Soziale Netzwerke und ihre arbeitsrechtlichen Fallstricke (HR Today

HR Today
Das Schweizer Human Resource Management-Journal
Soziale Netzwerke und ihre
arbeitsrechtlichen Fallstricke
Viele Arbeitnehmende engagieren sich in sozialen Netzwerken wie Facebook, Xing oder
LinkedIn. Arbeitsrechtlich bringt diese Entwicklung einen Strauss an neuen Fragen mit sich.
Darf sich eine Arbeitgeberin auf sozialen
Plattformen über einen Stellenbewerber erkundigen? Sind Entlassungen wegen Lästereien über den Chef auf Facebook rechtens?
Darf man Arbeitnehmer anweisen, sich in
sozia­len Netzwerken mit Kunden zu befreunden – und was geschieht mit diesen Kontakten nach einer Kündigung?
Lästereien auf Facebook sind keine
reine Privatangelegenheit
Die Entlassung eines angehenden Lehrlings
wegen Lästereien auf Facebook sorgte im
­vergangenen Jahr für Schlagzeilen und hat
­gezeigt: Soziale Netzwerke bergen offenbar
­arbeitsrechtliche Risiken oder – je nach Perspektive – Chancen. Ob die Entlassung im erwähnten Fall rechtens war oder nicht, wird
kein Richter beurteilen, die Parteien haben die
Sache mit einem Vergleich erledigt. Die Diskussion darüber hat aber gezeigt, dass ein sol-
Die Autorin
Gudrun Österreicher Spaniol
ist Fachanwältin SAV Arbeitsrecht
und Partnerin bei Fankhauser
Rechtsanwälte in Zürich. Sie berät
vorwiegend Arbeitgeber sowie
­Arbeitnehmer in Fragen des Arbeitsund Sozialversicherungsrechts.
[email protected]
HR Today 4/2012
ches Vorgehen der Arbeitgeberin als problematisch wahrgenommen wird: Soziale Netzwerke
sind Plattformen zur persönli­chen Darstellung. Der Auftritt hat in erster Linie privaten
Charakter und damit einen persönlichkeitsrechtlichen Aspekt. Bei Netzwerken, deren Fokus auf dem Privatleben liegt, wie Facebook
oder MySpace, ist dies offensichtlich. Ebenso
gilt es aber bei beruflichen Netzwerken, wie
Xing oder LinkedIn, denn auch hier erfolgt der
Auftritt im eigenen Namen. Wegen seines in
erster Linie privaten Auftrittes eine Stelle zu
verlieren, scheint stos­send und ist sicher dann
unzulässig, wenn es die Interessen der Arbeitgeberin in keiner Weise tangiert.
Expositionen auf sozialen Netzwerken
sind dennoch nicht reine Privatangelegenheit: Wer sich auf Facebook zum Beispiel negativ über seine Arbeitgeberin äussert und
deren Ansehen herabsetzt, verstösst gegen
seine arbeitsvertragliche Treuepflicht. Ebenso kann ein Arbeitgeber aufgrund seiner Fürsorgepflicht gerade gehalten sein, Lästereien
über Arbeitskollegen auf Internetplattformen, dem so genannten Cyber-Mobbing,
Einhalt zu gebieten.
Besondere Regeln gelten zudem für höhere leitende Angestellte, die das Unternehmen, für welches sie arbeiten, repräsentieren.
Deren private Auftritte können auf die Arbeitgeberin zurückfallen, weshalb den betref-
fenden Mitarbeitenden durchaus Weisungen
zum Verhalten auf sozialen Plattformen erteilt werden dürfen.
Screening von Stellenbewerbern?
Teilnehmer von sozialen Netzwerken offenbaren viel von sich – vor allem auf Netzwerken
mit Bezug zum Privatleben. Die Versuchung,
sich hier ein umfassenderes Bild von einem
Stellenbewerber zu machen, ist gross, entsprechend scheint es weit verbreitet zu sein,
sich gezielt in sozialen Medien über Stellenbewerber zu informieren. Zulässig ist es aber
nicht in jedem Fall. In der bisherigen arbeitsrechtlichen Rechtsprechung ist es – im Rahmen von Bewerbungsgesprächen – als unzulässig qualifiziert worden, Informationen zu
erfragen, die zur Abklärung der Eignung des
Kandidaten für die vorgesehenen Stelle nichts
beitragen. Ob das Erhältlichmachen dieser
Informationen im Bewerbungsgespräch oder
durch gezielte Recherche in sozialen Netzwerken stattfindet, kann keinen Unterschied
­machen, zumal auch die Informationen in
sozialen Netzwerken nicht uneingeschränkt
zugänglich sind, sondern in erster Linie
Freunden oder Kontakten vorbehalten sind.
Gleiches muss gelten, wenn der Arbeitgeber
während des Arbeitsverhältnisses das Internet aktiv nach Auftritten seiner Mitarbeiten-
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den in sozialen Netzwerken durchforstet,
ohne dass hierzu ein gerechtfertigter betrieblicher Anlass besteht.
Anweisung zur Vernetzung oder
­deren Löschung?­
Soziale Netzwerke sind dazu da, einen möglichst gezielten Informationsaustausch zu ermöglichen. Sie eignen sich daher hervorragend zu Marketingzwecken. Es ist deshalb
nicht erstaunlich, wenn eine Arbeitgeberin
ihre Mitarbeitenden gerade dazu anhält, in
sozialen Netzwerken aufzutreten und sich
mit potenziellen und bestehenden Kunden zu
vernetzen. Eine ausdrückliche Anweisung,
dies auf Plattformen mit vorwiegend privatem Bezug zu tun, wäre jedoch nicht zulässig. Der Arbeitnehmer würde gezwungen,
weit mehr Informationen von sich preiszugeben, als betrieblich notwendig oder zur Erfüllung des Arbeitsvertrages erforderlich ist.
Bei Netzwerken mit Fokus auf dem Berufsleben darf ein weniger strenger Massstab
angelegt werden. Wenngleich die hier offenbarten ­Informationen einen beruflichen Kontext ­haben, dürfen Arbeitnehmende nicht
dazu gezwungen werden, Informationen
preiszugeben, wenn diese gleichzeitig einen
persönlichkeitsrechtlichen Bezug haben, so
zum Beispiel Sprachkenntnisse oder Ausbildungsgang. Zumindest solange die Preisgabe
solcher Informationen nicht branchenüblich
oder zur Erfüllung des Arbeitsvertrages notwendig ist, darf sie nicht ohne Einverständnis
des Arbeitnehmers verlangt werden. Selbstverständlich sind die Kosten einer angeord-
Arbeitnehmende dürfen nicht
dazu gezwungen werden,
Informationen preiszugeben,
wenn diese einen persönlichkeitsrechtlichen Bezug haben.
neten Teilnahme vom Arbeitgeber zu tragen
und die Aktivitäten im Netzwerk auf die Arbeitszeit zu beschränken.
Darf die Arbeitgeberin verlangen, dass die
im beruflichen Netzwerk aufgebauten oder
reflektierten Geschäftsbeziehungen bei erfolgter Kündigung gelöscht oder diese Daten
der Arbeitgeberin herausgegeben werden?
Die den Teilnehmern eines sozialen Netz-
werks üblicherweise zugänglichen Informa­
tionen sind in der Regel keine Geschäftsgeheimnisse, die es durch Löschen der Kontakte
oder Herausgabe von Kontaktinformationen
zu wahren gälte. Die im Rahmen des Arbeitsverhältnisses erhaltenen Kontaktinformatio­
nen von Kunden oder Geschäftspartnern sind
der Arbeitgeberin aber aufgrund der arbeitsvertraglichen Rechenschafts- und Herausgabepflicht mitzuteilen. Eine Weisung, diese
Kontakte zu löschen, wäre allerdings nur in
wenigen Fällen durchsetzbar: Sofern der Aufbau des Netzwerkes allein auf Anweisung und
Kosten der Arbeitgeberin erfolgte, kann man
sich eine solche Löschpflicht vorstellen, insbesondere dann, wenn ein nachvertragliches
Konkurrenzverbot vereinbart wurde.
In den übrigen Fällen würde ein Löschen
der Kontakte die Persönlichkeitsrechte des Arbeitnehmers zu stark tangieren und dessen
berufliches Fortkommen unnötigerweise erschweren. Unternehmen, die die innerbetriebliche Nutzung von sozialen Netzwerken
anstreben, sind gut beraten, wenn sie ihre
Mitarbeitenden entsprechend schulen sowie
die Handhabung und den Einsatz der sozialen
Netzwerke reglementarisch festhalten und
kontrollieren.
Gudrun Österreicher
Arbeit und Recht aktuell
Happige Nachzahlung wegen lückenhafter B
­ onusregelung
Urteil des Bundesgerichts vom 9. November
2011 (4A_356/2011)
Das Urteil
Der Kläger war von April 2000 bis September
2003 bei der Beklagten angestellt. Im Arbeitsvertrag war ein jährlicher Fixlohn von 270 000
Franken vorgesehen sowie eine grosszügige
Bonusregelung. Für den Verlust des Bonus für
das Jahr 1999 beim vorherigen Arbeitgeber
erhielt er 850 000 Franken, und für die Jahre
2000 und 2001 einen Betrag von 880 000 beziehungsweise 800 000 Franken. 2003 hätte der
Arbeitnehmer dann nach London versetzt
werden sollen, aber da sich die Parteien nicht
über die Details einig wurden, kündigte die
Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis im März
2003 und weigerte sich, ihm für das Jahr 2002
noch einen Bonus auszuzahlen.
Die Autorin
Yvonne Dharshing-Elser arbeitet
als Anwältin in der Steuer- und
Rechtsabteilung der OBT AG in
Zürich. Sie berät vorwiegend KMU
in Fragen des Arbeits-, Vertragsund Gesellschaftsrechts.
[email protected]
HR Today 4/2012
Der Arbeitnehmer machte daraufhin kla­
geweise einen Bonusanspruch von 800 000
­Franken abzüglich einer Kürzung um 30 Prozent aufgrund der deutlichen Verluste der
Aktienmärk­te geltend. Das Arbeitsgericht Zürich gab ihm nur teilweise Recht und sprach
ihm einen Bonus von 100 000 Franken zu. Dagegen legte der Kläger Berufung ein und das
Obergericht erhöhte seinen Bonus auf 267 000
Franken. Doch damit war nun die Arbeitgeberin nicht einverstanden und gelangte an das
Bundesgericht. Vergeblich argumentierte sie,
dass aufgrund des qualifizierten Schweigens
im Vertrag eine Gratifikation ab dem Jahr
2002 freiwillig gewesen sei, der Arbeitnehmer
schlechte Leistungen erbracht habe und ein
Bonus aufgrund der Kündigung ohnehin obsolet gewesen sei. Sowohl das Obergericht als
auch das Bundesgericht gingen davon aus,
dass beide Parteien bei Vertragsabschluss für
die Zeit ab 2002 wenigstens grundsätzlich von
einem Anspruch auf Bonus ausgegangen
seien und der Vertrag entsprechend lückenhaft und durch den Richter zu ergänzen sei.
Da die Arbeitgeberin für das Jahr 2002
mit einer Ausnahme all ihren FrontofficeMitarbeitern einen Bonus ausbezahlt hat und
eine Arbeitgeberin einen Mitarbeiter nicht
willkürlich schlechter stellen darf als die üb-
rigen, wurde ein Bonusanspruch des Arbeitnehmers für das Jahr 2002 im Grundsatz bejaht. Bei der Bemessung wurde auf die Tatsache abgestellt, dass sein Bonus 2000 und 2001
jeweils der höchste gewesen war. Das Obergericht nahm deshalb den für 2002 von der Arbeitgeberin ausgerichteten Maximalbonus
von 400 000 Franken und reduzierte diesen
Betrag aufgrund des gekündigten Arbeitsverhältnisses um einen Drittel auf 267 000 Franken. Das Bundesgericht hatte gegen diese Berechnungsmethode keine Einwände und wies
die Beschwerde der Arbeitgeberin ab.
Konsequenz für die Praxis
Bonusregelungen ist besonderes Augenmerk
zu widmen, da sie vermehrt Anlass zu Rechtsstreitigkeiten geben. Nicht selten kommt es
vor, dass ein Arbeitgeber letztendlich mehr
Bonus zahlen muss, als er sich ursprünglich
vorgestellt hat, weil ihm die Ermessensfreiheit in diesem Bereich rasch aberkannt wird
und Stillschweigen in der Regel nicht sachdienlich ist. Dies ist sowohl bei der Abfassung
von entsprechenden Bonusklauseln als auch
in der praktischen Umsetzung und Verteilung
von Gratifikationen zu berücksichtigen.
Yvonne Dharshing-Elser