2 Zoom BEinfo 03 2015 «Wir sagen den Leuteu richt, wie sie leben sollen.» Impressum Herausgeber: Kommunikation Kanton Bern (KomBE), Postgasse 68, 3000 Bern 8, Telefon 031 633 75 91, E-Mail [email protected], ISSN 1662-467XI Redaktion: Catherine Arber (car)I Mitarbeit: Sebastian Fankhauser (sfa), Eduard Fiala (ef), Elias Maier (em), Manuel Schär (mso), Susanne Wenger (swe, freie Journalistin) Bilder: Adrian Moser 1 Illustration: Peer Fankhauser (Seite 12)1 Korrektorat: Renate Kinzl Übersetzung: Agnès Chamoux, Catherine Kugler, Stéphane Rigault 1 Gestaltung: Polyconsult AG, Bern Druck: W. Gassmann AG, Biel 1 Inserate: Annoncen-Agentur Biel AG, Längfeldweg 135, 2501 Biel, Tel. 032 344 83 44, www.annoncen-agentur.ch 1 Auflage: 21 500 Die Personalzeitung der bernischen Kantonsverwaltung Die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) war seit ihrer Gründung vor zweieinhalb Jahren öfters in den Schlagzeilen. Wie aber sieht ihr Alltag jenseits der medienträchtigen Fälle aus? Zu Besuch auf der KESB Bern bei Charlotte Christener-Trechsel an einem ganz normalen Montag. Frische Luft dringt aus den weft geöffneten Fenstern in Charlotte Christener-Trechsels Büro. Auf ihrem Pult und dem kleinen Besprechungstisch hat sie verschiedene, bunte Klarsichtmäppli mit Fällen verteilt, an welchen sie heute arbeiten will: Hier will sie ein Telefon beantworten, dort eine E-Mail schreiben. Ihr dickes, schwarzes Notizbuch hat sie bereits aufgeschlagen und es neben der Tastatur abgelegt. Es ist Montagmorgen kurz nach acht, auf der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) Bern ist schon so einiges los. Charlotte Christener-Trechsel, 43, Vizepräsidentin der KESB Bern, schätzt, dass sie heute an 15 verschiedenen Fällen arbeiten wird. Das bedeutet auch: Sie wird es mit 15 verschiedenen Lebensgeschichten zu tun haben. Die Zahl 15 allerdings wird sie im Laufe des Tages nach oben korrigieren müssen. Jeder ihrer Arbeitstage sei anders, sagt sie. Manchmal, wenns brenne, beschäftige sie sich an einem Morgen nur mit einem Fall. Doch heute sind die Menschen und ihre Lebensgeschichten so zahl- und abwechslungsreich wie das Aprilwetter draussen vor dem modernen Bürokomplex an der Weltpoststrasse 5 im Osten Berns. Wegkommen von Stigmatisierung Die Fürsprecherin schliesst das Fenster und setzt sich an den Besprechungstisch. «Ein grosser Teil meiner Arbeit betrifft Beistandschaften», erklärt sie. Beistände für Kinder kommen etwa dann zum Zug, wenn sich getrennte Eltern beim Besuchsrecht und anderen Themen rund um die Kinderbetreuung und -erziehung nicht einigen können oder sonstige Unterstützung benötigen. «Seitdem das gemeinsame Sorgerecht gilt, haben diese Fälle zugenommen.» Sie unterscheidet zwischen privaten Beiständen und Berufsbeiständen. In der Stadt Bern sind dies Sozialarbeitende des Amts für Erwachsenen- und Kindesschutz (EKS), auf dem Land der meist polyvalenten Sozialdienste. Die privaten Beistände unterstützen beispielsweise betagte oder behinderte Menschen, die in ihrem Umfeld keine Hilfe haben. «Mit dem neuen Kindes- und Erwachsenenschutzrecht ist der Begriff 'Vormundschaft' für Erwachsene verschwunden», erklärt die Vizepräsidentin der KESB Bern. Man wollte wegkommen von der Stigmatisierung, den dieser Begriff assoziiere. Neu ist die Beistandschaft nicht mehr starr und pauschalisiert, sondern auf die Bedürfnisse der Person zugeschnitten, also massgeschneidert. Das heisst, dass die KESB mit dem Beistand beziehungsweise vor Errichtung der Massnahme mit der abklärenden Person und — je nach Gesundheitszustand — mit der Person selbst bespricht, ob und in welcher Form geholfen werden soll. Und zwar in den Bereichen Finanzen, Administration, Wohnen, Gesundheit und Soziales. «Wir verstehen uns als Dienstleistungsbetrieb und bieten Hilfe an», sagt Charlotte Christener-Trechsel. Oft werde dies auch so wahrgenommen. Es sei wichtig, mit den Menschen zu sprechen. Wenn es nicht gelinge, gemeinsam eine Lösung zu finden, müsse die KESB wie ein Gericht entscheiden. «Guter Erwachsenen- und Kinderschutz braucht Zeit», ist sie überzeugt. «Ziel, dass es Menschen besser geht» Das Telefon klingelt. Ein Beistand des EKS meldet sich. Seine Klientin — eine psychisch angeschlagene Frau — weilt in der Folge einer fürsorgerischen Massnahme in einer Übergangswohngruppe. Dort darf sie nur für eine begrenzte Zeit bleiben. Die Frau möchte aber nicht weg von dort. Charlotte ChristenerTrechsel vertröstet den Sozialarbeiter auf später. Es ist gleich neun Uhr, es steht eine Besprechung mit einem privaten Beistand an. Er vertritt eine betagte blinde Frau. Alle zwei Jahre müssen die Beistände der KESB einen Bericht abgeben und unter anderem auch über die Kontoführung Rechenschaft ablegen. Bei dieser Sitzung geht es aber zuerst darum, die Beistandschaft ins neue Recht zu überführen. Die KESB-Mitarbeiterin erklärt die neuen gesetzlichen Bestimmungen und bespricht mit dem Beistand, ob und in welchem Umfang seine Hilfe vonnöten ist. Der ältere Herr leidet inzwischen selber an gesundheitlichen Problemen und kündigt an, mittelfristig als Beistand aufhören zu wollen. Seit dem 1. Januar 2013 mussten über 1900 Beistandschaften ins neue Recht überführt werden; Ende April waren es noch rund 120. Die Juristin und der Beistand sind sich schnell im Klaren über die Ausgestaltung der Hilfe und sie verabschiedet sich. Der Beistand und der Revisor bleiben im Sitzungszimmer und besprechen die Rechnung. «Guter Erwachsenen- und Kinderschutz braucht Zeit.» 4 Zoom Zurück im Büro, greift sie zum Dossier der psychisch angeschlagenen Frau. Die KESB entscheide aufgrund der ärztlichen Empfehlungen, erklärt Charlotte Christener-Trechsel. Bei der psychisch angeschlagenen Frau sei in der fürsorgerischen Unterbringung nun zum ersten Mal wieder gesundheitliche Besserung eingekehrt. Die KESB habe schon viel mit dieser Frau zu tun gehabt. «Unser Ziel ist es, dass es den Menschen besser geht und dass unsere Unterstützung im besten Fall einmal nicht mehr nötig ist.» Sie ruft den Sozialarbeiter zurück und bespricht sich mit ihm. Sie müssen eine neue Lösung für die Frau finden, die fürsorgerische Massnahme soll vorerst zu ihren Gunsten noch nicht aufgehoben werden. «Bei einer fürsorgerischen Unterbringung stützen wir uns grundsätzlich auf die Einschätzungen der Ärzte», erklärt sie. Braucht viel, dass KESB gegen Willen einer Person hilft Jetzt sind die Polizeiberichte eingetroffen. Ein Mann macht sich Sorgen um seine über 80-jährige Halbschwester, er erreiche sie telefonisch nicht und auch die Nachbarn hätten sie seit ein paar Tagen nicht mehr gesehen. Er kontaktiert die Polizei. Sie findet die Frau am Boden vor, zwischen Kommode und Kleiderschrank eingeklemmt, eingenässt, in der Küche und im Rest der Wohnung herrscht ein Riesendurcheinander. Charlotte ChristenerTrechsel runzelt die Stirn: «Das tönt nach Verwahrlosung. Da werden wir wohl ein Dossier eröffnen müssen.» Zunächst werde sie im Spital anrufen und fragen, wie lange die Frau da bleiben kann. In einem zweiten Bericht schreibt die Polizei von einem Besuch bei einer Frau, die der KESB-Mitarbeiterin wohlbekannt ist. Die Nachbarn haben die Polizei angerufen, weil sie Schreie gehört haben. Der Mann BEinfo 03 2015 schlägt seine Frau, sie wiederum hat ein Alkoholproblem. Fast 2 Promille stellt die Polizei bei ihr fest — nachmittags um zwei Uhr. «Diese Frau will sich auf keinen Fall helfen lassen», weiss Charlotte Christener-Trechsel von früheren Begegnungen mit ihr. «Da werden wir vorerst auch nichts unternehmen.» Wenn sich die Nachbarn an diesem Paar stören, müssen sie sich an die Hausverwaltung wenden. Grundsätzlich sei es aber so, dass «spinnen nicht verboten ist — interveniert wird nur dann, wenn jemand, insbesondere die betroffene Person selbst, dadurch erheblich gefährdet wird.» Es brauche viel, dass die KESB etwas gegen den Willen einer Person unternehme. Voraussetzung sei, dass die Person an einem Schwä- chezustand leidet (zum Beispiel einer geistigen Behinderung oder psychischen Störung) und deshalb hilfsbedürftig ist, also ihre Angelegenheiten nicht oder nur teilweise besorgen kann, und — bei Kindern — dass eine erhebliche Gefährdung vorliegt. Die KESB wird nur aktiv, wenn und soweit die betroffenen Personen sich nicht selbst Unterstützung organisieren können. So habe sie beispielsweise mit einer Messie-Mutter zu tun gehabt, die ihren Kindern vom emotionalen Standpunkt her eine gute Mutter gewesen sei, erinnert sich Charlotte Christener-Trechsel. «Den Kindern ging es in vielerlei Hinsicht gut. Wir haben dann ganz pragmatisch dafür gesorgt, dass die Wohnung einigermassen bewohnbar wurde, wenn auch nicht dem durchschnittlichen Ordnungsempfinden entsprechend. Es ist nicht unser Job, den Leuten zu sagen, wie sie leben sollen; wir wollen nur die Gefährdung abwenden.» Es ist erst halb zehn Uhr. Charlotte Christener-Trechsel hat sich bereits mit neun verschiedenen Fällen auseinandergesetzt. Besorgte Bürgerin ruft an Der Chef, Patrick Fassbind, schaut zur Bürotür herein. Am Freitag hat sich ein Vater mit einem Eilantrag an ihn gewandt. Er lebt im nahen Ausland, die von ihm getrennte Mutter des Säuglings lebt in Bern und hat nun ein Jobangebot in einer anderen Stadt erhalten. Er sorgt sich um sein Besuchsrecht. Die Juristin schaut ins Dossier und stellt fest, dass die Mutter durchaus gewillt sei, ihm dieses wie abgemacht zu gewähren. Sie wird dem Vater später per E-Mail antworten. Vorher spricht sie sich aber noch mit dem zuständigen Sozialarbeiter des EKS ab. Das Telefon klingelt. Eine Mutter ruft an, weil beim Bräteln an einem Fluss eine Frau mit Stock auf sie und ihre Kinder losgegangen sei. Auch diese Frau ist der KESB bekannt. Bisher sei sie aber noch nie aggressiv gewesen. Charlotte Christener-Trechsel meldet das Telefonat dem zuständigen Psychologen der KESB Bern, der für die Frau verantwortlich ist. Seit der Gründung der KESB sei die Hemmschwelle, eine Meldung zu machen, tendenziell gesunken, beobachtet sie. Es sei wichtig, frühzeitig zu erkennen, wenn jemand Hilfe und Schutz brauche. In rund 40 Prozent der eröffneten Fälle ergreife die KESB keine Massnah- 5 Die Personalzeitung der bernischen Kantonsverwaltung men, doch man habe hingeschaut und den Betroffenen aufzeigen können, wo sie wenn nötig Hilfe holen können. Pattsituation — Dreiergremium entscheidet Ihre Klienten seien oft einsame Leute ohne funktionierendes soziales Netz, sagt Charlotte Christener-Trechsel. Manchmal sei es nach einem Arbeitstag nicht einfach, abends abzuschalten, und die Mutter zweier Kinder erzählt dann ihrem Mann von den Menschen und ihren Schicksalen. Noch ist sie mitten im Arbeitstag. Es ist Nachmittag geworden, und ein Treffen mit einem getrennten Paar steht an. Die Eltern teilen sich die Kinderbetreuung und möchten die Tochter an ihrem Wohnort— einer auf dem Land, der andere in der Stadt — in den Kindergarten schicken können. Eine Mediation hat bisher nichts gebracht. Der Mann fühlt sich benachteiligt, das Paar kann kaum mehr sachlich miteinander reden. Charlotte Christener-Trechsel schlägt Lösungen vor, Kompromisse, macht Denkanstösse — und ermahnt das Paar dazu, dass es zu einer Einigung zum Wohle des Kindes kommen muss. Sie einigen sich auf die Betreuungstage und -zeiten. Das Kindergartenproblem aber bleibt. Die KESB wird die Pattsituation zu dritt beraten und über den Kindergartenort entscheiden müssen. Das Paar verlässt das Sitzungszimmer, die Fürsprecherin lüftet den stickigen Raum und klemmt sich Verfahren sollen vereinfacht werden Anfang Januar 2013 trat das neue eidgenössische Kindes- und Erwachsenenschutzrecht in Kraft. Es löste das bald 100-jährige Vormundschaftsrecht ab und kann als eigentliche Jahrhundertreform bezeichnet werden. Eine wesentliche Neuerung des neuen Gesetzes ist die Stärkung des Selbstbestimmungsrechts der Betroffenen. Allfällige Schutzmassnahmen werden individuell auf ihre Bedürfnisse angepasst. Das neue Gesetz brachte eine Professionalisierung der Behörden mit sich. Bis Ende 2012 war im Kanton Bern der Gemeinderat zugleich Vormundschaftsbehörde, wenn das kommunale Recht keine andere Zuständigkeit vorsah. Neu nehmen die Kindesund Erwachsenschutzbehörden (KESB) das Dossier und ihr schwarzes Notizbuch unter den Arm. Kurzes Innehalten. In ein paar Minuten schon wird sie sich mit dem nächsten Fall beschäftigen. Catherine Arber Aufgaben auf diesem Gebiet wahr. Sie sind interdisziplinär zusammengesetzte Fachbehörden, die aus mindestens drei Mitgliedern und einem Behördensekretariat bestehen. Das Behördensekretariat unterstützt die Fachbehörde und setzt sich aus dem sozialjuristischen Dienst, dem Revisorat und der Kanzlei zusammen. Im Kanton Bern gibt es elf in den Regionen angesiedelte KESB sowie eine burgerliche. Derzeit ist die Vernehmlassung zur Änderung des kantonalen Kindes- und Erwachsenenschutzgesetzes im Gang, das die KESB unter anderem durch einfachere Verfahren entlasten und effizienter machen soll. So ist vorgesehen, dass Fälle, die nicht zwingend ein interdisziplinäres Gremium erfordern, durch Einzelpersonen entschieden werden können. (car) Bildungszentrum für Wirtschaft und Dienstleistung BWD WEITERBILDUNG BERN - HEUTE FÜR MORGEN! Die Dienstleistungen der bwd Weiterbildung umfassen das Ausbildungsmanagement von branchenspezifischen Aus- und Weiterbildungsangeboten bis hin zur Prüfungsdurchführung, die betriebsindividuelle Schulungen für Mitarbeitende und Kaderangehörige sowie die Führung von Geschäfts- und Fachstellen für Berufsverbände und Bildungspartner. Folgende attraktive Weiterbildungsangebote sowie Prüfungen für Mitarbeitende oder Kaderangehörige werden angeboten: Gemeinde- und Verwaltungspersonal - Fachausweislehrgang Gemeindefachfrau/-mann - Führungsausbildung für Gemeindekader,Teil Diplomlehrgang - Diplomlehrgang Bauverwalter/-in - Diplomlehrgang Gemeindeschreiber/-in - ZertifikatslehrgangVerwaltungsrecht in der Praxis - Lehrgang für Gemeindepolitiker/-innen - Lehrgang Sachbearbeiter/in Baubewilligungsverfahren - Kurs Planungs-, Bau- und Umweltrecht - Fachspezifische Seminare und Tageskurse Notariats- und Advokaturangestellte sowie Wiedereinsteiger/-innen - Einführungslehrgang in die Notariatsbranche - Lehrgang Fachausweis für Notariatsangestellte - Fachkurs für Anwaltssekretariatsangestellte Berufsbildner und Bildnerinnen - Ausbildungskurs für Berufsbildner/-innen Zivilstandswesen - Zertifikatsausbildung für Zivilstandsangestellte - Eidg. Berufsprüfung Zivilstandsbeamtin FA/Zivilstandsbeamter FA Rund zweihundert Dozentinnen und Dozenten unterrichten nach neusten didaktischen Erkenntnissen. Sind Sie an einer anerkannten Weiterbildung interessiert? Details und Information finden Sie unter www.bwdbern.ch oder kontaktieren Sie uns per E-Mail [email protected] bwd I Papiermühlestrasse 65 1 3014 Bern 1Tel. 031 330 19 90
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