Leseprobe - Kater Demos

KATER DEMOS / 01.2015
LESEPROBE SCHWERPUNKT DEMOKRATIE
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ÜBER DEN TELLERRAND GESCHAUT
ALTER
SCHWEDE
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ÜBER DEN TELLERRAND GESCHAUT
TEXT CHOLEDA JASDANY
FOTOS SIMA EBRAHIMI, ME CHUTHAI
ALTER SCHWEDE
KATER DEMOS / 01.2015
E
inmal über den Tellerrand geschaut, besuchen
wir das Land, in dem fröhliche Kinder aufwachsen, transparente Gehälter bezahlt werden und sowieso keine Diskriminierungen vorkommen. Nur die Erwähnung von Namen wie Lillebror,
Tommy und Annika löst bei uns schon eine wohlige
Zufriedenheit aus. Wir erinnern uns an die Kindheit, die wir von Astrid Lindgren kennen und längst
als unsere eigenen Kindheitserinnerungen verbucht
haben. Pippi und Karlsson vom Dach, das sind kleine alte Schweden, wie wir sie lieben. Dass Schweden in Deutschland auf diese Weise so idealisiert
wahrgenommen wird, bezeichnet Bertholt Franke
als »Bullerbü-Syndrom«. Der ehemalige Leiter des
Goethe-Instituts in Schweden meint damit eine
Vorliebe für alles Schwedische sowie eine verklärte
Sicht, geprägt von Astrid Lindgrens KinderbücherFiguren.
Doch wie empfinden Schweden selbst diese idealisierte Darstellung des Landes, in dem sie wohnen?
Tineska Magalhães wuchs im nördlichen Östersund
und Linköping auf. Nach dem Gymnasium zog es
die heute 25-jährige nach Irland, Brasilien und Libanon und sie verbrachte fast drei Jahre nicht in Schweden. Doch sie begann, das Land zu vermissen und
die Sicherheit, zu wissen, wie alles funktioniert sowie
dass es funktioniert. Jetzt lebt sie in Göteborg. Sie ist
überzeugt davon, dass im Ausland das Klischee einer schwedischen Gesellschaft vorherrscht, die sich
um jeden Einzelnen kümmert. »Das tut sie nicht.«,
sagt sie. »Besonders seitdem wir der EU beigetreten
sind, sind wir nicht gerade gut darin, die Menschen
zu integrieren, die jetzt hier leben können. (...) Auch
der Abstand zwischen arm und reich, Arbeitern und
Managern wächst schnell. Darum verschwindet meiner Meinung nach dieser Stereotyp einer Demokratie, in der alle wirtschaftlich gleich sind.«
EINE DEMOK R ATIE AUF DEM DRIT T EN PL AT Z
D
er gute Ruf der schwedischen Verhältnisse
liegt zum einen darin begründet, dass die Arbeitgeber Frauen und Männer vermeintlich
gleichberechtigt behandeln. Das liegt nicht daran,
dass Männer und Frauen gleich hohe Löhne erhalten, sondern daran, dass systematisch für eine Transparenz bei den Gehältern gesorgt wird. Zumindest
alle drei Jahre müssen sich Unternehmen für mögliche Differenzen in Gehältern rechtfertigen.
Zum anderen schneidet Schweden im Global Democracy Ranking ziemlich gut ab und steht auf Platz
drei, unter Norwegen auf Platz eins und der Schweiz
auf Platz zwei. Deutschland findet sich in dieser Liste
übrigens auf Platz acht wieder. Bei dem Global Democracy Ranking werden verschiedene Kriterien
betrachtet. Politische Rechte, Bürgerrechte, Pressefreiheit und Korruption, um nur einige von ihnen zu
nennen. Auf die Frage hin, wie die Schweden selbst
es bewerten, dass sie auf Platz drei des Democracy
Rankings stehen, sagt Patrick Schmitt, der ein Jahr in
Schweden gelebt hat: »Sie fragen sich, wer auf Platz
zwei und eins ist. Die Wahrnehmung von Schweden
als sehr offenes, liberales und demokratisches Land
ist den Schweden selbst sehr wichtig.«
»S CHÖN, DA S S DU DA BIS T. BLEIB
DOCH EINFACH.«
W
as aber wiederum unsere Wahrnehmung
von Schweden angeht, können es ja nicht
nur Astrid Lindgrens Bücher sein, die unser Bild prägen. Aber was vom schwedischen Leben
kennen wir hier in Deutschland sonst noch? Selbst
wenn wir zu den Glücklichen gehören, die dort regelmäßig in idyllischen Sommerhäusern Urlaub
machen, heißt das noch lange nicht, dass wir die
dortigen Verhältnisse wirklich ausmachen können.
Wahrscheinlich wird man zuerst an Ikea denken.
Aber wer an Ikea denkt, dem kommen gleichzeitig
Erinnerungen an den Wahnsinn, vor dem man nicht
gefeit war, als man das letzte Mal in diese blau-gelbe
Welt eintrat. Selbst wenn man den großen Rundgang meidet und damit die kleinen Versionen heiler
Welten, die dort ausgestellt werden, muss man eine
Menge Willensstärke unter Beweis stellen, um an
der Kasse nicht mit der doppelten Menge Artikel,
als man eigentlich braucht, dazustehen. Man geht ins
Erdgeschoss, um die Knoblauchpresse, zwei Gläser
und einen Duschvorhang mitzunehmen und wandert an unendlich vielen kleinen Dingen vorbei, die
man nicht braucht, die aber so praktisch wären. Was
sollte denn eigentlich auch so schlecht daran sein,
sich zu Hause so auszustatten wie es alle anderen
auch tun? Dabei ertönen dann die Stimmen von Marie Fredriksson und Per Gessle mit: »Come on, join
the joyride!«
Es gibt bereits zahlreiche Erklärungsversuche,
wie der Erfolg des Unternehmens Ikea zustande
gekommen ist. Beispielsweise Elf Geheimnisse des
Ikea-Erfolgs von Rüdiger Jungbluth aus dem Jahre
2006. Dabei geht es nicht nur um die relativ niedrigen Preise oder die Tatsache, dass der Kunde â–¶
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