3leue«3ilt^cr3eitttng Dienstag, 31. August 1965 Mittagausgabe Blatt 2 Der Gletscherabbruch über der Großbaustelle Mattmark Geringe Hoffnung auf Rettung der 90 Verschütteten Die Lage in den frühen Morgenstunden des Dienstags Soweit dies im Augenblick festgestellt werden kann, stellt d:;s Unglück ein Novum in der Katastrophengeschichte dar: Noch nie hat ein Gletscherwie er zuweilen vorkommt, wenn auch abbruch eine größere Annur selten in diesem Ausmaße zahl von Opfern gefordert. Der Grund ist, daß Hochgebirge solche Abbruche im oder in Hochtälern niedergehen, wo sie kaum Menschen gefährden können. Der Abbruch des zwischen dem Strahlhom (4193 Meter) und dem AUalinhorn (4030 Meter) ins Saaser Tn! herabhängenden Gletschers erfolgte 600 Meter über der Baustelle und auf einer Breite von 500 Metern, nachdem zwei Tage lang warmes Wetter geherrscht hatte. Unter den ersten Helfern, die am Katastrophenort eintrafen, befanden sich die Gletscherpiloten Hermann Geiger, Bruno Bagnoud und Rene Turco, e d i von Sitten aus mit zwei Helikoptern und einem Fb'iehenflugzeug Rettungsmaterial heranschafften. E i Spezialist der ETII für (Sietscherforschung n einerseits für befindet sich an Ort und Stelle eine erste Vorabklärung der Ursachen des Abbruches, anderseits, um den Gletscher hinsichtlich der befürchteten Möglichkeit weiterer Abbruche zu beobachten. Wie von Seiten der Bauleitung erklärt wurde, fanden in letzter Zeit nur kleinere Oberflüehensprengungen statt; die notwendigen Großspengungen waren in den früheren Phasen des Baues vorgenommen worden. Deshalb ist vorerst wenig wahrscheinlich, daß die Katastrophe durch die Sprengungen ausgelöst worden ist ; wahrscheinlicher sind Klima- oder Wetterursachen. Saas Grund, 31. Aug. up Beim Abbruch von Eis und Moränenschutt am Allalinglctschcr wurden Dutzende von Arbeitern, fast alles Italiener, von bis zu 30 Meter hohen Eis- und Gcröllmasscn ver- Augenzeugenl>;erichte über den Hergang der Katastrophe Saas Fee, 31. Aug. np Ein BuIIdozcrf ührer l>;crk;htet, die Eismassen hätten sich erst gegen e d i Nordmoräne des Gletschers ergossen, seien dann Der Pfeil auf dem Kartenausschnitt bezeichnet, die Baustelle des Kraftwerkes Mattmark, wo sich die Katastrophe ereignet hat. Westlich davon das AUalinhorn mit dem Allulinglctscher, der einen großen Teil des Abhangs gegen das Saascrtal hin- in der Sturzrichtung nach links abgeschwenkt und Richtung Südmoräne gestürzt. Eine Anzahl Arbeiter, welche die Katastrophe kommen sahen, flohen Richtung Südmoräne, als die Eismassen gegen die Nordinoräne zndonnerten, und wurden dann vom Eis erfaßt, weil sie in die falsche Richtung gerannt waren. Von allen Arbeitern im Bereiche der Eislawine konnten sieh nae'h Ansieht dos Bulldozerführers höchstens zwei bis drei durch die Flucht unter bedeckt. schüttet, größtenteils in ihren Baracken. Trotz einer sofort eingeleiteten, umfangreichen Hilfsaktion besteht wenig Hoffnung auf Rettung von Ueberlebenden. retten. E i Traxführer, der auf der Nordmoräne des n Gletschers gearbeitet hatte, hatte von der Katastrophe zunächst wegen des Lärms seiner Maschine nichts liemerkt. Dann sah er jedoch, wie im Barakkendorf Bretter herumwirbelten, und bemerkte zu seinem Schrecken, wie infolge des Luftdrucks die Schmierhalle buchstäblich wegflog. Tu seiner Nähe hatte ein weiterer Bulldozerführer die Katastrophe kommen sollen. Er stürzte sich von seiner Maschine und suchte Schutz hinter der großen Ladesc'haufel. Diese bremste dann den ersten Stoß der Eismassen ab. Der ßulldozcrf iüirnr Die während der Nacht angegebenen inoffiziellen Zahlen lauteten auf 50 bis 100 Verschüttete. Präzise Angaben waren aber nicht erhältlich, da zunüi'list ein Duplikat der gleichfalls verschütteten Belegschaftslist« besorgt werden mußte. Insgesamt waren an der Baustelle für den in fünfjähriger Arbeit fast fertiggestellten Damm gegen 1000 Arbeiter beschäftigt. Bis in den frühen Morgenstunden des Dienstags konnten 5 Leichen geborgen werden, während 18 Mann, die sich durch Weglaufen retteten oder nur in den Hund des Rutsches gerieten, verletzt wurden. 2Tt.3553 gelände, auf dem die Suchmannschaften unaufhörlich arbeiten. Angaben über den Allalingletscher Bern, 30. Aug. ag Der Allalingletscher ist einer der zehn Gletscher, die 19(52/63 in Ausdehgeriet bis in Brusthohe in den Eisstrom, konnte nung begriffen waren. Sein Vorstoß betrug sich dann aber aus eigener Kraft befreien, da er 7,3 Meter, nachdem er 19C1/G2 10,5 Meter zurückgegangen war. Der gesamte Vorstoß vom Herbst unverletzt blieb. 19C0 bis zum Herbst 1903 belief sich aber auf fast Die Rettungsarbeiten 38 Meter. Der Grund des Gletschers befand sich ging Rettungsaktion damals auf 2328 Metern Höhe auf einem ziemlich Aug. up Die Saas Fee, 31. glatten, felsigen Abhang, der das Tal beherrscht. die ganze Nacht hindurch weiter. Mit Löffelbaggern Vor e t w a mehr als vierzig Jahren ereignete sich s und Bulldozern wurde das Eis und der Schutt auf große Transporter geladen, die es die Schutthalden am Allalingletschor ein wahrhaft spektakulärer hinunterkippten. Der ganze Arbeitsplatz war mit Vorstoß; das äußerste Ende überquerte das Tal Visp unterhalb von Mattmark gegen 221 0 Meter Dutzenden von Scheinwerfern, vor allem aus luf- der tiger Höhe von der Krone des Dammes aus, tag- Höhe und bedeckte auf dem rechten Ufer den Süumerweg nach dem Monte Moro, der infolgehell beleuchtet. dessen ein- oder zweimal verlegt werden mußte Die Masse ist meistens hart, stollenweise aber Der Allalingletschor beginnt am Fuße der wieder locker. Eisblöcke von drei Metern Höhe Nordostwand des Rimpfischhorncs und an den stecken in Eisabrieb und schnecälinlichem Material. Nordhängen des Strahl hornes und des FluchtEs ist aber kaum wahrscheinlich, daß Ueberlebende durelischnittlich unter dem Eis noch atmen können. Auf jeden Fall hornes auf einer Höhe von 3400 Metern. Er zieht sich sodann zwischen der werden die Bergungsarbeiten mit den schweren und des Allalindes Fluchthornes Nordflanke Baumaschinen an den 200 000 Kubikmetern Rutsehgegen das Saastal hin, wo die Gletschermatcrial auch ib e Tag- und Nachteinsatz mehrere hornes zunge beim Mattmarksee, auf 2100 Meter Höhe, Tage in Anspruch nehmen. ausläuft. Zur Hilfeleistung wurden folgende Einheiten Am Allalingletschor entspringt die Saaser der Armee eingesetzt: das Sanitätsdetachement 117, Visp, die früher für die Bewohner von Visp eine 30 Mann aus einem WK; ein Detachement von unablässigo Gefahr darstellte. Der Fluß wurde im Offizieren und Unteroffizieren der Artilleric-RS 227 durch den Berg eingedämmt, bahnte sich Oberlauf Später Sitten; acht Ambulanzen der RS Sitten. eraber talabwärts seinen eigenen Weg, was zeitweise klärte ein Batterickonunandant der Artilleric- zu schweren Ueberschwemmungen führte. Die letzRekrutenschule Sitten, daß alle Truppen bis auf ten Katastrophen, gehen auf die Jahre 1860 und zwei Ambulanzwagen und einen Arzt zurückgezogen 1868 zurück; in Visp haben sie bis in die heutige worden seien, da ihre Hilfe im Augenblick nicht Zeit ihre Spuren hinterlassen. Obschon der Allalinbenötigt werde. gletscher diese beiden Ueberschwemmungen nicht Zahlreiche italienische Arbeiter verfolgen am verursachte, war er doch einst für die größten Katastrophenort die Bergung. Sie haben Woll- Katastrophen verantwortlich, indem er den nordecken umgeworfen, um sich gegen die Kälte zu malen Abfluß des Mattmarksees blockierte. Sobald .schützen. Viele von ihnen haben Brüder, Väter oder das Eis zu zersplittern begann, stürzten die Wasser Söhne unter den Vermißten. Mio harren aus, in der mit Macht zu Tal und traten über die steilen Hoffnung, daß doch noch einer der Ihren lebend Böschungen. aus dem Eis geborgen werde. In den Chroniken ist erstmals eine UeberFolgende Bauunternchmcn sind an der Arbeits- sehwemmungskatastrophe am 4. August 1633 vergemeinschaft Mattmnrk beteiligt: Schafir & Mugglin, merkt, eine weitere im Jahre 1080. Die Einwohner Locher & Co., Lasinger, Zsehokke, Hatt-Haller, des Saastales machten sich nach diesen Verheerungen mit doppeltem Eifer an die Arbeit und sparBless. ten unermüdlich; für mehrere Jahre wurden sogar öffentlich sämtliche Eheschließungen untersagt. Gefahr für die Rettungsmannschaften Saas Fee, 31. Aug. ag Den rund 1000 an der Rettungs- und Suchaktion beteiligten Polizisten, Freiwilligen, Rekruten und Lawinenspezialisten droht unmittelbare Gefahr: eine dreimal größere Eismasse als beim ersten Gletschersturz könnte siclh loslösen und zu Tal gehen. Eine Weisung des italienischen Außenministers Rom, 30. Aug. ag (Reuter) Der italienische Außenminister Fanfani erteilte am Montag abend der italienischen Botschaft in der Schweiz, dem Konsul in Lausanne und dem Vizokonsul in Brig Der Wächter der otorhalb Saas Fee gelegenen die Weisung, an die Katastrophenstelle Vertreter «Britannia»-IIütte meldete um 22 Ulir 45, daß sieh zu entsenden, damit sie die Lage persönlich beder Allalingletscher immer noch talwärts bewege urteilen und den italienischen Opfern des Gletund die Gefahr eines neuen, weit größeren Eis- schersturzes Hilfe leisten können. Ministerpräsisturzes bestehe. dent Moro wird über die Lage laufend unterDie niedergegangenen Eis-, Erd- und Geröll- richtet. massen sollen den Bauplatz teilweise bis zu einer Höhe von 30 Metern bedecken. Starke ScheinwerArbeitskreis fer beleuchteten iu der Nacht das Katastrophen- für evangelische Information epd. Der Arbeitskreis für evangelische Information in Europa, der seit seiner im Jahre 1954 in Paris erfolgten Gründung seine über alle europäischen Länder zerstreuten Mitglieder alljährlich zu einer Arbeitstagung einladet, führte seine dies- - jährige Jahresversammlung in Deutschland, des Arbeitsin München durch. Der Vorsitzende kreises, Pfr. Dr. Paul Wiescr (Zürich) konnte neben zahlreichen Vertretern Westeuropas auch einige Presseleute aus der DDR, der Tschechoslowakei und Ungarn begrüßen, durch deren Anwesenheit eine Ausweitung der Sieht geboten war. Der erste Arbeitstag diente der Besinnung auf die Bildungsaufgaben des Fernsehens und auf die Beziehungen zwischen Kirche, Presse und Fernsehen. Dr. R. Dill von der Abteilung Fernsehen des Bayrischen Rundfunks referierte über das Bil- ' ;i'(^^SÄri^ ij. tu Allalingletscher (vorgelagert die felsige BückDer Installationsplatz des Baues Staudamm Mattmark vor der Katastrophe? In der oberen Büdmitte der sugssone), dessen Abbruch auf die darunter liegenden Baubaracken niederstürzte. In der linken Hälfte des Barackendorfes Ingen die Kantine und die Swissboring, Kantinen, Bureaus und Werkstatt der ArbeitsSchmalz und Fux. Rechts der Werkstraße die Baracken mit Schlafhäuser der Firmen gemeinschaft Mattmark. Neue Zürcher Zeitung vom 31.08.1965 dungsprogramm des Bayrischen Fernsehens, indem von den anderer die Funktion des Fernsehens weitigen Bemühungen um Erwaclisenenbildung abgrenzte. «Das Bildungsprogramm des Fernsehens verbangt vom Zuschauer eine persönliche Willensentscheidung und verschweigt nicht, daß Bildung Arbeit bedeutet.» Es wendet sich an klar definierte Zuschanergruppen und ist sich bewußt, daß es sich dabei unter Umständen auch um Zuschauerminderheiten handeln kann. Es muß daher Rücksicht nehmen auf Standort, Vermögen und Unvermögen des angesprochenen Zuschauers. Anhand von «ahlreichen Beispielen wurden die Ausführungen von Dr. Dill beleuchtet, so daß das anschließende Podiumgespräch, an dem sich Fernsehbeauftragte, Radiomitarbeiter und Journalisten aus verscliiedenen Ländern beteiligten, äußerst fruchtbar wurde. Der zweite Arbeitstag brachte Informationsgespräche mit dem Ratsvorsitzenden der EKD, Präses Dr. Scharf, dem Generalsekretär des Deutschen Evangelischen Kirchentages, Dr. H. H. Walz, und Oberkirchenrat Wilkens. Solche Begegnungen ermöglichen es den Teilnehmern, näher mit den Gegenwartsproblemen des Gastlandes vertraut zu werden. Die Mitgliederversammlung nahm den Jahresbericht des Vorsitzenden entgegen und beriet über die Zukunftsaufgaben des Arbeitskreises. Dabei wurde auch das Problem erörtert, in welcher Weise der Kreis noch ausgeweitet werden könnte Die ausländischen Gäste waren beglückt vom freundlichen Empfang in München durch die Staatsregierung und die Stadt München, für die gute Tagungsvorbereitung und die Möglichkeit, die bayrische Hauptstadt näher kennenzulernen. Den Abschluß der Tagung bildete a m Sonntag eine Fahrt zum Chiemsee, womit ein Gottesdienstbesuch in der kleinen Diasporagemeinde Breitbrunn verbunden war, in dem Pfr. Wieser die Predigt hielt und Kirchenrat Geisendörfer, München, und Prof. Ottlik, Budapest, als Liturgen amteten.
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