Wie beeinflussen Dämme und Kiesabbau das Geschieberegime und welche ökologischen Folgen ergeben sich daraus? Lars Sturm sturmla (at) student.ethz.ch Franziska Ackermann f.ackermann (at) unibas.ch Bericht zur Vorlesung: Binnengewässer: Konzepte und Methoden für ein nachhaltiges Management der ETH Zürich 2015 Zusammenfassung Fliessgewässer sind seit jeher ein wichtiger Bestandteil menschlicher Kultur. Antike Siedlungen wurden bevorzugt in gewässernähe errichtet. In den gebirgigen Regionen waren die Talböden oft landwirtschaftlich wichtige Flächen. Im Flachland erhielten die Flüsse eine besondere Bedeutung als Transportmittel zwischen den Städten und Ländern. Das mitgeführte Geschiebe spielte lange Zeit eine untergeordnete Roll. In Aufschwung der Wirtschaft begann man im grossen Still Flusskies zu fördern. Diese führte aber auch zu Infrastrukturschäden wie der Einsturz der Landesbrücke bei Buchs SG. Zusammen mit dem Kiesabbau gab es auch starke Sohleeintiefungen die viele Zuflüsse für Fische unpassierbar machten. Des Weiteren fielen auch gewisse Giessen trocken mit dem einhergehenden Sinken des Grundwasserspiegels. Dämme halten die Sedimente auf ihrem Weg ins Meer auf. Dies Verhindert nicht nur das genügend Sand an der Küste angelegt um dessen Erosion zu verhindern. Auch unmittelbar an den Dämmen gibt es ökologische Auswirkungen. So finden Fische keine geeigneten Laichplätze da das Geschieberegime unterbrochen ist. Aber auch terrestrische Fauna und Flora verlieren mit dem Verlust an Kiesflächen ihre Lebensräume. Dies führte zur Entwicklung verschiedener Management Möglichkeiten, die betriebliche oder Baumassnahmen für Kraftwerkbetreiber bedeuten, um wieder ein naturnahes Geschiebe zu ermöglichen. Natürliches Geschieberegime Abbildung 1: Die drei funktionellen Abschnitte eines Flusses mit Erosion‐, Transport‐ und Ablagerungszonen nach Kondolf Ein natürliches Flusssystem kann im Flussverlauf in drei Abschnitte eingeteilt werden, die in Abbildung 1 illustriert sind.(1) Im obersten Abschnitt findet die Erosion statt. Regen, Eis und fliessendes Wasser tragen alles von Feinsedimenten (Schluff, Ton, feiner Sand) bis zu Geschiebe (grober Sand, Steine, Blöcke) ab und in die Bäche und Flüsse ein. Im mittleren Abschnitt wird das erodierte Material weitertransportiert; die Sedimente werden durch ständige Kollisionen unter einander immer kleiner geschliffen. Dabei werden die Feinsedimente frei schwebend in der Wassersäule transportiert. Das gröbere Material, das Geschiebe, hingegen rollt oder hüpft über das Flussbett. Im untersten Abschnitt wird die Strömungsgeschwindigkeit des Wassers zu gering, um die mitgeführten Sedimente weiter zu bewegen. Dadurch werden diese abgelagert. Je gröber das Material, desto früher passiert dies. Es bilden sich Kiesbänke, Ablagerungen an der Innenseite von Flusswindungen oder ganze Deltas. Es ist jedoch nicht so, dass die mitgeführte Sedimentmenge linear zur Fliessgeschwindigkeit zunimmt. Stattdessen verhält sie sich exponentiell, d.h. das meiste Material wird während der grossen Hochwasser transportiert.(1) Menschliche Eingriffe ins Geschieberegime Flüsse gehören zu den stärkst regulierten Ökosysteme der Erde. Da Menschen schon immer in ihrer unmittelbaren Nähe lebten wurde Sie auch stark von Ihnen beeinflusst. . Eine sichere Trinkwasserversorgung sowie eine Abwasserentsorgung, Nahrung durch Fisch, Krebse und Muscheln, Transportmöglichkeiten und einen Schutz gegen Feinde. Sie waren wichtig für die landwirtschaftlichen Bewässerungen brachten im Frühjahr und im Sommer aber auch beachtliche Hochwasser mit sich Damit gefährdenden Sie die Lebensgrundlagen der Bewohner und der Versorgungssicherheit. Mit steigender Industrialisierung wurde dann der Energie bedarf erhöhter und Wasserkraft in Form von Speicher- Flusslaufkraftwerken genutzt. Zusammen wurde immer mehr der Fluss auch Material genutzt, was sich vor allem in Kiesabbau wieder spiegelte. Die Kraft des Wassers wird schon seit mindestens 2300 Jahren genutzt (2), erst mittels einfacher wasserbetriebener Getreidemühlen, heute meist zur Stromgewinnung. Aktuell werden rund 16.1% der weltweiten Stromproduktion durch Wasserkraft geleistet. (3) Um die Wasserkraft zu nutzen müssen Staudämme oder Laufwasserkraftwerke errichtet werden. Diese haben einen sehr grossen Einfluss auf den Sedimenthaushalt des Flusses, die in Abbildung 2 gezeigt werden. Die Staumauer verlangsamt die Fliessgeschwindigkeit, wodurch weniger Sedimente mitgeführt werden können. Vor den Dämmen entstehen dadurch Ablagerungsgebiete. Diese verstopfen zum einen die Laichgründe und Lebensräume für Fische und Benthos. Zum anderen verringern sie das Stauvolumen, was zu einem Anstieg des Wasserspiegels führt. Beides ist natürlich für die Nutzung des Wassers schädlich und somit unerwünscht. Bei der Nutzung des Wassers wird dieses wieder beschleunigt. Da es dabei aber keine Sedimente aufnehmen kann, kommt es als sogenanntes „hungry water“ in das anschliessende Gewässer. Dieses Defizit gleicht das Wasser im Gewässerabschnitt nach dem Damm aus, indem es dortige Sedimente aufnimmt und abtransportiert. Dadurch kommt es dort zu einer Verarmung an Sedimenten und einer Eintiefung der Flusssohle. Dies geht solange, bis das zurückgebliebene Material zu grob ist. Dieses wird nun als „armor layer“ bezeichnet. Auch diese Umgebung ist vor allem für die Fische aber auch die aquatischen Invertebraten im Fluss als Lebens- und Fortpflanzungsraum ungeeignet.(1) Abbildung 2: Sedimenthaushalt mit und ohne Damm. ÖkologischeundökonomischeAuswirkungamBespieldesAlpenrheins Durch die ab 1850 stattfindende Kanalisierung der grossen Schweizer Flüsse, wurde auch der weitläufige Rhein in ein engeres Flussbett gedrängt. Man versprach sich dadurch Schutz gegen die alljährlich wiederkehrenden Hochwasser, die durch die Schneeschmelze verursacht wurden. Zudem konnte zusätzliche landwirtschaftliche Fläche gewonnen werden. Diese war für die meist arme Talbevölkerung eine wichtige Versorgungsgrundlage, da diese zumeist Selbstversorger waren. Der anlandende Kies ist ein wichtiger Grundstoff für den Tief- und Hochbau, der mit dem Wirtschaftswachstum aufblühte. So wurden zwischen 1936-1990 rund 30mio m3 Kies aus dem Alpenrhein entnommen. Innert 50 Jahren tiefte sich die Rheinsohle bei Ruggell um 4.5m ein. 1970 führten der übermässige Abbau und der Sohle dazu, dass der Brückenpfeiler der Brücke zwischen Buchs SG und Schaan unterspült wurde (Abbildung 3). Daraufhin wurde der Kiesabbau stark eingeschränkt, namentlich auf 90‘000 m3 pro Jahr, was dem Eintrag der Seitenarme entspricht. (4) Abbildung 3: Eingestürtze Staatsbrücke zwischen Buchs SG und Schaan FL, mit Blick nach Schaan 1970 Verlust der Quervernetzung zum Liechtensteiner Binnenkanal Diese Kiesentnahme verstärkte die Eintiefung der Rheinsole auf der Höhe Liechtensteins. Der Grundwasserspiegel senkte sich zusammen mit der Eintiefung der Rheinsole wie in Abbildung 4 verdeutlicht. (4) Abbildung 4:‐ Veränderung von Rhein‐ und Grundwasserspiegel bei Ruggell seit den 1950er‐Jahren Die Mündung des Liechtensteiner Binnenkanals erhöhte sich dadurch relativ zum Wasserspiegel des Rheines und war so de facto für die Lebewesen abgeschnitten. Mit dem Bau einer Fischtreppe wurde versucht, diesem Problem entgegen zu wirken - mit mässigem Erfolg. Bis 2004 wurde eine Niveauangleichung des Binnenkanals an den Rhein realisiert. Da das Gefälle weitest gehend verringert wurde, können nun auch schwimmschwache Arten erfolgreich einwandern. Auf Grund der neu geschaffenen Lebensräume stieg die Anzahl der Fischarten beträchtlich an. (4) Zusammen mit der Eintiefung der Sohle fiel auch der Grundwasserspiegel ab. Dadurch wurden auch viele Giessen der Talebene trocken gelegt und für die verschieden Wasserlebewesen nicht mehr als Lebensraum nutzbar. Mit dem Bau einer Schwelle einige Kilometer stromaufwärts stieg die Rheinsohle wieder an. Immer noch fallen einige Giessen im Winter trocken, viele sind aber auch ganz jährig trocken. Dieser Effekt lässt sich bis heute nur durch künstliche Dotierung aus dem Rhein verringern. (4) WeiterÖkologischeAuswirkungenaufalpineFlüsse Der Verlust von Kiesflächen, durch Kiesabbau, zerstört auch die Bruthabitate des Flussregenpfeifers Charadrius dubius. Dieser brütet nämlich nur in frisch umgelagerten Kiesflächen. Ebenso ist die deutsche Tamariske Myricaria germanica stark gefährdet, da diese als Pionierpflanze auf den dynamischen Kiesbänken wächst. (5) Diese Dynamik ist durch Kiesabbau, als auch durch die Häufigkeits- und Intensität Abnahme der natürlichen Hochwasser verloren gegangen. (6) Stranderosion Eine Verringerung der mitgeführten Sedimentmenge führt unweigerlich zu einem Sedimentdefizit in der Ablagerungsregion eines Flusses. Die grössten Ablagerungsregionen sind die Meere. Dort kann es zu einem Mangel an Sand kommen. Wie alle anderen natürlichen Systeme befinden sich auch Strände in einem Gleichgewicht zwischen Abtragung und Anschwemmung von Sand. Verringert sich die angeschwemmte Sandmenge führt dies zu einem netto Verlust an Sand. So nahmen die Kies- und Sandstrände im Nordwesten Korsikas in Folge von Kiesabbau in den dort mündenden Flüssen um durchschnittlich zehn Meter Breite und 40% Fläche ab (7). In Ghana nahmen die Strandbreiten nach der Fertigstellung des Akosombo Damms in der Volta 1965 um bis zu mehrere hundert Meter ab. (8) Es ist allerdings schwer zu beweisen, dass tatsächlich die Dämme oder der Kiesabbau für die Strandrückgänge verantwortlich sind. So gibt es viele andere möglichen Ursachen für dieses Phänomen: Beispielsweise könnte es sein, dass der beobachtete Rückgang auf den Anstieg des Meeresspiegels zurückzuführen ist. Auch wird Meeressand im grossen Stil für die Konstruktion unserer Infrastruktur abgebaut. Dies führte schon an vielen Orten zu einem Rückgang der Strände. In manchen Fällen wurde deshalb sogar der Sandabbau verboten und Sand wird nun von kriminellen Organisationen illegal abgebaut oder geschmuggelt. Managementmöglichkeiten zur Verbesserung der Geschiebedynamik Da das Geschiebe bei Hochwasserereignissen grossen materiellen Schaden anrichten kann, wurden früh Verbauungen zum Schutz der Infrastruktur gebaut. Mit dem zunehmenden Wissen um die Bedeutung des Geschiebes, für zahlreiche aquatische Fauna sowie kiesspezifischer Flora, wurden neue, innovative Lösungen gesucht. Rechen lassen kleineren bis mittel grossen Kies vor Ort durch und nur potentiell gefährliche grosse Blöcke werden zurückgehalten. Umleitstollen sorgen bei grösseren Kraftwerken dafür, dass das Geschieberegime erhalten bleibt. Ein solcher Sediment-Bypass nimmt zum Beispiel das Geschiebe der Albula im Stausee Solis auf und verhindert dadurch seine Verlandung. Das Geschiebe wird flussabwärts der Albula wieder zugeführt (Abbildung 5). (6) Abbildung 5: Sediment‐Bypass in Graubünden: Der 2012 eröffnete Umleitstollen führt bei einer Hochwassersituation das Geschiebe am Stausee Solis vorbei. Grafik: ewz Beim Staudamm Punt Dal Gall werden als betriebliche Massnahmen jährliche Hochwasser in die restwasserdotierte Spöl erzeugt. Diese sorgen für die nötige Dynamik des Geschiebes, die für Bergbäche typisch ist und darauf angepasste Arten fördert. (6) Literaturverzeichnis Wo nichts anderes angegeben: G. MATHIAS KONDOLF (1997) (1) G. MATHIAS KONDOLF (1997) Hungry Water: Effects of Dams and Gravel Mining on River Channels (2) https://en.wikipedia.org/wiki/Watermill 18.10.15 (3) http://wdi.worldbank.org/table/3.7 18.10.15 (4) Abschnitt zu Verlust der Quervernetzung: Entwicklungskonzept Alpenrhein, Kurzbericht Dezember 2005, Eine Initiative der Internationalen Regierungskommission Alpenrhein (IRKA) und der Internationalen Rheinregulierung (IRR) (5) Handbuch für die Erfolgskontrolle bei Fliessgewässerrevitalisierungen. Woolsey, S., Weber, C., Gonser, T., Hoehn, E., Hostmann, M., Junker, B., Roulier, C., Schweizer, S., Tiegs, S., Tockner, K., and Peter, A. 2005. (6) Döring M, Robinson C. 2012. Wassermanagement: Schutz und Nutzen verbinden. Eawag News 72: 18‐21. (7) S. Gaillott and H. Piegayt 1999 (8) K. Ly 1979 Abildungsverzeichnis Abb.1 Funktionelle Zonen eines Flusses im Geschiebe Transport G. MATHIAS KONDOLF (1997) Hungry Water: Effects of Dams and Gravel Mining on River Channels Abb. 2 Sedimenthaushalt mit und ohne Damm, www.watershedmanagement.vt.gov/rivers/htm/rv_dameffects.htm, 18.10.15 Abb.3 Zerstörte Brücke zwischen Schaan und Buchs, Volksblatt , 14.10.15 (aus Liechtensteiner Landesarchiv) Abb.4 Abschnitt zu Verlust der Quervernetzung: Entwicklungskonzept Alpenrhein, Kurzbericht Dezember 2005, Eine Initiative der Internationalen Regierungskommission Alpenrhein (IRKA) und der Internationalen Rheinregulierung (IRR) Abb. 5 Sediment‐Bypass schützt Stauseen, Benedikt Vogel, im Auftrag des Bundesamt für Energie. http://www.bfe.admin.ch/php/modules/publikationen/stream.php?extlang=de&name=de_8726404 13.pdf. 07.10.15
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