Trendbarometer Industrie 4.0 – Trend oder Hype? Gallup hat im Auftrag von Festo wieder Österreichs Industrieunternehmen aus den verschiedensten Bereichen befragt. Die Industrievertreter gewährten interessante Einblicke, die das Trendbarometer Industriebetriebe 2015 abbildet. Einer der Schwerpunkte diesmal: das Zukunftsthema Industrie 4.0 – mit einem überraschenden Ergebnis! B ereits zum fünften Mal hat Festo heuer das Trendbarometer Industriebetriebe präsentiert. Nach 2006 und 2008, die sich dem Schwerpunkt „Einsparpotenziale in der Industrie“ widmeten, 2011 mit dem Fokus „Mitarbeiter – Aus- und Weiterbildung in der Industrie“, und „Wachstum – aber wie?“ im Jahr 2013, heißt eines der Hauptthemen heuer „Industrie 4.0 – Trend oder Hype?“. Das Institut Gallup hat für die Befragung zu Beginn dieses Jahres über 200 Interviews mit Vertretern aus verschiedensten Industriebereichen geführt. Inhalte waren dabei unter anderem die aktuelle Auftragslage, die erwartete Entwicklung der nächsten Zeit, Einsparpotenziale, Österreich als Wirtschaftsstandort, die Einschätzung von Industrie 4.0 und das wichtige Thema Aus- und Weiterbildung von Mitarbeitern. Ansprechpartner der Befragung waren Inhaber und Geschäftsführer sowie Produktions- und Betriebsleiter. Dieses Studienbuch ist eine Zusammenfassung ausgesuchter Ergebnisse der Umfrage. (Rundungsfehler: 99 / 101 % = 100 Prozent; teilweise waren Mehrfachantworten möglich) Ein Blick in die Auftragsbücher Wie beurteilen Österreichs Industrievertreter den Status quo? Was sagen ihre Auftragsbücher? Gefragt nach der aktuellen Auftragslage des Unternehmens im Vergleich zum Vorjahr, zeigt sich ein tendenziell ausgewogenes Bild. Immerhin 25 Prozent der Befragten beurteilen diese mit „besser als im Vorjahr“, 17 Prozent mit „schlechter als im Vorjahr“ und 58 Prozent sehen diese in etwa identisch zum Vorjahr. Der Unterschied zum Trendbarometer 2013 (siehe Grafik) scheint auf den ersten Blick nicht allzu ausgeprägt – 23 Prozent „besser“, 55 Prozent „ident“ und 22 Prozent „schlechter“ als im Vorjahr. Genauer betrachtet ist das jedoch eine leichte Verschiebung in allen Bereichen – und zwar ins Positive! Wachstum geplant Das spiegelt sich auch in den Planungen der Industrieunternehmen wider. Immerhin gaben knapp drei Viertel der Befragten an, ein zukünftiges Wachstum im Unternehmen zu planen. Eine zentrale Frage ist: „Wie wollen die Unternehmen wachsen, durch welche Maßnahmen?“. Für den Trendbarometer wurden jene Unternehmen, die ein Wachstum geplant haben, gefragt, welche Weichen sie für ihr Wachstum in 2014 gestellt haben (Mehrfachnennungen möglich – Grafik auf der nächsten Seite). An erster Stelle standen heuer neue Produkte (60 Prozent), dicht gefolgt von neuen Märkten (58 Prozent), die im Rahmen der Befragung des Jahres 2013 noch an erster Stelle rangierten (65 Prozent). Innovationen stehen also besonders hoch im Kurs. Überproportional zugelegt hat jedoch die Wertigkeit der Qualifikation von Mitarbeitern. Nannten sie 2013 nur 38 Prozent der Befragten als Maßnahme für ein geplantes Wachstum, so ist sie 2015 mit 55 Prozent ganz vorne mit dabei. Im Gegensatz zu „neuen Produkten“ und „neuen Märkten“, die im Vergleich zu 2013 etwas abgebaut haben, konnten auch die „Veränderungen in der Produktion“, um vier Prozentpunkte gegenüber 2013 zulegen (nunmehr 36 Prozent). Gibt es da einen Zusammenhang? Überlegungen, die sich im Zusammenhang mit Industrie 4.0 in diesem Trendbarometer in weiterer Folge konkretisiert haben. 2.2015 trends in automation Inspiration 8 9 Bild: Martina Draper – Dipl.-Ing. Rainer Ostermann, Country Manager von Festo Österreich: „... China und die USA sind bereits auf der Industrie 4.0-Überholspur.“ Produktion: Mehr für weniger Effizienz rauf, Kosten runter – das ist in der Industrie ein klarer Auftrag. Deshalb nehmen viele fertigende Unternehmen ihre Produktion ganz genau unter die Lupe – und erzielen damit auch messbare Erfolge. Die Industriebetriebe wurden für die Trendbarometer-Umfrage gefragt, ob sie in den letzten fünf Jahren ihre Produktionskosten verringern konnten. Immerhin 57 % der Befragten gaben hier „Ja“ als Antwort an. Spannend ist natürlich die Frage, wodurch diese Einsparungen erreicht wurden? Hier waren Mehrfachnennungen möglich. Die hohe Zustimmung in verschiedenen Bereichen zeigt, dass hier häufig an mehreren, verschiedenen „Schräubchen“ gedreht wurde, also oft ein Maßnahmen-Mix zum Einsatz kommt. Das Feld ist an der Spitze dicht gedrängt. Fast die Hälfte der Befragten gibt an, auf den „Einsatz neuer Technologien“ zu setzen (49 Prozent) – dicht gefolgt von der „Umgestaltung der gesamten Produktion nach neuem Prozess“ (48 Prozent) und der „Qualifizierung von Mitarbeitern“ (44 Prozent). Vision von der 4. Industriellen Revolution Industrie 4.0 liegt in der Luft. Jedoch auch wenn bereits Teillösungen angeboten werden: Das große Ganze – die umfassend vernetzte, hoch flexible, sich selbst adaptierende Produktion – ist vorläufig noch eine Vision, ein Ziel, auf das wir zusteuern und das eigentlich schon sehr lange. Die Entwicklung gleicht daher eher einer Evolution, denn ihre Wurzeln hat die 4. Industrielle Revolution im Grunde schon in der 1. Industriellen Revolution gegen Ende des 18. Jahrhunderts: in der Einführung von mechanischen Produktionsanlagen, die von Wasser- und Dampfkraft angetrieben wurden. Jede Entwicklung war der Grundstock für die nächste, denn wir streben so lange wir denken können nach dem Besseren, dem Schnelleren, dem noch Effizienteren – wir streben nach der Produktion der Zukunft. Durchstarten und los? Der Blick nach vorne lässt viel erwarten, denn das „Internet der Dinge“ hält Einzug in der Produktion und wird künftig mit hochkommunikativen Komponenten – angesprochen vom Werkstück selbst – eine sich selbst ständig anpassende, adaptive Maschine formen. Die Medien berichten bereits vielfach über diesen Trend, Round-Tables und Veranstaltungen werden abgehalten, Forschung und Entwicklung laufen auf Hochtouren. Jeder will dabei sein, wenn die Industrie in die Zukunft durchstartet – oder? Für das Trendbarometer Industriebetriebe Österreich 2015 wurde nachgefragt. Das Ergebnis erstaunt. Nicht einmal die Hälfte (47 Prozent) der Befragten gaben an, dass ihnen der Begriff „Industrie 4.0“ etwas sagt. 53 Prozent konnten hingegen mit dem Begriff nichts anfangen. Wird das Thema überbewertet? Was denken jene Industrievertreter, die Industrie 4.0 kennen (Mehrfachnennungen möglich), was verbinden sie mit dem Begriff? Die Antwort fällt hier klar aus. An erster Stelle steht, dass Industrie 4.0 ein Trend ist, dem man Rechnung tragen muss (38 Prozent). 27 Prozent erwarten sich, dass In- 2.2015 trends in automation Inspiration 10 11 – Industrie 4.0 dustrie 4.0 eine Flexibilisierung für die Produktion bringt, und ein Viertel jener Befragten, die den Begriff kennen, gibt an, mehr Informationen über diese Entwicklung zu benötigen. Zählt man dieses Viertel zu jenen 53 Prozent, die mit dem Begriff noch nichts anfangen können, kommt man auf rund zwei Drittel aller Befragten, bei denen ein Informationsbedarf in puncto Industrie 4.0 besteht. Das Ziel von Industrie 4.0 ist die intelligente Fabrik (Smart Factory), die sich durch Wandlungsfähigkeit, Ressourceneffizienz und Ergonomie sowie die Integration von Kunden in Geschäfts- und Wertschöpfungsprozesse auszeichnet. Neben der Massenproduktion, die nach wie vor sehr wichtig sein wird, gibt es in der Industrieproduktion einen deutlichen Trend zur Individualisierung der Produkte bis hin zur Losgröße 1. Deshalb werden immer flexiblere Produktionsanlagen nachgefragt. Moderne Informations- und Kommunikationstechnologien verschmelzen mit klassischen industriellen Prozessen zu sogenannten cyber-physischen Systemen. Reale und virtuelle Welt wachsen immer weiter zusammen (Internet der Dinge). Durch Komponenten, die sich auf intelligente Art und Weise selbstständig vernetzen, selbst konfigurieren und somit Plug & Produce fähig sind, sollen die Anlagen der Industrie 4.0 künftig den ständig wechselnden Anforderungen deutlich schneller gerecht werden. Nur rund ein Fünftel (21 Prozent) der Industrievertreter, die Industrie 4.0 kennen, glaubt, dass Industrie 4.0 ein Hype ist, der wieder vorbeigehen wird und acht Prozent denken, dass das weniger Europa betrifft, sondern vor allem Asien und Amerika. Was jedenfalls ein Problem bedeuten würde, denn als traditionellerweise hochtechnisierter Produktionsstandort, würde Europa seine Stellung verlieren und von anderen Regionen der Welt überholt werden. Befürchtungen, die bereits seitens einiger Kenner der Materie laut wurden. Ex aequo, also mit 53 Prozent ebenfalls am dritten Platz, wird Industrie 4.0 auch als Herausforderung für die Logistik gesehen. Verständlich, denn die flexiblen Prozesse werden hier zu neuen Aufgabenstellungen führen. Immerhin die Hälfte gibt an, sich von Industrie 4.0 einen großen Investitionsbedarf zu erwarten. 39 Prozent verbinden sie mit sich selbst steuernden Maschinen und 36 Prozent mit neuen Geschäftsmodellen. 31 Prozent denken, dass Industrie 4.0 Arbeitsplatzverluste bringen wird. Und wie steht es um die Erwartungen an Industrie 4.0 (Mehrfachnennungen möglich)? Jene Industrievertreter, die einen Trend sehen, stellen klar IT und die zunehmende Vernetzung (69 Prozent) bzw. die leichtere Auswertbarkeit individueller Daten (Big Data) in den Vordergrund (56 Prozent). Bereits an dritter Stelle (53 Prozent) wird die Erwartung eines steigenden Ausund Weiterbildungsbedarfs genannt. Dies erscheint durchaus logisch, denn die neuen Technologien und Prozesse in der Produktion der Industrie 4.0 werden auch für die Mitarbeiter neue Anforderungen mit sich bringen. Gemeinschaftsprojekt Industrie 4.0 Damit Industrie 4.0 in der Produktion Einzug halten kann, ist Zusammenarbeit ein maßgeblicher Erfolgsfaktor. Denn Industrie 4.0 wird nicht die Lösung eines einzelnen Unternehmens sein – Schnittstellen sind daher ein dringlich anstehendes Thema. Damit intelligente Komponenten weitgehend selbstständig funktionierende Systeme bilden, die dann hochflexible, produzierende Maschinen formen, bedarf es eines neuen kommunikativen Miteinanders, also offener Systeme oder zumindest entsprechender standardisierter Schnittstellen. Rainer Ostermann: „Um echte Datendurchgängigkeit und volle Flexibilität zu erreichen, muss zuerst eine einheitliche Kommunikation geschaffen werden, die wirklich alle Komponenten und Systeme erfasst. Wesentlich für das Zusammenspiel innerhalb der Produktionsanlagen, aber auch zwischen Mensch und Maschine, wird die Schaffung von Standards für die Kommunikation von Automatisierungssystemen untereinander und mit der Cloud sein“, so der Country Manager von Festo Österreich. Europa muss rasch handeln Das ist eine Aufgabe für die Industrie, aber auch für die Politik, die aufgerufen ist, Industrie 4.0 als wichtiges Zukunftsthema zu forcieren, will man die Stellung Zentraleuropas als technisch hoch entwickelten Produktionsstandort auch weiterhin beibehalten. In Deutschland hat man die Tragweite von Industrie 4.0 bereits erkannt und das Thema daher zur „Kanzlersache“ erklärt. So gestärkt, wird nicht nur in Forschung und Entwicklung investiert, es werden auch neue Plattformen für die Zusammenarbeit der Industrie geschaffen und es wird an den rechtlichen Rahmenbedingungen gefeilt, denn die Produktion der Zukunft wird neue Geschäftsmodelle, neue Aufgaben und ein neues, sich ständig wandelndes Arbeitsumfeld für die Mitarbeiter bringen. Rainer Ostermann: „Europa muss rasch handeln – China und die USA sind bereits auf der Industrie 4.0-Überholspur.“ Industrie 4.0 – Trend oder Hype? Bei genauerer Betrachtung stimmt beides! Ja – Industrie 4.0 ist ein Trend. Unabhängig von der Begrifflichkeit der „Industrie 4.0“ wird sich die Fertigung weiterentwickeln, sie wird schneller, effizienter und flexibler werden. Das Internet der Dinge, neue Technologien und Prozesse werden ihren Beitrag dazu leisten, und sie werden zu weiteren, bisher vielleicht ungeahnten Effizienzsteigerungen in der fertigenden Industrie führen. Tatsache ist jedoch auch, dass eines der zentralen Ziele von Industrie 4.0 – wirtschaftlich sinnvoll Losgröße 1 produzieren zu können – in der Praxis sehr wichtig aber nicht allgegenwärtig sein wird. Selbst wenn man vieles irgendwann höchst effizient mit Losgröße 1 produzieren kann, wird es nicht immer und überall notwendig sein. Denn Massenprodukte werden auch weiterhin nachgefragt werden. Daher werden auch in Zukunft nicht je- des Produkt und jede Lösung individuell sein. Das führt zur zweiten Antwort: Ja – rund um Industrie 4.0 gibt es auch einen Hype, der aber längst noch nicht alle erfasst hat, wie die Umfrageergebnisse in Teilbereichen zeigen. Fest steht jedenfalls, dass dieser Hype nicht schnell vorübergehen wird. Viele Ideen von Industrie 4.0 werden – als Industrie 4.0 oder unter einem anderen Namen – Schritt für Schritt Wirklichkeit werden. Treffpunkt Zukunft Ganz im Sinne der neuen, zukunftsorientierten Zusammenarbeit veranstalten Festo Training and Consulting, Sick Österreich, Phoenix Contact Österreich und SAP Österreich im Herbst eine gemeinsame Fachtagung zum Thema Industrie 4.0 in Zell am See, Salzburg. Viele spannende Fragen stehen im Raum. Renommierte Vertragende wie der Zukunftsforscher Lars Thomson geben auf der „Industry-Tech“ Antworten. Mehr Information zur Fachtagung gibt es in unserem Bericht auf der nächsten Seite. Flexible Technik – flexibles Know-how Dass die 4. Industrielle Revolution mit ihren neuen, wandelbaren Maschinen und Prozessen auch in engem Zusammenhang mit der Aus- und Weiterbildung der Mitarbeiter stehen wird, das hat die Umfrage für das Trendbarometer klar gezeigt. Mehr zu diesem wichtigen Thema erfahren Sie in der nächsten Ausgabe von Trends in Automation. Das Studienbuch zum Trend barometer Industrie 2015 steht als pdf zum kostenlosen Download bereit: www.festo.at/trendbarometer
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