Leseprobe: Tarsicius J. van Bavel OSA Von Liebe und Freundschaft Augustinus über das christliche Leben AUGUSTINUS bei echter Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 II. Gemeinschaft und Freundschaft . . . . . . . . . . 25 III. Einheit und Vielheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 IV. Dualismus oder eschatologische Leidenschaftlichkeit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 V. Liebe und tu dann, was du willst . . . . . . . . . . 71 VI. Durch die Liebe wohnt der Mensch in der Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 VII. Der ganze Christus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 VIII. Kirche ohne Grenzen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 IX. Ökumene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 X. Zeichen und Wirklichkeit . . . . . . . . . . . . . . . 155 Epilog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 Vorwort A ugustinus, Von Liebe und Freundschaft – ist der Titel der ursprünglichen Ausgabe und zugleich die Quintessenz der Theologie und der Lebens- und Glaubensüberzeugung des heiligen Augustinus. In den 70er Jahren erschien sie auch im Deutschen unter dem etwas sperrigen Titel „Christ in dieser Welt – Augustinus zu Fragen seiner und unserer Zeit“. Was können Gründe dafür sein, ein solches Werk nach so vielen Jahren noch einmal aufzulegen und in einer überarbeiteten und sprachlich aktualisierten Form herauszugeben? Der erste Grund: Das Buch von dem bekannten fl ämischen Augustinus-Spezialisten Tars van Bavel OSA ist gut, und es ist wert, noch einmal zu erscheinen. Ein weiteres Motiv: Die Thematik ist ein Grundpfeiler des Christentums und bleibt auch über die Jahrhunderte hinweg aktuell. Und nicht zuletzt: Derjenige, der dieses Werk damals vom Holländischen ins Deutsche übersetzt hat, Manfred Jasper OSA, soll mit dieser Publikation geehrt werden. Denn in diesem Jahr 2009 kann er gleich zwei beeindruckende Jubiläen feiern: sein Goldenes Priesterjubiläum und 75 Lebensjahre. Obwohl oder sogar weil ich weiß, dass er kein Freund der Ehrungen ist – was ich an ihm auch schätze –, möchte ich mit diesem Buch wenigstens ein kleines Zeichen des Dankes setzen. Sein Leben als Augustiner durchzieht die Lust am Studium des heiligen Augustinus. Den Reichtum an Wissen und Einsicht gibt er in vielen spannenden Diskussionen, profunden Predigten und ungezählten – 7 – Vorträgen gerne weiter. So konnte er schon in vielfacher Weise die Dynamik, die den glaubenden Menschen Augustinus erfüllt hat, und die Weisheit, die er für sich persönlich dazugewinnen konnte, anderen zugutekommen lassen. Seit den 60er Jahren verbinden sich auch unsere Lebenswege. Zunächst habe ich ihn über viele Jahre als Oberen in verschiedenen Funktionen erlebt, streng – eben ein wenig münsterländisch, aber immer wach, interessiert, geistreich und menschlich zugewandt. Heute verbindet uns eine Freundschaft, so dass der Titel des Buches mir für die Danksagung wie gerufen kommt. Möge ihm die Freude am Forschen und Einsichtenfinden beim heiligen Augustinus noch lange erhalten bleiben. Würzburg im Frühjahr 2009 Raimund Klinke OSA – 8 – Einführung A ugustinus ist nie eine volkstümliche Gestalt gewesen. Dafür ist sein Werk zu schwierig und wohl auch zu umfangreich. Nicht weniger als 93 Werke tragen seinen Namen. Zählt man noch die vielen Predigten und Briefe dazu, kommt man auf ein Gesamtwerk von etwa 8000 Seiten. Allein um es durchzulesen, sind mehrere Jahre erforderlich, so dass schon sein Freund Possidius bald nach Augustins Tod schrieb, selbst ein Wissenschaftler könne seine gesamten Werke kaum lesen, geschweige denn gründlich kennen. Es gibt Schriftsteller, deren Werk mit einem kleinen Bergsee verglichen werden kann: klar und übersichtlich. Ganz anders empfi ndet man gegenüber Augustins Werk: Es ist wie ein Meer, mit Strömung und Unterströmung; vom Meer lässt sich nie sagen, dass es dasselbe bleibt; es ist unendlich nuanciert. So ist auch Augustins Geist sehr vielseitig, voller Nuancen. Seine Gedanken lassen sich fast nie in absolute Aussagen fassen, stets müssen Differenzierungen gemacht werden. So ist es gefährlich, mit Vereinfachungen zu arbeiten, gerade wenn es sich um einen großen Denker handelt. Dass Augustins Standpunkte vielfach vereinfacht wiedergegeben wurden, brauche ich kaum zu sagen. Zweifellos war er ein Intellektueller, aber gleichzeitig barg er etwas von östlicher Mystik in sich; er war in der Tat ein Gelehrter, aber kein Stubengelehrter, denn er stand voll im tätigen Leben; er war Bischof einer blühenden Hafenstadt an der Küste des Mittelmeeres, aber man darf auch nicht ver– 9 – gessen, dass er zugleich Mönch war; er war Neuplatoniker, aber ebenso sehr ein biblischer Denker; er lässt sich weder ausschließlich als Philosoph noch als Theologe vereinnahmen, denn Philosophie und Theologie waren bei ihm noch nicht getrennt wie in der heutigen Fächeraufteilung. Andere Vereinfachungen könnten angeführt werden, die hoffentlich in den verschiedenen Kapiteln dieses Buches deutlich werden. Was fesselt den heutigen Menschen an Augustinus? Ich frage mich, ob es nicht gerade die Vielschichtigkeit ist. Natürlich nicht die Vielschichtigkeit an sich; denn dann dürfte sie ohne Bedeutung sein. Von besonderem Wert ist sie als Ausdruck des Menschen selbst, des Lebens überhaupt. In diesem Sinn ist Augustinus ein existentieller Denker. Stets ist er betroffen von dem, was er sagt. Die große Frage, die ihm stets vor Augen stand, läuft darauf hinaus: Was ist der Mensch? Seine Bekenntnisse gehören seit Jahrhunderten zur Weltliteratur und werden noch immer in den verschiedenen Weltsprachen gedruckt. Vielleicht ist das auch Augustins Schicksal. Denn mit dem Namen Augustinus verbindet sich bei den meisten Menschen die Erinnerung, dass er zunächst ein nicht gerade ordentliches Leben führte und sich später bekehrte. Die Bekenntnisse fesseln, weil sie ein Stück echten Lebens bieten. Zum ersten Mal in der Kulturgeschichte schrieb jemand ausführlich über sich selbst und rückte damit das Subjekt, den Menschen selbst, in den Mittelpunkt der Geschichte. Doch die Bekenntnisse sind nicht der ganze Augustinus. Das Leben ist weiter und größer als das Subjekt allein. Augustinus stand voll im Leben. Nicht so sehr als Reformer; revolutionäre Reformen kann er nicht aufweisen. Genau– 10 – so wenig lässt sich behaupten, er sei konservativ gewesen. Seine Aktualität liegt vielmehr in der Tatsache, dass er als ein Verbindungsglied zwischen der Antike und dem Mittelalter steht. Jedoch als ein Verbindungsglied, das, wie von Harnack es formuliert hat, ein Sammelbecken war: ein Geist von Format, der das Alte zusammenfasst und das Neue vorbereitet, zugleich aber auch festlegt. Der Nachteil aller großen Denker liegt darin, dass sie die Wahrheit mehr oder weniger festlegen. Sie sind kaum zu überbieten, und ihr Einfluss ist so beherrschend, dass Generationen nötig sind, um den Einfluss zu verarbeiten, und noch mehr Generationen, um schließlich wieder Abstand gewinnen zu können. Augustins Denken war z. B. nicht dualistischer als das anderer Schriftsteller seiner Zeit, aber man kann sagen, dass er eine bestimmte dualistische Denkweise mehr oder weniger festgelegt hat. Maßgeblich durch ihn sind die Bahnen der westlichen Kultur für Jahrhunderte bestimmt gewesen. Stets hat es Menschen gegeben, die ihn deshalb bewundert haben; immer auch wird es Menschen geben, die ihm das verübeln. Doch jeder Fortschritt der Menschheit wird von einer Wahl getragen, von einer Option, und jeder Fortschritt ist ein Aspekt eines größeren Ganzen. Das Ganze erfasst niemand. Deshalb sollten wir auch keinen Vorwurf gegen Augustinus erheben und uns freuen über das, was er uns bieten kann. So kann auch dieses Buch keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Allein schon über die äußeren Lebensdaten Augustins müsste ein reines Geschichtswerk von mehreren hundert Seiten geschrieben werden. Und für eine detaillierte Darlegung seiner Lehre dürften mehrere Bände erforderlich sein. Beschränkung ist also geboten. – 11 – Das Beste schien mir, eine mehr persönliche Sicht zu bieten, wovon ich hoffe, dass sie den Kern augustinischen Denkens und besonders seiner Theologie mehr erschließen kann. Ich werde vor allem ihn selbst zu Wort kommen lassen und meine Darlegung so weit wie möglich auf seine Texte gründen. Natürlich wenden wir uns Augustinus als Menschen unserer Zeit zu; wir können nun einmal nicht anders. Von daher möchte ich so viel wie möglich das Wertvolle hervorheben, das auch für unsere Zeit bedeutsam ist. Es geht also nicht um eine Lebensbeschreibung, sondern eher um eine Einführung in die Theologie Augustins anhand einiger großer Themen, die, wie ich meine, seine Persönlichkeit deutlich zeigen. Die Themen lassen sich mit zwei Grundbegriffen erfassen: Einheit und Liebe. Augustinus stand mitten in den Unruhen der Kirche seiner Zeit und wurde – vor allem nach seinem Tod – immer mehr die „Seele“ Westeuropas. Er liebte leidenschaftlich die Einheit und die Liebe. Das ist vielleicht das besondere Merkmal Augustins: Er liebte die Liebe selbst, und für nichts in der Welt hätte er sie preisgeben wollen. Auf die Frage nach den Schwachstellen in unserer heutigen Welt wies M. Heidegger auf die Verabsolutierung der Subjektivität und auf den Kontaktverlust mit der Tradition hin. Dieses Buch will versuchen, diese Klagen ernst zu nehmen. Auf die Verabsolutierung des Subjekts kann man in der Theologie Augustins eine Antwort finden. Für die Herstellung des Kontaktes mit der Tradition will ich teilweise einstehen durch die Studie, die ich hier anbiete. Der alte Augustinus lebte in einer Zeit des Umbruchs. Das verbindet ihn mit unserer Zeit. Das Europa seiner Ta– 12 – ge war gezwungen, den alten Rahmen zu sprengen und nach einer neuen Form zu suchen. Dies war nicht nur eine politische Angelegenheit; es fand ebenso seinen Niederschlag in der Kultur, im Leben und Denken jener Zeit. Trotz aller Lücken und Einseitigkeiten, die Augustins Lebensanschauung aufweist, ist er es gewesen, der eine Kluft überbrückt hat. Das lag nicht allein an ihm. Dies war nur möglich, weil Jahrhunderte sich durch ihn leiten ließen. Was war sein Geheimnis? Lag seine Anziehungskraft nicht darin, dass er die Menschen auf sich selbst verwies: „Gutes und Böses wird jedem Menschen und jeder Gemeinschaft in gleicher Weise zuteil. Nur die Art des Glaubens, Hoffens und Liebens macht bei den Menschen den Unterschied aus“ (De civitate Dei XVIII, 54,2). – 13 –
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