„Heute hat sich das Schriftwort erfüllt“ Lk 4,21

JANUAR 2016
3. SONNTAG IM JAHRESKREIS
LESEJAHR C
Lk 4,21
„Heute hat sich das Schriftwort erfüllt“ Lk 4,21
Werner war kein fleißiger Mitschüler. Besonders
in Latein tat er sich schwer. Eines Tages fragte er
unseren alten Lateinlehrer, Herrn Lessenich:
„Meinen Sie, Herr Lessenich, dass es noch Zweck
hat mit mir?“ Die Antwort des erfahrenen
Lehrers war eigentlich sehr ermunternd, wenn
auch allgemein: „Werner, es ist nie zu spät,
anzufangen.“ Die Antwort meines Mitschülers
war verblüffend, aber so passend von ihm, dass
sie mir bis heute noch in Erinnerung ist: „Herr
Lessenich, dann warte ich noch ein wenig.“
Liebe Schwestern und Brüder! Veränderungen
gehen nicht so einfach. Das ist ein Schicksal, das
wir nicht nur bei verschiedenen Diät-Programmen erfahren. Und doch ist der Wille so oft da,
dass wir etwas ändern wollen in unserem Leben,
neu anfangen, ganz anders werden wollen:
abnehmen, weniger rauchen, die Zeit besser
gestalten, nicht so oft am PC sitzen und die Zeit
unnütz gebrauchen, mehr Sport treiben, endlich
das Zimmer aufräumen, wieder mehr beten.
Veränderungen gehen nicht so einfach. Und
wir wissen, dass manchmal der Kick, der richtige
Moment ganz notwendig ist.
Jetzt anzufangen, nicht morgen, das ist auch
die Botschaft des heutigen Evangeliums. Der
Schlusssatz macht dies deutlich: Heute hat sich
das Schriftwort, das ihr eben gehört habt, erfüllt.
Heute hat sich das Schriftwort erfüllt. Dieses
heute bedeutet, dass wir nicht auf das gestern
schauen dürfen, auf das Vergangene, auf das,
was sich nicht mehr verändern lässt, auf die
Erfahrungen, die negativ besetzt sind. Das
heute bedeutet auch, dass wir die Änderungen
erst Morgen vornehmen, in einer unbestimmten
Zukunft, in einem Zeitraum, der wiederum ein
Verschieben bedeutet. Das „heute“ der Veränderungen im Evangelium hat einen klaren
Auftrag: Den Armen eine gute Nachricht zu
bringen, den Gefangenen die Entlassung zu
verkünden und den Blinden das Augenlicht,
die Zerschlagenen in Freiheit zu setzen und ein
Gnadenjahr des Herrn auszurufen.
Es sind politische Aufträge, die Jesus für
sich reklamiert. Zentraler Inhalt seiner Verkündigung ist das Kommen des Reiches Gottes. In
ihm selbst, in seinen Worten, in seinem Tun, in
seiner Person ist dieses Reich schon anwesend.
Trotz vieler Widerstände breitet sich dieses
Reich Gottes zielstrebig aus, in den Menschen,
die sich von der Botschaft Jesu anstecken lassen
und sich immer wieder neu, jeden Tag, heute,
danach ausrichten.
Heute, das heißt:
– mein Leben nicht erst morgen zu verändern
– die Aufmerksamkeit auf das Weltgeschehen
wieder neu auszurichten
– die Not der Flüchtlinge jetzt wahrzunehmen
– den weltweiten Menschenhandel mit Frauen
und Kindern als die häufigsten Opfer anzuklagen
– mit Produkten des fairen Handelns endlich
zu beginnen
– mich für die Religionsfreiheit von Christinnen
und Christen und Muslimen und Muslima in
Pakistan und anderen Ländern der Verfolgung, einzusetzen
– mich für die Situation von Menschen in Kenia,
Thailand, Süd-Sudan oder Brasilien neu oder
erstmalig zu interessieren
Liebe Schwestern und Brüder sie spüren bei
meinen Beispielen, dass ich den Kreis nicht zu
eng ziehe. Arme, Blinde, Gefangene, Zerschlagene gibt es in unserer Nähe, hier in (den Ort
nennen), aber auch in unserer weltweiten Verantwortung.
In der Weihnachtszeit, die wir vor zwei
Wochen abgeschlossen haben, wurde uns
dies deutlich vor Augen geführt: Gott wurde
Mensch, in Bethlehem, aber für die ganze Welt.
Jesus hat das Programm, das wir eben im Evangelium nochmal eindrucksvoll gehört haben,
nicht nur vorgelesen, sondern die Durchführung
ist für ihn Inhalt seines Lebens geworden. Er
hat nicht nur die Heils-Botschaft gebracht und
verkündet, in ihm hat sich die Unheilsituation
der Welt gewandelt in eine Situation des Heils
und der Hoffnung.
Dieses Programm Jesu fasziniert, auch wenn
wir selbst ständig dahinter zurückbleiben. Auch
ich möchte gerne eine gute Botschaft, eine Botschaft des Heils, vom Reich Gottes verkünden und
leben, für mich, für Menschen hier und Menschen
weltweit.
Vielleicht werden Sie jetzt sagen, dass unsere
Erlebnisse und Erfahrungen, die wir tagtäglich in
unserer Umgebung machen, eher gegen eine solche Überzeugung sprechen. Und gerade deswegen möchte ich die Herausforderung annehmen
und deuten, dass wir als Christinnen und Christen
in dem Schlüsselbegriff „heute“ eine Botschaft der
Veränderung und der Zukunft haben.
Das Wort des Evangeliums damals ist auch
2016 nicht von gestern. Heute. Heute ist der Tag,
den der Herr gemacht. Heute ist der Tag, der
morgen zählt. Heute ist der Tag, den keiner mehr
bestreitet. Heute ist der Tag, den ich annehmen
kann. Heute ist der Tag, neu zu beginnen. Nicht
erst morgen brauchen wir mit der Zukunft anzufangen.
Rolf-Peter Cremer, Aachen
„Heute hat sich das
Schriftwort erfüllt“
Lk 4,21
Impressum:missio, Internationales Katholisches Missionswerk e.V., Goethestraße 43, 52064 Aachen