Berechnung des Reifenquerschnitts unter Belastung Zeichnung 1: Bezeichnung der Rechengrößen am Reifen m Zunächst müssen wir den Reifenquerschnitt geeignet durch Gleichungen beschreiben. Annahmen hierzu: 1) In Kontaktbereich zum Boden ergibt sich eine gerade Strecke. 2) Der übrige Reifen formit sich so, dass mit dem gegebenen Umfang ein möglichst großes Luftvolumen umschlossen wird, d.h. im Querschnitt ergeben sich zwischen dem Kontaktbereich und der Felge Kreisbögen. r a h Folgende Formelzeichen werden verwendet: m - Abstand der Felgenhörner (Maulweite der Felge) b - Breite der Auflagefläche b h - Reifenhöhe r - Radius des Reifenbogens zwischen Auflagefläche und Felge a - Winkel, den der Reifenbogen umspannt Bei unbelastetem Reifen (b = 0) liegt a meist zwischen 140° bei relativ zur Felge eher schmalen Reifen und 160° bei relativ breiten Reifen. Bei stärker eingefederten Reifen steigt a aber schnell auf über 180°. In den Gleichungen muss der Winkel in Radiant (Bogenmaß) gemessen werden, 180° entsprechen einem Bogenmaß von p. Aus der Zeichnung lassen sich für h und b relativ schnell folgende Gleichungen herleiten: h = r⋅1−cos (Gl. 1) b = m − 2⋅r⋅sin (Gl. 2) m ist bekannt. Allerdings sind mit r und a zwei neue unbekannte Größen aufgetaucht. Selbst wenn sich eine davon durch Kombination der Gleichungen eliminieren lässt, hätten wir immer noch eine Abhängigkeit der Form b = f(h,r) oder b = f(h,a) und wüssten nicht, was wir für r oder a einsetzen sollten. Wir brauchen also eine weitere Beziehung zwischen den Größen, und diese lässt sich aus dem Umfang des Reifenquerschnitts gewinnen. Dieser besteht - abzüglich der Felge - aus der Länge b der Abplattung und den Bogenlängen r* a der links und rechts anschließenden Kreisbögen: u = b 2⋅r⋅ (Gl. 3) Damit sind jetzt zumindest genug Gleichungen da. Die Gleichungen haben nur einen Nachteil: Da sowohl der Winkel a selbst als auch der Sinus und der Kosinus dieses Winkels vorkommen, lässt sich keine geschlossene Lösung finden. D.h. obwohl es einen eindeutigen Zusammenhang zwischen h und b gibt, gibt es doch keine Gleichung, mit der man das eine direkt aus dem anderen berechnen kann. Man kommt aber zumindest auf zwei Gleichungen, die h und b in Abhängigkeit von a darstellen: h= u−m 1 − cos 2 − sin (Gl. 4) b= u sin − m sin − (Gl. 5) Verlauf der Reifenabplattung Man kann nun a variieren und die aus den Gleichungen berechneten Werte für b und h in einem Diagramm gegeneinander auftragen, so dass sich der Zusammenhang grafisch darstellen lässt. Die Ergebnisse für verschiedene Reifenbreiten sehen etwa so aus: Auflagebreite vs. Einfederung Breite [mm] 60 40 20 0 0 10 20 30 40 50 60 Reifenhöhe [mm] MTB (55mm) Trekking (37mm) Rennrad (25mm) Diagramm 1: Breite der Auflage in Abhängigkeit von der Reifenhöhe Es sind drei Beispiele berechnet: Rennrad (13mm-Felge mit 25mm-Reifen), Trekking- bzw. CityRad (19mm-Felge mit 37mm-Reifen) und MTB (21mm-Felge mit 55mm-Reifen). Prinzipiell sehen die Kurven immer ähnlich aus. Dass sie nicht bis zu einer Reifenhöhe von Null reichen, hängt mit der Rechenmethode zusammen: Der Winkel a kann nicht größer werden als 270° bzw. 3/2*p, da sonst die Reifenflanken sich seitlich durch die Felgenflanken hindurch nach innen beulen würden. Die entsprechenden Rechenergebnisse wären also unsinnig und sind deswegen nicht dargestellt. Aber auch schon vorher gibt es Abweichungen zwischen Rechnung und Realität, bei den meisten Reifen werden auch beim Durchschlag keine 270° erreicht. Praktisch hat die Steifigkeit der Reifenflanke einen erheblichen Einfluss auf die Form des Querschnitts. Da die Reifen nahe der Lauffläche und unmittelbar am Wulst dicker sind als mitten in der Flanke, ist der Biegeradius nicht überall gleich. In der Mitte ist die Flanke am stärksten gekrümmt, während die Bereiche näher an Lauffläche und Felge weniger gekrümmt sind. Ein stark eingefederter Reifen ist also flacher als in den Zeichnungen dargestellt. Auf die Breite der Auflagefläche scheint das allerdings keinen großen Einfluss zu haben, da auch die nur schwach gekrümmten Bereiche an der Lauffläche schon dafür sorgen, dass kein Bodenkontakt mehr besteht. Zwei Dinge sind hier interessant: Erstens gehen selbst kleine Abplattungen des Reifens sofort mit einer Verringerung der Reifenhöhe einher. Das ist etwas überraschend. Solange die Auflagefläche im Vergleich zur Reifenbreite gering ist, war der abgeplattete Bereich ja auch vorher schon fast flach, so dass die Abplattung gar keine wesentliche Form- und vor allem fast keine Höhenänderung darstellt. Das Ganze sollte sich etwa so verhalten, als wenn man vom Kreis ein Stück abschneidet. Sucht man in den Gleichungen nach weiteren Abhängigkeiten von a, kommt man auf den Grund für den Kurvenverlauf: Wenn a steigt, steigt nicht nur b, sondern es wird auch r kleiner. Die Reifenflanken sinken also auch in dieser Phase schon zusammen. Hierin unterscheidet sich der Rechenansatz von anderen Ansätzen, in denen der Reifenquerschnitt nur "abgeschnitten" wird. Mögliche Abweichungen in den Ergebnissen könnten hier ihre Ursache haben. Zweitens wird die Auflagefläche nicht mehr breiter, wenn die Felge erst einmal deutlich in den Reifen eingetaucht ist. Anschaulich ist das klar. Wenn der Reifen einen Wulst neben der Felge gebildet hat, also der Winkel a deutlich über 180° liegt, dann führt ein weiteres Eintauchen vor allem dazu, dass der Reifen hier weiter eingerollt und der Wulst enger wird. In der Endphase, kurz bevor die Felge von innen auf die Lauffläche drückt, wird die Auflagefläche sogar wieder etwas schmaler. Das ist aber nicht nur für die Federwirkung der Reifen von Nachteil, sondern es stellt auch eine starke Belastung des Reifenmaterials dar. Das ist also ohnehin kein empfehlenswerter Betriebsbereich für den Reifen. Eins kann man aus dem Ergebnis schon erkennen: Solange man nicht in den flachen Bereich bei relativ starker Einfederung kommt, sind die Kurven etwa gleich steil. Nach diesem Rechenansatz würden verschieden breite Reifen bei gleichem Druck etwa gleich reagieren. Die Auflagefläche des Reifens am Boden Um das Einfedern auf ebenem Untergrund zu erfassen und eine Art "Federkennlinie" für den Reifen zu berechnen, müssen wir allerdings noch weiter gehen. Dazu muss nicht nur ein Querschnitt, sondern die gesamte Auflagefläche in Abhängigkeit von der Einfederung bestimmt werden. In einen dritten Schritt kann dann aus dieser Fläche und dem Reifendruck die wirkende Kraft berechnet werden, so dass sich die übliche Darstellung der Federkraft in Abhängigkeit von der Einfederung realisieren lässt. Für diese Rechnung ist als weiterer Parameter der Raddurchmesser bzw. -radius wichtig, die neuen Größen sind in der folgenden Zeichnung dargestellt. Zeichnung 2: Der eingefederte Reifen von der Seite R - Radius des Rades l0 - Länge, bis zu der der Reifen den Boden berührt h0 - maximale Einfederung (in der Mitte der Auflagefläche) l - Laufvariable zur Berechnung der Auflagebreite in den einzelnen Querschnitten des Reifens (die Einfederung des Reifens an der zugehörigen Stelle wird mit h bezeichnet) Die Länge l0 lässt sich mit dem Satz des Pythagoras schnell ermitteln: R h0 l0 l 0 = 2Rh0 − h 20 (Gl. 6) Wenn wir allerdings die Breite der Fläche an den verschiedenen Stellen ausrechnen wollen, stoßen wir auf ein "kleines" Problem: Die Einfederung in den verschiedenen Querschnittsebenen lässt sich noch in Abhängigkeit von l angeben (ebenfalls über den Satz des Pythagoras), aber aus der Einfederung h die Breite b der Auflagefläche am Ort l ausrechnen können wir nicht mehr - weder direkt noch über den Umweg des Winkels a in Gleichung 4 oder 5. l Abhilfe schafft hier die Annäherung des Kurvenverlaufs b = f(h) durch eine andere Funktion, z.B. durch ein Polynom der Form b = f(h) = a3*h3 + a2*h2 + a1*h + a0. Dann kann für jedes l zunächst ein h und mit Hilfe dieser Funktion daraus ein b berechnet werden, so dass sich die Abhängigkeit b = f(l) als explizite Gleichung darstellen lässt. Die Abhängigkeit der Breite b vom Ort l ist in Diagramm 2 dargestellt, am Beispiel des oben schon verwendeten MTB-Reifens. Auf der x-Achse ist l in mm aufgetragen, gemessen jeweils nach vorn und hinten vom Mittelpunkt der Auflagefläche. Auf der y-Achse ist b aufgetragen, ebenfalls in mm. Die einzelnen Kurven sind mit der jeweiligen Einfederung bezeichnet, die Kurve "4" stellt z.B. die reichlich 100mm lange und 8mm breite Auflagefläche für 4mm Einfederung dar. 50 0 -200 -175 -150 -125 -100 -75 -50 -25 0 24 4 28 8 32 0 25 12 36 50 75 100 125 150 175 200 16 40 20 Diagramm 2: Form der Auflagefläche Das Seitenverhältnis des Diagramms ist in y-Richtung um 50% gestaucht, so dass man die Fläche direkt im richtigen Seitenverhältnis erhält, wenn man sich die Kurven nach unten gespiegelt und zusammengesetzt vorstellt. Man erkennt, dass die Auflagefläche grundsätzlich spitz zuläuft. Allerdings dürfte das in der Praxis kaum zu erkennen sein, denn der Reifen ist ja am Rand der Fläche nicht scharf nach oben abgeknickt. Der Rand stellt nur die Stelle dar, an der er keinen Druck mehr auf die Unterlage ausübt und gerade anfängt, sich in einem minimalen Winkel vom Boden abzuheben. Außerdem hat die Fläche zunächst ein recht hohes Länge/Breite-Verhältnis, das aber bei zunehmender Einfederung schnell kleiner wird. Bei relativ großen Einfederungen, ab etwa 2/3 der ursprünglichen Reifenhöhe, streckt sich die Fläche wieder etwas und schnürt sich in der Mitte sogar ganz leicht ein. Das hat mit der Abhängigkeit b = f(h) zu tun. Die in Diagramm 1 gezeigten Kurven werden ja zu geringeren Reifenhöhen (also höheren Einfederungen) hin immer flacher und fallen ganz am Ende sogar wieder etwas ab. Bei Einfederungen von 40mm sind wir beim MTBReifen in diesem Bereich, also ist auch keine Zunahme der Breite mehr zu erwarten und die Auflagefläche wächst nur noch in die Länge. Der Reifen als Feder Nachdem die Form der Auflagefläche bekannt ist, können wir versuchen, ihre Größe zu bestimmen und mit Hilfe des Reifendrucks auch die Kraft auszurechnen, die sie auf den Boden ausübt. Man könnte die Näherungsformel für b = f(l) analytisch integrieren, um die Fläche zu berechnen. Allerdings führt das auf sehr umfangreiche Formeln, einfacher ist hier eine numerische Integration: Wir berechnen die Breite der Auflagefläche an vielen dicht nebeneinanderliegenden Stellen und nähern das Integral mit Hilfe der Trapezregel an. Die anschließende Berechnung der resultierenden Kraft dagegen ist nicht weiter schwer: Kraft = Druck x Fläche. Aber welchen Druck soll man in diese Formel einsetzen? Ganz einfach den Reifendruck! Der ändert sich nämlich durch die Verformung an der Auflagefläche fast nicht. Selbst wenn die Felge bis auf die Lauffläche durchschlägt, ändert sich das Volumen des gesamten Reifens um vielleicht 2%. Auch bei sehr schnellem Einfedern (fast adiabatische Zustandsänderung) wird das den Druck um höchstens 3% erhöhen. In diesen Punkt besteht übrigens ein großer Unterschied zwischen Reifen und Luftfederelement: Beim Reifen bleiben Volumen und Druck (fast) konstant und die Fläche ändert sich, bei der Luftfeder bleibt die Fläche konstant und es ändern sich Volumen und Druck. Das Ergebnis sieht dann beispielsweise so aus wie in Diagramm 3 dargestellt (MTB-Reifen mit 2 bar Druck). Auf der linken Achse ist die Kraft aufgetragen, auf der rechten die Auflagefläche des Reifens. 2500 12000 2000 10000 1500 8000 6000 1000 4000 500 2000 Fläche [mm^2] Kraft [N] Federkennlinie Reifen 0 0 0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 Einfederung [mm] Diagramm 3: Federkennlinie eines MTB-Reifens Die Kurve hat einen leichten S-Schlag, bei geringen Kräften ist der Reifen zunächst relativ weich, wird aber schnell härter, d.h. er wirkt als Feder progressiv, solange die Einfederung weniger als ca. 1/3 der Reifenbreite beträgt. Bei starker Einfederung, ab ca. 2/3 der Reifenbreite, wird die Kurve wieder flacher, d.h. der Reifen wird als Feder wieder weicher. Wenn man die Kurven für verschiedene Reifenbreiten und Drücke in einem Diagramm aufträgt, ergibt sich folgendes Bild: 4500 4000 3500 MTB, 1,5 bar Kraft [N] 3000 MTB, 2 bar 2500 MTB, 3 bar 2000 Trekker, 3 bar 1500 Trekker, 5 bar Rennrad, 5 bar 1000 Rennrad, 8 bar 500 0 0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 Federweg [mm] Diagramm 4: Federkennlinien verschiedener Reifen D.h. bei gleichem Druck ergibt sich für verschieden breite Reifen anfangs fast dieselbe Federhärte, erst bei höheren Einfederungen würde der schmalere Reifen schneller weich werden.
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