„Grüne Brücken“: Hier lauern die Virus-Vektoren

Foto:s Bayerische LfL
Ackerbau
Mit Verzwergungsviren infizierte Wintergerstenpflanzen (vorne): Die Pflanzen sind klein, stärker bestockt
und ihre Blätter sind gelb verfärbt.
„Grüne Brücken“: Hier
lauern die Virus-Vektoren
Trocken-warme Sommer begünstigen die Vektoren von Verzwergungsviren.
Im Süden treten immer öfter Schäden auf. Neue Ergebnisse eines Monitoring-Projektes
stellt Nadine A. Gund, Bayerische Landesanstalt für Landwirtschaft, Freising, vor.
V
erzwergungsviren verursachen
verstärkt Schäden im Getreide.
Seit 2004 – nach dem Jahrhundertsommer 2003 – und nach dem milden Herbst 2006 ist dies zu beobachten.
Betroffen sind zum Beispiel Bayern,
68
top agrar 9/2013
Niedersachsen, Thüringen und Österreich. Bereits im Frühjahr 2002 kam es
aufgrund des vorausgegangenen warmen Oktobers zum Umbruch von
20 000 ha Wintergetreide in Österreich.
Auch letztes Jahr mussten österreichi-
sche Landwirte WDV- und BDV-bedingt mehrere zehntausend Hektar
Winterweizen umbrechen.
Frühsaat fördert Viren:Ursachen für
die zunehmenden Probleme mit Ver-
zwergungsvirosen sind offenbar frühere
Saattermine und der mit dem Klimawandel einhergehende Temperaturanstieg mit verlängerten Wärmeperioden
im Herbst.
In Deutschland sind derzeit etwa 15
Viruskrankheiten an Getreide bekannt.
„Verzwergungsviren“ verursachen davon folgende:
• Das durch Blattläuse übertragene Gerstengelbverzwergungs-Virus (BYDV) und
das Getreidegelbverzwergungs-Virus
(CYDV).
• Das durch eine Zikadenart über­
tragene
Weizenverzwergungs-Virus
(WDV) bzw. Gerstenverzwergungsvirus
(BDV). Die Zwergzikade „Wandersandzirpe“ (Psammotettix alienus) kann auch
das Haferverzwergungs-Virus (ODV)
übertragen.
Von BYDV/CYDV sind bisher weltweit 9 verschiedene Varianten, so genannte Serotypen, bekannt. Allerdings
sind bisher nicht alle in Deutschland
nachgewiesen. Unterschiedliche Blattlausarten übertragen die verschiedenen
Varianten. Diese Serotypen unterscheiden sich zudem in ihrer Virulenz und
im Vorkommen. Was ist bislang über
diese variantenreichen Verzwergungsviren in Gerste und Weizen bekannt?
Gerste, Weizen, Hafer, Roggen, Triticale und Mais sind Wirtspflanzen für
beide Verzwergungsviren. Sie können
sich auch in mehr als 150 Gräserarten
auf Grünland, Grünbracheflächen, Feld­
rainen und Rasengürteln vermehren.
Diese Flächen sind also Virusreservoire,
die vor allem für die Virusübertragung
in Neusaaten wichtig sind. Ausfallgetreide oder Gräser dienen als „grüne
Brücke“. Sind sie infiziert, können geeignete Vektoren die Viren in die neu
gesäten Bestände übertragen.
Nur eine resistente Sorte:Alle Getrei-
dearten sind anfällig gegenüber Verzwergungsviren. Allerdings bestehen
Sortenunterschiede. Eine resistente Futtergerstensorte gibt es bereits. Die zweizeilige Sorte Paroli weist eine Resistenz
gegenüber BYDV-PAV und BYDV-MAV,
nicht jedoch gegenüber dem bei uns selteneren CYDV auf. Laut Züchter-Empfehlung eignet sich diese Sorte besonders für den Anbau in der Nähe der
Wirtspflanze Mais, für Frühsaaten in
warmen Lagen und bei Anbau ohne Insektizideinsatz gegen Blattläuse.
Typisch für BYDV-/CYDV- und
WDV-/BDV-Befall sind Zwergwuchs in
Kombination mit gelb verfärbten Blättern. Bei Hafer kommt es zu einer rötlichen Blattfärbung. Zudem behindern
die Viren das Wurzel- und Sprosswachstum. Die Folge: Das Schossen
bleibt aus, die Pflanzen bestocken sich
verstärkt. Es bilden sich weniger Ähren
aus, teilweise gibt es taube Ähren.
Der Saftstrom transportiert die Viren
in der Pflanze. Das führt zum verminderten Assimilattransport und Anhäufen von Kohlenhydraten. Die Folgen:
schwächere Photosyntheseleistung und
weniger Chlorophyllgehalt.
Bei BYDV-/CYDV-Infektionen liegt
meist ein nesterartiger, über das Feld
verteilter Befall vor. Denn nachdem die
geflügelten, virus-tragenden Blattläuse
in den Bestand eingeflogen sind, bewegen die sich später entwickelnden ungeflügelten, virus-tragenden Blattläuse
sich von Pflanze zu Pflanze.
Zikaden folgen meist den Drillreihen,
da es dort oft wärmer ist und breiten
von dort aus die WDV/BDV-Infektion
aus. Aufgepasst! Nährstoffmangel, Bodenverdichtung oder Staunässe verursachen ähnliche Erscheinungen.
Die
Virusvektoren
Ungeflügelte Bleiche Getreideblattläuse: Vektoren von BYDV-MAV
Gefährliche Herbstinfektion:Infekti-
onen im Herbst können zu Wachstumsdepression, Schwächung und schließlich zum Absterben der Pflanzen über
Winter führen. Dadurch entstehen erhebliche wirtschaftliche Verluste. Generell ist festzustellen, dass Herbst- und
auch Frühjahrsinfektionen umso weniger ertragsrelevant sind, je später sie erfolgen und je weiter fortgeschritten die
Entwicklung eines Bestandes ist.
Auch die Frostresistenz der Pflanzen
wird durch den Virusbefall erheblich
verringert. Deshalb führen frühe Schäden mit Verzwergungsviren im Herbst
oft zu einem Umbruch der stark betroffenen Flächen. Zudem sind mit Verzwergungsviren infizierte Getreidepflanzen anfälliger gegenüber anderen
Schaderregern, vor allem Pilzen.
Blattläuse übertragen BYDV und
CYDV persistent (dauerhaft). Dabei
reicht ein Anstechen und kurzes Saugen
an einer virusinfizierten Pflanze nicht
aus, um das Virus aufzunehmen. Auch
bei der Virusabgabe an die Wirtspflanze
genügt ein Probestich nicht. Die Blattlaus muss länger an der Pflanze saugen,
um das Virus abzugeben. Die Blattläuse
übertragen die Viren zeitlebens beim
Saugen. Auch durch Häutungen geht das
Große Getreideblattläuse: Überträger von BYDV-PAV und BYDV-MAV
Haferblattläuse übertragen verschiedene BYDV- und CYDV-Serotypen.
HEFT +
Mehr Details über das bayerische
Monitoring-Projekt und eine
Übersicht mit den verschiedenen
Varianten der Verzwergungsvirosen
finden Sie in der Rubrik „Heft +“
unter www.topagrar.com
Die Wandersandzirpe: WDV-, BDVund ODV-Vektor
top agrar 9/2013
69
Ackerbau
Virus nicht verloren. Die Viren vermehren sich aber nicht in den Läusen. Diese
geben sie auch nicht an ihre Nachkommenschaft weiter.
Bei WDV, BDV und ODV scheint es
sich um semipersistent übertragene
Viren zu handeln. Wenige Minuten
Saugzeit reichen für die Virusaufnahme
und -abgabe durch die Zikade aus. Die
Zikade kann das Virus mehrere Tage bis
Wochen abgegeben. Sie gibt es – wie
Blattläuse – aber nicht an die Nachkommen weiter. Die erwachsene Zikade und
alle fünf Larvenstadien können WDV
und BDV übertragen.
Die Zwergzikade ist mobiler als Blattläuse. Sie nimmt die Viren schneller auf
und gibt sie auch rascher wieder ab. Somit ist sie in der Lage, in kürzerer Zeit
mehr Pflanzen zu infizieren.
Virusquelle Ausfallgetreide:Das Be-
fallsrisiko für Verzwergungs-Viren
hängt von Infektionsquellen, Witterung und Auftreten der Vektoren ab.
Tritt Befall in der Region auf, ist dies
ein Indiz dafür, dass auch eigene Bestände befallen sein können oder zufliegende Vektoren diese infizieren. Besonders problematisch ist, wenn sich Vektoren im Ausfallgetreide vormals
infizierter Bestände aufhalten. Zusätzliche Virusquellen, wie Gräser oder
Mais in der Nähe, steigern die Gefahr.
Massiv gefährdet sind frühgesäte Wintergetreidebestände und spätgesäte Bestände von Sommergetreide – vorausgesetzt, es sind Infektionsquellen und Vektoren da. Warme, windgeschützte Lagen,
wie Südhänge, Hecken und Waldränder,
fördern Auftreten und Aktivität der
Vektoren. Die wärmeliebenden Vekto-
ren fühlen sich in lückigen Beständen
wohl und sind dort bei warmer Witterung aktiver. Lange trockene, warme Perioden im Herbst und Frühjahr fördern
Auftreten bzw. Populationsentwicklung
der
virusübertragenden
Insekten.
Ebenso begünstigt ein milder Winter
das Überleben der Vektoren und damit
nachfolgende Frühjahrsinfektionen.
Blattlausbekämpfung:
Insektizide
können Sie nur gegen Blattläuse einsetzen, nicht aber gegen die Wandersandzirpe. Dafür gibt es keine Zulassung.
Bekämpfen Sie Blattläuse nur, wenn mit
ernstzunehmendem Befall zu rechnen
ist. Bekämpfungswürdig sind:
• 20 % mit Blattläusen befallene Pflanzen ab dem 2- bis 3-Blattstadiums des
Getreides und
• bei Frühsaaten (Auflauf vor dem
25. September) 1 Blattlaus/10 befallene
Pflanzen (zählen Sie dazu 100 Pflanzen/
Schlag aus).
Wichtig ist, dass Sie den Termin richtig treffen. Ein Einsatz vor Erreichen
der Schwellen, sichert keine wirtschaftlichen Mehrerträge. Setzen Sie Insektizide nur dann ein, wenn dies unbedingt
nötig ist, auch um Resistenzbildung zu
vermeiden. So hat man in England im
letzten Jahr bereits Pyrethroid-resistente Getreideläuse nachgewiesen. Dabei handelt es sich um die Große Getreideblattlaus. Diese ist auch bei uns
einer der Hauptvektoren des Gerstengelbverzwergungsvirus.
Es ist ratsam, für gezielte Maßnahmen
Laboruntersuchungen durchführen zu
lassen. Denn die Schadbilder lassen sich
in der Praxis nicht oder nur schwer einem bestimmten Virus zuordnen. Auch
So vermeiden Sie Virusbefall
Um Infektionen mit Getreideviren
zu vermeiden oder Infektionen zu
begrenzen, können Sie Folgendes tun:
• Säen Sie Ihr Wintergetreide nach
dem 25. September. So verkürzen Sie
die Spanne für mögliche Infektionen.
• Vermeiden Sie nicht nur Frühsaaten bei Wintergetreide, sondern auch
Spätsaat bei Sommergetreide. Denn
Vektoren treten im frühen Herbst
bzw. späteren Frühjahr besonders
häufig auf und sind dann sehr aktiv.
• Besonders wichtig ist, dass Sie Ausfallgetreide, von dem virustragende
Blattläuse und Zikaden Infektionen
in die Neusaaten einbringen können,
konsequent beseitigen.
70
top agrar 9/2013
• Ist verstärkter Verzwergungsviren-
befall in der Region nachgewiesen,
sollten Sie Blattlaus-Vektoren Schadschwellen-abhängig bekämpfen.
• Achten Sie auch auf eine angemessene N-Düngung. Denn mit Stickstoff überversorgte Pflanzen bilden
weniger Festigungs- und mehr
Grundgewebe aus. Folge: Die Zellwände sind dünner und weicher, so
dass Blattläuse und Wandersandzirpen sie leichter anstechen können.
• Durch den Anbau toleranter bzw.
resistenter Sorten, wie z. B. die
BYDV-resistente Gerstensorte Paroli,
können Sie Schäden durch Verzwergungsviren verringern.
Eine Gerstenpflanze, infiziert von
der Wandersandzirpe mit dem
Gerstenverzwergungsvirus (BDV).
verursachen abiotische Schäden zum
Teil ähnliche Symptome an Pflanzen.
Die wichtigsten ackerbaulichen Maßnahmen, um Infektionen zu vermeiden,
entnehmen Sie dem Kasten.
Bayerische Ergebnisse:Seit 2010
führt die Bayerische Landesanstalt für
Landwirtschaft in Kooperation mit den
Ämtern für Ernährung, Landwirtschaft
und Forsten ein bayernweites Monitoring-Projekt durch. Das Monitoring im
Ausfallgetreide dient dazu, das Infektionsrisiko der späteren Neusaaten abzuschätzen. Hier die bisherigen Ergebnisse:
• 2010 bis 2013 war der Befall mit WDV/
BDV im Ausfallgetreide unterschiedlich
hoch. Einheitliche Tendenzen in der
Befallsentwicklung über die drei Jahre
hinweg ließen sich nicht feststellen.
Auch von Schlag zu Schlag variierte der
Befall sehr stark (0 bis 100 %), so dass re-
Schnell gelesen
• Seit 2010 führt Bayern ein Mo-
nitoring auf Verzwergungsviren im Getreide durch.
• Auf vereinzelten Schlägen war
der Befall mit WDV/BDV massiv, flächendeckend gab es
bayernweit keine Probleme.
• Die Blattlaus-übertragenen
Viren BYDV/CYDV spielten
eine noch geringere Rolle.
• Wichtig sind Virusuntersu-
chungen im Ausfallgetreide
sowie eine Schlagkontrolle auf
Vektoren und Virussymptome.
• Die wichtigsten ackerbau-
lichen Maßnahmen: Konsequent Ausfallgetreide beseitigen und termingerecht säen.
gionale Aussagen nur schwer zu treffen
waren.
• Obwohl in den Jahren 2010 bis 2012
die WDV- und BDV-Befallshäufigkeiten
auf einigen Schlägen im Ausfallgetreide
mit bis zu 75 % sehr hoch waren, traten
ähnlich hohe Werte nie in den Neusaaten des Wintergetreides auf. Der maximal erreichte Wert dort lag bei 12 %
WDV-/BDV-Befall.
Eine mögliche Ursache dafür könnte
das geringe Auftreten von Vektoren
sein, sodass diese nur wenige Infektionen vom Ausfallgetreide in die Neusaat
des Wintergetreides übertragen konnten. Tatsächlich haben die Ämter nur
wenige Zikaden eingesandt. Noch geringer waren die WDV-/BDV-Befallswerte
im Frühjahr des jeweiligen Folgejahres.
Dies war möglicherweise eine Folge der
Auswinterungsschäden.
• Der BYDV/CYDV-Befall im Ausfallgetreide schwankte von 0 bis 12 % und
lag immer deutlich unter den Befallshäufigkeiten von WDV und BDV. In
den Neusaaten des Wintergetreides war
der höchste BYDV/CYDV-Befallswert
8 %, meist lag er nur bei ca. 2 %.
• Die ermittelten Befallshäufigkeiten
auf 48 Schlägen des diesjährigen Frühjahrsmonitorings spiegeln das beobachtete, sehr geringe Vektorenaufkommen
wider. Der WDV/BDV-Befallswert lag
insgesamt bei ca. 3 %. Der höchste WDV/
BDV-Befall betrug auf einem Ausfallgetreideschlag 25 %. Keine WDV-/BDV-Infektionen wiesen 34 der 48 Schläge auf.
Der Befall bei BYDV/CYDV war mit
weniger als 1 % noch deutlich geringer.
Wie die Virussituation in Winterweizen im Norden ist, lesen Sie auf
den folgenden Seiten.
top agrar 9/2013
71