Bewegung in Klang und Bewegung in ForM – MusiK und MasKe

Bewegung in Klang und Bewegung in Form – Musik und Maske begegnen sich
Bewegung in Klang
und Bewegung in Form –
Musik und Maske begegnen sich
von Malou Eberspächer
Musik und Maske sind Bereiche, deren Wurzeln
schon sehr alt sind.
Musik
Zunächst will ich beschreiben, wie mein persönlicher Weg mit Musik war und ist.
Schon während meiner Kindheit bin ich mit Musik aufgewachsen, habe das Flöten- und Querflötenspielen erlernt, wurde mit Musik vertraut. Was
mich allerdings am meisten bewegt hat, geschah
vor etwa 20 Jahren, während meines Studiums
der Diplom-Sozialpädagogik: Ich entdeckte ganz
neue Ebenen von Musik. Im Fachbereich „Ästhetik
und Kommunikation“ lernte ich die musikalische
Gruppenimprovisation kennen. Mittels der Me238
thode TZI (themenzentrierte Interaktion) übertrugen wir das musikalische Geschehen in die verbale
Sprache. Dadurch veränderte sich mein Musikverständnis völlig und ein neuer, weiter Bereich eröffnete sich mir. Im Nachhinein merke ich, dass
ich schon vor dieser Zeit Glück gehabt hatte: Ich
bin immer wieder auf LehrerInnen gestoßen, die
mir Freude an der Musik vermittelt hatten. In der
Schule hatte ich Musik als Fach abgewählt, weil
es mich nicht angesprochen hatte. Im Schulorchester, das von einem ungewöhnlichen Lehrer geleitet
wurde, war ich jedoch mit Begeisterung dabei. Wir
sind als Orchester-Gruppe viel gereist und haben
ungewöhnliche Stücke ausprobiert. Musik hatte
für mich schon damals etwas mit Gemeinschaftserleben zu tun.
Die neue Herangehensweise an Musik durch Improvisation, die mich im Studium faszinierte, warf
mich zunächst völlig aus meinem gewohnten Denken und dem Verständnis, „was Musik ist“. Die
Basis für das neue Verständnis bildete sich: Musik ist nicht nur etwas, was manche Professionelle
spielen. Musik ist etwas, was jeder in sich hat, ist
ein Lebensausdruck von jedem. Musik gehört zum
Leben. Und Musik hat, so verstanden, nichts mit
Leistung zu tun, sondern will Freude vermitteln.
Wir haben damals auf Instrumenten gespielt, die
keiner vorher kannte und haben sie einfach für
uns entdeckt. Wir haben miteinander gespielt und
anschließend darüber gesprochen, was jeder dabei
gespürt und empfunden hat.
Zunächst wirkt diese Art des Musizierens „chaotisch“, aber es macht Spaß und man entdeckt dennoch Strukturen. Der Weg führte und führt für
mich heute noch von den Phänomenen zu den
Strukturen. Dies hat bei mir bewirkt, dass sich
mein Verständnis von Musik sehr verändert und
geöffnet hat. Jazzmusik, zu der ich keinen Zugang
hatte, fand ich von da an viel schöner als früher.
Ich habe mein Herz zum Musikimprovisieren entdeckt: Musik entstehen zu lassen, sie zu schöpfen,
nicht nur nach Noten zu spielen, die ein anderer
komponiert hat. Ich will komponierte Musik nicht
herabsetzen; auch solche Musik finde ich schön.
Mein Weg ist jedoch durch den Grundsatz gekennzeichnet: Musik gehört zu jedem Menschen.
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Malou Eberspächer
Diesen Bereich, Musik mit meiner Arbeit mit
Menschen zu verbinden, habe ich ein paar Jahre später mit einer Ausbildung in Musiktherapie
vertieft. Diese Vertiefung gab mir ein psychotherapeutisches Arbeitsfundament mit gestalttherapeutischen Methoden. Ein Schwerpunkt meiner Arbeit
ist, dass Musik wieder Einzug ins Leben hält und
den Menschen Spaß macht. Dies führt weg vom
Leistungsansatz, der in unserer Kultur üblicherweise mit Musik verbunden ist.
Eine Frage, die immer wieder auftaucht, ist: „Um
Musik entstehen zu lassen, muss man da nicht in
irgendeiner Weise musikalisch besonders begabt
sein, damit nicht nur Geräusch, sondern Musik
herauskommt?“ – Die Antwort lautet: „Nein.“ Im
Gegenteil, diese Arbeit lockt im Menschen wunderbare schöpferische Begabungen hervor. Anfängliche
Geräusche entfalten sich oft zu schöner Musik.
Bei dieser Arbeit sind Instrumente förderlich, die
leicht zugänglich sind. Vor allem am Anfang ist es
gut, nicht solche Instrumente einzusetzen, die in
unserer Kultur verbreitet sind, wie Klavier, Geige,
Blockflöte; denn diese Instrumente erschweren einen unbedarften Zugang. Später kann es sehr bereichernd sein, sie mit einzubeziehen. Mit leicht
zugänglichen Instrumenten meine ich Instrumente,
die einen anlocken, sie auszuprobieren, und nicht
so hohe Berührungsängste bzw. Leistungsgedanken hervorrufen.
Als Bespiel nenne ich die Schlitztrommel: Ich kann
einen Schlegel nehmen und auf einer Schlitztrom240
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mel spielen. Das ist eine Trommel aus Holz, die
Schlitze und dadurch zwei oder auch vier bis acht
Zungen hat, die unterschiedlich klingen. Mit Schlegeln oder mit den Händen kann ich zwei, drei oder
mehr Töne, die nicht einer unserer üblichen Tonleitern folgen, spielerisch entdecken.
Es gibt noch viele Instrumente dieser Art, aus allen Bereichen: Atem, Saiten, Klang. Am liebsten
arbeite ich mit solchen, die nicht die folgende Reaktion auslösen: „Ach das ist eine Geige, das kann
ich nicht!“ Viele dieser Instrumente kommen aus
anderen Kulturen. Sie sind auch für das Auge attraktiv und laden dazu ein, ausprobiert zu werden.
In den letzten Jahren haben Instrumentenbauer
inte­ressante neue Instrumente entwickelt, die einfachen musikalischen Grundprinzipien folgen. Ein
weiteres Beispiel ist die Obertonflöte, bei der ich
durch stärkeren oder geringeren Atemdruck die
natürlichen Obertöne erklingen lassen kann.
An diesen Beispielen wird deutlich, dass es mit
dieser Arbeit spielerisch möglich ist, verschiedene
Bereiche des Lebens einzubeziehen: Atem, Körper, Rhythmus, Klang …. Jeden einzelnen Bereich
könnte ich an dieser Stelle noch weiter ausführen.
Ich habe schon viele Menschen erlebt, die über
diese Arbeit wieder einen Zugang zur Musik gefunden haben. Manche entdecken frühere Instrumente wieder, die inzwischen auf dem Dachboden
verstaubt sind; so kommt ein altes Akkordeon zum
Beispiel wieder zum Zuge. Andere fangen an, sich
für neue Instrumente zu begeistern und beginnen
vielleicht zu trommeln.
Weitere Qualitäten dieser Arbeit mit Musik sind:
Jemand kann zum Ausdruck bringen, was ist, oft
ohne vorher genau zu wissen, wie es ihm geht. Allein durch den Ausdruck kann sich etwas lösen.
Jemand ist unzufrieden und weiß vielleicht gar
nicht genau, warum, oder ein aufgestauter Ärger
blo­ckiert ihn. Durch die gespielte Musik können
die bisher nicht wahrgenommenen Gefühle zum
Ausdruck kommen.
Der erste Effekt ist, dass sich etwas lösen kann. Es
steckt dann nicht mehr in einem drin, es wird von
innen nach außen transportiert. Ein weiterer Effekt ist, dass man es ein bisschen besser verstehen
kann. Oft bekommt man dadurch einen Zugang zu
seinen Gefühlen, und man kann es sich auch noch
einmal anhören. Eine Methode ist, eine Kassettenaufnahme zu machen oder ein Bild zu malen, um es
auf eine andere Ebene zu bringen. Das ermöglicht
einen sehr direkten Zugang zu den eigenen Gefühlen. Musik spricht Gefühle an. Dies können wir
auch in unserer Musik-Hör-Kultur sehr gut nachvollziehen.
Gefühle sind da und dürfen zum Ausdruck kommen. Emotion heißt Bewegung. Man zwingt niemandem Gefühle auf, denn die sind sowieso da.
Sie dürfen einfach fließen. Es kann wieder mehr in
Fluss kommen.
Die Musik weckt das schöpferische Potenzial.
Indem ich spiele, schaffe ich etwas, schöpfe und
komme an meine kreative Quelle.
Ein sehr heilsamer Aspekt ist, dass Menschen schon
nach kurzer Zeit, wenn sie die Instrumente sehen
oder sie in die Hand nehmen und darauf spielen,
leuchtende Augen bekommen und Freude empfinden. Es entsteht mehr Lebendigkeit, Lebenslust
und Freude.
Musik hat viel mit Kommunikation zu tun. In unserer verbalen Kommunikation haben wir einen Inhalt, aber auch den Klang der Worte. Die Kommunikationsforschung hat in den letzten Jahrzehnten
herausgefunden, dass der Klang mehr wirkt als der
Inhalt. Das „Wie“ berührt, es löst letztendlich die
Reaktion aus. Wenn ich in einem brummeligen Ton
sage: „Ich mag dich.“, wenn also der Inhalt nicht
mit dem Ton übereinstimmt, dann wirkt letztendlich der Ton, der Missverständnisse hervorbringt.
Diese Phänomene werden beim Musikspielen sehr
deutlich. Es ist zum einen spielerisch lernbar, sich
wahrzunehmen, und zum anderen, die Möglichkeiten zu spüren, wie etwas veränderbar ist. Allein
durch das Tun wird der Ausdruck klarer.
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Malou Eberspächer
Große Bedeutung hat auch das Hören, wieder
wahrzunehmen, wie ich höre und was ich höre.
Das, was ich verstehe als Gegenüber, wie ich etwas
verstehe, ist mein ganz Eigenes, ist meine ganz eigene Wahrnehmung. Missverständnisse im Alltag
kommen meist daher, dass jemand etwas meint
und der Gesprächspartner etwas ganz anderes interpretiert, weil er es ganz anders versteht. Diesem
Phänomen kommt man über die Musik sehr klar
auf die Spur. Sie schult die Wahrnehmung und damit auch den Ausdruck.
Mit Musik lassen sich auch Menschen erreichen,
die verbal nur schwer erreichbar sind, wie Menschen im Koma, weil Musik auch über andere Kanäle wirkt, über Schwingungen, die aufgenommen
werden.
In den letzten Jahren forsche ich immer mehr in
diesem Bereich und merke, dass Musik viel mit
Heilung in dem Sinne zu tun hat, dass Selbstheilungskräfte in Gang gesetzt werden. Die Musik
führt den Menschen zu sich selber, zu seiner Quelle
und seinen eigenen Potenzialen. Der Mensch wird
als ganzer erfasst. Leben kommt „in Fluss“, aufgestaute Energie kann wieder frei fließen, eigene
schöpferische Kräfte werden frei gesetzt.
Ein „Instrument“, das jeder hat, ist die Stimme.
Vielen ist der Zugang zur Musik gerade über die
Stimme verdorben worden, weil es hieß: „Du bist
unmusikalisch.“ – „Du kannst nicht singen.“ oder
„Du singst ja so schräg.“ Im Prinzip geht es nicht
um eine „Unmusikalität“, sondern darum, dass
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Bewegung in Klang und Bewegung in Form – Musik und Maske begegnen sich
Menschen verurteilt wurden, das nicht können zu
dürfen.
Es ist interessant, beim Telefonieren nur die Stimme zu hören. Man macht sich ein Bild und stellt
sich die Frage: Wie mag der oder die andere aussehen? Ist er oder sie mir sympathisch, angenehm
oder unangenehm? Dabei hat man nicht das Auge, sondern nur das Ohr als Wahrnehmungskanal. Die Stimme wirkt oft sehr unbewusst auf uns
und beeinflusst unsere Reaktion als Hörende. Wir
sagen ja auch: „Der hat nicht meine Wellenlänge.“ oder: „Ich bin in einer anderen Stimmung.“
Durch diese Redensarten wird ausgedrückt, woher
das kommt: nämlich aus dem Bereich der Musik,
aus dem Bereich der Schwingung. Über die Stimme macht sich sehr wohl bemerkbar, ob jemand
im Stress, genervt oder zufrieden mit sich ist, und
das nimmt man als Gegenüber oft auch unbewusst
wahr und reagiert darauf.
Musik hat viel auch mit Atmosphäre zu tun. Dies
merke ich vor allem in Einzelarbeiten. Ich spiele
manchmal für meine Klienten, als Einstieg in eine
Imaginationsreise in innere Welten, Musik. Man
kommt auf diese Weise schnell an die Atmosphäre
früherer Situationen, die bei den Themen, um die
es gerade geht, eine Rolle spielen.
Musik regt auch die Welt der Bilder an. Wenn nur
über das Hören wahrgenommen wird, entsteht
überhaupt wieder Raum für die eigenen Phantasien, die eigenen Bilder. Dies wirkt sich auf das
Potenzial aus, wieder eigene Ideen zu entwickeln
und eigene Gestaltungsformen zu kreieren.
Dieses Geschehen spielt sich auf der Ebene der
Schwingung ab. Das ist etwas, was wir mit der
Realität, die wir meist mit dem Auge erfassen, nicht
fassen können. Es spielt sich auf einer anderen Ebene ab. Ein Effekt davon ist auch die Möglichkeit,
„abschalten“ zu können, d.h. in eine andere Bewusstseinsebene zu gehen. Andererseits hat Musik
auch viel mit dem Alltag zu tun. Dabei geht es darum, wahrzunehmen, wie wir eigentlich durch Geräusche beeinflusst werden. Die Augen machen wir
zu, die Ohren nicht und trotzdem selektieren wir:
Wie ist das eigentlich, wenn ich in einer Wohnung
direkt an einer Hauptverkehrstraße lebe, oder in
einer Arbeitssituation bin, bei der es sehr laut ist?
Wie wirkt sich das aus?
Um noch einen Einblick zu gewähren, wie eine Kli-
entin diese Arbeit mit Musik erlebt, füge ich hier
Auszüge aus einem Aufsatz einer Einzelklientin
ein:
„Während der Teilnahme an einem Kurs, bei dem
es um Bewegung und Musik ging, kam ich mit
diesem Medium in Kontakt. Aufgrund einer spastischen Lähmung, dem Verlust mehrerer mir nahestehender Menschen im Berufsleben und privat
geriet ich schon des öfteren in Lebenskrisen, die
psychotherapeutisch behandelt werden mussten.
Malou fragte mich in der ersten Stunde: „Was verstehst du eigentlich unter Therapie?“ Ich antwortete ihr: „Da bringt mir der Therapeut bei, was ich
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Malou Eberspächer
nicht kann.“ Malou erklärte mir, dass sie Therapie
als Begleitung ansehe und fragte mich, was ich von
dieser Vorstellung halte. Ich war gleich angetan davon – Musiktherapie würde also nicht etwas sein,
wo mir der Therapeut beibringt, wie ich etwas
zu machen habe. … Ich möchte die Gelegenheit
wahrnehmen, etwas über die Unterschiedlichkeit
der Vorgehensweise zu erzählen.
Ich suche mir ein oder mehrere Instrumente aus,
sie sind alle ohne Vorkenntnisse für jeden spielbar,
und spiele alleine ohne irgendwelche Vorgabe meine Musik. Anschließend fragt mich Malou, was
mir zu der Musik einfällt oder ob ich ihr einen
Titel geben will. Oft entsteht dann ein Gespräch,
manchmal auch eine neue Musik zu zweit. So bringe ich Dinge, die über die Musik unbewusst ins
Bewusstsein kommen noch weiter an die Oberfläche. Für mich ist dies eine Möglichkeit, schwierige
Themen ausdrucksfähig zu machen.
Ich spiele eine Musik, deren Thema vorher festge-
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Bewegung in Klang und Bewegung in Form – Musik und Maske begegnen sich
legt wurde. Hier habe ich im Vorfeld mit Malou
über ein mehr oder weniger aktuelles Thema gesprochen, das dann von mir vertont wird.
Wir reden über ein Thema und ich finde plötzlich
keine Worte mehr oder drehe mich im Kreis und
komme einfach nicht weiter. In einer solchen Situation bittet mich Malou, mich bequem hinzulegen.
Sie spielt dann eine Musik für mich; auch hierbei
kann ich sagen, welches Instrument mir sinnvoll
erscheint. Nach einer Weile trägt mich die Musik,
und Gefühle finden Ausdruck in Bewegung, im
Atemrhythmus, in der Stimme. Nach einer solchen
Musik sind schon unzählige Bilder entstanden, die
ebenfalls dazu dienen, die Lebenskraft in mir selbst
wiederherzustellen.
Musiktherapie ist eine ganzheitliche Therapie. Sie
spricht den Menschen in seiner Gesamtheit an.
Körper, Geist und Psyche werden gleichzeitig in
Schwingung versetzt. Es gibt nur eine Möglichkeit,
darauf zu reagieren, nämlich als Einheit. Menschen, die ein Problem oder auch eine Behinderung haben, erleben sich oft nicht mehr als ganzes
Wesen.
Ich persönlich kann sagen, dass ich zur Zeit die
Früchte der Arbeit an mir ernte. Meine Lebensqualität und mein Durchsetzungsvermögen, was für
das Berufsleben besonders wichtig ist, sind besser
geworden.“
Dieser musiktherapeutisch Aspekt ist nur ein Teilaspekt. Es ist durchaus möglich, viel stärker auf der
kreativen und pädagogischen Ebene zu bleiben.
In einer Gruppe steht das „Miteinander-Spielen“
im Zentrum, das Thema „Kommunikation“ und
das „Füreinander-Spielen“ – die einen spielen, die
anderen hören zu.
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Malou Eberspächer
Bewegung in Klang und Bewegung in Form – Musik und Maske begegnen sich
Maske
Ein wichtiger Zusammenhang von Maske und
Musik liegt in meiner persönlichen Geschichte.
Es war in der gleichen Lebensphase, als sich mein
Verständnis von Musik völlig veränderte und als
ich zum ersten Mal die Arbeit mit Masken kennen lernte. Beides war während meines Studiums
(1980) und bewegte mich sehr. Seit damals wandle
ich auf den Spuren von Musik und Maske, und sie
wandeln mich. Genau wie die Musik zogen mich
die Masken magisch an. Musik spielt bei der Mas­
kenarbeit eine zentrale Rolle, weil diese Art von
Masken die Sprache der Musik haben, die für sie
gespielt wird.
Diese Art von Masken sind Vollmasken, d.h. es ist
nichts mehr vom Spieler sichtbar.
Es sind Masken, die von jedem selbst geformt werden, erst in Ton und dann mit Papier bedeckt. Die
Papierhaut wird später abgehoben. Diese Masken
haben ganz eigene Formen, ganz eigene Gesichter.
Es ist nicht ein spezielles Gesicht, was ich forme, es
sind eher innere Bilder, die über die Hände in den
Ton fließen.
Jetzt kann ich sagen: Musik ist Bewegung, die hörbar ist, und Masken sind Bewegung, die in Form
gehen. Wenn Masken und Musik zusammengehen,
ist es oft so, dass das, was sich auf der Maskenbühne sichtbar abspielt, auf der Musikebene hörbar
wird.
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Masken sind genauso alt wie Musik. In vielen Kulturen haben sie sehr frühe Wurzeln. In heutiger Zeit
ist das noch deutlich auf der Fasnacht. Die Fasnachtszeit spricht ein zentrales Thema von Mas­ken
an. Es geht um „sich zu verwandeln“, „etwas ganz
anderes zu sein, als was man sonst im Alltag ist“.
Eine Maske ist die Form einer Bewegung, die aus
inneren Zusammenhängen nach außen tritt. Als
Spieler gehe ich, wenn ich sie gebaut und fertiggestellt habe, in diese Maske hinein, d.h. ich gehe
wieder in diese Bewegung und werde zu dieser Bewegung. Sie findet einen Ausdruck, ich kann sie
sein und ich kann ihr gegenübertreten, kann sie
anschauen. Allein durch das Formen und das selbst
Hineingehen wirkt sie, weil ich etwas in die Realität gebracht, nach außen gebracht habe. Es sind
zwei wichtige Blickwinkel dabei: Zum einen gehe
ich in diese Bewegung hinein, werde zu ihr, zum anderen habe ich sie nach außen gebracht und kann
sie aus der Distanz betrachten. Dies bedeutet, dass
ich sie durch das Verkörpern für mich annehmen
und durch die Distanz auch kritisch betrachten
kann. Ich bin nicht mehr so involviert.
was Schlimmes, eine Krankheit und schrecklich ist.
Letztendlich beinhaltet eine Krisenzeit eine große
Chance für einen Schritt auf eine neue Ebene im
Leben.
Die Maske trägt das Bild einer neuen Vision (Idee)
in sich und welche Herausforderung damit verbunden ist. Manchmal liegt der Schwerpunkt mehr
auf dem ersten manchmal mehr auf dem letzteren
Teil.
Diese Arbeit mit Masken beinhaltet viele spielerische Momente. Sie knüpft an das Ur-Bedürfnis des
Menschen an, sich zu verwandeln, sich zu verkleiden, zu spielen oder etwas auszuprobieren.
Leben hat mit Wandlung zu tun. Wir Menschen
sind in Bewegung und es gibt Phasen, wo sich einfach mehr wandelt. Ich finde heute andere Worte,
oder ich bin ein bisschen anders, als vor 10 Jahren.
Damals habe ich noch andere Gedanken gehabt,
andere Meinungen geäußert. Und es gibt Lebensphasen, in denen stärkere Bewegung stattfindet.
Sie werden öfters als Krisen bezeichnet. Leider
wird dies oft einem Zustand zugeordnet, der et247
Malou Eberspächer
Bewegung in Klang und Bewegung in Form – Musik und Maske begegnen sich
ihrer heilsamen Wirkung gegenseitig.
Es gibt Übereinstimmungen und Unterschiede.
Musik hat etwas sich Verflüchtigendes. Musik geht
mehr über das Gehör und über den kinästhetischen
Sinn. Eine Maske nehme ich mit nach Hause, in den
Raum, wo ich mich aufhalte. Ich habe sozusagen
einen Begleiter, der mich weiterhin begleitet, den
ich anschauen kann als Bild in drei Dimensionen
und ich kann in dieses Bild wieder hineingehen. Die
Wahrnehmung geht über die Augen, die Imagination und den kinästhetischen Sinn. Das spielt auch
bei der Entstehung der Maske eine große Rolle: Es
ist ein Formen in Ton, nicht wie beim Töpfern, wo
ich oft einen bestimmten Zweck erfüllen will. Es ist
ein Formen und es entsteht ein Produkt, ohne dass
ich vorher einen Zweck formulieren muss. Und es
ist auch nicht zwecklos; denn es hat einen Sinn,
der oft erst im Nachhinein zum Vorschein kommt.
Ich nehme das Medium Ton. Dabei ist der Tastsinn beteiligt. In den Ton gehe ich mit Bewegung;
Vertiefungen und Erhebungen entstehen, wie bei
einer Landschaft. Die Bewegung der Hände lässt
eine Form entstehen, die in dem Moment gerade
stimmt.
Musik und Maske
Noch einmal Näheres zur Entstehung einer Maske:
Masken und Musik haben viel mit Sinneswahrnehmungen zu tun, d.h. in meiner Arbeit mit beiden Medien werden sämtliche Sinne sensibilisiert,
geübt und geschult. Es macht Spaß und es darf die
Ordnung kommen, die Struktur sich bilden, die in
jedem liegt. Masken und Musik ergänzen sich in
Es gibt eine Grundidee, wie z.B. einen Stein. Über
diesen Stein forme ich Ton und nehme das als Ausgangspunkt für ein Thema. Sehr gerne nehme ich
auch als Ausgangspunkt eine Musik. Jeder sucht
sich ein Instrument, spielt Musik und lässt sich von
dieser Musik inspirieren. Das innere Bild oder der
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innere Bezug zu dieser Musik fließt über die Hände
in den Ton. Hörbare Bewegung geht über in sichtbare Bewegung.
Es ist dabei wichtig, das Vertrauen in den Prozess,
dass die Hände schon wissen, was sie formen, mit
begleitenden Worten zu unterstützen. Oft ist es förderlich, blind zu formen. Die Sicherheit, was zu tun
ist, kommt über den Ton, die Struktur. Die Freiheit
kommt über das freie Formen. Es ist ein Wechselspiel von Ordnung und Freiheit. Das Vertrauen in
eine innere Ordnung, bzw. in eine Ordnung wird
gefördert, die oft erst unsichtbar ist und sich im
Entstehen zeigt. Die Hände spüren, wann der Prozess zu Ende ist. Es ist ein momentanes Ende, denn
in der nächsten Form geht es weiter, das Leben geht
weiter. So entsteht ein Phantasiewesen. Über diese
Form kommt Haushaltsfolie als Isolierschicht, so
dass die Form direkt nachempfunden wird. Darüber kommt Kaschierpapier aus Packpapier in
Kleister eingeweicht, wobei das Papier in seiner
glatten Form bleibt. Nach dem Trocknen wird die
Maske von der Grundform abgehoben. Es ist wie
eine Geburt. Jetzt haben wir diese Maske, die dann
vor dem Gesicht getragen wird. Die Tonform wird
wieder zerstampft: „Wenn etwas Neues entsteht,
wird etwas Altes losgelassen“. Der Ton kann wieder verwendet werden.
Wenn die Maske spielbereit ist, geht es darum, sich
ganz zu verwandeln, nicht als Mensch sichtbar zu
sein, sondern die Maske als eigene Gestalt zu nehmen (eigenes Wesen). Man kann von ihr lernen, sie
hat mit einem zu tun.
Nun kann ich mir ein Instrument für meine Maske
aussuchen und für sie Musik spielen. Es ist so, als
ob die Maske ein bisschen von sich erzählt, über
ihren Hintergrund, in welcher Landschaft sie lebt
und anderes. Wenn die Maske von ihrem „Schöpfer“ gespielt wird, spielt eine andere Person dazu
Musik. Musik ersetzt bei den Masken die eigene
Sprache, wird zur Ausdrucksform, zur Bewegung.
Anschließend wird gemeinsam besprochen, was
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Malou Eberspächer
das Maskenspiel in einem bewegt hat, „in Gang“
gesetzt hat. Es gibt dabei zwei Blickwinkel: zum einen den des Maskenspielers, zum anderen den der
Zuschauer, wobei die Blickwinkel der Zuschauer
oft unterschiedlich sind. So wird eine Geschichte wie ein Puzzle zusammengetragen, wobei alles
gelten darf, kein Blickwinkel stimmt mehr als ein
anderer. Die Sichtweisen ergänzen sich. Es ist wie
beim Musik-Spielen: Jemand, der spielt, meint oft
etwas ganz anderes, als der Zuhörer zu verstehen
meint. Dies ist auch eine große Chance, Eigenbild
und Fremdbild sich annähern zu lassen. Ich nehme
wahr, was ich sehe und spüre, aber ich nehme auch
wahr, dass die Zuschauer etwas anderes sehen. Das
erweitert den Horizont.
Eine Erweiterung ist Bühnenarbeit. Dabei gibt
es einen klar abgesteckten Bühnenraum, den nur
Maskenspieler betreten dürfen. Eine Maske fängt
an, dann kommt eine zweite dazu, manchmal auch
eine dritte. Es ist sehr spannend, was dann geschieht, Begegnungen finden statt, Widersprüche
dürfen sich entfalten, Auseinandersetzungen dürfen sein, alle möglichen Geschichten aus dem Leben entwickeln sich. Und durch das Spielen wird es
erleichtert, sich zu zeigen; denn die Maske hat ein
Geheimnis: „Du versteckst dich hinter der Maske
und gleichzeitig zeigst du etwas von dir“.
Bewegung in Klang und Bewegung in Form – Musik und Maske begegnen sich
denke ich, dass die Musik es auch ermöglicht,
für das, was da geschieht, wieder Worte zu finden. In dem Sinne ist die Musik eine Brücke aus
dem „sprachlosen“ Raum in den Raum, der wieder Worte zulässt. Manches, was da gezeigt wird,
kommt aus einem sprachlosen Bereich und könnte einen Zuschauer sprachlos machen. Die Musik
lässt es erklingen und bricht dadurch das Tabu
„Über so etwas spricht man nicht“. Sie bringt es
in den Raum des Klangs und ermöglicht, Worte
dafür zu finden. Das ist ein wichtiger Schritt, um
das Erleben annehmen zu können.
Ja, das ist ein schönes Bild zum Abschluss:
Die Musik ist eine Brücke.
Summary
Movement in Sound and Movement in Form – Encounter between Music and Masks
25 years ago a totally new world of music opened to the author and at the same time the masks were coming
into her life. This kind of music is played on instruments which can be played by everbody. Music is movement
which can be heard, and masks are movement as well which have found a form.
The mask player is moving himself in and with the mask, and the music is his partner. Music is the language of
the mask and expresses the inner movement. Masks are meeting on stage and the music which is played at the
same time intones the happening. Some themes of the mask games are coming from a speechless area. The
music is disclosing the inner movement of the mask and is breaking the taboo: you don’t talk about that. Music
is building bridges.
Außerhalb des Bühnenrands wird Musik für die
Masken gemacht. Oft ist es so, als ob das, was auf
der Bühne sichtbar ist, in der Musik hörbar wird.
Die Musik vermittelt das Geschehen. Manchmal
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