„Einfach mal den Mensch sehen...“ Brücken in eine fremde Welt

Oktober/1
2015
YENZ
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Kein Thema steht seit Wochen mehr in der Diskussion als der Strom
der Flüchtlinge, der nach Deutschland kommt. Die Menschen leben in
Sporthallen und Notunterkünften. Haben keine Zukunft. Wie soll es weiter­
gehen?
Auch die Yenz-Redaktion hat sich mit diesem Thema beschäftigt und sich
mit einer Inklusionsbegleiterin unterhalten. Außerdem stellen wir euch den
Arbeitskreis Asyl Vaihingen/Enz vor.
Viel Spaß wünscht EURE YENZ-REDAKTION
Brücken in eine fremde Welt bauen –
der Vaihinger Arbeitskreis Asyl
Den Vaihinger Arbeitskreis Asyl gibt es bereits seit
Dezember 2014. Er besteht aus ehrenamtlichen
Vaihinger Bürgern, die sich zum Ziel gesetzt haben,
gemeinsam mit Vertretern der Gemeindeverwaltung,
der Gemeindefraktionen, der Diakonie und dem Arbeitskreis
der christlichen Kirchen die Themen Asylbewerber und
Flüchtlinge im Sozialraum der Stadt Vaihingen zu begleiten.
Auf seiner Homepage schreibt der Arbeitskreis:
„51,2 Millionen Menschen auf der Flucht! Ein Anstieg um 13%
– und die Zahlen steigen weiter (UNHCR 2013). Daran, an die
Massaker terroristischer Gruppen wie IS und Boko Haram
oder an den Bürgerkrieg in Syrien haben wir uns gewöhnt, es
sind Zahlen in der Tagesschau oder der Zeitung. Nun werden
die anonymen Zahlen Realität, sind die Flüchtlinge bei uns
angekommen, Menschen und ihre dramatischen Schicksale
sind mitten in unserer Gesellschaft, stehen nach langer Flucht
ratlos vor unbekannten Welten. Damit sich Türen nicht ver­
schließen und Brücken in diese fremde Welt entstehen, hat
der AK Asyl Vaihingen – eine Gruppe ehrenamtlicher, enga­
gierter Helfer – mit der konkreten Arbeit begonnen.“
Wie sieht diese Arbeit aus? Die Menschen werden unterstützt
bei Behördengängen, im Alltag und bei der Integration im
Allgemeinen. Es gibt Angebote für Kinder und Jugendliche,
Kurse, um die deutsche oder englische Sprache zu erlernen, und verschiedene Freizeitaktivitäten.
klein ist. Grundsätzlich kann sich jeder in dem Bereich einbringen, in dem er seine Fähigkeiten und Interessen sieht.
Eine Möglichkeit ist zum Beispiel eine Patenschaft, bei der
man zum Ansprechpartner für einen Flüchtling wird, ihn be­gleitet und ihm die Eingewöhnung so erleichtert. Außerdem
kann man verschiedene Freizeitaktivitäten anbieten, wie SpieleNachmittage oder sportliche Aktivitäten, um den Flüchtlingen
Abwechslung zu bieten und die Möglichkeit, andere Menschen
in lockerer Atmosphäre kennenzulernen.
Aufnahme und Schutz
Das Büro des Arbeitskreises Asyl in der
Friedrichstraße 3 in Vaihingen ist dienstags
[für Verfolgte], Zuflucht [sort]
und donnerstags jeweils von 14 bis 16 Uhr
geöffnet. Hier könnt ihr euch weiter infor­
mieren. Außerdem findet dort immer am
[Heimat]vertriebener,
letzten Freitag im Monat ein Begegnungs­
[Heimat] vertriebene
Die
tag von 14 bis 17 Uhr statt, bei dem ihr die
Möglich­keit habt, mit dem Arbeitskreis-Team
Flüchtlinge
ins Gespräch zu kommen und Flüchtlinge ken­
werden bei der Wohnungssuche und
nenzulernen. Ihr wollt auch beim Arbeitskreis mithel­
Umzügen unterstützt und erfahren in
fen? Auf der Homepage www.ak-asyl-vaihingen.de findet ihr
Gesprächen viel Hilfsbereitschaft. Der
dazu weitere Informationen!
Arbeitskreis ist über jede Hilfe dankbar, und wenn sie noch so
Anja Dieterle
Asyl
Flüchtling
Marika Cordes (21) studiert im vierten Semester
Kultur­wissen­schaften im österreichischen
Klagenfurt. Im Rahmen eines Angebots ihrer
Universität bekam sie die Chance an einem Seminar zur
Ausbildung als Inklusionsbegleiterin für Flüchtlinge teilzunehmen. Im Interview berichtet sie über Themen und
Schwerpunkte und erzählt von eigenen Erfahrun­gen, die sie
im Kontakt mit Flüchtlingen machte.
„Ich habe von Freunden gehört, dass es an unserer Uni ein
Angebot zur Inklusionsbegleitung geben soll“, berichtet Marika.
Vor allem der Zusammenhang mit ihrem Studium im Bezug
auf Internationalität bewog sie, sich an dem Auswahlverfahren,
das aufgrund der großen Nachfrage eingeführt wurde, zu
be­teiligen. Sie spricht von Gastfreundschaft und ihrer Freude
daran, sich mit anderen Kulturen und Nationalitäten auseinan­
derzusetzen.
Vor dem Studium verbrachte sie mit der Organisation OM ein
Jahr in Afrika, Kapstadt. Hier beteiligte sie sich an dem
Programm „Diaspora Hope“. Dieses Programm beschäftigt
sich mit Migranten, die nicht direkt aus Südafrika kommen.
Unter anderem arbeitete sie hier mit Flüchtlingsfrauen, inter­
nationalen Studenten und Markthändlern, die aus anderen
afrikanischen Staaten kamen und sich hier ein besseres
Leben erhofften. „Durch Südafrika hatte ich den ersten
Kontakt.“, sagt sie. „Die Ausbildung zur Inklusionsbegleitung
klang für mich spannend, weil man einfach mehr Hinter­
grundwissen hat und vielleicht mehr qualifiziert ist, um den
Leuten unter die Arme zu greifen.“
„Bisher hatten wir erst ein Semester, das hauptsächlich aus
Ringvorlesungen bestand. Es waren verschiedene
Gastsprecher und Organisationen da und sogar ein Flüchtling
aus Afghanistan, die von ihrer Arbeit und Erfahrungen berich­
teten.“, erklärt sie den Kurs. Verschiedene Themen waren:
Migranten in den Medien, Islamophobie, Traumata und der
Umgang damit, das rechtliche Asylverfahren und der
Arbeitsmarktzugang. Diese Ringvorlesungen waren für alle
Studenten öffentlich, vertieft werden die Themen in den
Seminaren unter dem Titel „Begegnung mit dem Fremden“.
Ungefähr 37 Personen, darunter auch 6 Flüchtlinge nehmen
daran als feste Gruppe teil.
„Die Seminare sind sehr persönlich, es geht schon auch um
Selbsterfahrung. Wir sitzen im Stuhlkreis und reden. Die
Arbeitsmethode der leitenden Psychologin ist das Psycho­
drama, das heißt wir sprechen über verschiede Szenen, die
mit dem Fremden zu tun haben: Wie gehe ich mit dem
Fremden um? Wie reagiere ich auf Fremdenhass? Habe ich
schon Fremdheit erlebt? Was ist eine Identität? – Solche
Themen wurden in der Gruppe durch aktive Teilnahme erör­
tert und erlebt.“ Sie versucht zu erklären, warum sie für die
Inhalte der Seminare einer Schweigepflicht folgen muss.
„Man merkt auch, dass jeder schon mal die Erfahrung
gemacht hat, mit Fremdheit. Oder dass man das auch unter­
schiedlich spürt, dass das Eigene manchmal fremder ist als
das Fremde an sich.“
Durch die vielen Aspekte der Ringvorlesung wird den
Teilnehmern ein breites Hintergrundwissen ermöglicht. Marika
ist besonders beeindruckt von den Zusammenhängen der
Situationen vor Ort und den psychologischen Aspekten wie
Traumata und unserem Umgang damit.
„Mir ist auch klar geworden, dass man als Inklusionsbegleiter
eine Vermittleraufgabe hat. Es geht um das Brückenbauen
zwischen beiden Seiten. Darum, die Flüchtlinge willkommen zu
heißen und ihnen Hoffnung zu geben – und aber auch gleich­
zeitig Leuten positiv gegenüber treten zu können, die vielleicht
wirklich Angst und Vorurteile haben. Dass ich nicht mit einer
Seite sympathisiere – und deswegen gut vermitteln kann. Ich
muss auf beide Seiten zugehen, damit ich eben diese Brücke
schlagen kann.“
Im Vergleich zwischen einem ausgebildeten Inklusionsbegleiter
und ehrenamtlichen Helfern sieht sie erstmal keine großen
Unterschiede: „Ich denke, dass man aus Intuition schon viel
machen kann. Ich glaube auch nicht, dass man unbedingt
diese Ausbildung braucht, um etwas bewirken zu können.“
Für sie geht es bei der Ausbildung hauptsächlich um das
Hintergrundwissen. Sie kann dadurch Dinge stärker reflektie­
ren und hinterfragen. Auch in der Diskussion mit den anderen
Studierenden und den Psychologen ist für sie der Rat eines
Fachmanns von großem Wert. „Es ist auch sehr bereichernd,
dass in den Seminaren Flüchtlinge teilnehmen, weil sie total
offen sind und oft auch so viel Humor haben. Oft sind es
ernste Themen und es wird sehr persönlich und trotzdem
sind sie total gut drauf. Ich denke davon kann man auch sehr
viel lernen.“ Auch politische und rechtliche Themen werden im
kommenden Semester folgen, was, wie sie sagt, ein sicheres
Gefühl gibt im Umgang mit anderen Kulturen.
Im dritten Teil des Kurses wird ein praktischer Teil folgen, bei
dem die Mitarbeit in Flüchtlingsorganisationen geplant ist.
Momentan nimmt sie an keinen zusätzlichen Programmen teil.
„Es geht eher um die Flüchtlinge aus den Seminaren, zu denen
ich Freundschaften aufgebaut habe.“ Ihr Gedanke für Deutsch­
land ist es gerade, dass wir die Chance haben „einfach was
richtig Gutes für die Menschen zu tun.“
Auf die Frage, was sie Menschen mit Berührungsängsten mit­
geben würde, meint sie: „Im Seminar haben wir gelernt, dass
die Angst und die Vorurteile oft da sind, weil die Menschen ein­
fach keinen Kontakt zu „dem Fremden“ haben. Das führt zu
Vorstellungen, wie irgendwas sein könnte, es fehlt der ganz
praktische Kontakt. Wir sollten mehr von Kindern lernen, da gibt
es keine Berührungsängste. Alles was für sie fremd ist, wollen
sie kennenlernen.“
Um Verständnis für andere zu bekommen, hilft es, in der „IchForm“ zu sprechen, hat sie gelernt. Um zu vermitteln sollte man
von seinen eigenen persönlichen Erfahrungen und Erlebnissen
berichten, damit man anderen nicht mit Fakten gegenüber tritt,
mit denen sie nichts anfangen können. Abschließend fasst sie
nochmals ihre Motivation zusammen. Für sie ist die Ausbildung
zur Inklusionsbegleiterin eine Chance, anderen Menschen, ein
gutes Gefühl zu geben und daraus selbst etwas mitzunehmen:
„Für mich ist es die Gastfreundschaft und wirklich einfach mal
den Menschen zu sehen. Egal welche Religion er hat oder aus
was für einer Familie er stammt. Dass man als Mensch zusam­
menkommt und voneinander lernen kann.“
Damaris Röcker
Fotos: Fotolia
„Einfach mal den Mensch sehen...“