Philosophie jenseits kultureller Grenzen Interview mit der Philosophin Prof. Dr. Claudia Bickmann Die Frage, wie ein friedliches und gerechtes Zusammenleben zu organisieren ist, wurde lange Zeit von Europ€ern mit anderen Europ€ern diskutiert. In einer globalisierten Welt ist diese Beschr€nkung nicht mehr m•glich. Die verschiedenen Kulturen m‚ssen diese Frage gemeinsam angehen. Das tun Philosophen rund um den Globus, die sich der Interkulturellen Philosophie angenommen haben. Sie trafen sich bei einem Kongress in der K•lner Universit€t zum Thema ƒTradition und Traditionsbruch". Christoph Uhlhaas, Praktikant in der Pressestelle der Universit€t, sprach mit Professor Dr. Claudia Bickmann ‚ber den internationalen Kongress und ‚ber Fragen der Philosophie zu Zeiten der Globalisierung. Uhlhaas: Frau Professor Bickmann, Sie stecken viel Zeit und Energie in das Projekt ƒInterkulturelle Philosophie". Vor kurzem wurden Sie zur Pr€sidentin der Gesellschaft f‚r interkulturelle Philosophie gew€hlt. Jetzt haben Sie einen internationalen Kongress in K•ln organisiert. Warum ist Ihnen interkulturelles Philosophieren so wichtig? Professor Bickmann: Interkulturelles Philosophieren ist, wenn wir es recht bedenken, nicht eine besondere Art des Philosophierens, sondern Ausdruck eines menschlichen Grundbed€rfnisses: nicht allein uns selbst, sondern auch all dasjenige zu verstehen, was uns zun•chst fremd und unvertraut entgegentritt. War es seit der Renaissance die Natur, deren Erkl•rung uns als neue Herausforderung zugewachsen ist, so hat sich die Situation heute gewandelt. Es scheint, als seien wir uns nun selbst - in dieser rasch zusammenwachsenden Welt - das eigentlich Fremde, Unbegreifliche, das es zu entziffern gilt: Naturwissenschaften und Technik haben uns zwar alle Mittel f€r einen grenz€berschreitenden Austausch bereitgestellt, kaum aber sind wir in der Lage, uns angemessen auf die Besonderheiten der je anderen Kulturen zu beziehen. Im Gegenteil: diese neue Lage bringt unsere Unkenntnis auf diesem Gebiete umso deutlicher ans Licht. Hier haben insbesondere die Europ•er gro‚en Nachholbedarf: W•hrend man in den meisten au‚ereurop•ischen Kulturen mit der westlichen Denk- und Geistesgeschichte gut vertraut ist, haben wir - im Bereich der Philosophie - noch wenig Kenntnisse €ber die Tiefenstrukturen etwa des buddhistischen, taoistischen, hinduistischen oder auch islamischen Denkens. Hier werden Hochkulturen - philosophisch - einfach nicht zur Kenntnis genommen oder tauchen in esoterischen Randbereichen au‚er-universitÄrer Suchbewegungen auf. 1 Uhlhaas: Die Welt wird, beschleunigt durch Informationstechnologie und wirtschaftliche Vernetzung, zu einem ƒglobalen Dorf". Kulturen werden zwangsl€ufig miteinander konfrontiert. Was kann eine interkulturelle Philosophie zum Ph€nomen ƒGlobalisierung" sagen? Ein Åberlebensnotwendiges Korrektiv Professor Bickmann: Indem die Philosophie sich zu den jeweiligen kulturellen Ausdrucksformen einer Zeit (den Wissenschaften, der Religion, der Kunst, aber auch den Ph•nomenen der Globalisierung etc.) in ein reflexives Verh•ltnis setzen kann, fragt sie in die Bedingungen dieser kulturellen Pr•gungen hinein: Welches Verst•ndnis von menschlichem Handeln, welches Selbst- und Weltverh•ltnis wird in ihnen offenbar? Welche Funktion kommt den Wissenschaften zu? Sind sie letzte sinnstiftende Horizonte oder m€ssen wir im ƒKonflikt der Kulturen" zunehmend erkennen, dass wir bezogen auf die Erkl•rungskraft der Wissenschaften an unsere Grenzen sto‚en? Jenes faustisch-prometheische Erbe, das uns Europ•er historisch die hohe Kunst der Erkundung lehrte, aber auch zur Ausbeutung der nat€rlichen und menschlichen Ressourcen verleitet hat, wird zumal von solchen Kulturen in Frage gestellt, die nicht auf der Seite der Globalisierungsgewinner stehen. Und hier werden die Konflikte zunehmend - aus entstandenen Ohnmachtslagen heraus - nicht mehr nur mit friedlichen Mitteln ausgetragen. Interkulturelles Philosophieren kann hier - grenz€berschreitend, vermittelnd - zur Entzifferung solcher Spannungslagen beitragen. Im Spiegel der au‚ereurop•ischen Kulturen und Zivilisationen werden wir uns dann zudem der verdr•ngten Potentiale unserer eigenen Traditionen bewusst. So ist etwa in der Antike noch leitende Frage nach der Lebensbedeutsamkeit des Philosophierens - die Suche nach einem sinnerf€llten Leben neuzeitlich weitgehend aus dem Blick geraten. In einer Vielzahl au‚ereurop•ischer Kulturen jedoch blieb sie leitend. Eine R€ckbesinnung auf jenes ƒhumane Minimum" w•re angesichts des heutzutage ungebremsten Expansiondrangs von Wirtschaft und Technik ein €berlebensnotwendiges Korrektiv. Uhlhaas: Samuel Huntington sagt den Kampf der Kulturen voraus, einen immer gr•„eren Konflikt zwischen den Kulturr€umen. Auf dem Kongress diskutierten Philosophen aus verschiedensten Kulturen. Gibt es unter den Philosophen etwas Gemeinsames, eine Grundlage, die das gegenseitige Verst€ndnis erm•glicht - oder zeigen sich auf einem solchen Kongress un‚berbr‚ckbare Unterschiede? Welche Gemeinsamkeiten gab es zwischen asiatischen, afrikanischen und europ€ischen Philosophen? Die Idee des Guten Professor Bickmann: Dies ist eine sehr grundlegende Frage, die hier kaum hinreichend zu beantworten ist. Doch vielleicht k„nnen wir folgende Ber€hrungspunkte nennen: Gemeinsam in diesem Weltgespr•ch der Philosophen sind wohl eher die Fragen und Probleme als die gew•hlten Antworten. So sind etwa verbindend Fragen der Art: Wie denn ein friedliches, gerechtes Zusammenleben auf diesem Planeten zu organisieren sei? Da sich die Ausgangslagen der Beantwortung 2 in allen Weltkulturen aber unterscheiden, bedarf es der Pr•missentransparenz, um strukturelle Mi‚verst•ndnisse zu vermeiden. Vor allem in den afrikanischen Kulturen, aber auch in den asiatischen Traditionen hat sich die gedankliche Welt niemals so weit von den Lebensbedingungen der Menschen entfernt. Das je verbindlich ƒAllgemeine" sollte eher in einem R•tsel, einem Bild oder in sentenzhafter Rede zu ƒzeigen", denn argumentativ auszuweisen sein. Doch auch Platon spricht vielfach dort im Bilde, wo sich etwa die Ideen des Gerechten und Guten, weniger allein begrifflich differenzieren, als vielmehr nur in unserem gelebten Leben realisieren lassen. Oftmals haben wir innerhalb der okzidentalen Philosophie die Lebensbedeutsamkeit unseres gedanklichen Tuns als Ma‚ unseres Denkens verloren; die Fragen des M„glichen und Machbaren haben wir von den Fragen der Lebbarkeit in einer friedlichen Welt zunehmend entkoppelt. In der Antike - doch selbst noch im Sinne Kants - sollte gelten, dass die Frage nach der Gerechtigkeit ein Ma‚ voraussetzt, das nicht selbst wiederum blo‚ relativ zu unseren Zwecken und Interessen sein kann. Und so hielt Kant ein friedliches Zusammenleben aller in einer gerechten Welt nur f€r m„glich, wenn gilt, dass wir nie einander nur als Mittel, sondern stets nur als Zwecke in sich selbst begreifen d€rfen. Uhlhaas: Im Vergleich zu einem gew•hnlichen Kongress, sagen wir ‚ber einen europ€ischen Philosophen: Bekommen die Diskussionen eine andere Atmosph€re, wenn ‚ber kulturelle Grenzen hinweg philosophiert wird? Professor Bickmann: Gewiss, in einer solchen Ausweitung des Blicks werden Allianzen Gemeinsamkeiten und Unterschiede -quer durch alle philosophischen Traditionen hindurch sichtbar. Diese m€ssen wir darum nicht in gegeneinander hermetischen Kulturen suchen. Wenn uns dies bewu‚t geworden ist, werden wir noch grundlegenderer Gemeinsamkeiten gewahr: als leidende und liebende Wesen sind wir - in die Grenzen unserer Endlichkeit eingespannt - stets nur auf dem Wege. Grundlegende Irrt€mer s•umen darum ebenso unsere Wege, wie die gro‚artigen Einsichten in die Gr€nde ihrer M„glichkeiten. Uhlhaas: Gab es auf dem Kongress Teilnehmer, die offensiv au„ereurop€ische Perspektiven vertraten? UnausgeschÇpfte Potentiale Professor Bickmann: Diese Ph•nomen war sicher eines der herausragenden - wenn auch nicht unerwarteten - Merkmale des Kongresses. Zunehmend erleben wir, dass sich die verschiedenen Vertreter nichteurop•ischer Philosophien auf die noch unausgesch„pften Potentiale ihrer eigenen Herkunftswelten besinnen und diese neu auszulegen suchen. Nach wie vor bleiben vielf•ltige westliche Traditionen zwar als Referenzrahmen erhalten; doch vermehrt werden sie dazu benutzt, mittels der unausgeloteten Potentiale ihrer eigenen Traditionen den vielf•ltigen Vereinseitigungen okzidentaler Positionen Abhilfe zu verschaffen. So suchen sie etwa zu zeigen, dass die europ•ische Frage nach dem ƒSein" noch einer tieferen Einbettung durch den buddhistischen Gedanken ƒder Leere", der Ortlosigkeit, bedarf; oder dass Roussau und Kant ihren Freiheitsgedanken noch nicht radikal genug entfaltet h•tten: Islamische Quellen seien demgegen€ber in der Lage, den Freiheitsgedanken in noch umf•nglicherer Weise in einem kommunitaristischen Ethos zu 3 verankern. Die Beispiele zeigen jedoch, wie sehr wir nicht nur durch die au‚ereurop•ischen Traditionen herausgefordert sind, sondern wie dringlich es zudem ist, unsere eigenen Traditionen pr•sent zu halten. Denn was wir zur Zeit an unseren Hochschulen in der Philosophie gro‚z€gig entsorgen, steht sowohl bei unseren europ•ischen Nachbarn, in den USA, aber vor allem auch in den au‚ereurop•ischen L•ndern in neuer Bl€te. Dies ist es, was die interkulturelle Perspektive so dringlich macht: sie stellt uns erneut vor die Herausforderung, in die Tiefenstrukturen der Kulturen hineinzufragen. Verstehen wir doch uns selbst nur, wenn wir uns im Lichte der Anderen in eine kritische Distanz zu uns selbst bringen. 4
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