Planetarische Grenzen: Ein sicherer Handlungsraum für die Menschheit

Planetarische Grenzen:
Ein sicherer Handlungsraum
für die Menschheit
PD Dr. Dieter Gerten
Gruppenleiter „Planetary Opportunities & Planetary Boundaries“
Forschungsbereich Erdsystemanalyse
Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung
Telegrafenberg, Potsdam
[email protected]
Übersicht
 Holozän/Anthropozän · planetare Grenzen · sicherer Handlungsraum ·
Vorsorgeprinzip
 Definition und aktueller Status der planetaren Grenzen
 Verbesserte Berechnung der Grenzen
(Bsp. Wassernutzung)
 Planetare Chancen: sicherer und gerechter Handlungsraum
(Bsp. Welternährung)
 Ausblick
Die Epoche des Holozän (seit ~11.700 Jahren)
HOLOZÄN
 Erderwärmung nach letzter Eiszeit
 quasi-stabiles Klima
 Aufkommen der Landwirtschaft
 Hochkulturen, Zivilisationsgeschichte
 Industrialisierung, Verstädterung
 Ressourcenverbrauch
heute
vor 4,5 Mrd. Jahren
climatika.org.uk
Holozän → Anthropozän
Neue (Teil-)Epoche mit
Mensch als Umgestalter des Erdsystems
Lewis & Maslin 2015
Eigenschaften des Anthropozäns
Steffen et al. 2015
Das Konzept der planetaren Grenzen
(planetary boundaries, PBs)
 Für 9 wechselwirkende und vom Menschen stark beeinflusste
Erdsystemprozesse wurden PBs identifiziert, die alle zusammen den
Holozän-Status des Erdsystems markieren:
Klimawandel · Biosphären-Integrität · Stratosphärischer Ozonabbau ·
Ozeanversauerung · Biogeochemische Flüsse · Landnutzungswandel ·
Süßwassernutzung · Aerosolgehalt der Luft · Einführung neuer Substanzen
 Das Holozän wird als ± sicherer Handlungsraum angesehen,
innerhalb dessen sich die menschliche Zivilisation entwickeln konnte,
und der daher nicht verlassen werden sollte.
 Gemäß einem (normativen) Vorsorgeprinzip verweisen die PBs auf
die mit einem Verlassen des Handlungsraums verbundenen Risiken.
Das Vorsorgeprinzip
(precautionary principle)
UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung, Rio 1992:
“Angesichts der Gefahr irreversibler Umweltschäden soll ein Mangel an
vollständiger wissenschaftlicher Gewißheit nicht als Entschuldigung
dafür dienen, Maßnahmen hinauszuzögern…”
 Vorbeugend handeln trotz fehlender Gewissheit
bzgl. Art, Ausmaß und Wahrscheinlichkeit möglicher Schadensfälle,
um diese von vornherein zu vermeiden
 Wesentlicher Bestandteil der aktuellen Umwelt- wie auch
Gesundheitspolitik v.a. in Europa
Vorsorgeprinzip und sicherer Handlungsraum
(safe operating space)
sicherer
Handlungsraum
Sicherheitsabstand wegen:
 Minimierung des Risikos desaströser
Entwicklungen
 Unbekannter Position kritischer
Schwellenwerte
 Möglichkeit positiver Rückkopplungen
 Prozessen mit langer Zeitverzögerung
 Unvorbereiteten Gesellschaften
Die erste und die neuste Fassung des Konzepts
Rockström et al. 2009, Nature
Steffen et al. 2015, Science
Was ist neu?
• Definitionen revidiert und Unischerheiten reduziert auf Basis
neuerer Analysen (>60 Artikel 2009-2014)
• Initiales Downscaling, d.h. räumliche Kartierung einzelner PBs
 regionale Grenzen
• Stärkere Betonung des Risiko-Ansatzes
• Vier (nicht drei) PBs bereits überschritten
Vier PBs bereits überschritten
Überschritten: PB für Klimawandel
Erdsystemprozess
(mit Kontrollvariable)
Klimawandel
(atm. CO2-Konzentration)
PB (±Unsicherheit)
350(-450) ppm
Antwort-Variable globale Mitteltemperatur
Heutiger Status
404 ppm
(in Unsicherheitszone)
Folgen weiterer Überschreitung Bsp. Wasserverknappung
+2°C (Klimaziel)
Risiko höherer Wasserknappheit (19 Klimamodelle)
Gerten et al.,
ERL 2013
Folgen weiterer Überschreitung Bsp. Wasserverknappung
+2°C (Klimaziel)
+3°C (Emissionsreduktionsversprechen)
Risiko höherer Wasserknappheit (19 Klimamodelle)
Gerten et al.,
ERL 2013
Folgen weiterer Überschreitung Bsp. Wasserverknappung
+2°C (Klimaziel)
+3°C
+5°C
(Emissionsreduktionsversprechen)
(business-as-usual-Szenario)
Risiko höherer Wasserknappheit (19 Klimamodelle)
Gerten et al.,
ERL 2013
Überschritten: PB für Landnutzungswandel
Erdsystemprozess
(mit Kontrollvariable)
PB (±Unsicherheit)
Landnutzungswandel
(Anteil ursprünglichen Waldes)
Heutiger Status
62%
(in Unsicherheitszone)
75(-54)%
<50(-30)%
<50(-30)%
>85%
>85%
<60%
<60%
Überschritten: PB für Biosphären-Integrität
Erdsystemprozess
(mit Kontrollvariable)
PB (±Unsicherheit)
Heutiger Status
Biosphären-Integrität
(Extinktionen pro
Mio. Speziesjahre)
<10(-100) E/MSJ
100-1000 E/MSJ
Überschritten: PB für biogeochemische Flüsse
Biogeochemische Flüsse
(P-Eintrag in Ozeane,
industr.+biol. N-Fixierung)
11(-100) Tg P yr-1
62(-82) Tg N yr-1
22 Tg P yr-1
150 Tg N yr-1
Historische Entwicklung der PB-Annäherung
vorindustriell
anthropocene.info
Historische Entwicklung der PB-Annäherung
vorindustriell
1950
anthropocene.info
Historische Entwicklung der PB-Annäherung
vorindustriell
1990
1950
anthropocene.info
Historische Entwicklung der PB-Annäherung
vorindustriell
1990
1950
2015
anthropocene.info
Nicht überschrittene PBs
Erdsystemprozess
(mit Kontrollvariable)
PB (±Unsicherheit)
Heutiger Status
Stratosphärischer Ozonabbau
(strat. Ozonkonzentration)
<5(-10)% Rückgang
über Antarktis im
Frühjahr überschritten
Ozeanversauerung
(mittl. glob. Aragonit-Sättigung
der obersten Meeresschicht)
≥80 [≥80-≥70]% des
vorindustr. Werts
~84%
Süßwassernutzung
(glob: jährl. Wasserverbrauch;
reg.: mtl. Wassernutzung)
Glob. 4000[-6000] km3/a; ~2600 km3/a;
Reg. 25-55[25-85]%
regional überschritten
der max. Entnahme
Atmosphärischer Aerosolgehalt
Indien: anthropogene
(sais. Mittel der aerosol-optischen AOD 0,25[-0,5]
Dichte über einer Region)
? (Südasien: 0.3)
Einführung neuer Substanzen
?
undefiniert
PB-Definition und -Quantifizierung dauert an…
 PB-Positionen und Folgen ihrer Überschreitung
 Räumliches „Upscaling“ und „Downscaling“ der PBs
 Interaktionen von PBs
 Möglichkeiten, innerhalb der PBs zu bleiben
 Operationalisierung der PBs (Politik, Unternehmen)
Verfeinerung der PB für Süßwassernutzung
Wassernutzung noch
im sicheren Bereich?
Die “top-down”-Berechnung der Wasser-PB
Globaler Abfluss = maximal verfügbare Wassermenge:
 Abzgl. unzugänglicher Abfluss (69%):
40,700 km3/a
verbleiben 12,500 km3/a
Rockström et al. 2009
Postel et al. 1996
Die “top-down”-Berechnung der Wasser-PB
Globaler Abfluss = maximal verfügbare Wassermenge:
 Abzgl. unzugänglicher Abfluss (69%):
40,700 km3/a
verbleiben 12,500 km3/a
 Abzgl. Ökosystemwasserbedarf (30%) & weitere 30% zur Vermeidung von Wasserstress:
verbleiben 5,000 km3/a
 Unterer Rand eines Unsicherheitsbereichs
 Planetare Grenze =
(±1,000 km3/a)
4,000 km3/a
Tool: globales Biosphärenmodell LPJmL
60.000 Zellen
0.5 x 0.5°
Management
tägl.
Natürliche
Vegetationstypen
Flüsse
Weiden
(Un)bewässerte
landw. Nutzpflanzentypen
Bioenergie-Pflanzentypen
Phänologie C-Allokation
Dynamiken Feuer Struktur
C–H2O-Austausch
AET
Ci
Sitch et al. 2003; Gerten et al. 2004; Bondeau et al. 2007; Rost et al. 2008, Waha et al. 2012; Jägermeyr et al. 2015
Hin zu einer “Bottom-up”-Berechnung
Simulierter Ökosystemwasserbedarf
(Anteil am Gesamtabfluss, Mittelwert nach 5 Methoden)
Gerten et al.,
COSUST 2013
PB für Wassernutzung niedriger als gedacht?
Ursprünglicher Wert:
Neuer Wert:
Derzeitiger Status:
4.000 km3/a
1.100–4.500 (Ø 2.800) km3/a
1.600–2.600 km3/a
Regionale Grenzen vielfach überschritten
Steffen et al. 2015
PBs als Chance für Transformationen
* „Möglichkeitenraum“:
Handlungsraum
=
Möglichkeitenraum*
 Technologische Innovation
 Effizientere Ressourcennutzung
 Besserer Zugang zu Ressourcen
 Optimalere räumliche Verteilung
 Höhere Gerechtigkeit
…
Sicherer und gerechter Handlungsraum
worldoceanreview.com
n. Oxfam 2012
Status gesellschaftlicher Belastungsgrenzen
Unternährung heute:
850 Mio.
Weltbevölkerung 2050:
+2-3 Mrd.
Oxfam 2012
Große zukünftige Herausforderung:
Welternährung innerhalb planetarer Grenzen





Beschränkte Wassernutzung (regional)!
Vermeidung weiterer Entwaldung!
Stop des Artenverlusts!
Reduzierung des Stickstoff- und Phosphoraustrags (regional)!
Begrenzung der Erderwärmung auf 1.5-2°!
Unsere “Katapult”-Analyse
Hin zu einem Zustand
ohne PB-Überschreitung
(Kaloriengewinn;
nachhaltiges Management)
Zurück in einen Zustand
ohne PB-Überschreitung
(Kalorienverlust;
heutiges Management)
Gerten et al., in prep.
Planetare Chance: besseres Wassermanagement
Szenario für alle Ackerflächen:
• 50% Bodenverdunstung vermeiden
• 50% Abfluss auffangen
• höhere Bewässerungseffizienz
• Ausweitung der Bewässerung
it so gespartem Wasser
 Kein zusätzliches Wasser benötigt
 Verbleib innerhalb der PBs für
Wasser- und Landnutzung
Jägermeyr et al.,
ERL 2016
Globaler Gewinn:
Steigerung der Gesamtproduktion um 41%
Reduktion der Wassernutzung um 18%
Weitere Agenda
 Berücksichtigung auch der PB for Stickstoff/Phosphor
 Quantizierung des Potentials weiterer Maßnahmen:
 Ausdehnung der landw. Fläche (wo noch möglich)
 Veränderte Ernährungszusammensetzung
 Reduktion von Nahrungsmittelverlusten
 Vergleich des Kalorien-Zugewinns mit dem Bedarf
 … für verschiedene Bevölkerungsprojektionen
 Einbezug weiterer gesellschaftlicher Belastungsgrenzen
→ Existiert ein sicherer und gerechter Handlungsraum?
PB-Interaktionen
Bsp. Überschreitung PB für Klimawandel
Risiko höherer Wasserknappheit (19 Klimamodelle)
PB-Forschung: Aktivitäten / Netzwerk
Flaggschiff-Projekt OPEN
(Planetary Opportunities & Planetary Boundaries)
PIK
Planetary Boundaries Research Network
(PB.net)
PIK & SRC & weitere
Projekt „Planetare Grenzen – Anforderungen an die
Wissenschaft, Zivilgesellschaft & Politik “
adelphi, PIK, UBA/BMUB
PIK-Team: Lena Boysen, Sarah Brauns, Justus Eggers, Vera Heck, Jens Heinke, Holger Hoff,
Jonas Jägermeyr, Yvonne Jans, Wolfgang Lucht, Sebastian Ostberg, Sibyll Schaphoff,
Constanze Werner
Schlüsse, Perspektiven
 Vier PBs gelten zurzeit als überschritten.
 Die Definition und Quantifizierung der PBs sowie ihrer Interaktionen
werden kontinuierlich verbessert.
 Szenarien zu zukünftigen Entwicklungschancen innerhalb der PBs
sind in Vorbereitung.
 Eine integrierte Perspektive auf planetare ökologische und
gesellschaftliche Belastungsgrenzen ist notwendig (PBs,
Hungerbekämpfung, Nachhaltige Entwicklungsziele der UN i.w.S.).
 PBs werden zunehmend wahrgenommen als wissenschaftliche Basis
und Kommunikationswerkzeug für sektoren- und skalenübergreifende Ko-Transformationen.
Vielen Dank für Ihre
Aufmerksamkeit!