Mit acht Pfoten, zwei Füßen und vier Sohlen durch die Eifel Wenn einer mit zwei Hunden und einem Lama loszieht die Eifel zu Fuß zu durchqueren, dann muss er sich auf was gefasst machen. Neben wunderbar stillen Momenten, intensivem Naturgenuss und einem harmonischen Zusammenwachsen des Mensch-Tier-Teams begegnet ihm vor allem eines: die aus Neugier und Verwunderung gepaarte hohe Aufmerksamkeit der Menschen entlang seines Weges. Zusammen mit meinen beiden Australian Shepherds „Timber und Bounty“, sowie einem stattlichen Lamawallach namens „Maipo“ war ich Mitte September (2010) in meiner Heimatstadt Düren zur „Nord-Süd-Passage“ durch die Eifel aufgebrochen. Ein Ziel für die knapp zweiwöchige Tour war nicht ausgemacht. Richtung Süden hieß es lediglich, denn ausschließlich die Bedürfnisse der Tiere sollten das Tempo und damit auch die jeweilige Tagesdistanz bestimmen. Die Streckenführung orientierte sich grob am Eifelsteig, der als Premiumwanderweg von Aachen nach Trier wunderbar beschildert, dafür aber auch viel begangen ist. Teamwork ist angesagt Die Rollen wurden bereits vor Tourbeginn gerecht verteilt und dann auch konsequent beibehalten. Maipo war zuständig für den Transport des gesamten Gepäcks, einschließlich Hundefutter. Sein Tempo war unser Tempo. Die merle-bunt gefleckte Bounty war der Scout, der auf allen Trails Entgegenkommenden signalisierte, dass ein besonderes Gespann folgen würde. Timber, dunkel und kräftig, war der Bewacher und gleichzeitig Orientierungspunkt für das achtjährige Lama, das den Großteil seiner Lebensjahre auf einer spanischen Weide verbracht hatte. Und ich, Polizeibeamter, 46 Jahre, bekam kraft meines Menschseins die Aufgabe, alle anderen noch unerledigten Dinge fortlaufend zu bewältigen. Saisonal hatte ich offenbar genau den richtigen Zeitpunkt gewählt, wie sich während der Tour herausstellte, denn bis auf einige Regengüsse waren die Tagestemperaturen von bis zu 19 Grad weder zu warm, noch zu kalt, und ließen auch noch halbwegs komfortable Zeltübernachtungen zu. Zudem war die Vegetation, nach einem viel zu nassen August, mehr als üppig, was fortwährend ein genüssliches Leuchten in den Augen des Gepäckträgers erzeugte, für den wirklich überall schmackhafte Wegzehrung bereit stand. Für meine Fernwanderungen mit nur einem Lama hatte ich keine aussagekräftige Literatur gefunden. Mir war bewusst, dass ein Lama als Herdentier einen sozialen Anschluss braucht. Deswegen war auch die Trennung von der Herde sukzessive eingeübt und die Bindung an die Hunde trainiert worden. Mit Erfolg, wie sich heraus stellte. Nur das Gleichgewicht zählt Als erfahrener Langstreckenwanderer mit Hang zur Penibilität hatte ich mir natürlich den Kopf zerbrochen, wie der Gepäcktransport bei meinem mehrtägigen Trekking im Dauertest von statten gehen würde. Bei meinen Überlegungen hatte ich aus Gründen der Gewichtsreduzierung auf ein hölzernes Tragegestell als Unterbau für die Gepäcktaschen verzichtet. Ich verwendete statt dessen einen mit Filz belegten und mit Holzlatten verstärkten Tragesattel mit frei gestelltem Wirbelfortsatz, an dem die Gepäcktaschen mittels Klickverschlüssen eingehangen werden. Mit dem Packvolumen, zwei Mal 20 Liter, kam ich leidlich zurecht, denn die Menge Hundefutter, auch wenn es sich bereits um eine ausgewählt energiereiche Sorte handelt, ist auf so einer Tour nicht zu unterschätzen. Dafür verzichtete ich selbst konsequent auf alles Überflüssige, trug aber Sachen wie Geld, Handy, Kamera, die einzige Karte und - ganz wichtig - Belohnungshappen für die Tiere, immer griffbereit in meiner Outdoorweste. Neben zwei leichten Isomatten wurde auch das kleingewichtige Zelt auf den Packtaschen mit Gummiriemen verspannt. Hatte sich die Tragevorrichtung bei Testwanderungen im Umfeld der heimischen Rur noch als völlig ausreichend bewiesen, spielte jetzt im Ernstfall die richtige Austarierung des Gewichtes doch die entscheidende Rolle. Denn auf längeren Wanderungen hat nicht nur das wechselnde Geländeprofil Einfluss auf den Sitz der Packtaschen. Auch das Grasen am Wegesrand und die damit einhergehenden Körperbewegungen sind ein ständiger Einfluss auf die Beladung. So war es schließlich für das Gleichgewicht der ausgangs etwa 19 Kilogramm Bepackung und den Tragekomfort für Maipo entscheidend, für die Literflasche mit Wasser einen möglichst tiefen Schwerpunkt zu finden. Denn die Pendelbewegungen des zu Beginn mittig auf dem Lamarücken transportierten Wassers führten zunächst zu einer kontinuierlichen Verschiebung der Last. Das Problem löste sich von selbst, als die Aluflasche auf den Boden knallte und undicht wurde. Als die Frage des Gleichgewichts somit geklärt war und wir die Stadt in südliche Richtung endlich verlassen hatten, kam langsam auch in mir eine erste gefühlte Balance zum Vorschein. Und Wasser begleitete uns als Bach oder Fluss sowieso auf allen Wegen. Der Weg beginnt vor Deiner Tür Wer zu einer Fernwanderung aufbricht, der spürt schon beim Verlassen des heimischen Treppenabsatzes ein besonderes Gefühl in sich. Aus der anfänglich-freudigen Aufregung, dass es endlich losgeht, wird Meter für Meter etwas wie eine kleine Befreiung. Nachdem ich mit meinen tierischen Begleitern mitten im belebten Düren aufgebrochen und entlang der Rur losgewandert war, mussten wir zu Beginn zunächst noch die eine oder andere unangenehme Situation managen. Als Hundehalter und -trainer weiß ich selbst natürlich um alle Phänomene im Umgang mit unseren vierbeinigen Freunden. Dennoch war es mehr als ärgerlich, wenn man auf Zeitgenossen trifft, die angesichts meines Gespanns in eine lähmende Schockstarre zu fallen schienen und keinen Einfluss mehr auf ihre kläffend um uns herum springenden Hunde mehr nehmen konnten oder wollten. Da muss man souverän bleiben, sonst frisst der Ärger die Freude auf. Gut, dass meine Tiere Selbstbewusstsein ausstrahlten und auch ich musste die eine oder andere klare Anweisung an schlecht funktionierende Mensch-HundKombinationen geben, damit aus Begegnungen keine Konfrontation wurde. Doch Schritt für Schritt und mit der zunehmenden Schönheit des Rurtals fiel ganz langsam die Anspannung des so genannten zivilisierten Lebens ab und das Fenster im Kopf ließ Licht und Farben herein. Die Wichtigkeit der Pausen Es gab von Beginn der Reise an bemerkenswert freundliche Gespräche, denn offenbar nahm jeder Notiz von Maipo, dem langhalsigen Packtaschenträger. War ich es von vielen Spaziergängen bereits gewohnt, die Fragen der Passanten geduldig zu beantworten und Neuweltkameliden zu erklären, so erzeugte meine Mini-Karawane einen nochmals deutlich gesteigerten Effekt. Wo es denn hingehe, war die im Vorbeigehen am meisten zugeworfene Frage. Meine Standard-Antwort „Einmal durch die Eifel, grobe Richtung Trier“ schien die Menschen plötzlich nach innen horchen zu lassen. Spontane Seufzer mit den Worten „Ach, wie schön“ waren erste Anzeichen dafür, dass meine Unternehmung nicht nur mein eigener Traum war. Die Menschen überraschten mich und uns mit einem wohltuenden Sympathievorschuss, der freudigen Vortrieb gab. So ging es weiter durch sattes Grün und selbst der Nieselregen tat einer nährenden Wohlstimmung keinen Abbruch. Nur eine Frage, die wollte ich irgendwann wirklich nicht mehr hören. „Spuckt der?“ Dazu gab es jedenfalls bei diesem Trip keinen Grund. Wie schön kann Ruhe sein. Doch wie schwer fällt es, sich dem gewohnten Rhythmus vom getrieben sein zu entziehen und sich statt dessen treiben zu lassen. Die erste Tagesetappe diente der Einstimmung und Harmonisierung des Teams, denn mit einer „von Null auf Hundert-Mentalität“ kann man den Zieleinlauf gefährden, wie ich als alter Marathonläufer weiß. Das gilt auch für Fernwanderungen. Ein Zelt ist keine Burg Nach zwei vom Regen befeuchteten Zeltübernachtungen ließen wir die ersten 30 Kilometer und das Dürener Rurtal mit den schönen Burgenstädtchen Nideggen und Heimbach hinter uns. Dem zivilisierten Bettschläfer fällt die Outdoor-Übernachtung auf abgelegenen Wiesen nicht leicht. Der Schlaf ist unruhig. Liegt es am mangelnden Komfort meiner Unterlage? Oder ist es eine Mischung aus Faszination und Urangst, die einen nachts immer wieder wach werden lässt, wenn man, mit zwei Hunden im Arm, hinter dünnwandigem Stoff auf schöne Träume wartet? Wer aus der Stadt kommt, ist überreizt. Die tägliche Vorsicht im Straßenverkehr, die drei Jahrzehnte lange dienstliche Berieselung mit Straftaten und die alltägliche Wahrnehmung verunsichern. Das spürt man dann, wenn wirklich Ruhe einkehrt und einen nichts wirklich in Gefahr bringt. So geht es sicher auch dem wachsamen Maipo, der sich schnell daran gewöhnt, ganz in der Nähe des Zeltes angepflockt die Nacht zu verbringen. Die Hunde genießen meine unmittelbare Nähe sehr und rollen sich wie selbstverständlich neben den Schlafsack ein. Drei Tierseelen passen auf mich auf, während hinter dem Wildzaun, am Rande von Wolfgarten, der Wald auch zur Nachtzeit lebt. Kriminalisten unter sich Der Abbruch eines nassen Zeltlagers dauert etwa 90 Minuten. Wer danach morgens bereits vor dem eigenen Frühstück, mit einer zuvor jedoch beköstigten Tierkarawane, die Steilhänge vom Kermeter herab nach Gemünd bewältigt hat, freut sich auf ein Brötchen, zum Beispiel auf der Terrasse des Kurparks. Noch vor meiner Bestellung wurden wir vieläugig beobachtet. Denn zufällig traf ich mitten in die „Criminale“, einem jährlichen Treffen deutscher Krimiautoren, von denen etliche umher schwirrten und uns nicht so recht einordnen konnten. Was macht ein Polizist mit einem Lama und zwei Hütehunden in der Nordeifel? „Unbelievable“, meinte eine blasse Papier-Kriminalistin mit englischem Akzent und ihrem gedruckten Werk im Arm, als ich am Ende ihrer Fragen ergänzte, dass ich zudem begonnen hätte, einen Thriller zu schreiben. Bislang stünde aber lediglich der Titel fest… und dann legte ich mein Handy zum Aufladen an der Theke des Hotels ab, ohne Angst, dass es gestohlen werden könnte. Immerhin waren wir ja in der Eifel und nicht in der Bronx. Noch mehr Fragen prasselten wenig später auf mich ein, als der Kaffee und die Brötchen aufgetischt waren. Ein Zeitungsschreiber, den eine örtliche Touristikberaterin eilig hinzu geholt hatte, kam aus dem Nichts. Meine Anwesenheit hatte sich also offenbar herum gesprochen. Aus dem besinnlichen Frühstück wurde somit ein Interview. Und weil der Mann nach Botschaften forschte und ich ob meines Wandergenusses gut gelaunt war, zeigte ich mich gesprächsbereit. Selbst schuld, wie sich später noch heraus stellen sollte. 24 Stunden hatte ich meine Tiere im Blick und schnell festgestellt, dass das Lama einfach nur behandelt werden wollte wie die Hunde, damit es zufrieden war. Von Beginn an entwickelte sich, wie erwartet, auch eine komplexere Beziehung zwischen den so unterschiedlichen Vierbeinern, wobei das sozial obligate Herdentier sich naturgemäß mehr an den Hunden ausrichtete, als an mir. Umgekehrt stellte sich eine tiefer gehende Freundschaft seitens der Aussies zum Lama nicht ein. Maipo durfte dazugehören, mehr aber auch nicht. Trotzdem harmonisierten sich meine Begleiter miteinander, so dass sie zusammen ein entspanntes, aber überall stark beäugtes Trio abgaben. Wenn der Ruf voraus und das Lachen entgegen eilt Zu Fuß ging es von der Rur an die Olef ins Schleidener Land. Herrlich. Kleine versteckte Dörfer, die sich wie Oasen am Ende einer bewaldeten Steigung auftun. Zum Beispiel Wintzen, ein 100-Seelen-Ort, in dem die lokale Wanderreitstation leider schon mit Teilnehmern der „Criminale“ voll belegt war. Doch die Liebenswürdigkeit der Betreiber führte nicht zu einer Abweisung, sondern zur Zuweisung eines Notquartiers in einem 3Sterne-Luxus-Gartenpavillon, der mir in dieser Nacht den Zeltaufbau ersparte. Zum Frühstück bekam ich die Tageszeitung gereicht, mit der Bitte, auf der halbseitigen Berichterstattung über einen Lama-Wanderer, inklusive Farbbild im Großformat, doch eine kleine Widmung fürs Gästebuch zu hinterlassen. „Kick ens do, da kütt doch der mit demm Lama!“ So, oder so ähnlich begleiteten mich fortan die Sprüche der Menschen in den Dörfern, durch die ich kam. Fenster wurden geöffnet und Schulbusse hielten neben uns an. Fragen und Fotowünsche prasselten auf uns herein. Das war nicht immer angenehm, denn eigentlich war ich ja nicht als Botschafter, sondern als Urlauber mit meinen Tieren unterwegs. Insbesondere Timber verbat sich so manche distanzlose Annäherung durch ein vernehmbares Knurren, wenn Menschen mit Kameraaugen all zu plötzlich und viel zu nah in unsere Sphäre hinein sprangen. Dennoch brachte ich Geduld auf, die notwendig ist, wenn man verstanden hat, dass eben nicht alle Menschen gelernt haben, die Bedürfnisse von Tieren sehr feinfühlig wahrzunehmen. Wer freundlich war, bekam auch freundliche Antworten. Und niemals zuvor habe ich es je erlebt, dass man fast allerorten mit einem Lächeln begrüßt wurde. Auf meiner Wanderung durfte ich erahnen, wie es sein könnte auf dieser Welt, wenn man bei fast jeder Begegnung mit einem lachenden Gesicht als Freundschaftsvorschuss bedacht würde. Ein herrlich wohltuendes Gefühl von Friedfertigkeit könnte sich ausbreiten, das einen Polizisten genau so erwärmt, wie jeden anderen Menschen. Ob Eifelbewohner, Mountainbiker im Wald, Wandergruppen an den Maaren, Asylbewerber oder Kinder auf dem Schulweg. Mein Lama hatte offenbar mehr Aufgaben, als nur das Gepäck zu tragen. Er wurde „Türöffner“ zu den Herzen der Menschen. Immer wieder entsponn sich aus der Begegnung mit Erstaunten und Fragenden, ein vertrauensseliger Austausch über Erlebnisse, die für die Menschen irgendwie elementar und sehr privat waren. Deswegen erzähle ich sie hier auch nicht, komme aber nicht umhin zu bemerken, dass es wohl kein Zufall gewesen sein kann, dass ich nach einem solchen Gespräch aus einem geparkten Auto heraus ausgerechnet mit John Lennon´s „Imagine“ bedudelt wurde und auf der nächsten ungestörten Waldpassage ins Träumen geriet. Ein gutes Zeichen, denn es machte sich offenbar auch Erholung breit. Auf einem einladenden Einzelgehöft verbrachte ich zwei Tage am Stück, denn Bounty hatte sich irgendwo eine Pfote am Hinterlauf gequetscht. Als „Flummi“, der sie nun mal ist, lief sie zwar klaglos auch auf drei Beinen, aber ich hatte mir vorgenommen, ganz gegen meine Natur, die Langsamkeit als Herausforderung anzunehmen. Endlich Zeit für mein Buch, das ganz unten im Gepäck schlummerte. Und wie schön kann das Leben mit ganz wenig sein, wenn man nur Zeit und vielleicht noch gute Gastgeber hat. Es sind die Pausen, in denen man in sich horcht und nach dem forscht, was man wirklich für erstrebenswert hält. Stillstand ist eben nicht immer ein Rückschritt. Missverständnisse zwischen Zivilisation und Wildnis Die Landschaft war ein Genuss. Meter für Meter. Und dann noch Richtung Süden, mit Sonnenschein im Gesicht. An Tag Sieben erhielt ich bei Dahlem Besuch von meiner Partnerin, die ich für wenige Stunden an meinem ausnahmsweise mal nicht ganz so gestressten Gemütszustand Teil haben lassen wollte. Doch es gab ungeahnte Probleme. Während ich in der zerklüfteten Landschaft meinem Lama beim Wiederkäuen zuschaute, hielt sie anderthalb Stunden vergeblich Ausschau nach mir, obwohl der Treffpunkt mehr als genau bezeichnet war. Das kann passieren, wenn ein halbwegs entspannter LamaWanderer mit seinen Tieren zeitlos in einer Landschaftskuhle wartet, aber die aus dem Alltag Vorbeischauende mehr dem Navigationsgerät vertraut, als der Intuition. Dafür wurde kurz darauf der intuitiv gewachsene Bart mit dem Akku-Rasierer erst mal wieder auf ein gesittetes Maß reduziert. Am Abend freute ich mich zu früh über den Tipp eines Ortsansässigen, der ein „Eifel-Camp“ am Waldrand als solide Übernachtungsvariante anpries. Und wirklich, das Zeltplatzsymbol auf meiner Karte entpuppte sich als abenteuerlich-wunderbares Holzblockdorf mit Jurten, Hütten und Lagerfeuerplatz. Leider war ich offenbar der einzige Gast. Doch alles lud zur Selbstversorgung ein, denn die als Büro gekennzeichnete Tür öffnete niemand. Ich hatte mir bereits einen Schlafplatz ausgewählt und gedanklich bereits ein herzliches Kompliment an die noch zu ermittelnden Erfinder dieses Camps formuliert. Was für ein Geschenk an die Erholungssuchenden! Plötzlich fuhr ein Auto vor und eine Frau, zivilisiert aussehend, jedoch mit eher unzivilisierter Empörung ausgestattet, kam auf mich zugestürmt. Das sei ein Erlebnisdorf, meinte sie, und ließ keinen Zweifel daran, dass sie mal kein Fan von uns war. Sie tat sehr deutlich kund, dass ausgerechnet wir dort nicht hingehören sollten. Als verklärter Erlebniswanderer wollte ich das Problem wohl nicht schnell genug erkennen, so dass sie atem- und verständnislos nachlegen musste, bis ich begriff, dass es sich um ein kommerziell genutztes Erlebnisdorf mit pädagogischer Anleitung handelte. Da hat ein richtiger Naturbursche natürlich nichts zu suchen. Ein echtes Missverständnis also. Ich verzieh der Wildnispädagogin also meinen Fehler, und seltsam, was hatte diese Landschaft einen Einfluss auf mich, ich lachte beim Verlassen des Camps. Aber man hat ja bereits früher von Menschen gehört, die beim Umherziehen mit Kamelen einer Halluzination verfallen sein sollen. Die Gerechtigkeit nahm nur 150 Meter weiter ihren Lauf, als ich in der Abenddämmerung, genau gegenüber des Luxuscamps, eine bescheidene, halboffene Blockhütte entdeckte, in der wir, nach abendlicher Bewunderung der Ausbeute einiger Pilzesammler, einen zugigen, aber immerhin trockenen Schlafplatz fanden. Grenzerfahrungen Irgendwann überschreitet man die Landesgrenze nach Rheinland-Pfalz, was einem aber egal ist, wenn man zwischendurch feststellt, dass auch ein Lama den ausgiebigen Spaziergang nicht als Selbstzweck versteht, sondern fortwährend nach Lieblingshappen schielt. Als da wären: frische Brombeerblätter, Buchenblätter (in jeder Variation, gerne auch gewelkt) und breit blättriges Gras. Der Wald war endlos und ich blätterte in meinen Gedanken. Darin versunken erreichten wir nach Stunden ohne jede Menschenbegegnung, aber auch noch ohne Frühstück, die Kyll bei Jünkerath. Und dann wurde gleich die erste Tagesbegegnung mit einem Artgenossen auf zwei Beinen zum echten Highlight. Ich blieb an einem Garten stehen und warf einen interessierten Blick auf die dort agil schwadronierenden Laufenten. Das war dem Besitzer der Tiere nicht entgangen. Schnell kam er mit zwei Händen voller Brot. Den Hunden durfte er, ausnahmsweise, ein frisches Brötchen offerieren. Maipo lehnte alle Gebäckangebote jedoch ab. Nach einem kurzen Plausch griff der Mann, ein harmloser Senior, mit einem vieldeutigen „warte mal“ kramend in seine Hosentaschen und zog einen Zehn-Euro-Schein heraus. Ich solle mir und den Tieren etwas Schönes gönnen. Diese Warmherzigkeit wollte ich nicht vor den Kopf stoßen. Also verschwieg ich, dass ich kein Landstreicher sondern Urlauber war, nahm das Geld und versprach auf seine Bitte hin, uns für den Winter ein Quartier zu suchen. Nachdem er verschwunden war, merkte ich mir jedoch seinen Namen vom Klingelschild und seine Hausnummer. Er wird sich Weihnachten bestimmt über eine Überraschung freuen. Wie die anderen Flüsse zuvor, war auch die Kyll ein guter Wegweiser und eine reine Tränke zudem. Ein Lob übrigens an die regionalen Brückenbauer: alle Stege waren quasi Lama gerecht und in einem guten Zustand. Demzufolge hatte es keine abfällige Bedeutung, als Maipo sich auch mal in der Kyll erleichterte, was einer Radfahrgruppe immerhin Zeit für eine Fragerunde mit mir verschaffte. So lange ich selbst nicht auf dem Klo gestört wurde, sollte es mir recht sein. E rkenntnisse Lamatrekkings kommen in Mode. Sind sie inzwischen bereits in der Schweiz, Österreich und auch im süddeutschen Alpenraum etabliert, so wächst das Angebot auch in anderen deutschen Landstrichen. Dennoch war es mir im Vorfeld nicht gelungen echte Erfahrungen zu Fernwanderungen mit Lamas zu bekommen. Zumeist bestehen Trekkings aus mehrstündigen Spaziergängen, die keine Aussagen zu den Langzeitbelastungen einer Langstreckenwanderung zulassen. Und das, obwohl das Lama Glama, domestiziert vor 4.000 bis 5.000 Jahren, dem Menschen bereits lange vor dem Pferd als Lastentier im südamerikanischen Ursprungsraum diente. So war unsere Reise auch eine Sammlung von wertvollen Erkenntnissen für zukünftige Unternehmungen. Die Frage, wie Maipo denn mit den oft steinigen und harten Eifelböden zurecht kam, ist mit „Kein erkennbares Problem“ schnell beantwortet. Obwohl Lamas zur Tierordnung der Paarhufer gezählt werden, sind es keine Huftiere, wie z.B. Pferde. Ihre Sohlen sind üppig mit Schwielen versehen und in etwa vergleichbar mit Hundepfoten. Problematisch könnte es meiner Erfahrung nach jedoch bei sehr warmem Wetter und längeren Asphaltpassagen werden, wenn heißer Teer die Sohle noch ganz anders malträtiert. „Pfoteneffekte“ müssen aber bei allen Tierwanderungen unbedingt bedacht werden, denn letztlich sind sie eben keine Schuhsohlen. Oft kam die Frage nach den Kilometern. Klare Antwort: ohne Lama ist man schneller. Aber die Leichtigkeit, keinen Rucksack tragen zu müssen, macht frei. Bei mehrtägigen Wanderungen muss man auch tagsüber Pausenzeiten für Grasen und Wiederkäuen einplanen. Auch, wenn es schwer fällt dieses nachzuvollziehen, so hat selbst das stumpfe Betrachten eines zum Wiederkäuen daniederliegenden Geschöpfes einen nicht zu unterschätzenden Erholungswert. Durchschnittlich geht die untere Kieferplatte 25 mal von links nach rechts, bis dass in einem kleinen, aber bemerkenswerten Schauspiel das Vorverdaute den langen Hals erkennbar hinunter rollt und gleich darauf eine neue Kugel aus dem Vormagen zum weiteren Zerkauen im Maul landet. Ein lebenserhaltender Kreislauf von Schlucken und Würgen. Nie war Rülpsen so interessant. Erst später, auf heimischen Wiesen, fiel im Vergleich mit den Daheimgebliebenen auf, dass Maipo in den zwei Wochen an Gewicht verloren hatte. Der Speckmantel war nach einem üppigen Sommer während der Wanderung einfach geschrumpft. Ein Lama ist ein Herdentier und braucht die soziale Einbindung. War es überhaupt möglich, Maipo über Tage vom Herdenverband zu trennen und zeigten sich Auswirkungen? Auch diesbezüglich ergab sich die Antwort durch Beobachtung. Bereits nach zwei Tagen war die Bindung an die Hunde und eine Verhaltenssynchronisierung offensichtlich. Legten die Hunde sich entspannt zur Pause, tat das Lama es ihnen gleich. War Aufregung, zeigte auch Maipo sich als talentierter Wachhund. Verschwanden Timber und Bounty aus seinem Blickfeld, brauchte der Wallach eine gewisse Zeit um seine Contenance wieder zu finden, die aber letztlich immer in entspanntes Fressen mündete. Es wuchs Bindung, so dass er unterwegs auf Eifel-Hochweiden frei laufend grasen konnte. Im Fazit hat sich jedoch bestätigt, dass eine Reise in Begleitung eines richtigen Artgenossen einem Lama sicher noch besser gefällt. Aber auch mir fehlte ab und zu ein Begleiter, mit dem man dann an einem abendlichen Lagerfeuer seine Tageserlebnisse noch einmal hätte austauschen können. Geteilte Freude ist halt doppelte Freude. Ich bin ein Vulkanier War ich vor Jahren schon einmal wandernd in der Vulkaneifel gewesen, so freute ich mich nun besonders darauf. Gute Wege und Fernblicke in die Unendlichkeit. Die Eifel ist am schönsten, wie ich finde, wenn Wolken den Himmel bereichern. Nichts gegen ein erheiterndes Blau, jedoch kommt echte Highland-Atmosphäre nur auf, wenn schweres Grau am Firmament für Bildgewalt sorgt. Einfach ein episches Gefühl, frei darunter umher zu ziehen. Da spielt es dann auch keine Rolle, dass ich geologisch eher wenig im Bilde bin, was man ja Dank eines reichhaltigen Informationsangebotes jederzeit ändern könnte. Der spürbare Genuss ist alleine bereits das Vorwärtsgehen mit der Vorstellung, dass lange vor Menschengedenken dort Magma in Verbindung mit Wasser für vulkanische Explosionen sorgte. Für leichte Implosionen in meinem Kopf sorgte dann am Abend ein zufällig zustande gekommenes Gespräch mit einem Viehhändler, der an meinem Quartier zu Besuch war und sich ebenfalls als Besitzer mehrerer Lamas outete. Der erhoffte Erfahrungsaustausch scheiterte dann aber schnell an dem leider nur äußerst begrenzten Wissen des Herrn über diese faszinierende Tierart, das so wenig fundiert war, dass ich in der Nacht davon träumte, ich hätte eine Lamaherde aus einem dunklen Stall befreit und auf einer von einem Bach durchflossenen Wiese laufen gelassen. Während die nächtliche Illusion mir ein lustig springendes Flüsschen vorgaukelt hatte, war echter Regen durch das undichte Dach neben mein Bett getropft. Nach dem Frühstück machte ich mich davon. „Wenigstens bis zu den Eifel-Maaren“, lautete das in meinem Kopf formulierte Mindestziel unserer Reise, weil ich mir dort einen pralinenhaften Landschaftsgenuss erhoffte. Und bekam. Alleine dieser eine Abend, unterhalb des bei Daun liegenden Totenmaares, um das sich etliche Sagen ranken, war Belohnung genug. Nach einem abendlichen Schnitzel am Stadtrand, umgarnt von den üblichen liebenswerten Wirtshausfragen, suchte ich uns einige Kilometer weiter einen leicht windgeschützten Biwakplatz in einer Talmulde. Südseehaft versank die Sonne hinter fernen Westgipfeln, während sehr dunkle Wolken und der gefühlte Wetterbericht Schlimmeres erahnen ließen. Wichtig ist beim Zeltaufbau, dass sattes Gras als Unterlage Komfort bereitet und Wasser für den Durst der Tiere in der Nähe ist. Nach dem Zähneputzen an einer Viehtränke legten ein Lama, zwei Hunde und ein Mensch sich ungestört ins Grün. Während Homo Sapiens verträumt in die immer mehr werden Sterne blickte, begann ein tierisches Schnarchen. Zufriedenheit zog auf, an einem Ort, an dem es nichts gab, außer eben Frieden. Kein TV, kein Kfz und kein Gedanke an die Pflichten des nächsten Tages. Nichts tat weh und nichts war wichtig. Pures Dasein satt. Erst als die Tiere hoch schreckten, weil eine Eule dicht über unseren Körpern schwebte, nutzte ich die Gelegenheit um ins Zelt zu kriechen. Ein bekennender Vulkanier schlief gut. Als der Regen fiel und Feuchtigkeit auf Fell und Schlafsack sich ausbreiteten, war es uns egal. Einfach schön ist es auch am Lauf der südlich fließenden Lieser, deren Name keltischen Ursprungs ist. Sie führte uns schließlich über einen sich talwärts schlängelnden Trail zu einer letzten abenteuerlichen Flussüberquerung unterhalb der Manderscheider Burgen. So fand die Langstreckenwanderung mit nassen Socken ein gemütliches Ende auf dem Kapellenhof, der auch wegen der Freundlichkeit seiner Besitzer eine namentliche Erwähnung verdient. Ich gönnte uns noch zwei Tage, an denen unbeschwerte Kurzwanderungen ins Manderscheid Umland für hinreichend Erlebnisse sorgten, bevor der Glücksfall meines Lebens uns abholen und mit dem Pferdeanhänger zurück ins richtige Leben transportieren sollte. Bei Manderscheid liegt, mitten im Idyll, eine Fachklinik für psychosomatische Erkrankungen. Als Teilnehmer am „großen Menschenrennen“ waren auch mir die Folgen der uns umgebenden Stressoren bereits körperlich sehr bewusst. Zufällig trafen wir vor den Toren auf heimkehrende Patienten. Erst zwei, dann mehr, denn zur Essenszeit war Anwesenheit erwünscht. Angesichts von Maipo, der ausgerechnet in der Einflugschneise zum Wiederkäuen Platz nahm, quollen Einzelschicksale hervor. Menschen, deren Körper mit Krankheit auf die jeweiligen Lebensbedingungen reagiert hatten und die sich nach Linderung sehnten, waren offen zu mir. Wer mit Tieren wandert, dem kann man offenbar vertrauen und so hörte ich zu und ermunterte auch. Am Ende gingen meine Gesprächspartner durch das Tor hinein und meinten, es sei schön gewesen, mich zu treffen. Danke gleichfalls, liebe Leute. Auch ihr habt mir gut getan. Gedankenschwer wurde mir wieder einmal klar, wie schmal der Grat heutzutage ist, von dem man auch als starker Mensch unverschuldet abrutschen kann. Ich beschloss, erst einmal nicht Patient werden zu wollen und ging weiter zum nächsten Vulkankrater. Die Antwort steht immer am Ende Auch das Meerfelder Maar hat eine runde Wasserfläche und einen ansteigenden, bewaldeten Kraterrand. Um alle denkbaren Fragen der Besucher des Naturwunders zu befriedigen, stößt man gleich auf mehrere gut gepflegte Schautafeln, die Antworten liefern. Wie entsteht ein Maar; wie tief ist es und welche Pflegemaßnahmen trifft der Mensch, um es der Nachwelt zu erhalten. Und es gibt eine gut besuchte Kaffeehaus-Terrasse, deren Name den Seeblick lediglich verspricht. Am Rande eines überteuerten Stücks Kuchen nahmen, wie so oft, die Tischnachbarn Kontakt mit mir auf, nachdem mein imposantes Trio gegenüber auf einem Parkplatz in geduldige Wartestellung gebracht worden war. Warum und wieso und überhaupt weshalb mache man eine Lamawanderung? Eine Zeit lang belachten die zahlreichen Kuchengenießer fortan das immer ähnlich währende Schauspiel der verdutzten Vorbeigehenden. Das lief in etwa so ab. Ein Pärchen nähert sich auf der sonnigen Promenade dem Geschehen. Das touristische Flanieren gerät langsam ins Stocken. Sie: „Was ist das denn?“ Er: „Sieht aus wie ein…äh, Lama?!“ Sie: „Was tut das denn hier. Ich geh da nicht vorbei. Das spuckt bestimmt.“ Er, die Kamera zückend: „Ach wo.“ Sie, die Straßenseite wechselnd: „Ne, ich geh hier lang.“ Er, heldenhaft den Fotoapparat im Anschlag, stelzt visierend auf die Tiere zu, näher, noch näher. Timber, eigentlich gar nicht im Mittelpunkt, fühlt sich unwohl ob dieser bedrohlichen Annäherung und knurrt. Er stoppt, geht sehr langsam einen Schritt zurück. Sie, skeptisch guckend: „Komm besser her.“ Er, in steif-stolzer Rückwärtsbewegung, die Kamera schwenkend: „Ich hab’s fotografiert.“ Dann wird die Flanierrunde befriedigt fortgesetzt. Als nach einer halben Stunde das fortlaufende Prozedere zur öffentlichen Lachnummer geworden war, zwischenzeitlich eine Bedienung mich gefragt hatte, ob ich mit dem Kuchen denn auch zufrieden sei, warf ich dem edlen Gebäck ein angemessenes Trinkgeld hinterher und verschwand, freundlich in die Menge der Terrassengemeinde grüßend. Nur wenige hundert Meter und einige Fotowünsche weiter, jenseits der Straße, fiel mir die Antwort auf die viel gestellte Frage nach dem „Warum“ unwillkürlich ein. Weil Schlendern Luxus ist.
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