Zwischentitel

Zwischentitel
Oder: warum man selten
nackte Texte trifft
Von Marlene Zöhrer
Herausgeber oder auch Übersetzerin schieben noch ein
Vorwort dazwischen. Ein solches Vorwort enthält meist
wichtige Informationen zur Entstehung des Buches oder
Textes, die den Lesenden eine Einführung in die Thematik
geben oder auch das Verständnis bestimmter Details erleichtern bzw. ermöglichen sollen. In der Kinder- und Jugendliteratur sind Vorworte vergleichsweise selten anzutreffen – häufig richten sie sich dann nicht einmal an ein
kindliches Lesepublikum sondern an vermittelnde Instanzen. Ein ganz besonderes, weil ausgesprochen kluges
und hintersinniges Vorwort findet sich jedoch in „Die
Kurzhosengang“: Mit allen literarischen Wassern gewaschen nimmt der Verfasser die Textsorte und ihre Eigenheiten aufs Korn, spielt mit den tradierten Erwartungshaltungen der (erwachsenen) LeserInnen. Überhaupt ist „Die
Kurzhosengang“ ein Paradebeispiel für die Macht der Paratexte, deren Einfluss auf die Wahrnehmung des Buches.
So kann man dort lesen: Aber das hier ist die große Ausnahme. Diesmal hat der Übersetzer sich kein bisschen zurückgehalten. Einigen von euch sind vielleicht schon einmal Fußnoten aufgefallen.1 Und in diesem Buch wimmelt es geradezu von Fußnoten. Ich habe sie verfasst. Womit auch gleich ein weiterer
Paratext und seine Funktion erläutert wären (Ähnliches
gilt für Anmerkungen, nur dass diese am Ende des Textes
platziert werden).
Bleibt nur noch jenen Paratext vorzustellen, der
nicht vor oder nach dem Text platziert wird, sondern tatsächlich dazwischen: der Zwischentitel, auch Kapitelüberschrift genannt. Er stellt das Tor zum nächsten Kapitel dar
– über ihn betritt man einen neuen Abschnitt des Textes.
Dabei kann ein Zwischentitel denkbar kurz sein und nur
aus einzelnen Ziffern bestehen: 1, 2, 3, usw. oder aber, wie
um Fall von Erich Kästner, schon einen Vorgeschmack auf
das folgende Kapitel geben:
Das Nachwort
enthält Autobusse und Straßenbahnen
wehmütige Erinnerungen an Gottfried,
das Pfauenauge, und an das Kalb namens Eduard
eine Begegnung mit Johnny Trotz und seinem Kapitän
viele Grüße an den Justus und an den Nichtraucher
und das Ende des Buches.
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1
Dies hier ist eine Fußnote. Das Wort bedeutet nicht etwa, dass die Dinger ganz
unten an euren Beinen mit den fünf Zehen dran eine gute oder schlechte Note
kriegen, weil sie hübsch oder hässlich aussehen. Nein, die Fußnote heißt vielmehr
so, weil sie eine Bemerkung zum laufenden Text darstellt: eine Notiz, die am Fuß
einer Seite steht.
Literatur
Caspak, Victor / Lanois, Yves: Die Kurzhosengang. Hamburg: Carlsen 2004.
Kästner, Erich: Kästner für Kinder. Zürich: Atrium 2004.
Steinhöfel, Andreas: Rico, Oskar und die Tieferschatten. Hamburg:
Carlsen 2008.
Marlene Zöhrer, Literaturwissenschaftlerin in München, arbeitet als
Referentin, Rezensentin und Journalistin für Kinder- und Jugendliteratur.
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1000 und 1 Buch 3|09
Denkt man an ein literarisches Werk, denkt man in erster
Linie an einen Text, der aus einer mehr oder weniger langen
Abfolge mehr oder weniger bedeutungstragender verbaler Äußerungen besteht. Dieser Text präsentiert sich jedoch selten nackt,
ohne Begleitschutz einiger gleichfalls verbaler oder auch nichtverbaler Produktionen wie einem Autornamen, einem Titel, einem
Vorwort und Illustrationen, weiß Gérard Genette. Um eben
jenen Begleitschutz bzw. jenes Beiwerk des Textes, das
Genette als Paratext bezeichnet, soll es im Folgenden gehen. Denn erst durch und mit dem Paratext wird ein Text
zum Buch, erhält er sein Outfit mit dem er sich seinem
Publikum präsentieren kann. Da ist zum einen das, was
wir Lesende sofort sehen – die Oberbekleidung, wenn
man so will: Buchumschlag, Cover, Autorname, Titel, Untertitel, Klappentext. Ein hübsches, außenwirksames
Kleidchen. Da sich dieses Heft mit Schwellen und Übergängen beschäftigt, interessiert an dieser Stelle nicht, was
der Text darüber, sondern vielmehr das, was er darunter
trägt. Also das, was mit dem Text gemeinsam zwischen
den Buchdeckeln steckt. Es geht um das Dazwischen, die
Schwelle zwischen innen und außen; es geht um sprachlich Vermitteltes wie Widmung, Motto, Vor- und Nachwort, Zwischentitel, Fußnoten, Anmerkungen und Danksagungen. Dinge, die eng am Text anliegen, aber dennoch
kein Teil desselben sind. Dieses textliche Dazwischen ist
nicht als Schranke oder Grenze zu verstehen, sondern als
Übergang und Brücke zwischen dem literarischen Text
und dem Diskurs, der über diesen Text geführt wird. Der
Paratext ist nach beiden Seiten hin offen, nimmt eine Mittelstellung ein.
Für Gianni
… das ist von mir zu dir
genau wie umgekehrt
A.S.
Dies ist die Widmung aus Andreas Steinhöfels „Rico, Oskar und die Tieferschatten“. Wie viele ihrer Artgenossinnen richtet sich auch diese Zueignung an einen speziellen
Menschen (worin ja gerade der Sinn dieser Textsorte besteht) und lässt den Rest der Leserschaft im Hinblick auf
die darin enthaltene Botschaft mehr oder weniger ratlos
zurück. Dennoch errichten auch diese kurzen Zeilen bereits eine Brücke zwischen Text, LeserInnen und Autor;
und wenn es dabei nur um die Frage geht, wer wohl dieser Gianni sein könnte, was er wohl mit dem Text zu tun
hat und warum A.S. gerade ihm das Buch widmet. Nicht
minder mysteriös oder kryptisch mutet so manches Motto, häufig ein Zitat aus einem anderen literarischen Werk,
an. Motti, deren Aufgabe es ist, den Leitgedanken des vorliegenden Textes wiederzugeben, erschließen sich häufig
erst am Ende der Lektüre. Und doch gehören sie – sieht
man vom Klappentext und Titel ab – zu den ersten Hinweisen, die Lesende im Hinblick auf den Text erhalten. Sie
stehen wie eine verschlüsselte Botschaft direkt vor dem
Beginn des eigentlichen Textes – es sei denn, Autorin,