Prof. Dr. Dr. h.c. Jens Halfwassen (Heidelberg) AUFWACHEN ZU

Prof. Dr. Dr. h.c. Jens Halfwassen (Heidelberg)
AUFWACHEN ZU SICH SELBST:
PLOTINS BEGRIFF DER EINSICHT
(Zusammenfassung)
Platon und Aristoteles haben systematisch zwischen zwei Vollzugsformen
des Denkens unterschieden: der noetischen Einsicht (nous, noesis) als der
ganzheitlich-intuitiven Erfassung des ewigen eidetischen Seins einerseits
und dem diskursiv von einem Gedankeninhalt zum anderen übergehenden,
schlußfolgernden Verstandesdenken (dianioa) andererseits. Plotins Begriff
der Einsicht greift diese Unterscheidung auf und begreift die noetische
Einsicht, die höchste und eigentliche Vollzugsform des Geistes, als ein
„Aufwachen zu sich selbst“: in ihr erhebt sich der Denkende über die
vereinzelte Endlichkeit und Zeitlichkeit des diskursiven Denkens und
realisiert sein wahres Selbst im Einssein mit dem absoluten Geist als der
Fülle des Seins. Die Erfahrung dieser Einsicht ist darum die Erfüllung
unserer Suche nach dem Sein und nach uns selbst. In Plotins Analyse der
Struktur der Einsicht lassen sich dabei die folgenden Aspekte als wesentlich
unterscheiden: (1) Sie ist eine Erfahrung der Verinnerlichung, der Einkehr
des Denkens in sich selbst; (2) sie ist eine Erfahrung der Einheit mit dem
Sein und der Einheit des Seins; (3) sie ist eine Erfahrung konkreter Totalität
als absoluter Fülle; (4) sie ist damit eine Erfahrung absoluter Schönheit; und
(5) sie ist ein absolutes Selbstbewußtsein, das alle Formen von Bewußtsein,
Lebendigkeit und Selbstbeziehung zugleich ermöglicht, übersteigt und
erfüllt. Mit diesen Bestimmungen nimmt Plotins Begriff der Einsicht jene
Form der Einheit von Denken und Sein, Subjekt und Objekt vorweg, die in
der nachkantischen idealistischen Philosophie von Fichte und Schelling
unter dem Titel einer „intellektuellen Anschauung“ verhandelt wird. Sie ist
zugleich die Grunderfahrung einer genuin philosophischen Mystik. Der
Vortrag
plädiert
energisch
Erfahrung des Geistes.
für
die
Aktualität
dieser
metaphysischen