Amazing Grace – und was nun? 1

Amazing Grace – und was nun?
Eidg. Dank-, Buss- und Bettag 2015
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Predigt in EMK-Winterthur
Liebe Mitchristen
Das Gemeinsame der verlesenen biblischen Texte und des in deutscher Sprache gesungenen Liedes „Amazing Grace“ ist die beängstigende Tiefe im Wasser bis hin zum Grab.
Doch die Texte bleiben nicht bei Dunkelheit und Tod stehen, sondern sie bezeugen den
Rückruf ins Leben. Sie lassen sich zusammenfassen mit „wunderbarer“ oder „erstaunlicher
Gnade“. Und über allem steht Gott, denn das wieder aufleben und letztlich das Neue Leben
gibt er! Dafür können wir danken! Doch wie steht es mit der Busse? Und was sind die Anliegen unserer Gebete?
Zu John Newton
John Newton, der Verfasser von Amazing Grace, lernte als Knabe durch seine Mutter
biblische Geschichten kennen. Er wurde als 18 jähriger in die königliche Marine zwangsrekrutiert, und bald auf ein Handelsschiff umgetauscht. Er war dann fast zwanzig Jahre in den
Sklavenhandel involviert. Auf See vergass er vorerst die christliche Erziehung. Dann drohte
in einem gewaltigen Sturm dem Schiff der Untergang und ihm selbst der Tod. Doch das
Schiff und er tauchten wieder auf, sein Leben war bewahrt, er war gerettet. Das ist der Kernpunkt zu „Amazing Grace“, das er erst als 48-jähriger zum Neujahrsgottesdienst von 1773
verfasste.
John Newton verfasste als Kapitän einfache für die Mannschaft verständliche Lieder
und hielt als Laie Gottesdienste an Bord. Wieder fest an Land wurde John Newton ohne
klassisches Studium als 40-jähriger zum Diakon vereidigt und zwei Monate später zum Pfarrer ordiniert.
Von der Zeit als Matrose bis zum Kapitän wurde in den Schiffen immer Ware transportiert. Als Ware wurden damals ganz allgemein die gekauften dunkelhäutigen Afrikaner eingestuft, doch in zwei drei Sätzen in Kapitän Newtons Notizen wurde deutlich, dass er gegenüber ihnen eine bestimmte Sorgfalt pflegte. Vielleicht bekümmert wegen dem wegfallenden
Erlös, wenn Einzelne auf dem Schiff starben. Denn als Kapitän war er eben auch Handelsmann. Er musste in Afrika mit „Gewehren und Munition, Textilien, Seidentaschentüchern und
anderen Gütern“ aus Europa bezahlen.
Die Handelsschiffe waren im Dreiecksverkehr Europa, Afrika, Amerika nie leer. Sie hatten auch Baumwolle und Seide geladen, die sogar in Winterthur verarbeitet wurden. Auf dieses Dreieck wurde ich an einer Führung durch Winterthur anlässlich der vergangenen Afropfingsten durch Mitarbeitende von Cooperaxion hingewiesen. In das Jahrhundert Newtons
gehört auch das Haus „Zum Baumwollbaum“ am oberen Graben 12.
John Newton hatte letztlich 1788 in seinem Aufsatz „Gedanken über den afrikanischen Sklavenhandel“ diesen unmissverständlich verurteilt (Steve Turner S 126).
Unsere Zeit
Jetzt und heute ist der Sklavenhandel Vergangenheit. Doch diesen Monat landete in
meinem Briefkasten Das Magazin „Perspektiven“ von Brot für alle, auf dessen Titelseite waren Schwarze im senkrechten Stolleneingang einer Mine abgebildet. Der betreffende Artikel
lautet „Mineralkonzerne unter Beobachtung“, die unter Anderem ihren Sitz in der Schweiz
haben.
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Amazing Grace – und was nun?
Eidg. Dank-, Buss- und Bettag 2015
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Predigt in EMK-Winterthur
Näher und aktueller ist das Schleppergeschäft mit Fliehenden. In meiner Phantasie sehe ich einen ahnungslosen LKW-Fahrer, der den beladenen Auflieger vom Disponenten wie
üblich übernahm, und in dem Polizei oder Grenzschutz Menschen entdeckten. Sie dürfen
diese Phantasie ablehnen.
Wir müssen uns trotzdem Gedanken machen, ob wir nicht da und dort ahnungslos ein
für uns günstiges Produkt kaufen, das mit miesen Billig-Löhnen hergestellt worden ist. Wir
werden im Nachdenken Dieses oder Jenes feststellen, was uns betroffen machen kann. Dies
dürfen wir bereuend vor Gott ablegen, und ihn um Verzeihung bitten ohne schmerzliche Busse zu leisten. Aber ist es mit einem jährlich einmaligen Bussgebet erledigt? Und was dann?
An den Quellen des Elends
Ich werfe deswegen noch einen Blick auf den Nabel des damaligen Sklavenhandels. Es
wurden nicht einfach Menschen entführt, sondern letztlich kräftige und da und dort unangenehme oder nicht mehr akzeptierte Menschen vom Stammesführer zum Kauf angeboten.
Anders gesagt: Sie wurden zum Teil geschäftlich und profitabel ausgeschafft. (So habe ich
einige Bemerkungen bei Steve Turner zu John Newton und Amazing Grace verstanden.)
Ist das heute dort, wo massenhaft Menschen zur Flucht gezwungen sind, anders? Vermittlungen zum versöhnlichen Neben- und Miteinander sind nötig und nicht bloss Flüchtlingslager als Zwischenhalt. Vor uns steht damit der Gedanke Beten, mit Bitte und Fürbitte.
Wo bleibt Lazarus aus dem eigentlichen Predigttext? Seine Schwestern waren von der
Untergangsstimmung betroffen und beide machten dem Jesus den Vorwurf „Herr, wärst du
hier gewesen, so wäre mein Bruder nicht gestorben“ So waren sie schlimmer dran als Jona
und John Newton. Und Jesus handelt erst nach dem Lehrgespräch zur Auferweckung ins
ewige Leben und dem Glaubensbekenntnis der Martha. Zudem ist er dann von der Trauer
der Maria und der Umstehenden empört. In dieser Haltung ruft er den Lazarus ins irdische
Leben zurück. Doch wenn wir weiterlesen, vernehmen wir, dass auch Lazarus der Tod durch
Hinrichtung droht (Joh. 12,10).
Ist die Geschichte zu Lazarus ein Hinweis, dass wir die Vertreibung von andersdenkenden Menschen und die Verfolgung wegen dem Glauben nicht loswerden? Wir könnten darüber verzagen. In diese Stimmung schreibt Paulus: „jetzt ist Gottes rettende Gnade sichtbar
geworden im Erscheinen unseres Retters, Christus Jesus: Er hat den Tod besiegt und hat
durch das Evangelium Leben und Unsterblichkeit aufleuchten lassen“ (nach 2.Tim.1, 9-10,).
Das ist Voraussetzung für unser Leben. Kein Amen, sondern was Nun?
Musik
Kurzgebet
Gott
Ob ich sitze oder gehe, du bist mir nahe.
So will ich gehen und deine Liebe weitergeben,
sei es stille oder mit Worten hier und an andern Orten.
Amen
Lied
O Glück der Gnade
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