Brzezinski zu Russland: "Wir befinden uns im

Brzezinski zu Russland: "Wir befinden uns im
Kalten Krieg"
Ein Interview von Sebastian Fischer und Holger Stark, Washington
SPIEGEL ONLINE
Früherer Präsidentenberater Brzezinski: "Außenpolitischer Druck ist heute stärker innenpolitisch spürbar"
Der ehemalige Sicherheitsberater von US-Präsident Carter fordert
Waffenlieferungen an die Ukraine und droht Putin mit Krieg, falls Russland im
Baltikum einmarschiert. Einen Lösungsvorschlag für die Krise hat Zbigniew
Brzezinski auch.
Russland will sein Arsenal an Interkontinentalraketen ausbauen. Die USA wollen schweres
Kriegsgerät in osteuropäischen Nato-Staaten verlegen, zudem denkt man in Washington
über neue atomare Marschflugkörper für Europa nach, weil Russland einen
Abrüstungsvertrag verletzt haben soll. Die Ukrainekrise droht auszuufern.
Im Interview mit SPIEGEL ONLINE spricht Zbigniew Brzezinski, von 1977 bis 1981
Nationaler Sicherheitsberater des demokratischen US-Präsidenten Jimmy Carter, über den
neuen Kalten Krieg. Der 87-Jährige arbeitet heute bei der Denkfabrik Center for Strategic
and International Studies (CSIS) in Washington. Dort empfängt Brzezinski auch, er blättert
im SPIEGEL und erzählt, dass er sich regelmäßig die wichtigsten Artikel übersetzen lässt.
SPIEGEL ONLINE: Mr. Brzezinski, sehen wir gegenwärtig die Anfänge eines neuen Kalten
Kriegs zwischen Russland und den USA?
Brzezinski: Wir sind längst im Kalten Krieg. Zum Glück ist es weiterhin eher
unwahrscheinlich, dass daraus ein heißer Konflikt wird.
SPIEGEL ONLINE: Der letzte Kalte Krieg währte über vier Jahrzehnte. Wird es diesmal
ähnlich lange dauern?
Brzezinski: Das glaube ich nicht, die Dinge entwickeln sich viel schneller. Außenpolitischer
Druck ist heute stärker innenpolitisch spürbar. Wenn also die Ukraine nicht
zusammenbricht, dann wird der Druck daheim Russlands Anführer zwingen, nach
Alternativen zu suchen. Putin ist hoffentlich so klug, besser früher als zu spät zu handeln.
SPIEGEL ONLINE: Ist er so klug?
Brzezinski: Schwer zu sagen. Er verfügt auf jeden Fall über instinktive Schläue, er hat
große Raffinesse. Ich frage mich nur, warum er nahezu vorsätzlich 40 Millionen Menschen
in einem Nachbarstaat gegen sich aufbringt. Die Ukrainer hatten ja bis vor kurzem
keinerlei feindliche Gefühle gegenüber Russland.
SPIEGEL ONLINE
Brzezinski bei der SPIEGEL-Lektüre in seinem Büro
SPIEGEL ONLINE: Finden Sie es richtig, dass die USA schweres Kriegsgerät nach
Osteuropa und ins Baltikum entsenden wollen?
Brzezinski: Finden Sie es richtig, Truppen und Waffen in ein souveränes Land zu
entsenden und einen begrenzten Krieg in einem Teil dieses Staates vom Zaun zu brechen,
nachdem man bereits einen größeren Teil an sich gerissen hat?
SPIEGEL ONLINE: Sie meinen Putins Vorgehen in der Ukraine.
Brzezinski: Sie müssen immer beide Seiten sehen. Es handelt sich hier um Aktion und
Reaktion. Ich will keinen Krieg, aber ich bin auch nicht bereit, mich von der Behauptung
einschüchtern zu lassen, dass wir mit einer symmetrischen Reaktion einen Krieg
provozieren. Ganz im Gegenteil: Reagieren wir nicht, ist das die wahrscheinlichste Art,
einen Krieg herbeizuführen.
SPIEGEL ONLINE: Spielt nicht gerade eine solche Aufrüstung des Westens Putins
antiwestlicher Propanda in die Hände?
Brzezinski: Wollen Sie damit sagen, dass die Nato nicht das Recht hat, Soldaten auf dem
Territorium ihrer Mitgliedstaaten zu stationieren, wenn sich in direkter Nähe Gefahren
abzeichnen?
SPIEGEL ONLINE: Die Frage war, ob das eine kluge Entscheidung ist, weil sie Putin
ermöglicht, bei der russischen Bevölkerung zu punkten.
Brzezinski: Mit diesem Argument hätte man auch die Zurückhaltung bei Hitlers Einmarsch
im Sudetenland und dem "Anschluss" Österreichs rechtfertigen können.
SPIEGEL ONLINE: Sie vergleichen Putin mit Hitler?
Brzezinski: Es gibt Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Hitler zum Beispiel war nie
wirklich daran interessiert, reich zu werden. Putin dagegen schon. Vielleicht vermag diese
Lebensperspektive seine politischen Leidenschaften etwas zu mäßigen. Besonders
gefährlich ist, dass Putin ein Spieler ist.
DER SPIEGEL
SPIEGEL ONLINE: Angenommen, Putin ließe russische Soldaten ins Baltikum
einmarschieren. Würde die Nato kämpfen?
Brzezinski: Natürlich. Dafür ist die Nato doch da, nicht wahr? Wenn wir jedem in der Welt
erzählen, wir würden nicht meinen, was wir sagen und wir würden nichts tun, wenn uns
etwas angetan wird, dann können Sie im Sommer auch ein Schild an Ihr Haus hängen:
"Wir sind weg, die Türen sind nicht verschlossen." Halten Sie das für eine clevere
Sicherheitsstrategie?
SPIEGEL ONLINE: Jüngst hat eine Umfrage ergeben, dass 58 Prozent der Deutschen im
Falle eines militärischen Konflikts zwischen Russland und einem benachbarten Nato-Land
dem Verbündeten nicht zur Hilfe kommen wollen würden.
Brzezinski: Habe ich gesehen. Wie viel Prozent der Deutschen würden denn sagen, dass
die USA ihnen nicht zu Hilfe kommen sollte, würde Deutschland angegriffen?
SPIEGEL ONLINE: Wahrscheinlich würde die große Mehrheit sagen: Helft uns.
Brzezinski: So ist es. Ändern sich die Umstände, ändert sich die menschliche Natur.
Schauen Sie sich mal die Litauer an, diese kleine Nation. Die haben gerade erklärt, sie
würden sich selbst verteidigen. Punkt. Das sollte Deutschland beschämen. Tatsächlich bin
ich überzeugt, dass die Deutschen kämpfen würden. Kanzlerin Merkel wäre bereit zu
kämpfen und die Opposition wäre es auch.
SPIEGEL ONLINE
SPIEGEL ONLINE: Im Ukrainekonflikt hat Präsident Obama Merkel die Führung
überlassen. Eine gute Entscheidung?
Brzezinski: Merkel macht einen extrem guten Job. Und Obama hat andere Probleme,
etwa im Nahen Osten.
SPIEGEL ONLINE: Aus Merkels Sicht sind Waffenlieferungen an die Ukraine falsch, weil
es keine militärische Lösung dieses Konflikts gebe. Was sagen Sie?
Brzezinski: Es wäre sinnvoll, der Ukraine Defensivwaffen zur Verteidigung der großen
Städte zu liefern, panzerbrechende Waffen oder Mörser etwa. Denn wir sollten den Preis
russischer Gewaltanwendung erhöhen. Eine Stadt einzunehmen, deren Bevölkerung zur
Verteidigung entschlossen ist, das ist extrem kostspielig.
SPIEGEL ONLINE: Sehen Sie einen Ausweg für diesen Konflikt jenseits einer weiteren
Eskalation?
Brzezinski: Es braucht ein ähnliches Arrangement wie jenes zwischen Russland und
Finnland, das seit Jahrzehnten für Stabilität und Frieden sorgt. Die Ukraine sollte das Recht
haben, ihre politische Identität frei zu wählen und sich enger an Europa zu binden.
Gleichzeitig muss Russland versichert werden, dass die Ukraine nicht in die Nato
aufgenommen wird. Das ist die Lösungsformel.
SPIEGEL ONLINE: In den letzten Jahren haben wir viel über die NSA gelernt. Hat die NSA
während Ihrer Zeit als Nationaler Sicherheitsberater Bundeskanzler Helmut Schmidt
abgehört?
Brzezinski: Ich habe ein Verantwortungsgefühl gegenüber meiner früheren Position und
deshalb werde ich das hier nicht diskutieren.