Geschichte_Engel ohne Flügel

„Engel ohne Flügel“
Gespräch zwischen Michelangelo und seinem
Lehrling Maurizio über die Kunst des Engel-Malens in
der Sixtinischen Kapelle
… „Ja, die Engel – das sind ja gar keine
Engel!“ „Und wieso sind das keine Engel?“ „Ja, ich
weiß nicht, Meister, deine Engel, die haben ja
überhaupt keine Flügel!“ „Ja und? Was ist so
Besonderes daran?“ „ich meine: Engel ohne Flügel,
die gibt es doch gar nicht!“ „Du siehst doch, dass es
sie gibt!“ „Ja, aber in der Heiligen Schrift! Da steht
doch, dass die Engel Flügel haben!“
„Aber es steht dort nicht, wie solche Flügel
aussehen, aus was sie beschaffen sind. Ich versuche,
die Engel ganz einfach so zu malen, dass man es
ihnen ansieht.“ „Was ansieht?“ „Man muss den
Engel auch ohne Flügel ansehen, dass sie Boten
Gottes sind!“ Wieder stand ich lange stumm vor
dem Bild.
Dann nickte ich zustimmend: „Ja, Meister, du hast
recht. Deinen Engeln kann man auch ohne Flügel
ansehen, dass sie Boten Gottes sind! Ich weiß zwar
nicht wieso, aber es ist so. Meister?“, frage ich leise,
so als wenn ich mich eigentlich gar nicht traute zu
fragen. „Meister, ich habe da noch eine Frage: Deine
Engel, die Engel ohne Flügel, die sehen ja zumindest
auf den ersten Blick aus wie Menschen!“ „Und was
willst du fragen?“ „Ja, ich denke mir, wenn man
doch Engeln auch ohne Flügel ansehen kann, dass
sie Boten Gottes sind, könnte es dann nicht auch
bei uns so sein?“ „Wie meinst du das: bei
uns?“ „Ich meine: Könnten dann nicht auch
Menschen eine Botschaft von Gott bringen? Könnte
nicht auch wir…?“