Konzeption Relationierung Theorie - Praxis

Relationierung Theorie – Praxis im Bachelor-Studium Soziale Arbeit HSA FHNW
Das Verständnis der Relationierung Theorie – Praxis im Bachelor-Studium Soziale Arbeit wurde im
Rahmen des Projekts Weiterentwicklung Bachelor-Studium von einer Arbeitsgruppe erarbeitet und
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von der Hochschulleitung bestätigt .
1. Ausgangslage
Die Grundidee der Relationierung Theorie – Praxis beruht auf der Erkenntnis, dass das Curriculum
des Bachelor-Studiums das Ziel verfolgt, dass Studierende lernen, abstraktes theoretisches Wissen
zur Erklärung konkreter Fallproblematiken und -verläufe zu nutzen. Die Orientierung an realen Praxissituationen ist daher ein zentrales didaktisches Mittel (Fäh/Becker-Lenz 2011). Das hier dargestellte
Verständnis für die Relationierung Theorie – Praxis im Bachelor-Studium wurde im Rahmen des Pro2
jekts Weiterentwicklung Bachelor-Studium, Teilprojekt 2 , erarbeitet und von der Hochschulleitung
begrüsst und genehmigt.
In diesem Papier wird zuerst die Grundlegung der Relationierung Theorie - Praxis grundsätzlich begründet und für das Bachelor-Studium konkretisiert. Darauf folgend werden Möglichkeiten der Umsetzung dargestellt.
2. Grundlegung und Begründung
Professionelles Handeln im beruflichen Kontext wird von vielfältigen Faktoren beeinflusst. Das Handeln der Professionellen ist geprägt durch Persönlichkeitsfaktoren bzw. ihre biografischen Erfahrungen und die berufliche Sozialisation. Gemäss Staub-Bernasconi fordert die Grundlegung der Professionalität einerseits eine solide Basis an Wissenschaftlichem Wissen (Callo 2005, S. 43). Andererseits
benötigen Professionelle einen professionellen Habitus, um die Handlungsanforderungen der Praxis
zu bewältigen. Dieser wird im Bericht „Theoretische Grundlegung“, Teilprojekt 1, ausführlich dargestellt (Becker-Lenz/Fäh 2010).
Wissenschaftliches Wissen ist eine Wissensform neben anderen. Ziel des Wissenschaftlichen Wissens ist es, über das im Alltag entstandene Wissen hinausgehende Erkenntnisse zu erzeugen und zu
systematisieren (Sommerfeld 2004, S. 181). Soziale Arbeit als Handlungswissenschaft bearbeitet als
Gegenstand der Wissenschaft die Praxis der Sozialen Arbeit in ihrer gesellschaftlichen und institutionellen Kontextualisierung und die darin auftretenden Handlungsprobleme und trägt damit zur Bearbeitung von Problemen der ihr zugehörigen Profession bei. Die Bezugswissenschaften ihrerseits bearbeiten spezialisiert und tiefgreifend Fragen, die aus der Komplexität der Handlungswissenschaften entstehen. Ziel ist „ein umfassendes Gedankengebäude, von dem aus begründete […] Aussagen gemacht und darauf bezogene weiterführende Ideen, Modelle und Konzeptionen entwickelt werden können“ (Sommerfeld 2004, S. 190).
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In der Arbeitsgruppe vertreten sind folgende Mitarbeitende der HSA: Charlotte Friedli; Dorothea Gautschin; Ursula Hochuli
Freund; Matthias Hüttemann; Beate Knepper; Achim Korthaus; Regula Kunz; Dorothea Lage; Elisabeth Müller Fritschi; Wim
Nieuwenboom; Peter Sommerfeld und Adi Stämpfli. Geleitet wurde die Arbeitsgruppe von Barbara Fäh, assistiert von Jelena
Malesevic.
Studienzentrum Soziale Arbeit
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Reflexion ist ein bewusster kognitiver Prozess, der das kritische Nachdenken über Handlungen, deren
Bedingungen und Konsequenzen unter Einbezug des Wissens über die eigene Person und die Welt
mit einschliesst. Reflexion führt zu sinnstiftenden Konsolidierungen oder Veränderungen des
individuellen Wissens und Könnens und des Selbst und beeinflusst damit zukünftige Handlungen und
Reflexionen. Reflexion als bewusstes, kritisches Nachdenken findet in der Regel nach einer Aktivität
statt. Ausgelöst werden Reflexionsprozesse durch die Wahrnehmung und Beobachtung von
Differenzen bzw. Diskrepanzen oder von nicht hinreichender Bewältigung einer Anforderung.
Selbstreflexion als eine spezifische Form von Reflexion fokussiert auf die eigene Person, bzw. deren
Selbst(konzept) (Dewey 1933; Dewey 2004; Greif 2004; Schön 1983; Schön 1987). Der
Referenzpunkt der professionellen Reflexion ist das zur Verfügung stehende wissenschaftliche
Wissen. Ausgehend von der Erfahrung und dem im Erfahrungskontext vorhandenen Wissen wird eine
Rationalitätssteigerung in der Praxis durch die Reflexion auf das disziplinäre und transdisziplinäre
Wissen erreicht. Dies ist konstitutiver Bestandteil von Professionalität (Harmsen 2011; Harmsen im
Erscheinen).
Die geforderte Relationierung von Theorie und Praxis umfasst die bereits benannten Dimensionen
und ist mit Schwierigkeiten verbunden: Die beiden Systeme sind verschiedenen Logiken verpflichtet,
die zwar aufeinander bezogen, aber trotzdem verschieden ausgerichtet sind. Die Verschränkung von
Wissenschaft und Praxis kann mittels Kooperation bearbeitet werden, die individuell von den Professionellen geleistet werden muss. Kooperation wird so verstanden, dass zwei aufeinander verwiesene
und komplementäre Bereiche mit verschiedenen Mitteln das gleiche Feld bearbeiten (Sommerfeld
2000; Sommerfeld 2004). Wissen wird in der Praxis und in der Wissenschaft generiert, wenn auch mit
unterschiedlichen Mitteln und Reichweiten. Der Transfer findet in beide Richtungen statt. Die Praxis ist
zugänglich für wissenschaftliches Wissen, wenn sie sich reflexiv der Komplexität ihrer Handlungsprobleme bewusst wird und Innovation vor Routine setzt (Sommerfeld 2000, S. 229).
Im Prozess der Handlungskompetenzbildung finden Transformationsprozesse der verschiedenen
Wissensarten statt. Gredig und Sommerfeld (2010) bezeichnen diesen Prozess mit dem Begriff „Hybridisierung“. Das an der Hochschule vermittelte Wissen ist notwendig, aber keine hinreichende Bedingung für die Bildung professioneller Handlungskompetenz. „Die Transformation allgemeiner (wissenschaftlicher und methodischer) Wissensressourcen in lokal situiertes Wissen schliesst den Erwerb des
sozialen und kulturellen Kapitals mit ein (Sommerfeld 2000, S. 226).
3. Konsequenzen für das Bachelor-Studium
Damit ist die zentrale Herausforderung für das Studium der Sozialen Arbeit benannt: es müssen Formen der Wissensproduktion und des Wissenstransfers gesucht werden, die in der Lage sind einerseits
die Qualität des wissenschaftlichen Wissens zu erhalten und andererseits die Lücke zwischen Wissen
und Handeln schon in der Ausbildung zu überbrücken (Sommerfeld 2004, S. 227). Die Studierenden
müssen bei den bereits im Studium stattfindenden "Hybridisierungs-" oder Transformationsprozessen
so unterstützt werden, dass sie sich Professionskompetenz aneignen können. Um eine Problemlösung im Sinne einer auf den jeweiligen Fall bezogene Expertise erfolgreich zu gestalten, muss das
Wissen in der Praxis explizit gemacht werden und in Beziehung gesetzt werden zu wissenschaftlichem Wissen, welches in der Hochschule vermittelt wird.
In der folgenden Graphik wird die Relationierung exemplarisch aufgezeigt. Im Zentrum steht die Hybridisierung bzw. der Transformationsprozess der verschiedenen Wissensarten. Dies kann dank verschiedener didaktischer Möglichkeiten gestaltet werden. Die Arbeitsgruppe schlägt verschiedene Wege vor, die in separaten Papieren gefasst werden und für die Umsetzung zur Verfügung gestellt werden: Problemorientierung, Situationsorientierung, Fallorientierung oder Kasuistik, Projektorientierung,
Integrierte wissenschaftliche Tätigkeit (IWT), Transformativer Dreischritt, wobei sich die letzteren zwei
auf der Konzeptebene verorten lassen und eher dem Masterstudium zuzuordnen ist.
Vernehmlassung Teilprojekt 2_Weitentwicklung Bachelor-Studium
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1 Darstellung Relationierung Theorie – Praxis
Die verschiedenen Wissensformen fliessen im Rahmen der biographischen und beruflichen Erfahrungen sowie dem jeweiligen organisationalen Kontext in die Planung, Entscheidung, Durchführung und
Evaluation (professionelle Prozessschritte) eines Falls mit ein. Neben professionellen Wissen und
Methoden findet die genannte Kontextualisierung und Relationierung der verschiedenen Wissensformen statt. „Jeder in der Sozialen Arbeit professionell zu bearbeitende Fall ist neu zu kontextualisieren,
das zugrunde liegende Verfahren ist als Reflexionszusammenhang immer der gleiche. Mittels Fallkonstruktion und wissenschaftlicher Reflexion wird der Alltag des Klienten bzw. ein Problemzusammenhang gewissermassen dekomponiert, wobei im Prozess der Relationierung von Wissens- und Urteilsformen das „Neue“ in Gestalt einer handhabbaren und lebbaren Problembearbeitung/-lösung gemeinsam hervorgebracht wird. Darin besteht das Konstruktionsprinzip reflexiver Professionalität“
(Dewe/Otto 2011, S. 1150).
Folgt man den aufgezeigten Entwicklungslinien von Professioneller Handlungskompetenz müssen
schon in der Ausbildung Wissenschaft und Praxis systematisch miteinander gekoppelt werden.
Aufgrund dieser Darlegungen können folgende Hypothesen in Bezug auf die Weiterentwicklung des
Bachelor-Studiums in Bezug auf die Relationierung von Theorie und Praxis aufgestellt werden:
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Die Entwicklung der professionellen Handlungskompetenz während der Ausbildung bedarf einer kontinuierlichen Übung der Relationierung der verschiedenen Wissensformen während
des Studiums. Das Medium dafür sind Fälle (Probleme, Projekte, Situationen).
Die Studierenden können wissenschaftliche Zusammenhänge in ihrer Relevanz verstehen,
wenn sie sich intensiv auch unter Beizug von Originalliteratur damit auseinandergesetzt und
fortgesetzt deren „Verwendung“ an Fallmaterial und den unterschiedlichen Prozessschritten
des professionellen Prozessbogens eigenständig geübt haben. Die Notwendigkeit des methodischen Zugangs zu Fällen muss im Laufe der Ausbildung habitualisiert werden.
Vernehmlassung Teilprojekt 2_Weitentwicklung Bachelor-Studium
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Der reflexive Charakter der Profession Soziale Arbeit und die damit verbundenen persönlichen Auseinandersetzungen sind während des Studiums notwendig (Ebert 2008; Harmsen
2011, S. 209).
4. Umsetzung
Um die Professionalisierung von Beginn an für die Studierenden zugänglich zu machen, ist eine Arbeit
an konkreten Situationen, Problemen oder Fällen der Sozialen Arbeit wünschbar. Dabei kann es neben
a) der Illustration, auch weiterer Nutzen genannt werden:
b) Subsumierung unter allgemeine Regeln (Klassifikation)
c) Ableitung von Strukturen (Exploration)
d) Anwendung von unterschiedlichen Theorien bzw. generalisierten Annahmen, um durch die
Erzeugung möglichst vieler Lesarten möglichst viele Facetten zu erfassen (multiperspekti
visches Fallverstehen).
e) Veröffentlichung von Fällen, welche multiperspektifisch beleuchtet und kommentiert wur
den. Damit ergeben sich wertvolle Wissensquellen, die für die Grundlegungen für ähnliche
Situationen, Fälle, Probleme handlungsleitend sind (Falldatenbank) (Hochschule für
Soziale Arbeit FHNW 2005, S. 96).
5. Literatur
Dewe, Bernd/Otto, Hans-Uwe (2011). Professionalität. In: Otto, Hans-Uwe/Thiersch, Hans (Hg.).
Handbuch Soziale Arbeit. Bd. 4., völlig neu überarbeitete Auflage. München: Reinhardt. S.
1143-1153.
Dewey, John (1933). How we think. A restatement of the relation of reflective thinking to the educative
process. Chicago: Henry Regnery Co.
Dewey, John (2004). Erfahrung, Erkenntnis und Wert. Hg. und übersetzt von Martin Suhr. Frankfurt
am Main: Suhrkamp.
Ebert, Jürgen (2008). Reflexion als Schlüsselkategorie professionellen Handelns in der Sozialen
Arbeit. Hildesheim, Zürich, New York: Georg Olms Verlag.
Gredig, Daniel/Sommerfeld, Peter (2010). Neue Entwürfe zur Erzeugung und Nutzung
lösungsorientierten Wissens. In: Otto, Hans-Uwe/Polutta, Andreas/Ziegler, Holger (Hg.). What
Works. Welches Wissen braucht die Soziale Arbeit? Zum Konzept evidenzbasierter Praxis.
Opladen: Barbara Budrich. S. 83-98.
Greif, Siegfried (2004). Coaching und ergebnisorienterte Selbstreflexion. Theorie, Forschung und
Praxis des Einzel- und Gruppencoachings. Göttingen u.a.: Hogrefe.
Harmsen, Thomas (2011). Die Konstruktion professioneller Identität im Studium der Sozialen Arbeit.
In: Becker-Lenz, Roland/Busse, Stefan/Ehlert, Gudrun/Müller, Silke (Hg.). Professionelles
Handeln in der Sozialen Arbeit. Materianalysen und kritische Kommentare. Wiesbaden: VS
Verlag.
Harmsen, Thomas (im Erscheinen). Professionalisierungsorte im Bachelorstudiengang Soziale Arbeit.
In.
Hochschule für Soziale Arbeit FHNW (2005). Wörter - Begriffe - Bedeutungen. Ein Glossar zur
Sozialen Arbeit der Fachhochschule Aargau Nordwestschweiz. Brugg: Hochschule für Soziale
Arbeit.
Schön, Donald (1983). The Reflective Practionier. How Professionals Think in Action. New York: Basic
Books.
Schön, Donald (1987). Educating the Reflective Practitioner. toward a New Design for Teaching and
Learning in the Professions. San Francisco: Jossey-Bass.
Sommerfeld, Peter (2000). Forschung und Entwicklung als Schnittstelle zwischen Disziplin und
Profession. In: Homfeldt, Hans Günther/Schulze-Krüdener, Jörgen (Hg.). Wissen und
Vernehmlassung Teilprojekt 2_Weitentwicklung Bachelor-Studium
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Nichtwissen. Herausforderungen für die Soziale Arbeit in der Wissensgesellschaft. Weinheim,
München: Juventa. S. 221-236.
Sommerfeld, Peter (2004). Soziale Arbeit - Grundlagen und Perspektiven einer eigenständigen
wissenschaftlichen Disziplin. In: Mühlum, Albert (Hg.). Sozialarbeitswissenschaften.
Wissenschaft der Sozialen Arbeit. Freiburg i.B. : Lambertus. S. 175-203.
23.01.12/bf
Vernehmlassung Teilprojekt 2_Weitentwicklung Bachelor-Studium
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