Praktikum in Ecuador – Faszinierende Vielfalt und einige Stolpersteine Janina Buss, 25 Jahre alt, studiert im achten Semester den Bachelor-Studiengang Logopädie an der Hochschule Fresenius in Idstein. Einen Teil eines Pflichtpraktikums verbrachte sie in der ecuadorianischen Hauptstadt Quito, im Hospital Metropolitano de Quito. Im Gespräch berichtet sie über ihre Erlebnisse in der beruflichen Praxis, beschreibt aber auch ihre Alltagserfahrungen in Südamerika. © Janina Buss Frau Buss, vorab interessiert mich, warum Sie sich gerade für das Studium der Logopädie entschieden haben. Wie sind Sie in diesem Zusammenhang auf die Hochschule Fresenius gekommen? Medizinische Themen haben mich schon immer interessiert, ich bin auch durch meine Familie schon vorgeprägt. Ich sehe mich außerdem als sehr kommunikativen Menschen, der sich gerne um die Probleme anderer kümmert, deshalb war die Grundrichtung schon früh klar, ich habe mich recht frühzeitig schon für das Thema Logopädie interessiert. Und ebenso früh stand für mich auch fest, dass ich den akademischen Weg gehen und eine wissenschaftlich fundierte Ausbildung genießen möchte. Das war auch ein Grund, warum mich die Hochschule Fresenius für sich eingenommen hat: die Tatsache, dass der Studiengang bereits gewachsen und etabliert war. Die Nähe zum Wohnort war ein zusätzliches Argument. Ich habe die Entscheidung nie bereut. Auch das Argument, dass wir hier vier statt wie an anderen Hochschulen nur drei Jahre studieren, kann ich nicht negativ einordnen: Dafür ist der Praxisanteil sehr hoch. Wie kommt man auf die Idee, als Studentin der Logopädie ein Praktikum in Ecuador zu machen? Ich muss zugeben, dass ich das Land bereits kannte. Über den American Field Service war ich in der elften Klasse schon einmal für ein ganzes Jahr dort, genauer in Ibarra, einer Stadt mit rund 130.000 Einwohnern in der Provinz Imbabura, Richtung Norden, zur kolumbianischen Grenze hin. Da hat es mir sehr gefallen. Ich besuchte eine reine Mädchenschule, trug Schuluniform. Ich bin auch froh, dass ich mit 16 nicht in einer Riesenstadt wie 1 Quito gelandet bin. Ich bin damals auch ins kalte Wasser gesprungen und praktisch ohne Sprachkenntnisse nach Ecuador. Mit meinem Latein und meinen guten Französischkenntnissen hatte ich eine gute Grundlage, auch Spanisch schnell zu lernen. Ich war aber auch meistens gezwungen, Spanisch zu sprechen, das hat mir sehr geholfen. Und mir ist damals schon aufgefallen, dass die Menschen in dieser Angelegenheit sehr entspannt sind. Als ich zurückkehrte, war mir schon klar: Da möchte ich noch einmal hin! Was ich unmittelbar nach der Schule auch realisiert habe. Janina Buss in Ecuador, im Hintergrund die Hauptstadt Quito © Janina Buss Was haben Sie da gemacht? Ich habe – und dies privat organisiert einen Teil meines Freiwilligen Sozialen Jahres ebenfalls in Ecuador verbracht. Zu dieser Zeit arbeitete ich in einem Kinderkrankenhaus in Quito, ich unterstützte damals die Physiotherapeuten in ihrer Arbeit mit den Patienten. Das war ein Erlebnis, das ich als sehr extrem empfunden habe. Wenn ich allein an die Ausstattung in der Klinik denke – die ist mit den Umständen bei uns nicht zu vergleichen. Im Anschluss war ich dann auch noch für zwei Monate in Ghana. Wir können also tatsächlich schon von einer gewissen Vorprägung sprechen. Dennoch: Was hat Sie bewegt, auch im Rahmen des Studiums eine gewisse Zeit in Ecuador zu verbringen? Der Kontakt nach Ecuador ist seit meinem ersten Besuch nie abgebrochen. Im siebten Semester habe ich noch einen Platz für mein Neuropraktikum gesucht und daran gedacht, wieder nach Südamerika zu gehen. Ich hatte allerdings meine Zweifel. Seinerzeit Physiotherapeuten bei ihrer Arbeit zu unterstützen, ist eine Sache. Da sind sprachliche Fehler kein Drama. Aber in der Sprachtherapie zu arbeiten, in einer Fremdsprache – auch wenn ich diese schon recht gut beherrsche? Das ist doch etwas grundlegend anderes. Ich habe schon während meines Praktikums in Tirol in Österreich gemerkt, wie groß die Herausforderung ist. Schon dort hatte ich bisweilen meine Schwierigkeiten, spezielle, dem Dialekt geschuldete Ausdrücke von einem Neologismus zu unterscheiden. Diese treten ja mitunter auch nach einem Schlaganfall auf. Letzten Endes haben sich aber meine Neugier und meine Freude, wieder in das Land zu kommen, gegen meine Bedenken durchgesetzt. 2 Wie ging es dann weiter? Ich muss ehrlich gestehen, sich von hier aus für ein Praktikum in Ecuador zu bewerben, ist mit vielen Schwierigkeiten verbunden, selbst wenn man schon über so viele Kontakte verfügt. Das fängt mit der Suche nach einer geeigneten Klinik – und dort wollte ich hin – schon an. Wer ist überhaupt der richtige Ansprechpartner? Wohin mit meiner Bewerbung? Ich habe dann auch recht schnell gemerkt, dass der postalische Weg und selbst die E-Mail nicht wirklich weiterbringen. Ich habe schlicht gar keine Antwort erhalten. Da wird auch nicht weitergeleitet oder abgesagt. Das Hospital Metropolitano de Quito © Janina Buss Also Telefon – da musste ich dann aber auch Hürden wie die Zeitverschiebung beachten. Ich musste auch feststellen, dass Logopädie und die Arbeit des Therapeuten in diesem Bereich in Ecuador nicht so bekannt und verbreitet sind, dass jeder gleich etwas damit anfangen kann. Schließlich kam ich über die Aktivierung meiner Kontakte, die zu einer Österreicherin mit logopädischer Praxis in Quito führte, doch noch zum Erfolg und landete im Hospital Metropolitano de Quito. Welcher Tätigkeit sind Sie in diesem Krankenhaus nachgegangen? Ich habe hauptsächlich eine Physiotherapeutin begleitet, die beispielsweise auch Schluckstörungen therapiert hat. Sprachtherapeuten gab es auch, die waren aber nicht am Krankenhaus angestellt, sondern selbstständig tätig und kamen von extern. Wie sah denn Ihr Arbeitsalltag aus? Beschreiben Sie mal einen normalen Tag im Metropolitano. Am Morgen war ich mit meiner Kollegin immer in der Neonatologie. Dort ging es darum, Babys mit Fütterstörung zu stimulieren, mit ihnen eine Therapie durchzuführen. Dann ging es auf die normalen Stationen und zur Intensivstation, wo ich immer auch den physiotherapeutischen Part mitgemacht habe. Das hat mir auch sehr gefallen, weil ich so den interdisziplinären Ansatz live erlebt und mitgestaltet habe. Am Nachmittag waren wir dann in der RehaAmbulanz, wo auch hauptsächlich Kinder mit Fütterstörung hinkamen. Es kam auch vor, dass ich bei logopädischen Fragestellungen als „Expertin“ hinzugezogen wurde, das hat mir sehr gefallen. Insgesamt war es für mich sehr spannend, die Prozesse im Krankenhaus kennenzulernen, und dies auch noch in einem fremden Land. Einziger Wermutstropfen: Gerne hätte ich auch von der Sprachtherapie noch mehr mitbekommen. 3 Warum ist es dazu nicht gekommen? Ich habe das nicht recht verstanden, gehörte aber eben zu den Problemen vor Ort. Zwischen den Festangestellten und den externen Selbstständigen gab es so gut wie keinen Kontakt – überhaupt fand ein Austausch mit den Kollegen nicht unbedingt statt. Ich habe eine der Sprachtherapeutinnen dann zufällig bei einem Vortrag kennengelernt und direkt Kontakt aufgenommen. Wir haben dann auch darüber gesprochen, dass ich auch sie einmal begleite, aber dazu ist es nicht mehr gekommen. Vielleicht hätte es geklappt, wenn ich noch länger in der Klinik gewesen wäre. Alss ich darauf hinwies, konnte auch keiner so viel damit anfangen. Natürlich weiß ich jetzt aber nicht, ob das ein für Ecuador typisches Problem ist. Wie haben Sie den Alltag in Ecuador erlebt? Zunächst einmal muss ich sagen, dass ich Ecuador als enorm vielfältiges Land erlebt habe, es ist ja gar nicht so groß, bietet aber eine ganze Menge: Ob die hohen Berge der Anden, Urwald und Amazonasgebiet, die Strände und Küstenregion – nicht zu vergessen die Galápagosinseln – es gibt beinahe alles, was das Herz begehrt. Wie haben denn die Patienten auf Sie reagiert? Das lief sehr gut, die Menschen zeigten Interesse an meiner Person und meiner Arbeit. Das hat mich auch besonders motiviert und mir viel Freude bereitet. Heben Sie doch einmal einen besonderen Moment im Rahmen Ihrer Tätigkeit hervor. Auf der Intensivstation hatten wir einen jungen Mann, der einen schweren Verkehrsunfall erlitten hatte und im Koma lag. Die Physiotherapeutin hat hier die Arme und Beine bewegt und die Muskulatur gestärkt. Eine logopädische Therapie in Form einer Hygiene und Stimulierung des Mundund Gesichtsbereichs wurde bei dem Ende Zwanzig-Jährigen nicht durchgeführt. Aber genauso wie der restliche Körper mobilisiert werden muss, ist dieser Bereich vor allem für das Schlucken und Sprechen in der Akut- und Rehaphase wichtig. Generell ist mir aufgefallen, dass eine fundierte Schluckdiagnostik und –therapie in dem Land noch nicht sehr geläufig ist. Wanderung zum Gipfel des Rumiñahui (4.700 Meter) © Janina Buss Je nach Region unterscheiden sich natürlich auch Leute und Mentalität. Insgesamt läuft alles etwas entspannter ab, als Europäer oder Deutscher ist man 4 allerdings beinahe gezwungen, etwas entspannter zu werden. In Quito ist es schon auch sehr chaotisch, gerade, was den Verkehr angeht. Vieles ist unorganisiert, man kann nicht schauen, wann der Bus fährt, staufreie Phasen gibt es kaum und an Regeln hält sich auch so gut wie niemand. Überall sind sehr viele Menschen unterwegs. Wenn man abends zusammen weggehen möchte, muss man die Distanz bedenken, die jeder bei diesem Verkehr zurücklegen muss – und mit der Pünktlichkeit nimmt man es auch nicht so genau. Daran habe ich mich bis heute nicht so richtig gewöhnt. Am Cuicocha (Vulkankrater), Provinz Imbabura © Janina Buss vorbereiten. Berufliche Praxis und Alltag erlebt ohnehin jeder anders und im Ausland ist man auch gezwungen, sich auf spezielle Situationen einzulassen. Und für uns Logopäden ist auch schon Österreich Ausland – da sind wir aber auch ein Spezialfall. Wie geht es denn jetzt weiter für Sie – können Sie sich vorstellen, in Ecuador zu arbeiten? Den Bedarf gibt es sicherlich, gerade in den Praxen bestehen viele Möglichkeiten – in der Schlucktherapie mit Fortbildung am Endoskop etwa, aber auch in der Sprachtherapie. Das ist aber jetzt nicht mein Ziel, noch überlege ich, ob ich ein Masterstudium anschließe, vielleicht aber auch noch etwas mit Fremdsprachen mache oder klassisch eine sprachtherapeutische oder linguistische Vertiefung. Aber es ist schön zu wissen, dass es die Option Ecuador für mich immer gibt. (Das Gespräch führte Alexander Pradka, Teamleiter Marketing & PR an der Hochschule Fresenius gem. GmbH, Idstein, Mai 2015) Was raten Sie denn jemandem, der sich überlegt, auch so einen Auslandsaufenthalt zu absolvieren? Mut haben, ins kalte Wasser springen! Man sollte keine Angst vor den Erfahrungen haben, neugierig sein und die Eigenheiten eines anderen Landes akzeptieren. Natürlich gehört auch viel Eigeninitiative dazu, wenn man in ein fremdes Land geht – und das steigert sich sicher auch, je exotischer die gewählte Region ist. Vorher kennen muss man das aber alles nicht und man muss sich auch nicht unbedingt mit einem dicken Buch 5
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