1851 Alfred Krupp_Großpapas Gruß

20 SERIE
DIENSTAG, 19. MAI 2015, NR. 94
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DIENSTAG, 19. MAI 2015, NR. 94
STERNSTUNDEN DER WIRTSCHAFT 21
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1851 Alfred Krupp
2015
Werbecoup auf der Weltausstellung
Stahl: Das Fundament der
deutschen Industrie
„Großpapas Gruß“
Wachstrumstreiber Krupps Coup auf der
Weltausstellung 1851 war der Startschuss für
eine Aufholjagd der bis dato rückständigen
deutschen Staaten. Deren Stahlindustrie mauserte sich im 19. Jahrhundert dank zahlreicher
Innovationen (etwa das Hochofenverfahren
und neue Stahlsorten) zum Motor der deutschen Industrialisierung. „Made in Germany“
wurde zum Markenzeichen.
Ein unbekannter Stahlgießer aus der Provinz
präsentiert 1851 auf der Weltausstellung
eine Sensation, die zum Symbol des
industriellen Aufstiegs von Deutschland
wird. Die Geschichte einer perfekten
Selbstinszenierung. Von Massimo Bognanni
Sternstunden
der Wirtschaft
N
W
O
S
Das Handelsblatt stellt in
der Serie „Sternstunden
der Wirtschaft“ eine Auswahl der wichtigsten Momente der deutschen
Wirtschaftshistorie vor.
Bis heute prägen sie unsere Welt. Historiker wie Harold James (Princeton
University), Ray Stokes
(University of Glasgow)
und Jochen Streb (Uni
Mannheim) halfen bei der
Auswahl. In anschaulichen
Reportagen machen die
Autoren Massimo Bognanni und Sven Prange
die Momente jeden Dienstag erlebbar. Nächste
Folge: Carl Ferdinand von
Stumm-Halberg
Besucher bei
der Weltausstellung in London 1851: In einem Seitenarm
des Kristallpalastes präsentiert Krupp
seinen MegaStahlblock.
Interfoto
dominiert wie ein monströser Beweis
für die Überlegenheit der englischen
Stahlindustrie die Messe. Wer den besten Stahl haben will, kauft ihn in England, lautet die Botschaft.
Auch Alfred Krupp umkreist die Stahlsäule, die der britische Hersteller stolz als
„Monsterpiece“ preist. Doch Krupp ist
nicht gekommen, um auf die Knie zu fallen. Im Gegenteil. „So Stückchen machen
wir alle Tage“, tönt er in geschliffenem
Englisch. „Ich schicke euch den Großpapa!“ Angst verbreitet der Essener Stahlgießer mit der Drohung, einen noch größeren Stahlblock als diesen zu liefern, wahrlich nicht. Hämisch lachen die Engländer
über den Eindringling. Höchstens leise
fragen sie sich, was der Deutsche vorhat.
Der Boden für Krupps Werbestrategie
ist bereitet, die Saat ist gestreut.
Denn was die Engländer nicht wissen:
Hinter den Kulissen hat Krupp auf diesen Moment hingearbeitet. Während eines Aufenthaltes in Birmingham hatte er
Monate zuvor in einer britischen Zeitung von dem Plan der Firma Turton gelesen, auf der Weltausstellung ein Stück
Gussstahl von mehr als einer Tonne Gewicht zu präsentieren. Ein Wettlauf beginnt. Aufgeregt sucht Krupp den nächsten Schreibtisch, setzt eines seiner täglichen Schreiben auf. „Meine geliebte
Gussstahlfabrik“, beginnt er – und berichtet von den Plänen der Briten. „Es ist
umso mehr nötig, dass wir den Guss von
98 Tiegeln hierherschicken, und wenn
wir auf die Form noch einen Auffass machen müssen.“ Selbst dem Letzten der
Krupp’schen Mitarbeiter ist jetzt klar:
Der Chef meint es ernst.
Den ganzen Winter über bauen Arbeiter in Essen die Produktionsstätten aus,
zwei neue Fabrikhallen werden in Betrieb genommen. Für den Wettstreit mit
den Briten riskiert Krupp gar den Bruch
mit seinem Geschäftspartner Sölling.
Für den ist das Projekt nicht mehr als eine Spinnerei, eine finanziell riskante
obendrein. Durch den aufwendigen
Großguss bestehe die Gefahr, dass sich
vorliegende Aufträge verzögerten, warnt
Sölling. Und stößt auf taube Ohren. „Wer
arbeitet, macht Fehler. Wer viel arbeitet,
macht mehr Fehler. Nur wer die Hände
in den Schoß legt, macht gar keine Fehler“, kommentiert Krupp knapp.
Seit Februar gibt es Probeläufe, bei
denen jeder Handgriff auf Kommando
trainiert wird. Es kommt auf präzise Abläufe an. Auf Perfektion. Denn für den
Gussstahlblock, wie er Krupp vorschwebt, müssen Dutzende mit Stahl gefüllte Gefäße, die Tiegel, gleichzeitig zusammengegossen werden. Eine handwerkliche Meisterleistung. Am 3. April,
so melden es die Meister, ist ein erster
Guss aus 31 Tiegeln gelungen, 688 Kilogramm schwer. Es folgen erfolgreiche
Versuche mit 40 und 60 Tiegeln. Auch
der entscheidende Guss von 84 Tiegeln
fällt ausgezeichnet aus. Glatt und schön.
Voller Euphorie belohnt Krupp seinen
Techniker Adalbert Ascherfeld für dessen Leistung mit stolzen 450 Talern –
nur Geschäftspartner Sölling solle bitteschön davon nichts erfahren. Die Sensation liegt in der Luft.
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er hätte solch einen Triumph für möglich gehalten? Ein Vierteljahrhundert hatte das Unternehmen vor allem
eines eingebracht: Verluste. Nur am Anfang sah alles noch gut aus. Alfred erblickte im April 1812 das Krupp’sche
Licht der Welt, in einem standesgemäßen Haus am Essener Flachsmarkt. Die
ursprünglich aus den Niederlanden
stammende Kaufmannsfamilie Krupp
hatte es mit dem Handel von Gewürzen,
Wein, Eisen und Vieh über zwei Jahrhunderte zu Wohlstand gebracht. Alfreds Vater Friedrich Krupp hatte gerade
die „Firma Friedrich Krupp zur Verfertigung des Englischen Gussstahls und aller daraus resultierenden Fabrikationen“ gegründet.
Doch auf die Anfangseuphorie folgte
Ernüchterung. Der kleine Alfred musste
mit ansehen, wie Vater Friedrich zunehmend verzagte, versagte, verzweifelte.
Großmaschinen wollte Friedrich liefern,
das Material ließ sich jedoch nur zu Besteck verarbeiten. Die Einnahmen reichten nicht aus. Das Haus am Flachsmarkt
musste die Familie an die Gläubiger abtreten, die Krupps zogen 1824 in das kleine Fachwerkhaus nahe der Firma, das
eigentlich für Bedienstete gedacht war.
Welch ein Abstieg, welch eine Schmach.
Friedrich Krupp wurde kurz darauf
schwer krank. Keuchend, um jeden Zug
Sauerstoff ringend, lag er da. Gebrochen. Der Atem rasselte, die Lunge füllte
sich mit Blutflüssigkeit. Am 8. Oktober
1826 fehlte ihm die Luft zum Leben.
Sohn Alfred musste mit 14 Jahren die
kriselnden Geschäfte des verstorbenen
Vaters übernehmen. Hätte nicht die
wohlhabende Familie immer wieder
ausgeholfen, die Gussstahlfabrik wäre
zugrunde gegangen wie deren Gründer.
Unter Alfreds Ägide entwickelten sich
ab 1830 die Geschäfte mit Münzprägmaschinen nicht schlecht. Eine Lizenz zum
Gelddrucken waren aber auch sie nicht.
Selbst die in Wien und Paris zunehmend
gefragten Walzen für Bestecke warfen
lange Zeit keine Gewinne ab. Denn
Krupps große Industriemaschinen, die
Walzen und Eisenbahnräder, machten
Ärger. Die Cashcows wollten sich einfach
nicht melken lassen. Krupp kam nicht
an die Qualität der britischen Produkte
heran. Zu oft musste er Teile austauschen, die in der Garantiezeit brachen.
Das wollte er ändern, das musste er ändern. Es ging ums Überleben.
Krupp-Fabrik
in Essen aus
den 1860erJahren: Hier
entstand
Krupps Gruß an
die englische
Stahlindustrie.
Die England-Reise von 1838 war deshalb gut geplant. Er lernte Englisch, der
Mann, der in Essen oft in Arbeiterkluft
zu sehen war, legte sich elegante Kleidung zu – ganz der britische Gentleman.
Krupp, mit erstem Vornamen auf „Alfried“ getauft, nannte sich fortan nur
noch „Alfred“, das kam im Englischen
besser an. Wenn er nicht die Kontakte eines Freundes in England nutzte, um bei
britischen Wirtschaftslenkern vorstellig
zu werden, schuftete Krupp als einfacher Arbeiter in englischen Fabriken.
Undercover. Was machten die Engländer nur besser? Krupp betrachtete in
PR
von meterhohen Bäumen und Palmen
gesäumt ist. Krupp hält sich nicht an
dem aufwendig verzierten Elfenbeinthron indischer Handwerker auf, keine
Sekunde bestaunt er die Glasbläser, die
mit orange-glühendem Material ihr Können demonstrieren. Zielstrebig steuert
Krupp auf den Stand eines Rivalen, der
Firma Turton & Söhne aus Sheffield, zu.
Eine Menschentraube umringt einen
Gussstahlblock, der mehr als eine Tonne
Gewicht auf die Waage bringt. Bewunderung allenthalben. So einen großen Guss
hat die Welt noch nicht gesehen.
Der Block ist mehr als ein Exponat, er
ist eine Ansage an die Konkurrenz. Er
Familie Arnoldi
B
is ins kleinste Detail muss
alles stimmen. Sonst geht
der Plan nicht auf. Dann
wäre er, der Nobody aus
Essen, ganz umsonst nach
London gereist, zur „Great
Exhibition“, der ersten Weltausstellung
der Menschheitsgeschichte. Ein letztes
Mal poliert er an diesem Donnerstag,
dem 8. Mai 1851, die glänzende schwarze
Gussstahlkanone, die er mitgebracht
hat. Der Kleinunternehmer – groß gewachsen, schlaksig, hohe Stirn – zupft
noch einmal die orange-gelbe Seidenschärpe zurecht, die den Brustpanzer
aus Stahl gleich neben der Kanone
schmückt. Alles steht ganz schön da, unter dem preußischen Kriegszelt. Damit
der Werbecoup glückt, müssen die
kleinsten Rädchen ineinandergreifen.
Das Vorhaben: der pure Größenwahn.
Er, der unbekannte Stahlgießer aus der
preußischen Provinz, will die scheinbar
übermächtigen Industriekonzerne Englands in seinen Schatten stellen.
Die Welt soll ihn bewundern, seinen
Namen buchstabieren lernen: Alfred
Krupp.
Jahrzehntelang hat er auf diesen Moment hingearbeitet. Jahre der Verluste,
der Rückschläge, der Demütigung. Jetzt
ist die Zeit gekommen, den Krupp’schen
Dreiklang zu vollenden: „Anfangen im
Kleinen, Ausharren in Schwierigkeiten,
Streben zum Großen.“ Heute ist Krupp
bereit für den Kampf, bereit, alles aufzubieten. „Die Engländer sollen Augen
machen.“ Der Unternehmer weiß: Mit
seinen Stahlwalzen, Münzstempeln, Federn und Achsen wird er auf dieser Ausstellung keinen Eindruck schinden. Zu
stark sind die Engländer in diesem Beritt. Deshalb lässt er seine Mannen in Essen seit Monaten heimlich an einer Attraktion werkeln. In drei Wochen wird
sie ankommen. Ein Exponat, das ihn
weltberühmt machen soll.
Doch die erste Stufe der Inszenierung
beginnt schon heute. Die Provokation.
In modischen Galoschen mit Silbersporen stolziert der 39-jährige vollbärtige
Junggeselle durch den neu gebauten
Glaspalast, in dem die Weltausstellung
untergebracht ist, genüsslich an der lang
geschwungenen Pfeife ziehend. Er passiert sprudelnde Wasserfontänen, den
gewaltigen königlichen Baldachin, der
Erfolgsgeschichte Krupp Die geschickte Eigenwerbung war nur ein Teil des
Krupp’schen Erfolgs. Das Unternehmen war
von dem Ehrgeiz getrieben, auch die beste
Qualität zu liefern. Ergebnis jahrelanger Entwicklungsarbeit war ein Stahl, der hart, aber
auch biegsam war. Das machte die Erzeugnisse auch für die Waffenindustrie interessant. Während des Zweiten Weltkriegs galt
Krupp als „Waffenschmiede“ der Nationalsozialisten. Das Ende dieses düsteren Kapitels
war nach der Befreiung durch die Alliierten
1948 die dreijährige Haftstrafe der Firmenlenker. In den achtziger Jahren wurden erstmals Verhandlungen über einen Zusammenschluss der Krupp Stahl AG und der Thyssen
Stahl AG aufgenommen. Am 17. März 1999
wurde die Thyssen Krupp AG schließlich in
das Handelsregister eingetragen.
Probleme der Gegenwart Rund 43 Millionen
Tonnen Rohstahl werden in Deutschland jährlich produziert. Damit ist die hiesige Stahlwirtschaft die siebtgrößte der Welt. Doch die
Branche ist in Schwierigkeiten. Viele Anlagen
sind nicht ausgelastet. Die Nachfrage ist seit
der Wirtschafts- und Finanzkrise 2009 eingebrochen. Die Euro-Krise hat die Situation
nicht besser gemacht.
den Höfen Berge gebrochener Walzen,
er beobachtete die Produktion, die Abläufe, sammelte wertvolles Wissen.
F
ür Krupp ist es dreizehn Jahre
später eine triumphale Rückkehr nach England. In der
„berg- und hüttenmännischen“ Abteilung der Weltausstellung, in einem Seitenarm des Kristallpalasts, präsentiert Krupp den Großpapa-Gruß. Ein achteckiger grauer Gussstahlblock, über zwei Meter hoch, fast
zwei Tonnen schwer. Eine Weltsensation. Nun ist es Krupps Tiegelstahl, um
den sich die Adeligen und Offiziere drängeln, vor dem Techniker andächtig stehen bleiben und mit der Lupe die reine
Oberfläche studieren. „Selbst die Königin von England und Don Miguel von
Portugal ergötzen sich an der Krämerbude“, vermeldet Krupp vergnügt seiner Belegschaft in Essen.
Krupp ist endlich angekommen in der
First Class der Industriellen. Englische
Fabrikanten laden ihn auf ihre Landhäuser ein. Über Freunde erfährt er, dass
selbst seine Gastgeber ihm eine der begehrten Auszeichnungen der Weltausstellung zuerkennen wollen.
Mit Stolz registriert Krupp, dass sein
tonnenschwerer Gussstahlblock zum
Symbol für Deutschlands industriellen
Aufstieg wird. Nicht ohne patriotischen
Unterton berichtet an diesen Tagen des
Triumphs die „Augsburger Allgemeine
Zeitung“: „Alle Techniker sind darüber
einig, dass der Krupp’sche Gussstahl
jetzt der erste der Welt ist.“ Und der
deutsche Fabrikant Friedrich Harkort,
der den Block in London besichtigt, sagt
voller Ergriffenheit: „Das kann kein Engländer nachmachen. Dieses Ding da
wird einer der merkwürdigsten Denksteine in der Geschichte der industriellen Entwicklung Deutschlands werden.“
Für viele Briten ist der Block vor allem
eines: hässlich und protzig. Eben typisch deutsch. Umso größer die Überraschung, als Krupp am Ende der Ausstellung im Oktober eine der begehrten
Medaillen erhält. Von den 17 000 Ausstellern werden lediglich 170 mit dem
ersten Preis geehrt. Nur dreizehn der
bronzenen „Council Medals“ gehen an
die Staaten des deutschen Zollvereins.
Unter ihnen: Krupp.
Die Medaille krönt Krupps Werbecoup. Nun ist es offiziell, durch eine unabhängige Jury aus dem Mutterland der
industriellen Revolution attestiert, für
die ganze Welt sichtbar: Der Krupp’sche
Stahl ist preiswürdig. Und der Stratege
aus Essen weiß das zu nutzen. Die Ausstellungsmedaille lässt er auf jeder Rechnung, auf jedem Brief abdrucken. Zahlreiche Kontakte zu Fabrikanten knüpft
er, Geschäfte fädelt er ein. Plötzlich ist
auch das Interesse an den anderen
Krupp-Erzeugnissen groß.
Neben dem Gussstahlblock ist nun
auch die in London präsentierte Kanone, die wegen ihrer Schönheit selbst
vom englischen „Observer“ gefeiert
wird, plötzlich gefragt. Beides, Kanone
und Gussstahl, militärische Waffen und
zivile Güter, bilden fortan das Fundament, auf dem die Krupp’sche Firma zu
einem der weltweit größten Industriekonzerne heranwächst.
Der großväterliche Gruß der Weltausstellung von 1851, er hallt bis heute.