Warum die Unbeirrbare nicht irren kann

MMCom
ments
Ausgabe Nr. 200
04. März 2016
MilbrodtManagementConsulting
Merkel
Warum die
Unbeirrbare
nicht irren
kann
Ein paar Beobachtungen,
wie die Kanzlerin Politik betreibt
Im Plenarsaal
Deutscher Bundestag 17.02.2016, 13:30 Uhr
Regierungserklärung zum EU-Gipfel
Unsicher zu Anfang, mürbe fast ihr Sehr geehrter
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen,
mit immer fes­terer Stimme Großbritanniens
Erwartungen und Europas Haltung bedenkend
– und schließ­lich hingerissen von den sie herausfordernden historischen Gleich­zeitigkeiten:
Angela Merkel, die Bundeskanzlerin.
Gleichzeitig müssen wir weit darüber hinaus be­
wei­sen, dass die Europäische Union in der Lage
ist, auf die großen globalen Herausforderungen
unserer Zeit ge­meinsame Antworten zu finden (1).
Und das, Frau Merkel, ist zum Beispiel? An
aller­erster Stelle die Fluchtbewegung, die Eu­
ropa – das darf man wohl sagen – vor eine
historische Bewährungspro­be stellt.
Compact 03/2016
Ifo Geschäftsklimaindex Februar 2016
Stimmung in der Wirtschaft trübt sich weiter ein
Der Geschäftsklimaindex für die
gewerbliche Wirtschaft Deutschlands
sank im Februar 2016 gegenüber dem Vormonat deutlich von
107,3 Punkten auf 105,7 Punkte. Das ist der dritte Rückgang in
Folge. Die Einschätzungen der Unternehmen zur aktuellen Lage
verbesserten sich immerhin leicht, die Erwartungen für die
kommenden sechs Monate gaben jedoch deutlich nach: Die
Sorgen der deutschen Wirtschaft werden größer, so der Präsident
des ifo Instituts. Im Verarbeitenden Gewerbe fiel der Index
deutlich: das ist der stärkste Rückgang seit November 2008. Im
Großhandel ist der Index wieder rückläufig, die Erwartungen
blieben aber leicht optimistisch. Die Einzelhändler sind zufrieden,
nach der Aufhellung im Januar trübten sich ihre Erwartungen
jedoch erneut ein. Einzig im Bauhauptgewerbe stieg der Index, die
Erwartungen verschlechterten sich aber zum vierten Mal in Folge.
GfK-Konsumklima Februar 2016
Deutschland bleibt in Kauflaune
Flüchtlingskrise und Terrorgefahr zum Trotz –
die deutschen Verbraucher sind optimistisch: für
März prognostiziert die GfK einen um 0,1 Punkt
leicht gestiegenen Konsumklimaindex von 9,5
Zählern gegenüber dem Vormonat. Mit dem
erfreulichen Start des Konsumklimas in dieses Jahr sind die
Grundlagen dafür gelegt, dass auch 2016 ein gutes Konsumjahr
werden kann. Auch die Einkommenserwartung legt zu – und
zwar spürbar: um 9,9 Punkte auf 56,7 Punkte. Die Anschaffungsneigung bleibt mit 52,7 Punkten gegenüber dem Februar
unverändert auf hohem Niveau. Die Konsumlust sei weiter
ungebrochen. Die Konjunkturerwartungen der Bundesbürger
bleiben trotz eines leichten Rückgangs um 0,8 auf 3,4 Punkte
zuversichtlich. Wichtiger Grund für den Optimismus sei die
nach wie vor exzellente Verfassung des deutschen Arbeitsmarktes.
Fondsmarkt 2015
Wieder ein Rekordjahr
2015 verzeichnete die Fondsbranche
Rekordzuflüsse von 193,4 Milliarden
Euro netto. Davon entfielen auf die
Spezialfonds 121,5 Milliarden Euro –
eine Steigerung von rund 33 Prozent
gegenüber dem Vorjahr, als sie es auf Nettozuflüsse von 91
Milliarden Euro brachten. 71,9 Milliarden Euro flossen in die
Publikumsfonds – das ist mehr als doppelt so viel wie 2014 mit
32,8 Milliarden Euro netto. 2015 war ein außergewöhnlich gutes
Jahr, erklärte Holger Naumann, Präsident des BVI, auf der
Jahrespressekonferenz am 11.02.2016. Das verwaltete Vermögen
lag Ende 2015 bei 2.601 Milliarden Euro. 883 Milliarden Euro, also
rund ein Drittel, werden in Publikumsfonds verwaltet. Zwei Drittel
entfallen auf das rein institutionelle Geschäft mit 1.339 Milliarden
Euro in Spezialfonds und 378 Milliarden Euro in freien Mandaten.
Und wie bewähren sich die Bürger? Von denen
wisse sie mehr als neunzig Prozent hinter sich.
Woher die neunzig Prozent kommen? Aus dem
ARD-DeutschlandTrend vom 03.02.2016 (2) als
Ergebnis auf die Frage: Ich finde es richtig, dass
Deutschland Menschen aufnimmt, die geflohen
sind vor Krieg/Bürgerkrieg.
Das Protokoll vermerkt Beifall bei der CDU/CSU,
der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ­NEN
sowie bei Abgeordneten der LINKEN – und dann
das Lob der Kanzlerin: Ich finde das wunderbar.
Im gleichen Durchgang des ARD-Deutschland
Trend waren achtzig Prozent der Befragten der
Mei­nung, die Bundesregierung habe die Flücht­
lingskrise nicht im Griff.
Das war der Kanzlerin keine Erwähnung wert.
Beim Anne Will Polittalk ging es dann an­ders­
herum.
Von der Kanzel
Anne Will Polittalk, 28.02.2016, 21:45 Uhr
Evangelisches Hochamt zur Flüchtlingspolitik
Als Frau Will die achtzig Prozent ins Feld führte, blieb die Kanzlerin vollkommen ungerührt:
tatsächlich freue sie sich sehr über den zweiten Teil der Umfrage, über die tollen neunzig
Prozent – sie beruhige, dass die Schutzfrage
für die, die Schutz brauchen, [… ] nicht in Frage
gestellt wird (3).
Im Übrigen sei das Problem auf dem Weg der
Lösung: als man sich im Oktober das erste Mal
zum Talk getroffen habe, seien pro Tag durchschnittlich 7.000 Menschen gekommen, im
Januar seien es durchschnittlich nur noch 2.000
gewesen. Man sei doch auf einen vernünf­
tigen Weg, wenngleich noch viele Schritte zu
gehen seien. Aber natürlich verstehe sie, dass
die Menschen der Politik solange misstrauten,
solange sie den nachhaltigen Erfolg noch nicht
abschließend sehen (3).
Rauten Kurz vor Weihnachten 2012 gratulierte Angela Merkel Bernhard Vogel zum 80. Geburtstag – in
gewohnter Pose: die Raute helfe ihr, so ihre Erklärung, den Rücken gerade zu halten.
Was sie so sicher mache, auf dem richtigen
Weg zu sein? Weil das alles gut durchdacht ist
und auch logisch (3).
Und wenn nicht alle Welt ihre Überzeugung
teilt? Nur wer, so die Kanzlerin, von sich
selbst überzeugt ist und an sich glaubt, kann
Erfolge erringen. Sie führe Debatten mit großer
Entschiedenheit und könne damit leben, dass
[…] nicht alle meiner Mei­nung sind. Sie habe
schon viele Debatten durchgestanden, bei de­
nen nicht von Anfang an alle einer Meinung
waren – und sie oft auch sehr alleine war, während der Eurokrise zum Beispiel (3).
Und trotzdem, so ihr stolzes Résumé, hat es
sich dann als richtig her­ausgestellt.
hin stehe eineinhalb Wochen später schon der
nächste reguläre Gipfel an, zudem sei man sich
ja auf dem letzten regulären Gipfel über alle
Maßnahmen einig gewesen – gut, räumte sie
ein, bis auf die Kontingente.
Hätte Frau Will sie nicht daran erinnern müssen,
dass sich nur drei der 36-seitigen Schluss­folge­
rungen des Rats (4) mit der Flüchtlingsfrage
beschäftigen, die bisherigen Ergebnisse eher
übellaunig beurteilt werden und am Schluss
der suizidale Satz steht, die im Dezember 2015
vereinbarte Strategie werde in Zukunft nur
dann zu Ergebnissen führen, wenn alle da­rin
enthaltenen Komponenten zusammen ange­
gangen werden und die Institutionen und die
Mitgliedstaaten gemeinsam und in umfassen­
der Abstimmung handeln?
Was will sie uns sagen?
Offensichtlich dürfen wir Bürger Einstellungen
haben – und, wenn wir uns einen Gefallen tun
wollen, am besten solche, die der Kanzlerin
nicht missfallen. Sie aber hat die Einsicht, wo
es lang geht und wie die Dinge in die Reihe
kommen.
Offensichtlich ist die Politik, recht verstanden,
ein formales Glaubenspuzzle: weil aus A und
Wenn A, dann B aussagenlogisch B folgt und
sie A und die Implikation gut durchdacht hat,
ist ihr Plan widerspruchsfrei, was schon die
Möglichkeit eines Irrtums ausschließt.
Offensichtlich behalte man immer Recht und
setze sich zumeist auch durch, wenn man ohne
Abstriche auf seiner wohldurchdachten, logischen Überzeugung beharrt.
Als Politiker, so die Kanzlerin, sollte man sich
nicht mit der Beschreibung katastrophaler Um­
stände aufhalten, als Politiker habe man die
Aufgabe, aus schwierigen Entwicklungen et­
was Vernünftiges zu machen (3).
Ist diese sonntägliche Kanzlerin dieselbe, die
zwei Tage danach meinte, die Situation an der
griechisch-mazedonischen Grenze sei nicht mit
jener Anfang September 2015 zu ver­gleichen,
es gebe in Griechenland Übernachtungs- und
Aufenthalts­möglichkeiten – und die müssten
auch von den Flüchtlingen genutzt werden (5)?
Es gebe kein Recht, dass ein Flüchtling sagen
kann: Ich will in einem bestimmten Land der EU
Asyl bekommen (6)?
Heike Milbrodt, Partner
03.03.2016
MM©
Auf dem Gipfel
Brüssel 07.03.2016, 12:30 Uhr
Tagung des Rats mit der Türkei
Und falls auf dem Sondergipfel alles schief
geht – ziehen Sie dann, fragte Frau Will, Konse­
quenzen für sich? (3)
Nein, dann muss ich ja weitermachen. Immer­
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04. März 2016
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Anmerkungen
(0) R
echtschreibung: Wir bevorzugen die Schreibweisen vor der Reform – mit ein paar Aus­
nahmen: so schreiben wir zum Beispiel dass statt daß, weil uns das Eszett bei keinem
Schrifttyp gefällt. Wir verzichten darauf, die paar anderen Ausnahmen zu listen.
Zitate setzen wir kursiv statt in Anführungszeichen.
Collage/Bildnachweise: MM©, cesifo-group.de, gfk.de, 123RF
(1) A
ngela Merkel: Regierungserklärung zum Europäischen Rat am 18./19. Februar 2016 in
Brüssel, deutscherbundestag.de, 18.02.2016
(2) infratest dimap: ARD – DeutschlandTREND Februar 2016 Eine Umfrage zur politi­schen
Stimmung im Auftrag der ARD-Ta­ges­themen und der Tageszeitung DIE WELT, in­fra­testdimap.de, Februar 2016
(3) Anne Will: Die Kanzlerin in der Flüchtlingskrise – Können wir es wirklich schaf­fen, Frau
Merkel?, ardmediathek.de, 29.02.2016
(4) Generalsekretariat des Rates: Schlussfolgerungen der Tagung des Europäischen Ra­tes
(18./19. Februar 2016), consilium:europa.eu, 19.02.2016
(5) sat./tens.: Keine neue humanitäre Aktion, FAZ Nr. 52, 02.03.2016
(6) kum.: Merkels neues Gesicht, FAZ Nr. 52, 02.03.2016
(7) WamS: Das Jahr der Raute, WamS Nr. 53, 30.12.2012, welt.de