Im Boot übers MittelmeerSchicksale und Rechtslage von Flüchtlingen in Hamburg Rechtsanwältin Insa Graefe 05.11.2015 Was Sie erwartet… 1. 2. 3. Wer kommt und wie? Wer kann bleiben? Informationen zum Asylverfahren …sehr viele Informationen! Fluchtpunkt Wer kommt? Asylantragszahlen seit 1953 Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Aktuelle Zahlen zu Asyl, Stand 09/15 Wer kommt? Hauptherkunftsländer Quelle: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Aktuelle Zahlen zu Asyl, Stand 09/2015 Wer kommt? Der Großteil der Flüchtlinge verbleibt in der Herkunftsregion. Beispiel Syrien: •Von 2011-2014 100.000 syrische Asylsuchende in der EU •In den Nachbarstaaten 2,9 Millionen Flüchtlinge •In Syrien selbst 6,5 Millionen Binnenvertriebene •Im Libanon 1 Millionen, in der Türkei ebenfalls (nach eigenen Angaben), Jordanien 585.000, Irak 225.000 Fluchtpunkt Wer kommt nach Hamburg? Jahr Schutzsuchende (vor Verteilung) davon Verbleib in Hamburg darunter mit Unterbringungsbedarf 2015 Jan-Sep 35.021 13.179 12.111 2014 12.653 6.638 5.985 2013 7.833 3.619 3.001 2012 5.022 2.091 1.559 2011 3.791 1.546 931 2010 3.574 1.378 878 2009 1.971 770 363 Quelle: Pressemitteilungen der FHH vom 25.2.2015 und 8.10.2015 Aktuelle Probleme in Hamburg - - - - Die Menschen kommen nicht aus den Erstaufnahmeeinrichtungen heraus, da eine Folgeunterbringung nicht gewährleistet ist. Lange Wartezeiten zwischen Registrierung und Antragstellung Lange Wartezeiten für Krankenversorgung Zu wenig oder keine Sozialarbeiter in den Unterkünften Kein System zur Übernahme von Dolmetscherkosten etc. fluchtpunkt Hamburg 7 Flucht braucht Wege! • • Bis Sommer 2012 war der Hauptfluchtweg nach Europa für Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan, Eritrea u.a.: über die Türkei nach Griechenland. Die Landgrenze wurde systematisch abgeriegelt Flüchtlinge müssen daraufhin den gefährlichen Seeweg über die Ägäis wagen (Östliche Mittelmeerroute, 2014: 50 000) Quellen: „Flucht braucht Wege!“, Pro Asyl, September 2014 „Europas offene Flanke, Die Wege der Flüchtlinge nach Europa SZ vom 01.03.2015 Fluchtpunkt Flucht über das Mittelmeer • • • Eine der Hauptrouten ist seitdem über das Mittelmeer nach Malta und Italien In 2014 sind bei Unglücken mit Flüchtlingsbooten im Mittelmeer mehr als 3500 Menschen gestorben (SZ, 01.03.2015), 2015 bereits bis August 2000 Tote (Tagesschau, 04.08.2015) 2014 sind mehr als 227.000 Menschen über das Mittelmeer nach Europa gekommen - mehr als doppelt so viele wie 2013. In der ersten Jahreshälfte 2015 schon mehr als 300.000. Fluchtpunkt Flucht über die Balkanroute Balkanroute aktuell Über Mazedonien und Serbien gelangen die Flüchtlinge zu den Außengrenzen der Europäischen Union (EU). Nachdem Ungarn seine Grenze zu Serbien geschlossen hatte, brachte Serbien zahlreiche Flüchtlinge nach Kroatien. Kroatien beklagte sich über die enorme Belastung und brachte die Flüchtlinge weiter nach Ungarn. Nun schloss Budapest auch diese Grenze, die Flüchtlinge ziehen über Slowenien Richtung Norden. Damit ist das kleine Land zum neuen Brennpunkt in der Flüchtlingskrise geworden. Debattenfrage Soll die EU Kriegsflüchtlingen die Einreise nach Europa erleichtern? Wer kann bleiben? Einstiegsfall Ein junger Mann aus Somalia beantragt in Deutschland Asyl. Er berichtet, dass er zunächst in Italien war. Papiere hat er keine. In der Beratung erzählt er, dass er viel Schlimmes erlebt hat und schlecht schlafe. Fluchtpunkt Problemsammlung • • • • • • Zuständigkeit für das Asylverfahren in Deutschland? Behandlungsbedarf? Dolmetscher? Rechtliche Vertretung? Umverteilung in Deutschland? Asylgründe? Nachweisbarkeit? Fluchtpunkt Wer sitzt vor mir? • • • Häufig Menschen mit traumatischen Erlebnissen im Herkunftsland, auf der Flucht, in der EU, die sich in einem völlig neuen kulturellen und sprachlichen Kontext zurecht finden müssen und sich in einem für die undurchschaubaren Verfahren befinden. Fluchtpunkt Wer kann bleiben? Zwei Prüfungen • • Wird das Verfahren überhaupt in Deutschland durchgeführt? Hat der Antragsteller eine Chance, als Flüchtling anerkannt zu werden und einen Aufenthaltstitel zu bekommen? Fluchtpunkt Durchführung des Verfahrens in Deutschland: Zuständigkeit (Dublin III) Prinzipien: • • • No refugees in orbit – ein Mitgliedsstaat ist zuständig One chance only – ein Asylantrag wird nur in einem Mitgliedstaat geprüft Der Flüchtling hat kein subjektives Recht darauf, welcher Staat die Zuständigkeit übernimmt. Fluchtpunkt Zuständigkeit (Dublin III) • • • • Staat, in dem sich ein Familienmitglied mit internationalem Schutz befindet Staat, in dem ein Familienmitglied ein Asylverfahren betreibt Staat, der einen Aufenthaltstitel oder ein Visum erteilt hat Staat, in den er nachweislich illegal eingereist ist (i.d.R. Staat des ersten Fingerabdrucks) Fluchtpunkt Zuständigkeit (Dublin III) Wann muss eine Überstellung in den zuständigen Mitgliedsstaat unterbleiben? • • systemische Mängel (Griechenland, manche Gerichte sagen auch: Italien, Ungarn, Bulgarien) Fristablauf: Überstellungsfrist 6 Monate ab Zustimmung des MS, bei Untertauchen 18 Monate Fluchtpunkt Übernahmeersuchen an andere Mitgliedstaaten Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Aktuelle Zahlen zu Asyl, Stand 09/15 Auf der Basis welcher gesetzlichen Grundlage können Flüchtlinge bleiben? Nur aus den gesetzlich normierten Gründe kann ein Aufenthaltstitel erteilt werden. Unterschied zwischen Wirklichkeit und Gesetz – Wer die Anspruchsvoraussetzungen nicht erfüllt, hat grundsätzlich auch kein Recht, zu bleiben. Fluchtpunkt Wer kann bleiben? ART. 16 a GRUNDGESETZ : Politisch Verfolgte genießen Asylrecht Durch Asylkompromiss von 1993 stark eingeschränkt. Auf die Vorschrift kann sich nicht berufen, wer 1. aus einem EU-Staat oder einem sicheren Drittstaat einreist (§ 26 a AsylVfG: EU-Staaten, Norwegen, Schweiz) 2. aus einem sicheren Herkunftsstaat einreist Verminderter Rechtsschutz und kaum anwendbar durch europäische Zuständigkeitsregelungen! Anerkennungsquote 2014: 1, 8 % fluchtpunkt Hamburg 22 Wer kann bleiben? Flüchtlingsstatus gemäß Genfer Flüchtlingskonvention • • begründete Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe bedeutsamste Schutzkategorie (25 %) Fluchtpunkt Asylverfahren Subsidiärer Schutz § 4 AsylVfG Gefahr, dass im Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht: • Todesstrafe • Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung • ziviles Opfer willkürlicher Gewalt im Rahmen eines bewaffneten Konflikts • 2014 etwa 5 % der Entscheidungen Fluchtpunkt Wer kann bleiben? Nationale Abschiebungsverbote § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG • § 60 Abs. 5: drohende Verletzung der EMRK • § 60 Abs. 7: konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit, z.B. Traumatisierungen, schwere Erkrankungen Fluchtpunkt Schutzquote Wie läuft das Verfahren ab? 1. Antragsstellung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge: ED-Behandlung, in der Regel Umverteilung, Unterbringung, Erteilung Aufenthaltsgestattung, Leistungen 2. Ggf. Dublin-Anhörung und Verfahren 3. Anhörung („Herz“ des Verfahrens) 4. Entscheidung 5. Stark verkürzter Rechtsweg fluchtpunkt Hamburg 27 WIE LÄUFT DAS VERFAHREN AB? Situation der Asylsuchenden während des Verfahrens : -Leistungen nach dem AsylbewerberlG - Beschäftigungssituation - Krankenversorgung - Residenzpflicht fluchtpunkt Hamburg 28 Schwierigkeiten für die AntragsstellerInnen • Beweiserbringung (insbesondere: Ärztliche Behandlung und Vorlage von Attesten) • Kommunikation • Finanzierung fluchtpunkt Hamburg 29 Asylverfahren - Dauer • • Gegenwärtig dauern die Asylverfahren deutlich länger als sechs Monate, oft Anhörung erst nach 1, 5 Jahren. Ausnahmen: Syrien und Antragsteller aus dem ehemaligen Jugoslawien (sichere Herkunftsstaaten) Fluchtpunkt Rechtsstaatliches Verfahren? Sichere Herkunftsstaaten Mitgliedstaaten EU, Serbien, Bosnien und Herzegowina, Mazedonien, Senegal, Ghana Neu seit 10/2015: Kosovo, Albanien, Montenegro (Anlage II AsylG; Berichtspflicht § 29a Abs. 2a AsylG) Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz vom 23.10.2015 – Verschärfungen Durchgängige Pflicht zum Wohnen in Erstaufnahmeeinrichtung ggf. bis zur Abschiebung (§47 Abs. 1a AsylG) Fortdauer der Residenzpflicht während EAE-Unterbringung (§ 59a Abs. 1 S. 2 AsylG) Dauerhaftes Arbeitsverbot (§ 61 Abs. 1 [unveränd.], Abs. 2 S. 4 AsylG; § 60a Abs. 6 AufenthG) Schon seit der letzten Gesetzesänderung vom 27.07.2015: Einreisesperren Weitere Änderungen in Planung (Transitzonen, Hotspots, Inhaftierung von Schutzsuchenden) Aufenthaltspapiere - Überblick Aufenthaltsgestattung Person befindet sich im Keine Abschiebung Asylverfahren. möglich. (Achtung: Erlöschen!) Duldung Person ist ausreisepflichtig. Abschiebung möglich, ggf. auch vor Ablauf der Duldung. Fiktionsbescheinigung Verlängerung eines Aufenthaltstitels wurde beantragt, über den Antrag wurde noch nicht abschließend entschieden Keine Abschiebung vor Entscheidung über den Antrag möglich. Fluchtpunkt Aufenthaltspapiere - Überblick Grenzübertrittsbescheinigung (GÜB) Person ist Keine Abschiebung vor ausreispflichtig, Frist Fristablauf möglich. zur freiwilligen Ausreise läuft. Meldeauflage o.ä. Person soll vorsprechen (und müsste eigentlich eine Duldung o.ä. erhalten). Abschiebungsgefahr abhängig vom Zweck der Vorsprache. Aufenthaltserlaubnis (AE) gemäß § 25 Abs. 2 Satz 1, erste Alternative AufenthG Person ist als Flüchtling anerkannt und hat Anspruch auf einen „blauen Pass“. Erlaubter Aufenthalt. AE für drei Jahre, danach ggf. Niederlassungserlaubni s (NE) Fluchtpunkt Aufenthaltspapiere - Überblick AE gemäß § 25 Abs. 2 Satz 1, zweite Alternative AufenthG Person ist subsidiär schutzberechtigt. Erlaubter Aufenthalt. AE für ein bis zwei Jahre. Nach 5-7 Jahren NE möglich AE gemäß § 25 Abs. 3 AufenthG Für die Person wurde ein nationales, zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot festgestellt. Erlaubter Aufenthalt. AE zunächst für ein Jahr, nach 5-7 Jahren NE möglich. AE gemäß § 25 Abs. 4 Aufenthaltsrecht aus oder 5, gemäß § 25 a, humanitären, gemäß §§ 23 oder 23 a inlandsbezogenen Gründen. Fluchtpunkt Erlaubter Aufenthalt. AE zwischen sechs Monaten und zwei Jahren.Nach 5-7 Jahren NE möglich. Wer helfen möchte… • • • Entscheidend ist es, zu reagieren, Fristen zu beachten und sich Hilfe zu holen. Erstberatung Im Zweifel frühzeitig Kontakt zu Beratungsstellen oder Rechtsanwälten aufnehmen. Das bestehende Netzwerk in Hamburg nutzen! Insbesondere auch Stadtteilinitiativen : http://www.hamburg.de/fluechtlinge/4384088/ha mburg-hilft/ Fluchtpunkt Zum Weiterlesen: Wie viele Flüchtlinge haben Sie schon aufgenommen, Herr Prantl?, http://www.sueddeutsche.de/leben/ persoenliche-betroffenheit-diegretchenfrage-1.2692471 http://info.arte.tv/de/flucht-nacheuropa Tillmann Löhr, „Schutz statt Abwehr“, Wagenbach 2010 Vielen Dank! Fluchtpunkt
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