverschuldet abrutschen kann. Ich
beschloss, erst einmal nicht Patient werden zu wollen und ging weiter zum nächsten
Vulkankrater.
Die Antwort steht immer am Ende
Auch das Meerfelder Maar hat eine runde Wasserfläche und einen ansteigenden, bewaldeten
Kraterrand. Um alle denkbaren Fragen der Besucher des Naturwunders zu befriedigen, stößt
man gleich auf mehrere gut gepflegte Schautafeln, die Antworten liefern. Wie entsteht ein
Maar; wie tief ist es und welche Pflegemaßnahmen trifft der Mensch, um es der Nachwelt zu
erhalten. Und es gibt eine gut besuchte Kaffeehaus-Terrasse, deren Name den Seeblick
lediglich verspricht. Am Rande eines überteuerten Stücks Kuchen nahmen, wie so oft, die
Tischnachbarn Kontakt mit mir auf, nachdem mein imposantes Trio gegenüber auf einem
Parkplatz in geduldige Wartestellung gebracht worden war. Warum und wieso und überhaupt
weshalb mache man eine Lamawanderung?
Eine Zeit lang belachten die zahlreichen Kuchengenießer fortan das immer ähnlich währende
Schauspiel der verdutzten Vorbeigehenden. Das lief in etwa so ab.
Ein Pärchen nähert sich auf
der sonnigen Promenade
dem
Geschehen.
Das
touristische Flanieren gerät
langsam ins Stocken.
Sie: „Was ist das denn?“
Er: „Sieht aus wie ein…äh,
Lama?!“
Sie: „Was tut das denn hier.
Ich geh da nicht vorbei.
Das spuckt bestimmt.“
Er, die Kamera zückend:
„Ach wo.“
Sie,
die
Straßenseite
wechselnd: „Ne, ich geh
hier lang.“
Er,
heldenhaft
den
Fotoapparat im Anschlag,
stelzt visierend auf die
Tiere zu, näher, noch näher.
Timber, eigentlich gar nicht im Mittelpunkt, fühlt sich unwohl ob dieser bedrohlichen
Annäherung und knurrt.
Er stoppt, geht sehr langsam einen Schritt zurück.
Sie, skeptisch guckend: „Komm besser her.“
Er, in steif-stolzer Rückwärtsbewegung, die Kamera schwenkend: „Ich hab’s fotografiert.“
Dann wird die Flanierrunde befriedigt fortgesetzt.
Als nach einer halben Stunde das fortlaufende Prozedere zur öffentlichen Lachnummer
geworden war, zwischenzeitlich eine Bedienung mich gefragt hatte, ob ich mit dem Kuchen
denn auch zufrieden sei, warf ich dem edlen Gebäck ein angemessenes Trinkgeld hinterher
und verschwand, freundlich in die Menge der Terrassengemeinde grüßend.
Nur wenige hundert Meter und einige Fotowünsche weiter, jenseits der Straße, fiel mir die
Antwort auf die viel gestellte Frage nach dem „Warum“ unwillkürlich ein.
Weil Schlendern Luxus ist.