Predigt zu Daniel 1,1

Predigt zu Daniel 1,1-20: In der Fremde (J.Röhl; 12.7.2015)
S. -1-
Predigt zu Daniel 1,1-20: In der Fremde
Liebe Schwestern! Liebe Brüder!
Auf unserer Süddeutschen Jährlichen Konferenz vor einigen Wochen hatte eine Methodistin aus
dem Elsass ein kurzes Grußwort gesprochen. Mich hat dieses Grußwort besonders bewegt und
beschäftigt. Denn es wurde darin deutlich, in was für einer Zeit und Welt wir heute als Christen in
Europa leben.
Frankreich ist ein Land mit strenger Trennung zwischen Staat und Religion. Glaube ist Privatsache
und darf im öffentlichen Leben keine große Rolle spielen. Man kann in Frankreich zwar seinen
christlichen Glauben leben, ohne Angst vor Verfolgung zu haben. Aber die Frau aus dem Elsass
hat eindrücklich beschrieben, wie Gemeindearbeit im Alltag immer schwieriger wird. Es gibt immer
mehr Vorschriften und Gesetze, welche die öffentlichkeitswirksame Arbeit von Kirchen erschweren. Gerade die Methodisten, als kleine Minderheitenkirche, hat unter dieser Situation zu leiden.
Auch in Deutschland werden solche Tendenzen zunehmen. In unserer postmodernen und multikulturellen Welt hat das Christentum nicht mehr automatisch eine Vorzugsstellung. Jahrhundertelang
war das anders: Europa war das christliche Abendland und unsere Kultur ist noch immer stark
vom christlichen Glauben geprägt. Aber dieser Prägung wird weiter abnehmen. Als Christen leben
wir zunehmend in einer Welt, die weniger christlich geprägt ist. Kultur und Tradition sind heute
nicht mehr automatisch christlich ausgerichtet. Als Christen sind wir zunehmend Fremde in unserer Welt.
Ein kleines Beispiel: Wenn ihr vor 50 Jahren jemand gefragt hättet, was er am Sonntag morgen
gemacht hat, dann hättet ihr von sehr vielen die ganz selbstverständliche Antwort bekommen,
dass sie im Gottesdienst waren. Schon damals haben das nicht alle gemacht, aber es war sehr
viel normaler als heute. Wenn ihr heutzutage eurem Arbeitskollegen erzählt, dass ihr am Sonntag
im Gottesdienst war, dann kann es euch passieren, dass euch der Kollege komisch oder sogar
mitleidig anschaut und fragt: „Wieso das denn?“
Wir können über diesen Bedeutungsverlust des christlichen Glaubens klagen und jammern – aber
wir werden dadurch gar nichts verändern. In vielen Gemeinden haben wir noch gar nicht begriffen,
was das für uns bedeutet. Viele von uns meinen, wir könnten Kirche noch genauso betreiben, wie
vor fünfzig Jahren – aber das funktioniert nicht mehr. Und das können wir ganz nüchtern an den
sinkenden Zahlen von Kirchenmitgliedern ablesen. Wir leben nicht mehr in einem christlichen
Abendland, in dem die Menschen ganz automatisch aus Tradition zum christlichen Glauben und
zur Kirche kommen.
In mancher Hinsicht könnte man unserer Situation mit der Situation von Daniel vergleichen. Er war
Jude. Und jahrhundertelang war es selbstverständlich, dass die Juden in einem jüdischen Staat leben konnten und der jüdische Glaube die offizielle Staatsreligion war. Jerusalem war das politische
und religiöse Zentrum Israels. Als Gläubiger war Daniel nicht in der Minderheit, sondern in der
Mehrheit.
Um 600 v. Chr. ändert sich diese Lage dramatisch. Der jüdische Staat geht unter und viele Juden
wurden ins Exil verschleppt. Sie verloren ihre Heimat. Sie verloren ihre Kultur. Sie verloren mit
dem Tempel das Zentrum ihres Glaubens. Daniel war einer von ihnen.
Der babylonische König Nebukadnezar eroberte Jerusalem und führte Daniel und viele andere Juden ins Exil nach Babylonien. In die Fremde. In eine Welt, die von anderen Göttern bestimmt wurde. In eine Welt, in der er Außenseiter war. In eine Welt, in der sein Glaube ständig in Frage gestellt wurde. Was können wir von Daniel und seinen Freunden für unsere Situation heute lernen?
Predigt zu Daniel 1,1-20: In der Fremde (J.Röhl; 12.7.2015)
S. -2-
Im ersten Kapitel des Buches Daniel wird beispielhaft deutlich, wie Glaube in der Fremde gelebt
werden kann. Der König sucht sich einige junge israelitische Männer aus, um sie umzuerziehen.
Er will aus Juden Babylonier machen, um damit seine Macht zu zeigen. Er will damit demonstrieren, dass ihm nicht nur das Land Israel gehört, sondern auch seine Bewohner. Man geht davon
aus, dass Daniel und seine Freunde damals zwischen 12 und 14 Jahren alt waren. Sie sollen drei
Jahre lang babylonische Bildung haben, sie sollen das Essen des Königshofes genießen und sie
bekommen neue babylonische Namen. Ihr Geist wird durch babylonische Bildung beeinflusst, ihr
Leib soll sich an den babylonischen Lebensstil gewöhnen und ihre Seele soll durch neue Namen
geprägt werden.
Sie sollen zu babylonischen Musterbürgern herangezogen werden und die besten dürfen dann am
Königshof dienen. Es sollen neue Menschen aus ihnen geformt werden. Es geht um ihre ganze
Identität. Gerade die neuen Namen sind ein starkes Symbol dafür: Aus einem Daniel soll Beltschazar werden. Mit dem hebräischen Namen soll auch das hebräische Denken und der hebräische
Glaube verschwinden.
Wir leben heute im Übergang in eine nachchristliche Kultur. Der christliche Glaube verliert in Europa mehr und mehr seine prägende Kraft. Neben christliche Wertvorstellungen treten andere Wertvorstellungen. Und natürlich werden wir alle durch diese anderen Wertvorstellungen geprägt. So
wie Daniel müssen wir uns überlegen, wie wir an unserem Glauben trotz der schwieriger werdenden Rahmenbedingungen festhalten.
Wie reagiert Daniel auf dieses Umerziehungsprogramm? Wie versucht er, Gott treu zu bleiben?
Wie geht er mit seiner Minderheitenposition um? Es gibt ja grundsätzlich zwei Möglichkeiten: Entweder Anpassung oder Verweigerung. Entweder man arrangiert sich mit der neuen Kultur und
passt sich ihr an. Oder man verweigert sich der neuen Kultur und hält radikal am Alten fest.
Ich finde es außerordentlich spannend, dass Daniel hier einen Mittelweg geht. Er wird nicht zum
Extremist – weder in die eine Richtung noch in die andere. Einerseits ist er bereit sich anzupassen. Er verweigert sich der babylonischen Bildung und Kultur nicht. Nein, er lässt sich auf das Bildungsprogramm ein und wird später ein wichtiger Berater am Königshof. Er wird ein Teil dieser für
ihn fremden babylonischen Welt. Er lehnt nicht grundsätzlich alles ab, sondern macht aus seiner
Situation das Beste.
Aber er passt sich auch nicht bis zur Unkenntlichkeit an. Er behält seine Grundüberzeugungen. Er
bleibt Gott treu. Das zeigt sich einerseits im Verborgenen: Er lässt es zwar zu, dass die Babylonier
ihn Beltschazar nennen. Aber sich selbst sieht er immer noch als Daniel. Im ganzen Buch Daniel
wird er vom Erzähler nur so genannt.
Es gibt dann auch deutlich sichtbare Punkte, bei denen er nicht bereit ist sich anzupassen. Da wo
es um Gottes Gebote geht, ist Daniel nicht bereit Kompromisse einzugehen. Beispielhaft sichtbar
wird das an den Speisegeboten. Als Jude ist für ihn klar, dass Gott ihm verboten hat, unreine Speisen zu essen. Deshalb weigert er sich, das normale Essen des Königshofes zu essen. Zum einen
weil dazu auch Tiere gehörten, die in der hebräischen Bibel als unrein gelten und zum anderen,
weil Fleisch oft vor dem Verzehr babylonischen Göttern geweiht wurde. Das kann Daniel nicht mit
seinem Glauben vereinbaren.
Daniel hat sich in diesem Punkt vorgenommen, sich nicht anzupassen (V.8): „Aber Daniel nahm
sich in seinem Herzen vor, dass er sich mit des Königs Speise und mit seinem Wein nicht unrein
machen wollte.“ Das Herz ist in der Bibel nicht so sehr der Sitz der Gefühle, sondern vor allem der
Sitz des Willens. Daniel fasst den festen Entschluss, Gott treu zu bleiben und zieht es dann auch
durch.
Predigt zu Daniel 1,1-20: In der Fremde (J.Röhl; 12.7.2015)
S. -3-
Aber trotz seiner fersten Überzeugung sucht er nicht die plumpe Konfrontation mit den Babyloniern, sondern auf diplomatische und charmante Weise versucht er, den Speisemeister davon zu
überzeugen, dass er und seine drei Freunde auch mit vegetarischer Kost gut über die Runden
kommen. Er schlägt vor, dass sie es doch einfach zehn Tage ausprobieren sollten. Und tatsächlich: „Nach zehn Tagen sahen sie schöner und kräftiger aus als alle jungen Leute, die von des Königs Speise aßen.“ (V.15) Es funktioniert!
Gott belohnt Daniel und seine Freunde für ihre Standhaftigkeit. In V.9 heißt es: „Gott gab es Daniel, dass ihm der oberste Kämmerer günstig und gnädig gesinnt wurde.“ Und in V.17 lesen wir:
„Und diesen vier jungen Leuten gab Gott Einsicht und Verstand für jede Art von Schrift und Weisheit.“ Weil Daniel Gott treu ist, ist Gott auch Daniel treu.
Aber wie gesagt: bei Daniel wird sehr schön deutlich, dass es als Gläubiger nicht darum geht, aus
Prinzip und bei allem immer gegen den Strom zu schwimmen. Daniel hat ganz nüchtern einen Mittelweg gesucht. Er war bereit, sich an die babylonische Kultur anzupassen, aber er war nicht bereit, dafür seinen Glauben aufzugeben.
Das können wir von Daniel lernen. Wer als Christ immer nur gegen den Strom anschwimmt und
überall immer nur aneckt, der tut Gott damit keinen Dienst. Denn er wird nicht ernst genommen.
Er wird zum seltsamen Außenseiter. Er hat einer nichtchristlichen Kultur nichts mehr zu sagen. Auf
der anderen Seite ist es auch nicht gut, sich immer nur von anderen treiben zu lassen. Wenn es
um den Kern unseres Glaubens geht, dann müssen wir Stärke zeigen, dann ist es wichtig, dass
wir uns zu Gott bekennen. Wie wir bei Daniel gesehen haben nicht kopflos und naiv, sondern mit
guten Argumenten und auf diplomatische Weise.
Beides ist wichtig: Abgrenzung und Anpassung. Wir leben als Christen heute in der Minderheit.
Wir leben wie Daniel in der Fremde. Wir müssen als Einzelne und als Gemeinden neu lernen, was
das für uns heißt: Abgrenzung und Anpassung. Wir können nicht einfach alles so machen wie früher – wir müssen Neues wagen. Aber wir können uns auch nicht nur anpassen – der Kern unserer
Glaubens muss aufleuchten.
Vor einigen Wochen hat ein Politiker ein deutlich sichtbares Zeichen für den Glauben gesetzt. Bei der Trauerfeier für den schwarzen
Methodistenpastor Clementa Pinckney, der bei
den Attentaten in seiner Kirche in den USA ermordet wurde, sang Präsident Obama am Ende
seiner Ansprache „Amazing Grace“. Als Politiker
der so weit nach oben kommen konnte, musste
er an vielen Stellen sicher Kompromisse eingehen. Aber bei dieser Gelegenheit gelang es ihm, ein
Zeichen für den Glauben zu setzen. Er ging ein Risiko ein, denn ein singender Präsident ist im Politikgeschäft nicht unbedingt üblich. Aber er hat damit deutlich gemacht, dass Gottes Gnade größer ist, als aller Hass zwischen Menschen.
Wir sind keine Präsidenten, wir sind auch nicht Daniel. Aber jeder von uns kann überlegen, wo wir
uns im Alltag an die Menschen und die Kultur um uns herum anpassen sollten, und wo es für uns
wichtig ist, dass wir deutliche Zeichen des Glaubens setzen.
Amen
___
Bildquelle: https://www.youtube.com/embed/IN05jVNBs64