0003-9233-08-2-05_Pauli 17.11.2008 9:25 Uhr Seite 351 Erschienen in: Archiv für Kulturgeschichte 90, Heft 2 (2008), S. 351-378 Befreiung aus tyrannischer Gefangenschaft Der Trinitarierorden in der Habsburgermonarchie und die Rückführung christlicher Sklaven aus dem Osmanischen Reich und seinen Vasallenstaaten (1688–1783) von Elisabeth Pauli Der Ordo Sanctissimae Trinitate de redemptione captivorum (OSST), zu Deutsch „Orden der Allerheiligsten Dreifaltigkeit zur Erlösung Gefangener“, kurz allgemein Trinitarier-Orden genannt, wurde 1198 in Cerfroid in Frankreich von Johannes de Matha (1154–1213) und Felix von Valois (1127–1212), einem Einsiedler, die beide später heilig gesprochen wurden, gegründet.1 Er war im Zusammenhang mit der mittelalterlichen Kreuz1 Der vorliegende Aufsatz basiert auf der Diplomarbeit der Verfasserin: Elisabeth PAULI, Die Trinitarier in Österreich von 1688 bis 1783, Graz (geisteswissenschaftliche Diplomarbeit) 2004, sowie Ergebnissen weiterer Forschungstätigkeit zu diesem Thema im Rahmen des FWF-geförderten Projekts „Karitative religiöse Orden im frühneuzeitlichen Mitteleuropa“ an der Universität Graz und eines ROM-Stipendiums der Österreichischen Akademie der Wissenschaften am Istituto Storico Austriaco in Rom. Die wichtigsten Übersichtswerke zur Geschichte der Trinitarier sind: Anthony O. D’ERRICO, The Trinitarians, o.O. o.J. [Rom 2002], Thierry KNECHT, Les Trinitaires. Huit siècles d’ histoire, SaintMichel 1993; die Befreiungstätigkeit speziell behandelt umfassend: Bonifacio PORRES ALONSO, Libertad a los cautivos. Actividad redentora da la Orden Trinitaria, CórdobaSalamanca 1997/1998 (2 Bände), zwei aufschlussreiche Sammelbände sind weiters: Giulio Cipollone (Hg.), La Liberazione dei ‚Captivi‘ tra Christianità e Islam. Oltre la Crociata e il ¢ihád. Tolleranza e servizio umanitario, Città del Vaticano 2000 (Collectanea Archivi Vaticani 46), Marisa Forcina, Nicola Rocca (Hg.), Tolleranza e convivenza tra Cristianità ed Islam. L’Ordine dei Trinitari (1198–1998), Lecce 1998. Die wichtigste Literatur zur Geschichte des Trinitarierordens in der Habsburgermonarchie ist: Moritz GMELIN, Die Trinitarier oder Weißspanier in Österreich, in: Österreichische Vierteljahresschrift für katholische Theologie 10 (1871), S. 339–406; Richard von KRALIK, Geschichte des Trinitarierordens. Von seiner Gründung bis zur seiner zweiten Niederlassung in Österreich, Wien–Innsbruck–München o.J. (um 1920); Quirin DE LEEUW, Die Trinitarier. Ein alter Orden mit jungem Herzen, Mödling 1984; Ruth KOBLIZEK, Die erste Niederlassung des Ordens der unbeschuhten Trinitarier in Wien, Wien (geisteswissenschaftliche Diplomarbeit) 1995; Franz BUHL, Die Wiederkehr der Trinitarier nach Österreich, Wien (theologische Diplomarbeit) 1997. 0003-9233-08-2-05_Pauli 352 17.11.2008 9:25 Uhr Seite 352 Elisabeth Pauli zugsbewegung entstanden und zugleich ein Teil jener christlichen Erneuerungsbewegung, die im 12. und 13. Jahrhundert Europa erfasst und auch so bedeutende Reformorden wie die Franziskaner, Dominikaner oder Zisterzienser hervorgebracht hatte.2 Der Trinitarierorden und seit 1223 auch der Mercedarierorden widmeten sich dabei von ihrer Gründung an dem aufgrund der „Kreuzzüge“ verstärkt auftretenden Problem der Gefangennahme von Christen durch Muslime bei kriegerischen Auseinandersetzungen, indem sie sich um die Befreiung der Betroffenen, im Allgemeinen durch Lösegeldzahlung oder Gefangenenaustausch, bemühten. Vor ihrer Existenz waren zwar auch schon immer wieder Gefangene, besonders Personen von höherem Rang und Ansehen freigekauft oder ausgetauscht worden, aber es hatte, zumindest im christlichen Bereich, keine Organisationen gegeben, die sich vorrangig dieser Aufgabe angenommen hätten. Die bis ins Hochmittelalter relativ geringe Beachtung dieser Problematik, die lange auch die Muslime betraf, steht dabei in auffallendem Gegensatz zur Entwicklung im Judentum, wo, wohl schon aufgrund der Minoritäten-Situation und der daher stärkeren inneren Solidarität, die Befreiung von gefangenen Glaubensgenossen aus der Gewalt von „Ungläubigen“ seit der Antike eine bedeutende Tradition hatte.3 Die Entwicklung des Trinitarierordens bis ins 17. Jahrhundert Für alle drei „Religionen des Buches“ scheint der Hauptgrund der Befreiung „ihrer“ Gefangenen in der Absicht zu liegen, sie vor der Apostasie, dem Abfall vom jeweiligen eigenen Glauben im Feindesland zu bewahren. So ging es vorrangig darum, die Seelen jener Gefangenen zu retten, und erst zweitrangig um die „irdische“, körperliche Befreiung der Betrof- 2 Vgl. Peter Dinzelbacher, James Lester Hogg (Hg.), Kulturgeschichte der christlichen Orden in Einzeldarstellungen, Stuttgart 1997. 3 Vgl. Yvonne FRIEDMANN, The „Great Precept“ of Ransom. The Jewish Perspective, in: Cipollone (Hg.), Liberazione dei ‚Captivi‘ (wie Anm. 1), S. 161–165. Die Autorin verweist auch auf die besondere Stellung der kollektiven „Gefangenschaft“ als traumatische Erfahrung in der jüdischen Geschichte. 0003-9233-08-2-05_Pauli 17.11.2008 9:25 Uhr Seite 353 Befreiung aus tyrannischer Gefangenschaft 353 fenen und ihre Rückführung in die eigene Gesellschaft.4 Denn der Umstand der Unfreiheit allein galt noch nicht als ein ausreichender Grund, jemanden „erlösen“ zu müssen, lebte doch der Großteil der Bevölkerung in den mittelalterlichen Gesellschaften in verschiedenen Varianten und Graden der Abhängigkeit. Dem Trinitarierorden ging es so auch nicht darum, den europäischen Sklavenhandel insgesamt in Frage zu stellen, der seit dem 8. Jahrhundert wieder zugenommen hatte und vorwiegend Menschen aus Osteuropa betraf, die über die reichen Handelszentren des südlichen und westlichen Europa nach Ägypten und den Nahen Osten weiterverkauft wurden.5 Denn obwohl es seit dem Konzil von Venedig im Jahr 1179 Juden verboten war, Christen als Sklaven zu halten oder an Muslime zu verkaufen, galt dieses Verbot nicht für die lateinisch-katholischen Christen selbst, und mit versklavten, meist slawisch-orthodoxen Christen wurde ein schwunghafter Handel in den Vorderen Orient und nach Nordafrika betrieben.6 Der neu gegründete Orden beschränkte sich als römisch-katholische Gemeinschaft zunächst auf die Befreiung katholischer Gefangener, wobei bald die einzelnen Ordensprovinzen für die Zurückholung von Verschleppten aus ihrer Gegend hauptverantwortlich wurden. Sehr rasch, nämlich noch im Jahr 1198, geschah mit der Bulle „Operante divinae dispositionis“ die päpstliche Approbation der neuen geistlichen Gemeinschaft.7 Die dabei bestätigten Regeln waren vom Bischof von Paris, Odo von Sully, und dem Abt von St. Victor in Paris, Absalon, verfasst worden, was darauf hinweist, dass von Beginn an erhebliche Unterstützung der hohen Geistlichkeit für dieses neue, der caritas gewidmete Projekt vorlag.8 Aufgrund enger Beziehungen zu den Augustiner-Chorherrn von St. Victor wurden die Trinitarier zunächst auch den Augustiner-Chorherren zugerechnet, schon bald aber war ihr Status der eines Mendikanten-Ordens.9 Johannes de Matha wurde nach der Bestätigung 4 Vgl. hierzu, für den christlichen Bereich, Joannes a S. FELICE, Triumphus Misericordiae, id est Sacrum Ordinis SSS. Trinitatis Institutum Redemptio Captivorum [...], Wien 1704, S. 116. 5 Vgl. Uwe WESEL, Geschichte des Rechts, München 22001, S. 310 f. 6 Vgl. WESEL, Recht (wie Anm. 5), S. 311. 7 Vgl. BUHL, Wiederkehr (wie Anm. 1), S. 5. 8 Vgl. Georg DENZLER, Carl ANDRESEN, Wörterbuch Kirchengeschichte, München 1997, S. 593. 9 Vgl. Kurt Galling (Hg.), Die Religion in Geschichte und Gegenwart, Bd. 6, Tübingen 3 1962, S. 1041. 0003-9233-08-2-05_Pauli 354 17.11.2008 9:25 Uhr Seite 354 Elisabeth Pauli des Ordens sogleich mit Aufgaben im Kirchenstaat betraut, sodass nicht er, sondern die beiden englischen Trinitarier John Anglik und William Scot die erste „Redemption“ (also „Erlösung“), wie die konkreten Unternehmungen zur Gefangenenbefreiung genannt wurden, durchführten. Mit einem Empfehlungsschreiben von Papst Innozenz III. an „Miramolin“, den damaligen König von Marokko, machten sich die beiden schon 1199 auf den Weg nach Nordafrika und feierten einen großen Erfolg, als sie wenig später mit 186 befreiten Christen wieder in Marseille an Land gingen.10 Während sich Johannes de Matha in der Folge eher den Redemptionsaktivitäten widmete, organisierte Felix de Valois Seelsorge und Krankenpflege für die Befreiten, indem er „Häuser der Barmherzigkeit“ gründete. Im Jahr 1209 existierten insgesamt bereits 30 Niederlassungen des Ordens, wobei zehn davon mit einem derartigen Hospital ausgestattet waren.11 Die Rechtmäßigkeit des Ordens wurde durch Papst Honorius III. 1217 abermals bestätigt, außerdem wurde allen Bischöfen und Prälaten geraten, seine Ausbreitung zu unterstützen, was dieselbe sicher erleichterte. Der Höhepunkt der Ausdehnung war im 15. Jahrhundert mit angeblich 800 Niederlassungen erreicht.12 Hierauf folgte ein gewisser „Niedergang“, wie er ja im Ordenswesen jener Zeit generell zu beobachten war. Die Trinitarier zählten nun zu den „etablierten“ Ordensgemeinschaften, und sowohl die konkreten Ziele der Gefangenenbefreiung als auch die – wegen des Charakters als Bettelorden – strenge religiöse Disziplin wurden vielfach vernachlässigt. Im Spätmittelalter bestanden Ordensniederlassungen in Frankreich, Spanien, Flandern, Luxemburg, Portugal, Italien, England, Schottland, Irland, Griechenland und Palästina.13 In Frankreich hatte die Anteilnahme König Ludwigs IX., des Heiligen, der 1250 von den Trinitariern aus muslimischer Gefangenschaft freigekauft worden war, zu einem besonders großen Erfolg des Ordens beigetragen. 1259 stiftete Ludwig das berühmte Kloster Fontainebleau und schenkte den Trinitariern einen „Dorn aus der Dornenkrone Jesu“; außerdem wurde er persönlich Mitglied des 10 Vgl. Max HEIMBUCHER, Die Orden und Kongregationen der katholischen Kirche, Bd. 1, Paderborn 31933, S. 450. 11 Vgl. KOBLIZEK, Niederlassung (wie Anm. 1), S. 16. 12 Vgl. Joseph HERGENRÖTHER, Franz KAULEN, Wetzer und Welte’s Kirchenlexikon [...], Bd. 12, Freiburg 1901, S. 84–90. 13 Vgl. GMELIN, Weißspanier (wie. Anm. 1), S. 345. 0003-9233-08-2-05_Pauli 17.11.2008 9:25 Uhr Seite 355 Befreiung aus tyrannischer Gefangenschaft 355 Dritten Ordens der Trinitarier.14 Wegen des Trinitarierklosters zum Hl. Mathurin in Paris nannte man den Orden in Frankreich im Übrigen auch Maturiner. Aber auch der Name „Eselsbrüder“ war bis ins Spätmittelalter üblich, weil den Mönchen beim Sammeln von Spenden für ihre Aktivitäten zunächst nur die Fortbewegung auf Eseln, nicht aber auf Pferden gestattet war. Diese Einschränkung wurde aber bald durch einen Dispens von Papst Honorius III. aufgehoben.15 Aus nahe liegenden Gründen trachteten die Ordensmitglieder schon früh, direkt im Vorderen Orient sowie in Ost- und Südosteuropa Niederlassungen zu errichten. Während der Existenz der christlichen Kreuzfahrerstaaten bis zum Ende des 13. Jahrhunderts bestanden Stützpunkte der Trinitarier in Jerusalem, in Nazareth sowie vielleicht auch in Bethlehem. Danach gestaltete sich die Präsenz „vor Ort“ natürlich ungleich schwieriger. Auch im Einflussbereich der orthodoxen Kirche waren dauerhafte Niederlassungen katholischer Geistlicher kaum möglich. Nach der Kirchenunion zwischen Papst Eugen IV. und dem byzantinischen Kaiser Johann VII. im Jahre 1441 wurde die Gelegenheit dazu von den Trinitariern aber rasch ergriffen und ein Ordenshaus in Konstantinopel eingerichtet, das aber nur bis zur Eroberung der Stadt 1453 bestand. Die Ordensorganisation der Unbeschuhten Trinitarier Mit dem Konzil von Trient (1545–1563), das die zukünftige Gestalt der römisch-katholischen Kirche für die konfessionelle Auseinandersetzung festlegte, wurde auch ein Umgestaltungsprozess bei den Orden in Gang gesetzt, der bei den meisten katholischen Ordensgemeinschaften Reformzweige entstehen ließ, welche die „älteren Oboedienzen“, also diejenigen Teile der Ordensorganisationen, die am status quo festhalten wollten, oft in den Hintergrund drängten, manchmal – so auch bei den Trinitariern – fast gänzlich verdrängten. Sowohl in Frankreich als auch in Spanien entstanden im 16. Jahrhundert Reformzweige des Ordens; in Frankreich verlor sich diese Reformbewegung aber in drei verschiedenen Richtungen und konnte daher 14 15 Vgl. KRALIK, Trinitarierorden (wie Anm. 1), S. 24–29. Vgl. HEIMBUCHER, Orden (wie Anm. 10), Bd. 1, S. 452. 0003-9233-08-2-05_Pauli 356 17.11.2008 9:25 Uhr Seite 356 Elisabeth Pauli außerhalb Frankreichs keinen Einfluss ausüben.16 Grundlegend anders verlief die Reform des Ordens in Spanien, wo sie nach anfänglichen Schwierigkeiten von großem Erfolg gekrönt war. Der spanische Reformzweig stieg rasch zum dominierenden Teil innerhalb Spaniens auf und breitete sich ab dem späten 17. Jahrhundert auch außerhalb der Iberischen Halbinsel stark aus, insbesondere in Italien, Polen und der Habsburgermonarchie. „Motor“ der spanischen Reform war Juan Baptist de la Concepcion (1561–1613); angeregt durch die allgemeine innerkirchliche Reformbewegung sowie bereits gegründete „Reformorden“ – wie Jesuiten, Theatiner und Barmherzige Brüder – wollte er seinen Orden an die „neuen Zeiterfordernisse“ anpassen, wobei dies vor allem durch eine Rückkehr zur Befolgung der ursprünglichen hochmittelalterlichen Ordensregel erreicht werden sollte, die in der Zwischenzeit in zahlreichen und wichtigen Punkten abgeändert worden war. Erst nach langen Auseinandersetzungen innerhalb des Ordens und mit Unterstützung der schon „reformierten“ unbeschuhten Karmeliten sowie der Jesuiten gelang es ihm, seinen Reformansatz zumindest in einem Teil der bestehenden spanischen Trinitarierklöster zu verwirklichen. Der nach dem Verbot, andere Schuhe als Sandalen zu tragen, gleichfalls „unbeschuht“ genannte Reformzweig bestand beim Tod seines Gründers 1613 aus 23 Klöstern. Vor allem die Werbung von Novizen an den berühmten Universitäten von Alcalá, Salamanca und Baeza sowie die Unterstützung eines der mächtigsten Politiker im Spanien Philipps III., des Grafen Lerma, hatte den entscheidenden Erfolg gebracht.17 Der spanische Zweig der Unbeschuhten Trinitarier wurde zunächst 1599 von Papst Clemens VIII. mit der Bulle Ad militans ecclesiae regimen bestätigt; 1631 wurden neue Statuten approbiert und dem Reformzweig auch ein eigener General zugestanden, womit er kirchenrechtlich und administrativ vollständig vom Trinitarierorden der alten Observanz getrennt wurde.18 Dieser neue „Ordo Sanctissimae Trinitatis de Redemptione captivorum excalceatorum“ (teils auch: „... discalceatorum“) beschränkte sich zunächst auf Spanien, breitete sich bald aber auch in anderen katholischen Ländern aus. Um die Mitte des 18. Jahrhunderts existierten 16 Diese Ordenszweige erloschen schließlich während der französischen Revolution. Vgl. D’ERRICO, The Trinitarians (wie Anm. 1), S. 225–233. 17 Vgl. Juan PUJANA, Hl. Johannes Baptist von der Empfängnis, Rom 1975, S. 5–56. 18 Vgl. HEIMBUCHER, Orden (wie Anm. 10), Bd. 1, S. 452. 0003-9233-08-2-05_Pauli 17.11.2008 9:25 Uhr Seite 357 Befreiung aus tyrannischer Gefangenschaft 357 schließlich sechs Provinzen, drei in Spanien, eine in Italien, eine in Polen und eine in der Habsburgermonarchie. Alle Klöster, auch die des Reformzweigs, fielen aber – mit Ausnahme der Niederlassungen in Rom – zwischen dem Ende des 18. und der Mitte des 19. Jahrhunderts den politischen und sozialen Veränderungen zum Opfer, in Österreich dem „aufgeklärten Absolutismus“ (1783), in Frankreich der Revolution (1792/93), in Spanien den Säkularisierungsmaßnahmen durch die Liberale Partei (1835), in Polen den Russifizierungsmaßnahmen unter Zar Alexander II. (1863). Das einzige Ordenshaus, das durchgehend – bis heute – Bestand hatte, ist das römische Kloster „San Carlo alle quattro fontane“.19 Die Unbeschuhten Trinitarier legten besonderen Wert darauf, dass unter den Ordensmitgliedern möglichst Gleichheit herrsche; auf Titel musste gänzlich verzichtet werden. Ein mönchisches Leben in Mäßigung, in Armut, Keuschheit und Gehorsam, häufiger Kontemplation, aber auch intensiver gelehrter Bildung sollte optimale Bedingungen für die Durchführung des karitativen Ordensauftrags schaffen. Auch strikte Disziplinierung im sozialen Umgang gehörte zu den Erfordernissen. Die Trinitarier sollten sich – generell, und natürlich erst recht auf ihren Befreiungsfahrten im ‚Feindesland‘ – neutral und zurückhaltend verhalten: „[Die Brüder sollen] niemanden schief oder fixiert ansehen oder mit gerunzeltem Auge, [...] [sondern] ein ernstes, bescheidenes, freundliches Gesicht zeigen, den Blick auf die Erde oder das Kreuz gerichtet [...] nicht affektiert sprechen, [aber auch] keine Familiarität zeigen [...].“20 Insbesondere auch die zwischenzeitlich wenig beachtete, schon in den ursprünglichen Regeln aber vorgesehene Dreiteilung aller Einkünfte wurde bei den reformierten Trinitariern wieder beachtet,21 wie aus den erneuerten Ordensregeln hervorgeht, die Papst Urban VIII. 1631 erlassen hatte: „Alle Dinge, woher sie auch erlaubtermaßen kommen mögen, sind in drei gleiche Teile zu teilen, und so viel zwei Teile davon ausreichen, sollen davon Werke der Barmherzigkeit ausgeführt werden, wie auch der mäßige Lebensunterhalt ihrer selbst [der Trinitarierbrüder] und der ihnen notwendigen Gehilfen [bestritten]. Der dritte Teil aber muss für die Erlö- 19 Vgl. BUHL, Wiederkehr (wie Anm. 1), S. 15. KRALIK, Trinitarierorden (wie Anm. 1), S. 43. 21 Vgl. Oktavian SCHMUCKI, Die Regel des Johannes von Matha und die Regeln des Franziskus von Assisi, in: Cipollone (Hg.), La Liberazione dei ‚Captivi‘ (wie Anm. 1), S. 240. 20 0003-9233-08-2-05_Pauli 358 17.11.2008 9:26 Uhr Seite 358 Elisabeth Pauli sung der Gefangenen reserviert werden, die wegen des Christlichen Glaubens von den Heiden eingekerkert sind, und zwar für die Erlösung derselben mittels der Bezahlung eines vernünftigen Preises, oder auch durch den Freikauf gefangener Heiden für einen späteren vernunftgemäßen Austausch, wobei ein Christ gegen einen Heiden, gemäß den Verdiensten und dem Stand der Personen, eingelöst werden soll.“22 Die Vorschriften der Regula Primitiva wurden im Jahr 1676 durch ein Breve von Papst Clemens X. in Vielem ergänzt, wobei die detailreichen Constitutiones generales auch einige in den Ordensregeln gänzlich unerörtert gebliebene Thematiken behandelten:23 So wurde, was die Sammlungstätigkeit betrifft, angeordnet, dass kein Ordensmitglied seine Stellung dazu nutzen dürfe, für Verwandte oder andere ihm nahe stehende Personen Almosen zu sammeln. Im Falle des Eintretens besonderer Bedürftigkeit von Familienangehörigen von Ordensleuten würde der jeweilige Provinzial (der Vorsteher der betroffenen Ordensprovinz) Unterstützungsleistungen veranlassen.24 Auch die „Freizeitbetätigungen“ wurden in den Constitutiones erörtert, wobei die vorgesehenen Beschränkungen – zumindest auf den ersten Blick – teils recht seltsam anmuten: „Bei der Rekreation sollen sich alle mit Mäßigkeit und ehrbarer Würde betragen. Es möge ein spiritueller Text gelesen werden, oder über eine solche Sache gesprochen, aber nur über unanstößige Dinge, nicht aber über Genealogien, Herkünfte, Nationen, Länder sowie Nachrichten und Gerüchte, die zur Erbauung und Vervollkommnung der Seelen unnütz sind. [...] Zu keiner Zeit dürfen unsere Religiosen Komödien oder andere Schauspiele, seien es auch geistliche, aufführen.“25 Gerade der Hinweis 22 Antonius a Conceptione (Hg.), Regula Primitiva et Constitutiones Patrum Discalceatorum Ordinis SS. Trinitati Redemptionis Captivorum, Rom 1851, S. 14: „Omnes res undecumque licite veniant, in tres partes dividant aequales, et in quantum duae partes sufficient, exequantur ex illis opera misericordiae, cum sui ipsorum, et eis necessario famulantium moderata sustentatione. Tertia vero pars reservetur ad Redemptionem Captivorum, qui sunt incarcerati pro Fide Christi a paganis, vel dato pretio rationabili pro redemptione ipsorum, vel pro redemptione paganorum captivorum, ut postea rationabili commutatione, et bona fide, redimatur Christianus pro pagano, secundum merita, et statum personarum.“ 23 Vgl. ebd., S. 25–225. 24 Vgl. ebd., S. 54. 25 Regula Primitiva (wie Anm. 22), S. 77: „In recreationibus omnes cum modestia et honesta gravitate se gerant. Legatur ibi res aliqua spiritualis, vel de illa agatur, et saltem de rebus indifferentibus; non vero de genealogiis, stirpibus, nationibus, patriis, nuntiis et rumoribus inutilibus ad aedificationem, et profectum animarum; […] Nullo tempore Religiosi nostri comoedias, aliosve actus, tametsi spirituales, agant“. 0003-9233-08-2-05_Pauli 17.11.2008 9:26 Uhr Seite 359 Befreiung aus tyrannischer Gefangenschaft 359 auf die Begriffe der „Genealogien“ und „Herkünfte“ kann aber die Intentionen dieser Vorschrift schon deutlich machen: Unnützes Gerede oder eben gar „Vorrangstreitigkeiten“ zwischen Brüdern unterschiedlicher sozialer, ethnischer oder geographischer Herkunft sollten unterbleiben. Auch über die vorgesehene Ausbildung der Ordensmitglieder machen die Constitutiones generales nähere Angaben, aus denen hervorgeht, dass für die Priester des Ordens eine insgesamt achtjährige Studiendauer vorgesehen war. Mit diesem „Rahmenprogramm“ für die Ausbildung der Priesterbrüder war ein für die Maßstäbe der Frühen Neuzeit zweifellos sehr hohes Anspruchsniveau gegeben. Die zentralen Anforderungen an die Lehrenden der ordenseigenen Kollegien, die natürlich selbst Trinitarier sein mussten, wurden in den Konstitutionen wie folgt beschrieben: „Der Pater General wähle die Lektoren der Philosophie wie der scholastischen, expositiven und moralischen Theologie, und dies möge ihnen sechs Monate vor dem Kurs mitgeteilt werden, damit sie sich vorbereiten, und er möge immer gelehrte, gehorsame und mit Liebe erfüllte Personen dazu bestimmen, die Lehre des Heiligen Thomas [von Aquin] zu lehren, und nicht unnütze oder gefährliche Fragestellungen.“26 Auch Zulassungsbedingungen für die Aufnahme in den Orden fanden in die Konstitutionen Eingang, wobei hier besonders deutlich zum Ausdruck kommt, dass für die katholische Kirche der Frühen Neuzeit die Zugehörigkeit zu Judentum oder Islam als „Verbrechen“ galt – und zwar als so schwerwiegendes, dass sogar die Nachkommen derart „Unreiner“ von einer Aufnahme in Eliten-Formationen, wie sie geistliche Orden darstellten, ausgeschlossen blieben: „Es wird auch kein Neophyt zugelassen, und keiner, der in direkter Linie (in welchem Grad auch immer) von Juden, Mauren oder Maurisken abstammt, ebenso keiner, dessen Vorfahren in direkter Linie [...] wegen Verbrechen des Judaismus oder (Zugehörigkeit zu) Mohammedanischer Sekte von Inquisitoren [...] bestraft worden waren.“27 26 Ebd., S. 121: „Pater Generalis eligat Lectores tam Philosophiae, quam Theologiae scholasticae, expositivae et moralis, praeveniatque eos sex mensibus ante Cursum, ut se praeparent, semperque deputet Personas doctas, observantes, amantes docere doctrinam Sancti Thomae, non quaestiones inutiles, seu periculosas.“ 27 Regula Primitiva (wie Anm. 22), S. 205: „Nec admittatur Neophytus; nec qui descenderit per lineam rectam (in quodlibet gradu) a Judaeis, Mauris, vel Mauriscis; nec ullus, cuius Praedecessores per lineam etiam rectam [...] ob Judaismi, vel sectae Mahometanae crimina puniti fuerint ab [...] Inquisitoribus.“ 0003-9233-08-2-05_Pauli 360 17.11.2008 9:26 Uhr Seite 360 Elisabeth Pauli Dass dieselbe Regelung prinzipiell auch für Angehörige christlicher „Sekten“ und deren Nachkommen galt, geht aus einer Anmerkung hierzu hervor, und wurde in einem gesonderten Dekret von Papst Innozenz XII. aus dem Jahr 1692 nochmals betont.28 Solche Beschränkungen galten im 17. und 18. Jahrhundert aber nicht nur für den Trinitarierorden, sondern waren durch das Papsttum in dieser oder ähnlicher Weise generell für alle Ordensgemeinschaften festgelegt worden. Zulassungskriterien betrafen nicht nur Aspekte der Konfession, sondern es gab auch eine ganze Reihe anderer Ausschlussgründe, insbesondere ansteckende oder schwere chronische Krankheiten, erhebliche Behinderungen sowie ehemalige oder bestehende Leibeigenschaft. Die Etablierung der Trinitarier in der Habsburgermonarchie Hintergrund der Niederlassung des Ordens in Österreich war der neuerliche Krieg zwischen dem Osmanischen Reich und der Habsburgermonarchie ab 1683. Während der Großoffensive des osmanischen Heeres, welches in sehr kurzer Zeit die Reste des habsburgisch beherrschten Westungarns sowie beträchtliche Teile des östlichen Österreichs überrannte, wurden zehntausende Einwohner der betroffenen Regionen getötet oder verschleppt, wobei insbesondere tatarische Hilfstruppen gezielt „Sklavenjagd“ betrieben.29 Noch vor der Niederlassung der Trinitarier in Österreich gelang aber ihre Etablierung in Polen; dort war die Bevölkerung im späten 17. Jahrhundert kontinuierlichen Überfällen aus den angrenzenden tatarischen Gebieten ausgesetzt. Aus diesem Grunde wurde der Trinitarierorden durch König Jan Sobieski III. selbst 1685 ins Land gerufen. Im Zuge der Gründung des polnischen Ordenszweiges reisten zwei Trinitarier durch Wien und sprachen hierbei den Wunsch aus, auch in Österreich eine Niederlassung errichten zu wollen. Nach der Fertigstellung der ersten trini- 28 Vgl. ebd., S. 226–235. Allein in Hainburg wurden sämtliche über 8400 Einwohner entweder getötet oder verschleppt. Die Gesamtzahl der aus Niederösterreich und der Steiermark in die Sklaverei weggeführten Menschen wurde von Zeitgenossen auf über 80.000 geschätzt. Vgl. etwa Walter Kleindel et al. (Hg.), Österreich. Daten zur Geschichte und Kultur, Wien 1995, S. 153–155. 29 0003-9233-08-2-05_Pauli 17.11.2008 9:26 Uhr Seite 361 Befreiung aus tyrannischer Gefangenschaft 361 tarischen Niederlassung im polnischen Lemberg wurde vom Orden auch ein Prokurator für Ordensgründungen in der Habsburgermonarchie bestellt. „Fürsprecher“ für die Ansiedlung des spanischen Reformzweigs der Trinitarier in Wien waren der päpstliche Nuntius Francesco Buonvisi, Graf Ferdinand Bonaventura Harrach (1637–1706), der damalige Botschafter Österreichs in Spanien, und dessen Gemahlin Johanna, sowie Kardinal Leopold Karl Graf Kollonitsch (1631–1707), Erzbischof von Kálocsa und Primas von Ungarn, der selbst bereits verschiedentlich einen Gefangenenaustausch zwischen den Kriegsparteien initiiert hatte.30 Zunächst wurde auf Anraten von Kollonitsch erwogen, das Haupthaus im Habsburgerreich in Ungarn zu errichten und in Wien nur ein kleineres Hospiz, damit sich die Zentrale einer künftigen Ordensprovinz näher am Kriegsgeschehen befände; diese Idee wurde jedoch wieder verworfen.31 Obwohl das öffentliche Klima für die Trinitarier in Österreich angesichts der geschilderten Umstände in den 1680er Jahren sehr günstig war, verzögerten administrative Probleme und politische Gegnerschaften die Etablierung des Ordens in Wien zunächst: Das erste Ansuchen um Niederlassungserlaubnis in Wien wurde von den landesfürstlich-habsburgischen Behörden sowie vom Magistrat der Stadt Wien abgelehnt, und zwar mit der Begründung, dass in der Hauptstadt schon eine zu hohe Dichte an katholischen Orden bestünde. Allerdings war die Sache damit noch nicht abgetan, sondern wurde von Seiten des Trinitarierordens dem Fürstbischof von Wien, Ernest Graf Trautson (1633–1702), einem Befürworter der Ordensziele, vorgetragen, welcher daraufhin ein förmliches Gutachten in dieser Sache von den bereits in Wien ansässigen Orden einholte. Hierbei waren es vor allem die Jesuiten, die Karmeliter-Barfüßer und die Kapuziner, die sich für die Niederlassung der Trinitarier in Österreich aussprachen.32 Am 19. November 1688 wurde schließlich der endgültige landesfürstliche Konsens erteilt. Auch die Suche nach einer geeigneten Lokalität für den Orden gestaltete sich schwierig; ein Haupthindernis war dabei, dass die Trinitarier, die anfangs alle Spanier waren und noch kaum Deutsch sprachen, die pfarrliche Seelsorge in einem Pfarrsprengel zunächst nicht übernehmen 30 Vgl. KRALIK, Trinitarierorden (wie Anm. 1), S. 58. Vgl. ebd. 32 Vgl. Mathias FUHRMANN, Historische Beschreibung und kurz gefasste Nachricht von der Römisch. Kaiserlich und Königlichen Residenz-Stadt Wien und ihren Vorstädten, Wien 1766, Teil 2, Bd. 1, S. 514 f. 31 0003-9233-08-2-05_Pauli 362 17.11.2008 9:26 Uhr Seite 362 Elisabeth Pauli konnten. Schließlich fanden die Ordensbrüder ein geeignetes Grundstück in der Alßherr-Gassen (heute: Alsergasse).33 Schon im Jahr 1689 lebten 13 Ordensbrüder, allesamt Spanier oder Italiener, im neuen Ordenshaus. Aufgrund ihrer nationalen Herkunft und des auffälligen Ordenskleides wurden die Trinitarier volkstümlich bald „Weißspanier“ genannt.34 In der Folge trachtete der Orden, rasch ein „Netz“ von – allerdings kleiner dimensionierten – Ordenshäusern in der Habsburgermonarchie anzulegen, wobei nahe liegender Weise vor allem an den zentralen Verkehrswegen Richtung Ost- und Südosteuropa ordenseigene Niederlassungen installiert wurden, zweifelsohne um für die zu unternehmenden Gefangenenbefreiungsaktionen sichere und auch kostengünstige Reisestationen zu schaffen, denn bei den Rückreisen mussten eventuell ja nicht nur die ausführenden Patres selbst, sondern auch dutzende oder gar hunderte befreite Gefangene versorgt werden. Von den insgesamt 17 Ordenshäusern, die der „Deutschen Ordensprovinz“ des Unbeschuhten Trinitarierordens bis zu ihrer Auflösung 1783 angehörten, lagen neun, also mehr als die Hälfte, im Königreich Ungarn, eines im 1718 bis 1739 „österreichischen“ Belgrad, eines in Konstantinopel, vier in Böhmen und Mähren und nur zwei in den „österreichischen Erblanden“. Im Jahr 1728, als das Generalkapitel des Ordens in Rom beschloss, die Klöster im habsburgischen Gebiet zu einer eigenständigen Provinz mit dem Titel „St. Joseph“ zusammenzufassen, bestanden 12 Ordenshäuser;35 nach 1728 traten noch fünf weitere Niederlassungen hinzu.36 Abgesehen vom Konvent in Belgrad bestanden alle 33 Vgl. FUHRMANN, Historische Beschreibung (wie Anm. 32), Teil 2, Bd. 1, S. 517. Vgl. GMELIN, Weißspanier (wie Anm. 1). Man kannte daneben auch die „Schwarzspanier“, womit der Orden der spanischen Benediktiner von Montserrat gemeint war. 35 Vgl. Joannes a S. FELICE, Annalium Provinciae Sancti Josephi Ordinis Excalceatorum Sanctissimae Trinitatis Redemptionis Captivorum Libri Decem, [...], Wien 1739, S. 814 f. Die polnischen Ordenshäuser, die mit den österreichischen in einem engen Naheverhältnis standen, wurden 1726 zur Provinz St. Joachim zusammengefasst. Im polnischen Königreich bestanden folgende Konvente und Klöster: Warschau, Krakau, Krotoszyn, Lublin und Tomaszow im heutigen Polen, Lemberg, Lwow, Stanislaw, Luzk, Kremenec, Berestetschko und Kamenec-Poselski in der heutigen Ukraine, Brest, Witebsk, Orscha und Mlodetschko im heutigen Weißrußland, sowie Vilnius im heutigen Litauen. Vgl. de LEEUW, Trinitarier (wie Anm. 1), S. 21. 36 Kralik nennt noch eine Niederlassung der Trinitarier, welche in den 1780er Jahren von Österreich aus in Preußen – nämlich in „Emmerich“ – etabliert worden sei. Vgl. KRALIK, Trinitarierorden (wie Anm. 1), S. 69. Zur Grazer Niederlassung vgl. bes. Helga SCHULLER, Das Kloster der Trinitarier zu Graz, in: Blätter für Heimatkunde 53 (1979), S. 77 f. 34 0003-9233-08-2-05_Pauli 17.11.2008 9:26 Uhr Seite 363 363 Befreiung aus tyrannischer Gefangenschaft diese – umseitig mit den jeweiligen Gründungsdaten aufgelisteten – Niederlassungen bis zur Aufhebung des Ordens in der Habsburgermonarchie im Jahr 1783. Konvente und Residenzen des Trinitarierordens in der Habsburgermonarchie 1688–1783 A B Ort Region heute in Gründungsjahr Status 1728 Wien Österreich Österreich 1688/89 Mutterhaus der ProvinzA Illava Oberungarn Rumänien 1695 Größerer Konvent Pressburg/ Bratislava Oberungarn Slowakei 1697 Größerer Konvent Prag/Praha Böhmen Tschechien 1707 Größerer Konvent Tyrnau/Trnava Oberungarn Slowakei 1712 Größerer Konvent Komorn/Komárom/Komárno Ungarn Ungarn/ Slowakei 1714 Konvent Belgrad/Beograd Nordserbien Serbien 1718B Konvent Zaschau/Zasová Mähren Tschechien 1724 Konvent Karlsburg/ Alba Julia Siebenbürgen Rumänien 1716 Niederlassung Erlau/Eger/Agria Ungarn Ungarn 1717 Niederlassung Pera (Konstantinopel) Osm. Reich Türkei 1723 Niederlassung Sárospatak Ungarn Ungarn 1728 Niederlassung Ofen/Buda Ungarn Ungarn 1738 (spätere Niederlassung) Holleschau/ Holesov Mähren Tschechien 1748 (spätere Niederlassung) Maria-Eich Ungarn Ungarn 1749 (spätere Niederlassung) Stienowitz/ Stfnovice Böhmen Tschechien 1753 (spätere Niederlassung) Graz Steiermark Österreich 1756 (spätere Niederlassung) Von Wien aus begannen die Redemptionen gewöhnlich und hier endeten sie meist auch feierlich. Der Konvent musste 1739, als die Stadt wieder an die Osmanen fiel, aufgegeben werden. 0003-9233-08-2-05_Pauli 364 17.11.2008 9:26 Uhr Seite 364 Elisabeth Pauli Die Gefangenenbefreiungen durch die österreichischen Trinitarier („Redemptionen“) Über den konkreten Ablauf der von den Trinitariern durchgeführten Befreiungsfahrten, der so genannten „Redemptionen“, haben sich betreffend den österreichischen Raum zwei zentrale Quellenbestände erhalten: zum einen ausführliche Berichte über die Redemptionen der Jahre 1690 bis 1728, welche in den „Annales Provinciae St. Josephi“ des Trinitarierpaters Joannes a S. Felice (1676–1744), der selbst Redemptor war und einen Teil dieser Befreiungsaktionen persönlich durchgeführt hatte, in lateinischer Sprache publiziert wurden;37 zum anderen Redemptionsverzeichnisse, mit kurzen Begleittexten versehene „Rechenschafts- und Leistungsberichte“ über die einzelnen Befreiungsunternehmen, in denen die jeweils „erlösten“ Christen mit Namen, bezahlter Lösegeldsumme und Ort des Freikaufs, vielfach auch mit Angaben zu Herkunft, Stand, Alter, u. ä. verzeichnet sind.38 Anhand dieser Redemptionslisten lassen sich zwar nicht Details des Ablaufs der jeweiligen „Reisen“ rekonstruieren, wohl aber deren Eckdaten – Redemptor (verantwortlicher Trinitarierpater), Zeitspanne, Zielorte, Zahl der Befreiten, Gesamtsumme des Lösegeldes –, und es lässt sich ein ziemlich genaues Bild der sozialen Merkmale der Befreiten zeichnen.39 Die Durchführung von Redemptionsreisen soll im Folgenden anhand der in den „Annales Provinciae“ gut dokumentierten ersten zwölf Befreiungsfahrten der Jahre 1690 bis 1728 näher vorgestellt werden. In diesem Zeitabschnitt wurden viele der aus den habsburgischen Ländern verschleppten Menschen in Konstantinopel und den türkischen Küstenstädten gefangen gehalten, wohl noch mehr aber in den tatarischen Khanaten 37 S. FELICE, Annales (wie Anm. 35). Bislang systematisch ausgewertet werden konnten die Redemptionslisten der Jahre 1760 bis 1783: Giovanni Constanzo Caracciolo (Hg.), Catalogo de Christiani schiavi riscattati [...], Roma 1764, [Daniel a Resurrectione Domini], Verzeichniß der gefangenen Christen [...], Wien o.J. [1768/69], [Benedictus a S. Felice], Verzeichniß der gefangenen Christen [...], Wien o.J. [1771/72], [Bernardinus a Beata Virgine], Verzeichniß der gefangenen Christen [...], Wien o.J. [1773/74], [Bartholomeus a S. Nicolao], Catalogus Captivorum Christianorum [...], Wien o.J. [1776/77], [Anselmus a S. P. Joanne de Matha], Verzeichniß der Gefangenen Christen [...], Wien o.J. [1780/81], [Engelbertus a Matre Dei], Catalogus Christianorum [...], Wien o.J. [1783]. 39 Siehe dazu weiter unten. 38 0003-9233-08-2-05_Pauli 17.11.2008 9:26 Uhr Seite 365 Befreiung aus tyrannischer Gefangenschaft 365 an der Schwarzmeerküste. Das lag daran, dass die meisten Betroffenen nicht vom osmanischen Hauptheer, das ja mit den eigentlichen Kriegsaktivitäten beschäftigt war, gefangen genommen worden waren, sondern von zu einem beträchtlichen Teil eben aus Tataren bestehenden Hilfstruppen von leichter Reiterei. Die Verschleppten wurden vor allem in die Gebiete Budschak, Jedisan, und Krim gebracht. Sowohl in den „Annales Provinciae Sancti Josephi“ als auch in dem ebenfalls vom Trinitarierpater Joannes a San Felice verfassten „Triumphus Misericordiae“ von 1704 werden „Turcia“ und „Tartaria“ auch sehr ausführlich topographisch und ethnographisch beschrieben.40 Die dabei vorgenommene Beurteilung fällt für die Türken als „Erbfeinde christlichen Namens“,41 noch mehr aber für die Tataren nicht gerade günstig aus, sondern bestätigt die damals in Europa, insbesondere aber in den von den wechselseitigen Kriegshandlungen direkt betroffenen Regionen Mittel- und Südeuropas, ohnehin vorherrschende Meinung, dass es sich bei diesen Völkern um besonders grausame, skrupellose, unberechenbare, wollüstige Menschen handle; es gibt kaum einen Lebensbereich, zu dem ein abschätziges Urteil für die entsprechenden „Sitten“ der Türken und Tataren fehlen würde.42 Neben der ideologischen und politischen Konfrontationslage zwischen Habsburgermonarchie und Osmanischem Reich und den sie begleitenden Stereotypen ist bei der Frage nach dem Zustandekommen dieser Sichtweise wohl auch in Rechnung zu stellen, dass die Trinitarierpatres auf ihren Reisen vor allem mit berufsmäßigen Sklavenhaltern und Sklavenhändlern zu tun hatten, die schon aufgrund ihrer Profession wohl nur selten jenem Ideal der Nächstenliebe verpflichtet waren, welches die Geistlichen in ihrer Tätigkeit zu befördern trachteten. Für die Erhärtung seiner Behauptung, dass die allermeisten Tartaren von „bösem“ Charakter wären, bedient sich Pater Joannes aber nicht nur moralischer Argumente, sondern auch der Kontrastierung von körperlichen Merkmalen: „Ihre gesamte Physiognomie unterscheidet sich schließlich völlig von jener der Christen; sie sind sehr ähnlich den amerikanischen Indern, die 40 S. FELICE, Annales (wie Anm. 35), S. FELICE, Triumphus Misericordiae (wie Anm. 4). Vgl. Maximilian GROTHAUS, Der ‚Erbfeindt christlichen Namens‘. Studien zum Türken-Feindbild in der Kultur der Habsburgermonarchie zwischen 16. und 17. Jahrhundert, Graz (geisteswissenschaftliche Dissertation) 1986. 42 Vgl. S. FELICE, Annales (wie Anm. 35), S. 157–168. 41 0003-9233-08-2-05_Pauli 366 17.11.2008 9:26 Uhr Seite 366 Elisabeth Pauli am Fluss Maragonia wohnen, und jenen, die Kariben oder Kannibalen genannt werden.“43 Auch die topographischen Gegebenheiten in der damaligen „Tartarei“ werden sehr ausführlich beschrieben, was insofern von besonderem Interesse ist, da den Trinitariern bei ihren Redemptionsreisen von osmanischen und tatarischen Amtsträgern des Öfteren der Vorwurf gemacht wurde, dass sie deren Gebiete auch für militärische Zwecke auskundschaften würden. Angesichts der sehr detailreichen Schilderungen der „Annales“, die auch Angaben zu Befestigungsanlagen, Häfen, der Anzahl der Häuser und Einwohner größerer Orte u. ä. beinhalten,44 kann die These, dass die Reisen der Patres zumindest indirekt auch der „Spionage“ dienten, nämlich durch die Weitergabe der von ihnen gesammelten Informationen an interessierte Stellen im habsburgischen Staatswesen, wohl kaum entkräftet werden, und dies umso weniger, als der Trinitarierorden ja enge Kontakte mit der österreichischen Botschaft in Konstantinopel, mit den Wiener Regierungsbehörden und insbesondere mit dem Hofkriegsrat unterhielt. Am meisten und unmittelbarsten dienten diese Beschreibungen aber sicherlich dem Orden selbst, besonders künftigen Redemptoren. Die gefährlichen und beschwerlichen Reisen führte der „Pater Redemptor“ meist gemeinsam mit einem Begleiter und Helfer aus den Reihen des Ordens, dem so genannten „Socius“ aus. Die Reiseroute führte gewöhnlich zuerst nach Osten über das relativ sichere, habsburgisch beherrschte Oberungarn (am Weg befanden sich schon bald etliche Ordensniederlassungen), dann entweder in die Moldaufürstentümer, nach Jassy, Fokschani u. a., und weiter ostwärts in den Budschak, oder aber zuerst südwärts nach Siebenbürgen über Klausenburg, Karlsburg, Kronstadt, und danach in die „Große Walachei“, nach Tergovist und/oder Bukarest zum dortigen christlich-orthodoxen Großfürsten, der in politischer Abhängigkeit zum Sultan stand. Der Großfürst der Walachei, Constantin II. Brankowan (reg. 1688–1714), war dessen ungeachtet einer der größten Förderer der „österreichischen“ Trinitarier: Er unterstützte – ab der Befreiungsreise von 1698 – die Trinitarier sehr und versah die Redemptoren bei Bedarf mit Empfehlungsschreiben und Wachen, stellte Unterkunft und Verpflegung und vermittelte vertrauenswürdige Über43 Ebd., S. 159: „Toto denique coelo physiognomia eorum a Christianis dissidet; similimi sunt Indis Americanis circa Maragonium fluvium habitantibus, hisque, qui Caraibes, sive Cannibali appellantur.” 44 Ebd., bes. S. 148–158. 0003-9233-08-2-05_Pauli 17.11.2008 9:26 Uhr Seite 367 Befreiung aus tyrannischer Gefangenschaft 367 setzer.45 Schon bei der ersten von Wien aus veranstalteten Redemptionsreise, jener von 1690/91, hatte in ähnlicher Weise der christliche Statthalter von Moldau zum Gelingen des Unternehmens beigetragen.46 In einem moldauischen Grenzort konnte bei der ersten Befreiungsreise auch ein erheblicher Teil des mitgeführten Lösegeldes deponiert werden, bis es zur Gefangenenübergabe kam. Vor dem Betreten der tatarischen Gebiete wurden meist durch Boten Erkundigungen eingeholt, unter anderem darüber, ob es für die Redemptoren überhaupt ohne akute Lebensgefahr möglich sei, sich zu Verhandlungen dorthin zu begeben. Während der Kriegshandlungen des Jahres 1698 etwa hatten die osmanischen und tatarischen Gesandten am Hof des walachischen Großfürsten explizit von einer solchen Reise abgeraten, die über Mittelsmänner losgekauften Gefangenen wurden den Patres in der Walachei übergeben.47 Wenn die osmanischen und/oder tatarischen Gebiete tatsächlich betreten wurden, konnten die Befreiungsunternehmen auch über ein Jahr dauern, da nur sehr vorsichtig und unter genauer Berücksichtigung der politischen und sozialen Verhältnisse vorgegangen werden konnte. Insbesondere die Tartaren-Gebiete waren ein sehr schwieriges, undurchsichtiges Terrain, da sie zwar Vasallenstaaten des Osmanischen Reiches waren, aber eine relativ eigenständige Politik betrieben, sodass für den Umgang mit Fremden und Andersgläubigen dort weit weniger Verbindlichkeiten bestanden als im Osmanischen Reich selbst. Einen besonders deutlichen Einblick in diese Umstände gibt die Beschreibung der dritten Redemption der österreichischen Trinitarier in den Jahren 1692/93, die die Ordensleute erstmals in die Krim führte. Dieses Befreiungsunternehmen entwickelte sich für den Redemptor, P. Maurus a Conceptione, und seinen Socius, P. Michael a SS. Sacramento, zu einem wahren Labyrinth von Korruption, Erpressung und Willkür, aus dem die beiden nach mehreren gegen sie gerichteten fremdenfeindlichen Angriffen und mehrmonatiger Gefängnishaft nur mit Müh und Not, unter Aufbietung diplomatischer Maßnahmen bis hin zur Einschaltung des polnischen Königs und des Kaisers selbst, wieder entkamen, mit dem bescheidenen, aber doch vorhandenen Ergebnis der Befreiung von 34 auf der Krim gefangen gehaltenen Christen.48 45 46 47 48 Vgl. S. FELICE, Annales (wie Anm. 35), S. 243–248. Vgl. ebd., S. 100 f. Vgl. ebd., S. 247 f. Vgl. S. FELICE, Annales (wie Anm. 35), S. 124–148. 0003-9233-08-2-05_Pauli 368 17.11.2008 9:26 Uhr Seite 368 Elisabeth Pauli Die Rückreise der Trinitarier mit den befreiten Gefangenen erfolgte üblicherweise über Siebenbürgen und Oberungarn. Die aus diesen Regionen stammenden Befreiten wurden gleich in ihre Heimatgebiete „entlassen“, die übrigen zogen mit den Redemptoren weiter nach Wien, wo Trinitarier und Befreite stets „ingenti hominum applausu & laetitia“, „unter riesigem Applaus und Freude der Menschen“, empfangen wurden. Aus Anlass der gelungenen Befreiung wurde gemäß der Tradition des Ordens in Wien eine große Dankprozession durchgeführt.49 Oft wurden bei diesen spektakulären Feierlichkeiten die vom Orden Befreiten von als Engel verkleideten Kindern flankiert, die als Symbol der ehemaligen Gefangenschaft die Befreiten während des Umzugs mit goldenen Ketten festhielten. Nach der ersten Redemption wurden in einer Broschüre „zur Nachricht an die Nachwelt“ Namen, Alter, Herkunft, Geschlecht, Stand und Lösegeld der Befreiten in drei Sprachen, nämlich Latein, Deutsch und Spanisch, beschrieben, eine Maßnahme der „Öffentlichkeitsarbeit“, die in der Folge fortgesetzt wurde. Leider konnten bislang nicht für alle Befreiungsfahrten der österreichischen Ordensprovinz Redemptionslisten aufgefunden werden. So liegen für die ersten fünf Redemptionen, die in den 1690er Jahren stattfanden, bislang nur die zusammenfassenden Angaben vor, welche in den Annales Provinciae enthalten sind: Die Anzahl der freigekauften Christen war hierbei durchwegs noch relativ gering und belief sich auf insgesamt etwa 150 Personen; darunter waren mehrere Dutzend im Krieg in Gefangenschaft geratene Soldaten des kaiserlichen Heeres, aber auch andere Verschleppte, einschließlich Frauen und Kinder, aus den verschiedensten Teilen der Habsburgermonarchie und – was vor allem Soldaten betraf – des Heiligen Römischen Reiches.50 Besonders erfolgreich in quantitativer Hinsicht waren aber in der Folge gemeinsame Unternehmungen österreichischer Gesandtschaftsdelegationen und der Trinitarier. Anlässe dazu waren die beiden Friedensschlüsse von Karlowitz 1699 und Passarowitz 1718. Das hinsichtlich des Rechtsstatus von Kriegsgefangenen in den Auseinandersetzungen zwischen dem Osmanischen Reich und den christlichen Staaten Bahn bre49 Vgl. ebd., S. 101. Explizit genannt werden die Regionen: Böhmen, Bayern, Belgien, Brandenburg, Franken, Mähren, Österreich (im engeren Sinn des Erzherzogtums), Sachsen, Steiermark, Schwaben, Ungarn, Vogtland und Westfalen. Vgl. S. FELICE, Annales (wie Anm. 35), S. 96, S. 116, S. 146 f. 50 0003-9233-08-2-05_Pauli 17.11.2008 9:26 Uhr Seite 369 Befreiung aus tyrannischer Gefangenschaft 369 chende Vertragswerk von Karlowitz enthielt erstmals auch klare Vereinbarungen für eine verpflichtende wechselseitige Entlassung der Gefangenen gegen Lösegeldzahlung oder durch Gefangenenaustausch nach Abschluss eines Friedensvertrags.51 So konnten bei den „großen Redemptionen“ der Jahre 1699/1700 und 1719/20 durch die Trinitarier allein etwa 1000 Menschen – diese Male vor allem in Konstantinopel – freigekauft werden, die „staatlichen“ österreichischen Gesandten befreiten etwa ebenso viele Gefangene.52 Große Schwierigkeiten bereitete dabei aber die Befreiung von Galeerensklaven, die in den Küstenstädten der Türkei einschließlich Konstantinopels die Mehrzahl der Gefangenen ausmachten. Trotz der gegenseitigen Verpflichtungen durch den erwähnten Friedensvertrag und der Bereitschaft der Österreicher zur Bezahlung hoher „Verkaufspreise“ weigerten sich die zuständigen osmanischen Flottenbefehlshaber, eine größere Anzahl derselben freizulassen, denn Rudersklaven waren schwer zu ersetzen, und es herrschte Mangel an Gefangenen, die zu diesen schwersten körperlichen Arbeiten einsetzbar waren. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass gerade die „deutschen“ (die deutschsprachigen) Gefangenen bei ihren „Besitzern“ anscheinend sehr „beliebt“ waren; jedenfalls berichtet Joannes a S. Felice, dass man dieselben noch weniger als christliche Gefangene anderer Nationen wieder verkaufen wollte, da sie in jeglichen Arbeitssparten (Galeerendienst, Feldarbeit, Handwerk usw.) als „mäßiger, willfähriger und zu Mühen bereiter den Gefangenen anderer Nationen vorgezogen“ würden.53 Nichtsdestoweniger gelang sowohl 1700 als auch 1720 schließlich die Befreiung jeweils mehrerer hundert Gefangener durch die österreichischen Trinitarier; auch in den drei dazwischen liegenden „kleineren“ Redemptionen verbesserte sich die „Leistungsbilanz“ auf jeweils zwischen 100 und 130 Befreite, wobei aber höhere Lösegeld-Summen bezahlt werden mussten, und zwar nicht nur absolut, sondern auch pro Kopf. In den 1720er Jahren, als der Autor der Annales Provinciae, Joannes a. S. Felice, selbst Redemptor war, gelangen dann zwei weitere Redemptionsfahrten in den Budschak, an die Krim und nach Konstantinopel mit 51 Vgl. ebd., S. 279. Vgl. ebd., S. 292–294, S. 661–705. 53 S. FELICE, Annales (wie Anm. 35), S. 327: „quos Germanos tanquam modestiores magisque morigeros & ad labores prompiores cunctis aliarum Nationum mancipiis praeferre.“ 52 0003-9233-08-2-05_Pauli 370 17.11.2008 9:26 Uhr Seite 370 Elisabeth Pauli jeweils über 200 Befreiten; der „Preis“ pro Freigekauftem lag nun aber im Durchschnitt bei 250 Gulden, während er bei der ersten Redemption 1690/91 noch ziemlich genau die Hälfte betragen hatte. In den 1720er Jahren gelang auch die Gründung einer eigenen Trinitarier-Niederlassung in Konstantinopels Vorstadt Pera; dieser Stützpunkt erlaubte es, in der osmanischen Hauptstadt kontinuierlich nach Gefangenen aus der Habsburgermonarchie oder dem Heiligen Römischen Reich Ausschau zu halten und entsprechende Freikaufaktionen gezielt vorzubereiten. Der Niederlassung war sogar eine Lateinschule angegliedert, die von Christen verschiedener Konfessionen frequentiert wurde. Aufgrund ihrer vielfältigen Sprachkenntnisse, die auch oft das Türkische einschlossen, erfreuten sich die Trinitarierpatres ebendort sowohl als Lehrer, als auch als Seelsorger für Angehörige der mit Rom unierten Kirchen großen Ansehens.54 Die überraschende Niederlassungserlaubnis für die österreichischen Trinitarier durch die osmanische Regierung war im Zusammenhang mit einer kulturellen Öffnung des Osmanischen Reiches während der kurzen, sogenannten „Lale-Zeit“ („Tulpenzeit“) unter der Regierung Sultan Ahmeds III. (reg. 1703–1730) erfolgt. Seit dieser Phase wurden die politischen Beziehungen zwischen der Hohen Pforte und den christlichen Mächten aber auch langfristig stärker durch die Regeln des europäischen Völkerrechts bestimmt; Gesandtschaften, Handels- und Freundschaftsverträge gewannen neben den fortbestehenden Konflikten und gegenseitigen Kriegshandlungen an Wichtigkeit.55 Die Verbesserungen der diplomatischen Beziehungen zwischen der Habsburgermonarchie und dem Osmanischen Reich, von denen auch die Trinitarier in der Verfolgung ihrer Ziele sehr profitierten, bedeutete letztendlich aber auch, dass der Austausch und die Rückholung von (Kriegs-) Gefangenen immer mehr zu einer Aufgabe des Staates wurde, der im Laufe des 18. Jahrhunderts im Zuge der Aufklärung zudem ja generell sehr viele Agenden übernahm, die bis dahin Ordensgemeinschaften und andere kirchliche Institutionen inne gehabt hatten.56 Erste Kompetenzstreitigkeiten zwischen Trinitariern und staatlichen Behörden lassen sich schon im frühen 18. Jahrhundert, also nur kurz nach der Etablierung des 54 Vgl. ebd., S. 762. Vgl. Josef MATUZ, Das Osmanische Reich, Darmstadt 31996, S. 191–198. 56 Vgl. zu mentalitätsgeschichtlich-kulturellen Veränderungen im Habsburgerreich des 18. Jahrhunderts: Karl VOCELKA, Glanz und Untergang der höfischen Welt, Wien 2004, bes. S. 235–247, S. 374–380. 55 0003-9233-08-2-05_Pauli 17.11.2008 9:26 Uhr Seite 371 Befreiung aus tyrannischer Gefangenschaft 371 Ordens in Österreich, beobachten: Anlässlich der Rückkehr der neunten Redemption im Jahr 1710 forderte die österreichische Regierung, dass die Trinitarier alle ehemaligen Gefangenen, die nicht unmittelbar den österreichischen Erblanden entstammten, nicht bis nach Wien zur feierlichen Prozession mitnehmen sollen. Obwohl auch bei früheren Redemptionen, zum Beispiel bei Knappheit der materiellen Ressourcen, befreite Siebenbürger und Ungarn schon verschiedentlich während der Durchreise durch ihre Heimatländer entlassen worden waren, entsprach dies nicht den Wünschen der Trinitarier, die ja dem „Publikum“ in Wien eine große Menge von Befreiten als Resultat ihrer Bemühungen präsentieren wollten und den großen öffentlichen Empfang, der den Befreiten in der Hauptstadt bereitet wurde, wohl als Genugtuung für befreiten „Mitchristen“ und als „Lohn“ für den Orden selbst betrachteten.57 Ein nicht unwesentlicher Aspekt war dabei sicher auch die „Werbung“ für den katholischen Glauben. Auch aus diesem Grund legte der Orden im frühneuzeitlichen Österreich besonderen Wert darauf, nicht nur Katholiken, sondern auch Angehörige protestantischer und orthodoxer Kirchen, die aus der Habsburgermonarchie oder dem Heiligen Römischen Reich stammten, zu befreien.58 Natürlich wurde in diesem Zusammenhang versucht, die Betroffenen für den „wahren“, katholischen Glauben „zurück zu gewinnen“, was angesichts der oft sicher erheblichen Dankbarkeit der Befreiten und des engen Kontakts bei der monatelangen gemeinsamen Rückreise mit den Trinitarierpatres auch oft gelang. Muslime wurden insbesondere in der Habsburgermonarchie selbst freigekauft, wenn sie hier als Kriegsgefangene festgehalten wurden. Auch bei ihnen wurden dann Bekehrungsversuche unternommen, der Hauptzweck ihres „Erwerbs“ bestand aber darin, dass sie als künftige „Tauschobjekte“ für christliche Gefangene dienen sollten. Zum katholischen Glauben konvertierte Muslime – was gelegentlich vorkam – wurden aber natürlich nicht mehr ausgetauscht; bei ihnen handelte es sich ja fortan um Mitglieder der „Christenheit“, die in Freiheit zu entlassen waren.59 Wie die Redemptionen nach 1728, dem Jahr, als die Niederlassungen der Trinitarier in der Habsburgermonarchie zu einer eigenen Ordensprovinz zusammengelegt wurden, abgewickelt wurden, ist leider nicht in 57 58 59 Vgl. S. FELICE, Annales (wie Anm. 35), S. 473–477. Vgl. ebd., S. 117. Vgl. S. FELICE, Annales (wie Anm. 35), S. 207. 0003-9233-08-2-05_Pauli 372 17.11.2008 9:26 Uhr Seite 372 Elisabeth Pauli jener Detailliertheit bekannt wie die erste Phase der Ordenstätigkeit, da der über 800 Seiten starke Bericht der Annales Provinciae 1728 endet. Für die 1730er und 1740er Jahre fehlen auch noch nähere Bearbeitungen der erhaltenen Redemptionslisten; klar ist aber, dass sich die Befreiungsfahrten jener Jahrzehnte weiterhin hauptsächlich nach dem Osmanischen Reich richteten – die Habsburgermonarchie lag 1735 bis 1739 erneut im Krieg mit der Hohen Pforte –, nun aber stärker auf den osmanisch regierten Balkan und vereinzelt bereits nach Nordafrika. In den insgesamt sieben Redemptionsfahrten zwischen 1734 und 1750 wurden zusammen etwas mehr als 1.000 gefangen gewesene „kaiserliche Untertanen“ befreit, zu einem Preis von durchschnittlich etwa 230 Gulden pro Kopf.60 Danach nahm die Zahl der von österreichischen Trinitariern aus muslimischen Ländern „erlösten“ Christen deutlich ab, was zweifellos in Zusammenhang mit dem kontinuierlichen Friedenszustand zwischen Habsburgermonarchie und Osmanischem Reich in der Zeit von 1739 bis 1787 zusammenhängt. Dementsprechend verlagerten sich die Tätigkeiten der Ordensleute immer mehr in den Mittelmeer-Raum, wo angesichts der fortdauernden Piraterie der „Barbareskenstaaten“, der in einem beträchtlichen Ausmaß auf Seeräuberei und Sklavenhaltung gegründeten muslimischen Staatswesen in Nordafrika, weiterhin Bedarf für die karitativen Dienste der Trinitarier bestand.61 Auch Konstantinopel als ein Zentrum des mittelmeerischen Sklavenhandels im 18. Jahrhundert blieb natürlich weiterhin Reisedestination. In den 1750er Jahren wurden insgesamt etwas mehr als 250 gefangen gehaltene Christen durch die „Deutsche Provinz“ der Trinitarier losgekauft, in den 1760er Jahren knapp 200, im folgenden Jahrzehnt aber wieder deutlich mehr, fast 270. Auch kurz vor seiner Auflösung in Österreich war der Orden durchaus noch sehr aktiv: In den vier Jahren von 1780 bis 1783 kaufte der letzte Redemptor Engelbertus a Matre Dei, in Konstantinopel, Tripolis und Algier 135 Menschen frei. Insgesamt hatte der österreichische Zweig des Trinitarierordens während der nicht ganz hundert Jahre seines ersten Bestandes62 knapp 4000 Menschen aus der 60 Nach der Zusammenfassung in: PORRES ALONSO, Libertad (wie Anm. 1), S. 597–617. Vgl. Robert DAVIES, Christian Slaves, Muslim Masters. White Slavery in the Mediterranean, the Barbary Coast and Italy, 1500–1800, New York 2004. 62 Um 1900 wurde der Orden in Österreich neu begründet; heute bestehen Häuser in Wien und Mödling. 61 0003-9233-08-2-05_Pauli 17.11.2008 9:26 Uhr Seite 373 Befreiung aus tyrannischer Gefangenschaft 373 Gefangenschaft freigekauft, eingetauscht oder – in sehr seltenen Fällen – geschmuggelt; an Lösegeldern hatten die Fratres hierfür über 1.000.000 Gulden aufgewandt.63 Für die Finanzierung des Gefangenenfreikaufs sah die Ordensregel der Trinitarier ja die Verwendung eines Drittels aller Einkünfte vor; neben dem Drittelertrag aus allgemeinen Einkünften, wie zum Beispiel aus Arbeits- und Kapitalerträgen und den regelmäßigen Almosensammlungen, bemühte man sich aber auch um „Sondereinnahmen“ für diesen Zweck. Gezielt wurden vermögende Kreise, insbesondere das Herrscherhaus selbst und der katholische Hochadel, um „Großspenden“ gebeten, deren Bewilligung sich dann auch in den gedruckten Redemptionsverzeichnissen in Form von Hinweisen und Widmungen niederschlug. Teils wurden sogar gesonderte Stiftungen für den Zweck der Gefangenenbefreiung zugunsten des Trinitarierordens eingerichtet, so nennen die Redemptionsverzeichnisse der 1760er und 1770er Jahre neben dem – nur aus hochadeligen Mitgliedern bestehenden – Sternkreuzorden Stiftungen der Adelsfamilien der Batthyány, Christalnig, Decorei, Harrach, Kohary, Nemay, Rottal, Spork, Savoy-Liechtenstein, Szeszeny, Szirmay, Thauszy, Zadolsky und Zichy – also vornehmlich ungarische Geschlechter – als „Sponsoren“ für die Lösegelder von insgesamt 363 Gefangenen; im selben Zeitraum konnten mit staatlichen Hilfsgeldern lediglich 50 Menschen freigekauft werden, mit den „Almosen der Provinz“, also den Ergebnissen der allgemeinen Sammeltätigkeit, immerhin 120. Weiters gab es in mehreren Orten in Österreich, aber auch in anderen katholischen Reichsterritorien, trinitarische Bruderschaften, die dem Orden verbunden waren, und sich nicht zuletzt durch Sammelaktionen an dessen Aktivitäten beteiligten. In der breiteren „Öffentlichkeit“ wurde durch besondere Redemptions-Predigten vor geplanten Befreiungsreisen gesammelt.64 Wenn die Destinationen der Redemptionsreise feststanden, erging sogar per öffentlichem Anschlag in größeren Städten der Habsburgermonarchie die Anfrage, ob jemandem über christliche Gefangene in dieser Region etwas Näheres bekannt sei, und wenn Nachrichten 63 Vgl. PORRES ALONSO, Libertad (wie Anm. 1), S. FELICE, Annales (wie Anm. 35) sowie die in Anm. 38 genannten Redemptionslisten. 64 Als Vorlagen für die Predigten dienten hauptsächlich die populären Schriften und die Reiseberichte der Trinitarier, welche mit Schilderungen der furchtbaren Lebensbedingungen der Christensklaven nicht sparten. Vgl. hierzu: GMELIN, Weißspanier (wie Anm. 1), S. 374. 0003-9233-08-2-05_Pauli 374 17.11.2008 9:26 Uhr Seite 374 Elisabeth Pauli über dort konkret gefangen gehaltene Personen vorlagen, versuchten die Ordensleute auch gezielt, von deren Verwandten, Nachbarn, Obrigkeiten usw. Beiträge zum Lösegeld zu erhalten.65 In jeder Provinz wurden pro Redemption zwei Prokuratoren bestimmt, welche die Almosensammlung zu organisieren hatten; kurzfristig konnten zur Durchführung von Sammlungen gemäß den Ordensregeln auch Laien als zusätzliche Mitarbeiter angestellt werden, wobei sowohl Haussammlungen veranstaltet wurden, als auch an zentralen öffentlichen Plätzen um Almosen gebeten wurde; in Wien wurden dafür Sammelbüchsen beim Stephansdom, beim Schottenkloster und bei den Klöstern der Jesuiten, Barnabiten, Hieronymiten und Minoriten aufgestellt.66 Wie schon erwähnt wurde, enthalten die Redemptionslisten vielfach Daten zum sozialen Status der Gefangenen (Geschlecht, Alter, Stand, Beruf) und über die Gefangenschaft selbst. Im Folgenden soll eine Übersicht über die bisherigen Ergebnisse statistischer Auswertungen dieser Informationen gegeben werden, welche für die Redemptionen des Zeitraums von 1760 bis 1783, also die letzte Phase der Ordenstätigkeit in der Habsburgermonarchie, vorgenommen werden konnten.67 Die sieben Redemptionen jener Jahrzehnte richteten sich immer noch nach Konstantinopel, Kleinasien, Südosteuropa und zur Schwarzmeerküste, in größerem Ausmaß nun aber auch nach Nordafrika, wo die Städte Algier (jedes Mal), Tripolis, Salé (mindestens zwei- oder dreimal), Tunis und Mascara (je mindestens einmal) angesteuert wurden. Von den insgesamt genau 600 in den Redemptionsverzeichnissen genannten Gefangenen wurden dabei über 350 an zwei Orten erlöst, nämlich Algier (über 200) und Konstantinopel (ca. 150). Keine andere der angefahrenen Städte war demgegenüber – im späten 18. Jahrhundert – auch nur annähernd so bedeutsam für den Sklavenfreikauf von Mitteleuropäern. Die bei den Redemptionen der Jahre 1765 bis 1783 bezahlten Lösegelder waren gegenüber denen der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts eklatant angestiegen, und zwar auf durchschnittlich 715 Gulden pro Kopf. Hierbei müssen aber starke „Preisunterschiede“ in den einzelnen Regionen festgestellt werden: Die „Sklavenpreise“ in Nordafrika waren mit Ab65 Vgl. BUHL, Wiederkehr (wie Anm. 1), S. 10. Vgl. hierzu: GMELIN, Weißspanier (wie Anm. 1), S. 369. 67 Die Redemptionslisten für diesen Zeitraum (wie Anm. 38) sind im Archiv des Trinitarierkonvents in Mödling vorhanden, und konnten dort eingesehen werden, wofür die Verfasserin auch an dieser Stelle nochmals herzlich danken möchte. 66 0003-9233-08-2-05_Pauli 17.11.2008 9:26 Uhr Seite 375 Befreiung aus tyrannischer Gefangenschaft 375 stand am höchsten; hier mussten die Redemptoren mit durchschnittlich 862 Gulden pro Gefangenem drei- bis viermal so viel Lösegeld bezahlen wie im Osmanischen Reich oder der „Tartarei“. Die Ursachen für diese so großen Unterschiede müssten noch näher untersucht werden; sicher spielte aber die „Abgelegenheit“ der „Barbareskenstaaten“, die noch im späten 18. Jahrhundert sowohl eine Flucht der Gefangenen als auch politisch-militärische Interventionen der europäischen Mächte vergleichsweise schwierig machten, hierfür eine wichtige Rolle. Außerdem basierte die Wirtschaftstätigkeit in jenen nordafrikanischen Gebieten zu jener Zeit viel stärker auf Sklavenarbeit, als dies im Osmanischen Reich der Fall war.68 Innerhalb der „Barbareskenstaaten“ herrschte aber keineswegs ein „Einheitspreis“; wie eine detaillierte Auswertung zeigt, waren die in Tripolis bezahlten Lösegeldsummen denen im Osmanischen Reich ähnlich (im Durchschnitt 325 Gulden), während in Algier, wo die meisten Befreiungen stattfanden, im Mittel 882 Gulden bezahlt werden mussten, in Maschera über 1.000, und in den „Piratenstaaten“ Salé und Marokko (von wo aber nur 12 Personen „erlöst“ wurden) sogar über 1.600 fl. pro Person! Hinsichtlich der Dauer der Gefangenschaft ist vor allem bemerkenswert, dass von den 522 Betroffenen, für die entsprechende Angaben überliefert sind, 127, also etwa ein Viertel, „schon“ nach einigen Monaten, spätestens aber nach einem Jahr freikam. Maximal drei Jahre waren insgesamt 295 dieser Verschleppten in Gefangenschaft. Diese Zahlen sprechen für eine gewisse Effizienz der karitativen Bemühungen des Trinitarierordens, wenn auch sicher manche Versklavte niemals mehr freigekauft werden konnten, und andere erst nach mehrjähriger, ja jahrzehntelanger Sklaverei: Etwa ein Fünftel der Befreiten war länger als fünf Jahre gefangen gewesen, rund 10 % sogar länger als 10 Jahre. Einige Unglückliche hatten erst nach 25, 30 oder mehr Jahren die Freiheit wiedererlangt.69 Im Hinblick auf die sozialen Merkmale der Befreiten enthalten die Redemptionslisten vor allem Angaben über die geographische Herkunft, den Stand, das Alter und – anhand der Vornamen – das Geschlecht. Hinsichtlich des letzteren ist zu konstatieren, dass sich unter den 600 von 1760 bis 1783 befreiten Personen nur neun Frauen befanden, was wahr68 Vgl. Gustave von Grunebaum (Hg.), Die islamischen Reiche nach dem Fall von Konstantinopel, Frankfurt am Main 2003, bes. Bd. 2, S. 398–410. 69 Redemptionslisten der Jahre 1760 bis 1783 (wie Anm. 38). 0003-9233-08-2-05_Pauli 17.11.2008 376 9:26 Uhr Seite 376 Elisabeth Pauli scheinlich daran liegt, dass sich Frauen den Gefahren, die bei Schifffahrten oder auch an ungeschützten Küsten am Mittelmeer im 18. Jahrhundert noch lauerten, nur bei äußerster Notwendigkeit aussetzten.70 In Bezug der Herkunft der Befreiten zeigt sich dagegen eine ziemlich überraschende Vielfalt: Herkunft der von den „österreichischen“ Trinitariern befreiten Gefangenen 1760–1783 I. Habsburgische Länder ohne nähere Angabe 12 Italien o.n.A. 67 Bayern 15 Venedig 11 Österreich 17 Schwaben und Baden 8 Genua 17 6 Elsaß und Lothringen 3 Piemont Tirol 33 Breisgau 4 Böhmen 19 Mähren 4 11 2 Parma 4 Westfalen, Berg, Jülich 5 Kirchenstaat 9 Franken 2 Neapel und Kalabrien 2 Hessen 4 Korsika 2 41 Sachsen 6 Sardinien, Sizilien 3 Kroatien 30 Schlesien 7 Ragusa 3 Bremen, Lübeck, Holstein 3 Malta 4 5 Transsilvanien 14 BrandenburgPreußenB 4 Spanien 24 öst. Niederlande 14 Bst. Fulda 4 Portugal 2 Mailand 62 Bst. Würzburg 8 Frankreich 3 Mantua 18 Bst. Konstanz 5 Schweiz 9 Toskana 16 Ebst. Köln 4 Polen 5 Ebst. Mainz 9 Russland, Georgien 2 Ebst. Trier 7 Osmanisches ReichC Summe C Kurpfalz 13 Ungarn Banat B III. Andere öst. KüstenlandA Steiermark und Kärnten A II. Reich 350 Summe 117 Summe Triest, Fiume, Görz, österreichisch Istrien Preußen ist dem Reich zugerechnet vor allem in Gefangenschaft geborene Kinder von Christen 70 Vgl. dazu: DAVIES, Christian Slaves (wie Anm. 62). 6 121 0003-9233-08-2-05_Pauli 17.11.2008 9:26 Uhr Seite 377 Befreiung aus tyrannischer Gefangenschaft 377 Die Trinitarierprovinz der Habsburgermonarchie befreite, wie aus der obigen Tabelle zu ersehen, also keineswegs nur „Österreicher“ oder kaiserliche Untertanen. Ihrer Herkunft nach sind in den Redemptionslisten nur 350 von 600 Befreiten (58 %) dem habsburgischen Herrschaftsbereich zugeordnet und weitere 114 (19 %) dem „Reich“ (den nicht-habsburgischen Reichsterritorien). Mehr als ein Fünftel der Befreiten stammte dagegen aus anderen Ländern, vor allem aus nicht-habsburgischen Teilen Italiens und aus Spanien; aber auch Portugiesen, Malteser, Franzosen, Schweizer, Polen, ja sogar jeweils ein Russe, Georgier und Perser waren unter den von der österreichischen Trinitarierprovinz losgekauften christlichen Gefangenen. Dass unter den befreiten habsburgischen Untertanen Bewohner des „Litorale“ (Triest, Grafschaften Görz und Istrien, Fiume), Italiener (Mailänder, Mantuaner, Einwohner der Toskana) und Einwohner der zur ungarischen Krone gehörigen Regionen (Ungarn, Kroaten usw.) besonders große Anteile stellten, ist nicht weiter verwunderlich, da diese Regionen durch ihre Nachbarschaft zum Osmanischen Reich oder durch starke Beteiligung an der Mittelmeer-Schifffahrt besonders gefährdet waren. Was das Alter der Befreiten angeht, ergibt die Auswertung der Redemptionslisten für das späte 18. Jahrhundert ein Überwiegen von Personen mittleren Alters – etwa zwei Drittel der gefangen gehaltenen Christen waren bei ihrer Befreiung zwischen 25 und 45 Jahre alt, nur 20 % jünger und nur 17 % älter. Eine Betrachtung der angegebenen Berufsbzw. Standesbezeichnungen – diese sind nur in 237 der 600 Fälle bekannt – zeigt, dass (wenig überraschend für diese Periode) die Seeleute einen ganz beträchtlichen Anteil der Verschleppten darstellten, nämlich 106 Personen (45 %), gefolgt von Militärangehörigen (Soldaten, Offizieren) mit 55 Befreiten (23 %), sowie 33 Handwerkern (14 %), 20 Handelsleuten (8 %) und acht Geistlichen (3 %). Weitere, selten vorkommende Bezeichnungen verweisen auf Neuansiedler im Banat, Bedienstete und Verwalter (je zwei Fälle); als Adelige sind nur zwei Freigekaufte erkennbar. Die jeweilige Standeszugehörigkeit schlug sich (soweit für die Verkäufer erkennbar) natürlich auch auf die Lösegeldsummen nieder, was ein statistischer Mittelwertvergleich belegen kann: Die höchsten Lösegelder mussten (sieht man vom Sonderfall der adeligen Gefangenen ab) allerdings nicht für Soldaten oder Seeleute, sondern für Handwerker gezahlt werden, nämlich im Durchschnitt 860 Gulden (gegenüber 426 bzw. 595).71 71 Redemptionslisten der Jahre 1760 bis 1783 (wie Anm. 38). 0003-9233-08-2-05_Pauli 378 17.11.2008 9:26 Uhr Seite 378 Elisabeth Pauli Die Aufhebung des Trinitarierordens in der Habsburgermonarchie 1783 Wie schon erwähnt wurde, stand der Trinitarierorden der staatlichen Obsorge für verschleppte Untertanen immer mehr im Wege, sodass der Orden trotz seiner zweifellos karitativen Tätigkeit von Joseph II. am 21. November 1783 durch ein Hofdekret aufgehoben wurde. Begründet wurde diese Entscheidung mit dem Argument, dass die Befreiung von gefangenen Christen auch auf andere, „zweckdienlichere“ Art geschehen könnte. Schon am 25. Februar desselben Jahres waren die Trinitarierklöster in Galizien, das ja seit 1772 der Habsburgermonarchie zugehörte, aufgehoben worden. Im Wiener Konvent befanden sich zum Zeitpunkt der Aufhebung insgesamt 46 Personen, 32 Priester, zwölf Laienbrüder und zwei Studenten. Die dem Wiener Trinitarierkonvent zugedachten Stiftungen, mit Kapitalien im sehr beachtlichen Ausmaß von etwa 800.000 Gulden gingen auf den von der Regierung administrierten „Religionsfond“ über.72 Dabei waren bereits die letzten Jahre des Bestandes des Trinitarierordens in Österreich – wie bei etlichen anderen Orden auch – gekennzeichnet durch gezielte Diffamierung in der Öffentlichkeit, was u. a. durch die staatlichen Behörden betrieben wurde, die damit die Klosteraufhebungen vorbereiteten. In diesen Jahren entstanden etliche Schmähschriften, die sich u. a. auch gegen die Trinitarier richteten. Besonders ein Zitat von einem Grazer Anonymus aus dem Jahr 1792 illustriert eindrücklich, auf welches Unverständnis die Trinitarier in manchen Teilen der Bevölkerung gestoßen waren. Aus dem einfachen Grund, weil die Ordensleute in der Ausübung ihrer Befreiungsaktivitäten mit den „Türken“ in Beziehung traten, vermutete man eine Allianz mit denselben: „Sie [die Trinitarier] schleppten sogar unser bares Geld zu den türkischen Despoten und führten dafür ausländische elende Krüppel oder abgefeimte Spitzbuben ins Land.“73 72 73 Vgl. KOBLIZEK, Niederlassung (Anm. 1) 61. Zit. in: DE LEEUW, Trinitarier (Anm. 1), 26.
© Copyright 2024 ExpyDoc