An den Grenzen des kreativen Strafrechts. Das Problem der

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Zeitschrift für Medizinstrafrecht
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Prof. Dr. jur. utr. Thomas Fischer, VRiBGH
medstra-statement: Korruptionsverfolgung im Gesundheitswesen – dringender denn je! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
Oberstaatsanwalt Alexander Badle, Leiter Zentralstelle zur Bekämpfung von Vermögensstraftaten und Korruption im
Gesundheitswesen, Frankfurt am Main
medstra-statement: Übertriebene Erwartungen an einen Straftatbestand der Bestechlichkeit und Bestechung im
Gesundheitswesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2
Professor Dr. Ralf Kölbel, Ludwig-Maximilians-Universität München
Abrechnungsverstöße im Krankenhaus – ein kriminologischer Forschungsbericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4
Professor Dr. Michael Kubiciel, Universität zu Köln/Rechtsanwalt Dr. Michael Tsambikakis, Köln
Bestechlichkeit und Bestechung im Gesundheitswesen (§ 299a StGB) – Stellungnahme zum Entwurf des Bayerischen
Staatsministeriums der Justiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11
Professor Dr. Dr. h.c. Ulfrid Neumann, Goethe-Universität Frankfurt am Main
Beihilfe zur Selbsttötung – nur durch Ärzte? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
16
Rechtsanwalt Wolfgang Putz, München
Hintergrundbeitrag Medizinrecht: Die Beachtung des Patientenwillens in der juristischen Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
19
Professor Dr. Hendrik Schneider, Universität Leipzig/Wissenschaftlicher Mitarbeiter Niels Kaltenhäuser, Universität
Leipzig
An den Grenzen des kreativen Strafrechts – Das Problem der akzessorischen Begriffsbildung im Wirtschaftsstrafrecht des
Arztes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
24
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Redaktionsassistentin Wiss. Mit. Lara Herbertz, LL.B., Bucerius Law School, Hamburg
Beitragsübersicht Medizinstrafrecht Juli-September 2014 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
32
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BVerfG
27. 2.2014 – 2 BvR 261/14
Audiovisuelle Zeugenvernehmung (Anm. Eisenberg) . . . . . . . . . . . .
34
BGH
16. 1.2014 – 1 StR 389/13
Verantwortlichkeit eines „erfahrenen Drogenarztes“ (Anm. Greco)
41
BGH
28. 1.2014 – 1 StR 494/13
Substitutionsbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
45
BGH
27. 5.2014 – 2 StR 354/13
Substitutionsbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
53
BGH
16. 6.2014 – 4 StR 21/14
Betrug eines Pflegedienstes (Anm. Warntjen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
54
OLG Karlsruhe
29. 1.2014 – 7 U 163/12
Aufklärung durch PJ-Studenten (Anm. Ernst) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
59
StA München I
24. 7.2014 – 124 Js 202366/13
Anzahl der zu befruchtenden Eizellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
64
Aktuelle Rechtsprechung in Kürze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
I
Aktuelle Nachrichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
VI
Rechtsprechungsvorschau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
VII
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Aus dem Inhalt der nächsten Hefte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII
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Bestimmtheitsgrundsatz und Gesetzeswortlaut setzen der
Kreativität bei der Auslegung der Strafgesetze verbindliche
Grenzen. Wer ein derart enges gesetzliches Korsett nicht
schätzt, betätigt sich in der Regel im Bereich des Allgemeinen
Teils, der bekanntlich größere Freiheiten eröffnet. Indikatoren für das Vorliegen „kreativen Strafrechts“ stellen die griffigen „Claims“ oder „Markennamen“ in Gestalt von Neologismen dar, unter denen die vornehmlich an den strafrechtlichen
Lehrstühlen entwickelten avantgardistischen Lösungsansätze
vorgestellt werden (Bsp.: „Risikoerhöhungslehre“, „objektive Zurechnung“, „Geschäftsherrenhaftung“ usw.).1 Während
die kreative Strafrechtslehre demnach ideenorientiert ist, sind
die Versuche der Rechtsprechung, die Fesseln des Wortlauts
der Norm zu sprengen, ergebnisorientiert und beziehen sich
insbesondere auch auf den Besonderen Teil des Strafrechts.
Die Rechtsprechung arbeitet eben nicht „handlungsentlastet“
und getragen von der Freude, möglichst widerspruchsfreie
dogmatische Hochseilakte zu vollführen („Systemdenken“2 ),
sondern sie muss Fälle entscheiden, will Gerechtigkeitsvorstellungen und (kriminal-)politischen Wertungen zur Geltung
verhelfen („Problemdenken“3 ). Vor diesem Hintergrund verändert sich die Argumentationsrichtung des juristischen Syllogismus. Die Konklusion wird nicht aus Obersatz und Untersatz abgeleitet, sondern sie steht am Anfang des Begründungszusammenhangs: Vom gewünschten Ergebnis aus wird
nach der passenden Begründung gesucht.
Das Wirtschaftsstrafrecht des Arztes, das – wie die vorliegende neue Zeitschrift zeigt - mittlerweile zu einer eigenständigen Bindestrichdisziplin der Gesamten Strafrechtswissenschaft avanciert ist, enthält zahlreiche Beispiele für
derartige kreative Grenzbelastungen der einschlägigen Straftatbestände durch die Rechtsprechung. Auch hier wird den Argumentationsfiguren eine „corporate identity“ in der Gestalt
von Kunstbegriffen verliehen. Bekannt sind insoweit Topoi
wie „streng formale Betrachtungsweise“4 oder die Lehre vom
Arzt als „Sachwalter“ („Sachwaltertheorie“)5 oder gar „Stellvertreter“6 der Gesetzlichen Krankenversicherung, die zumindest dann eine nähere Begründung obsolet machen, wenn sich
die gerichtlichen Entscheidungen auf die vorausgegangene
Rechtsprechung des BGH oder des BVerfG beziehen können
(sogenanntes „Autoritätsargument“7 ).
Wie nachstehend zu zeigen ist, besteht das übergreifende Ziel
der „kreativen Rechtsprechung“ darin, außerstrafrechtliche
Normen, die sich auf die wirtschaftliche Betätigung des Arztes beziehen, mit einem strafrechtlichen Schutz zu versehen.
Die Tatbestandsvoraussetzungen der herangezogenen Strafgesetze werden durch eine die Grenzen des Wortlauts sprengende Auslegung geöffnet und fungieren nach dem Modell so
genannter unechter Blanketttatbestände als Einfallstor insbesondere für bestimmte sozial- und berufsrechtliche Wertungen. Mit den genannten dogmatischen Begründungsansätzen
geht eine „neue Härte“ im Rahmen der Strafzumessung einher. Die Angeklagten werden, wenn ein „Freikauf“8 gemäß
§ 153a StPO nicht möglich ist, nicht selten zu Freiheitsstrafen
im nicht aussetzungsfähigen Bereich verurteilt. Die honorarrechtlichen Folgen (Honorarrückforderungen durch die Kassenärztliche Vereinigung, §§ 45 Abs. 1, 50 Abs. 1 SGB X) sowie die berufs-, vertragsarzt- (vgl. § 95 Abs. 6 SGB V) und approbationsrechtlichen Sanktionen (vgl. § 5 Abs. 2 S. 1 BÄO),
die sich an eine derartige Verurteilung anschließen können9 ,
bedeuten zudem in der Regel die völlige wirtschaftliche Vernichtung der Angeklagten.
Der vorliegende Beitrag veranschaulicht die oben skizzierte
Rechtsfortbildung im Bereich des Wirtschaftsstrafrechts des
Arztes, unterzieht sie einer Methodenkritik und stellt dieser
ein liberales Konzept berechenbaren Strafrechts gegenüber.
Vor diesem Hintergrund ergeben sich Einwände auch gegen
den derzeit diskutierten Entwurf des § 299a StGB, die nachstehend aufgezeigt werden.
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WPN +VOJ Gemäß dem (vereinfachten) Sachverhalt dieser Entscheidung10 hatte die Angeklagte (A), die seit 2003 Pflegedienste
betrieb, die langfristige Pflege eines gesetzlich versicherten
Wachkomapatienten übernommen. In der Ergänzungsvereinbarung über die Durchführung der häuslichen Krankenpflege
(§§ 37 SGB V, 36 SGB XI) zwischen A und der Krankenund Pflegekasse des Patienten war vereinbart, dass die für
1 Näher Schneider/Morguet in: Uwer (Hrsg.): Bitte bewahren sie Ruhe.
Leben im Feindrechtsstaat (2006), S. 335-352.
2 Viehweg, Topik und Jurisprudenz (1974), S. 33.
3 Viehweg (Fn. 2), S. 32.
4 Näher: Schneider in: Duttge (Hrsg.): Tatort Gesundheitsmarkt (2011),
S. 35 ff.; ders. in: Wienke/Janke/Kramer (Hrsg.): Der Arzt im Wirtschaftsstrafrecht (2011), S. 57 ff.; Ulsenheimer, Arztstrafrecht in
der Praxis (2008), § 14 Rn. 22; Gaede in: AnwaltKommentar StGB
(2011), § 263 Rn. 143.
5 Zusammenfassung der maßgeblichen Entscheidungen bei Schnapp
in: Duttge (Fn. 4), S. 47 ff.
6 Vgl. dazu Leimenstoll, Vermögensbetreuungspflicht des Vertragsarztes? (2012), Rn. 155 ff.
7 Viehweg (Fn. 2), S. 27.
8 Schneider in: Brettel/Schneider, Wirtschaftsstrafrecht (2014), Rn.
102.
9 Teubner in: AG Medizinrecht im DAV/IMR (Hrsg.): Brennpunkte des
Arztstrafrechts (2012), S. 65, 70 ff.
10 BGH Urt. v. 16.6.2014 – 4 StR 21/14.
NFETUSB 4DIOFJEFS,BMUFOIÊVTFS r "O EFO (SFO[FO EFT LSFBUJWFO 4USBGSFDIUT
den Patienten eingesetzten Mitarbeiter eine bestimmte Qualifikation aufweisen mussten. Die vertraglich vereinbarte Vergütung für die „Behandlungspflege“ durch das entsprechend
qualifizierte Personal betrug 32,- bzw. 29,- EUR in der Stunde. Tatsächlich erfolgte die Pflege aber durch Personal, das
nicht über die vertraglich vereinbarte fachliche Weiterbildung
verfügte bzw. nicht der vereinbarten Überwachung unterlag.
Allerdings wurde der Patient nicht geschädigt und die Leistungen wurden durch das minder qualifizierte Personal fachlich
ordnungsgemäß durchgeführt. Die seitens A vorgelegten Abrechnungen enthielten unzutreffende Angaben zur Anzahl der
geleisteten Stunden. Teilweise waren zudem die Unterschriften auf den ebenfalls eingereichten Leistungsnachweisen gefälscht. Der BGH bestätigte die Verurteilung wegen Betruges
(Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren) nicht nur hinsichtlich
der Abrechnung nicht erbrachter Leistungen, sondern auch
hinsichtlich der durch minder qualifiziertes Personal durchgeführten Pflegmaßnahmen und bewertet die an A ausgekehrten
Beträge als Vermögensschaden im Sinne des § 263 StGB:
„Darüber hinaus gab die Angeklagte aber auch konkludent wahrheitswidrig vor, Pflegepersonal eingesetzt und beschäftigt zu haben,
das die vertraglich vereinbarte Qualifikation aufwies. (...). Das Landgericht ist rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass nach der getroffenen Vereinbarung jegliche pflegerische Versorgung des Patienten
O. durch besonders qualifiziertes Personal (...) durchgeführt werden
(...) sollte. (...) Hiervon ausgehend hat das Landgericht rechtsfehlerfrei auch insoweit in den Abrechnungen der Angeklagten eine Täuschung (...) erblickt; denn tatsächlich setzte die Angeklagte – obwohl
sie dies in den eingereichten Rechnungen zumindest konkludent (mit-)
erklärt hat – zur Pflege des Herrn O. zu keinem Zeitpunkt Mitarbeiter mit der vereinbarten Zusatzqualifikation ein und veranlasste auch
keine Einweisung und Überwachung des vor Ort tätigen Personals
durch solche Mitarbeiter. (...).
Nach diesem Maßstab liegt zunächst ein Vermögensschaden der B.
vor, soweit die Angeklagte in sämtlichen Abrechnungen gegenüber
der Krankenkasse mehr Dienststunden angegeben hat als tatsächlich
geleistet wurden. Aber auch soweit durch die Mitarbeiter der Angeklagten die Pflegeleistungen tatsächlich erbracht wurden, tragen die
Feststellungen die Annahme eines Vermögensschadens und damit die
Verurteilung wegen Betrugs. (...). Das Unterschreiten der nach dem
Vertrag vereinbarten Qualifikation führt nach den insoweit maßgeblichen Grundsätzen des Sozialrechts auch dann zum vollständigen
Entfallen des Vergütungsanspruchs, wenn die Leistungen im Übrigen
ordnungsgemäß erbracht wurden („streng formale Betrachtungsweise“) (...). Darüber hinaus stellte die Arbeitsleistung als solche keine
Gegenleistung für die Zahlungen der Kranken- und Pflegekasse dar.
Aufgrund der verletzten vertraglichen Vorgabe war unter den hier
gegebenen besonderen Umstanden die Qualität der Leistung so gemindert, dass ihr wirtschaftlicher Wert gegen Null ging.“11
#FJUSÊHF
„Durch die Einreichung der Rezepte hat der Angeklagte konkludent
erklärt, gemäß den für ihn geltenden Vorschriften ordnungsgemäß abgerechnet zu haben, und einen entsprechenden Irrtum bei den Sachbearbeitern der Versicherungen erzeugt. (...) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) im Sozialversicherungsrecht
ist von der sogenannten streng formalen Betrachtungsweise auszugehen. Das heißt, dass sich der Angeklagte nicht darauf berufen kann,
dass die Krankenkassen in jedem Fall auch über einen anderen Leistungserbringer als den Angeklagten die selben Kosten für Hilfsmittel hätten erstatten müssen. Entscheidend ist, dass der Angeklagte
keinen Anspruch auf die Kostenerstattung hatte und damit ein strafrechtlich relevanter Schaden in voller Höhe der geleisteten Zahlungen entstanden ist. Alles andere ist im Rahmen der Strafzumessung
zu berücksichtigen.“14
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WPN +BOVBS Die genannte Entscheidung15 betrifft unter anderem die Abrechnung nicht persönlich erbrachter Leistungen gegenüber
Privatpatienten. Der Angeklagte (A) hatte „Speziallaborleistungen“, die nur durch einen hierzu befähigten und gegenüber
dem Patienten liquidationsberechtigten Laborarzt hätten erbracht und abgerechnet werden dürfen, seinen Privatpatienten
unter Geltendmachung des Standard-Erhöhungsfaktors von
1,15 in Rechnung gestellt. Diese Speziallaborleistungen hatte
er zuvor auf Basis einer „Rahmenvereinbarung“ mit einer Laborgruppe zu einem reduzierten GOÄ-Satz „eingekauft“. In
allen der Verurteilung zugrunde liegenden Fällen waren die
Laborleistungen „tatsächlich benötigt“ und sie wurden „fachlich und medizinisch korrekt“ erbracht. Sein persönlicher Gewinn resultierte aus der Differenz zwischen dem günstigen
Einkaufspreis der Laborleistungen und dem höheren, den Patienten in Rechnung gestellten Betrag.
Der BGH bestätigte die Verurteilung wegen Betruges (Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten, Verbot;
für die Dauer von drei Jahren als liquidationsberechtigter Arzt
oder als angestellter Arzt mit eigenem Abrechnungsrecht tätig
zu werden) und führt – soweit hier relevant – wie folgt aus:
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+BOVBS „Auch soweit der Angeklagte (...) nicht selbst erbrachte ärztliche
Leistungen als eigene hat abrechnen lassen, behauptete er nicht
lediglich, zu deren Abrechnung berechtigt zu sein, sondern auch
(zumindest konkludent (...), dass die Voraussetzungen der der Abrechnung zugrundeliegenden Rechtsvorschriften eingehalten worden
seien. Dies entspricht gefestigter Rechtsprechung zum Abrechnungsbetrug bei Vertragsärzten (...), für privatliquidierende Ärzte gilt
nichts anderes. Wer eine Leistung einfordert, bringt damit zugleich
das Bestehen des zugrunde liegenden Anspruchs (...), hier also die
Abrechnungsfähigkeit der in Rechnung gestellten ärztlichen Leistung
zum Ausdruck (...). (...). Lediglich formalrechtliche „Leistungsgewährungsvoraussetzungen“, wie sie als Einschränkungen der zum
Vertragsarztrecht entwickelten „streng formalen Betrachtungsweise“ diskutiert werden (...), sind der Abrechnung privatärztlicher Leistungen auf der Grundlage der an die Person des Leistungserbringers
(...) anknüpfenden GOÄ fremd; auch wenn der zahlende Patient die
Gemäß des Urteils des AG Landsberg am Lech12 war der Angeklagte (A) als Geschäftsführer einer Sanitätshaus GmbH
tätig. Er unterhielt für die Sanitätshaus GmbH zwar Firmenräume, jedoch kein Ladenlokal, das die Abgabe von Hilfsmitteln an Patienten zulassen würde. Die von ihm vertriebenen
Hilfsmittel wurden den Patienten nach ärztlicher Verordnung
in den Praxen abgegeben. A verstieß insoweit insbesondere
gegen § 128 Abs. 1 SGB V, gemäß dem die Abgabe von Hilfsmitteln an Versicherte über Depots bei Vertragsärzten unzulässig ist.13 Die entsprechenden Rezepte wurden von A bei
jeweiligen Versicherungen der gesetzlich versicherten Patienten eingereicht und dort zur Auszahlung gebracht. Das Gericht
sah in diesem Verhalten des A eine konkludente Täuschung,
die einen Vermögensschaden verursacht habe und verurteilte
den Angeklagten wegen Betrugs:
11 BGH Urt. v. 16.6.2014 – 4 StR 21/14.
12 AG Landsberg MedR 2013, 735 f.
13 Luthe MedR 2011, 404, 406; Armbruster in: Eichenhofer/Wenner
SGB V (2013), § 128 Rn. 15; Butzer in: Becker/Kingreen, SGB V
4. Aufl. (2014), § 128 Rn. 8; Schiller Bayerisches Ärzteblatt 2009,
484.
14 AG Landsberg MedR 2013, 735, 736.
15 BGHSt 57, 95. Vgl. zu dieser Entscheidung Schneider/Geiger GesR
2013, 7 ff.; Vorinstanz LG München I, zu den Hintergründen der
Entscheidung, vgl. Wimmer (Oberstaatsanwältin Staatsanwaltschaft
München I) in: AG Medizinrecht im DAV/IMR (Fn. 9), S. 51 ff.;
grundlegend zur Abrechnung privatärztlicher Leistungen und Anwendung der GOÄ im Strafverfahren Dann in: AG Medizinrecht im
DAV/IMR (Fn. 9), S. 31 ff.
NFETUSB #FJUSÊHF
4DIOFJEFS,BMUFOIÊVTFS r "O EFO (SFO[FO EFT LSFBUJWFO 4USBGSFDIUT
Art der Leistungserbringung oder die Art der Abrechnung genehmigen wollte, bestünde dem Grunde nach ein materieller Anspruch
nicht.“16
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Den Sachverhalten der genannten Entscheidungen ist gemeinsam, dass die drei Angeklagten sozialrechtliche, berufsrechtliche oder gebührenrechtliche Regelungen verletzt und die diesen Regelungen zugrundeliegenden normativen Verhaltenserwartungen missachtet haben.
Im Pflegedienstfall hat die Angeklagte gegen die auf sozialrechtlicher Grundlage getroffenen vertraglichen Absprachen,
die der Qualitätssicherung der Versorgung des schwer erkrankten Patienten dienen sollten, vorsätzlich und aus Gewinnerzielungsabsicht verstoßen.
Im Depotfall liegt seitens des verurteilten Geschäftsführers
der Sanitätshaus GmbH ein Verstoß gegen das Depotverbot
des § 128 Abs. 1 SGB V vor. Durch die Abgabe von Hilfsmitteln (§ 33 SGB V), wie zum Beispiel Rückenbandagen, Gehstützen und Rollstühlen über ärztliche Depots (Aufbewahrungsorte, Vorratslager17 ), löst der Geschäftsführer ein Marketingproblem, weil ihm die Patienten seitens des verordnenden
Arztes zugewiesen werden. Außerdem spart er Kosten, weil
er die entsprechenden Räumlichkeiten und das Personal zum
Verkauf der Hilfsmittel nicht selbst vorhalten muss. Obwohl
die Abgabe von Hilfsmitteln über den Vertragsarzt („verkürzter Versorgungsweg“) für die Patienten bequem ist und diesen etwa Wege erspart, hat der Gesetzgeber diese Variante des
Vertriebs von Hilfsmitteln aus Furcht vor Korruption und zur
Verhinderung von Wettbewerbsvorteilen seit 1. April 200918
verboten19 , und normiert nun in § 128 Abs. 1 SGB V, dass
„die Abgabe von Hilfsmitteln an Versicherte über Depots bei
Vertragsärzten (...) unzulässig“ ist.
Der Laborleistungsfall betrifft einen Sachverhalt nicht an den
Kostenträger (privat versicherter oder beihilfeberechtigter Patient) weitergereichter Einkaufsvorteile durch den einsendenden Arzt. Dieser verletzt die einschlägige Regelung des § 4
Abs. 2 GOÄ (in Verbindung mit den allgemeinen Bestimmungen des Abschnittes M), nach denen nur die „Laborgruppe“,
eine Gemeinschaftspraxis, hätte abrechnen dürfen. Zugleich
liegt eine gemäß § 31 BOÄ berufsrechtlich unerlaubte Zuweisung von Untersuchungsmaterial gegen Entgelt vor.
In den drei Fällen werden folglich außerstrafrechtliche Bestimmungen verletzt. In den jeweiligen rechtlichen Referenzsystemen werden an die entsprechenden Verhaltensnormen
(keine Abgabe von Hilfsmitteln über Depots, keine Zuweisung von Patienten und Material usw.) eigenständige Sanktionen geknüpft (z.B.: § 128 Abs. 2 SGB V), für deren Durchsetzung bestimmte Instanzen für zuständig erklärt werden.
Darüber hinaus sind die den Verurteilungen zugrunde liegenden Verhaltensweisen wettbewerbsrechtlich relevant, weil die
verletzten Bestimmungen Marktverhaltensnormen im Sinne
des § 4 Nr. 11 UWG darstellen, deren Verletzung die Geltendmachung von Unterlassungs- und Schadensersatzansprüchen, insbesondere durch Wettbewerber, erlauben.20 Fraglich
ist allerdings, ob das den strafgerichtlichen Entscheidungen
zugrunde liegende Verhalten auch strafbar war.
Die Gerichte subsumieren die drei beispielhaft herangezogenen Fallkonstellationen ohne wesentlichen Begründungsaufwand unter § 263 StGB und bejahen unter Bezug auf
die außerstrafrechtliche Regelverletzung auch das Vorliegen eines Vermögensnachteils: Weil der Angeklagte eine
sozialrechtliche-, gebühren- oder berufsrechtliche Norm verletzt habe, liege auch ein Vermögensschaden vor. Nur formal wird diese Schlussfolgerung auf das Fundament der herrschenden Gesamtsaldierungslehre21 gestützt. Die Zahlung der
Vergütung des Kostenträgers sei nicht durch eine Gegenleistung kompensiert worden, weil die gegen gesetzliche oder berufsrechtliche Bestimmungen verstoßende Leistungserbringung nichts wert sei. Der Wert der Leistung wird demnach
nicht nach strafrechtsinternen Kriterien bemessen, sondern
anhand eines strafrechtsexternen Referenzsystems. Die Begriffsbildungsmethodologie ist nicht autonom, sondern akzessorisch. Das einschlägige Tatbestandsmerkmal des Vermögensschadens hat die Funktion eines Blanketts und wird als
aufnahmefähig für strafrechtsfremde juristische Wertungen
angesehen. Ohne Rücksicht auf das von § 263 StGB geschützte Rechtsgut wird der Betrugstatbestand somit in den Dienst
einer Unterstützung der Funktionsfähigkeit des Gesundheitswesens bzw. des Rechts der Gesetzlichen Krankenversicherung gestellt. Dies wirft grundsätzliche Methodenfragen auf:
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JN 4USBGSFDIU
(SVOEMBHFO
Der Rückgriff auf außerstrafrechtliche Gesetze und Regelungsmaterien zur Bestimmung der Grenzen des Strafbaren
ist dem Strafrecht grundsätzlich nicht fremd und dient unter
16 BGHSt 57, 101. Ebenso wird die Verurteilung wegen Betruges auch
bei der vertragsärztlichen Liquidation begründet, vgl. BGH NStZ
1993, 388: „Rechnet ein Kassenarzt jedoch im Rahmen des vertraglich vereinbarten, für ihn verbindlichen Abrechnungssystems der
BMÄ/E-GO Leistungen unter einer dort genannten Gebührenordnungsnummer ab, so behauptet er - konkludent - nicht nur, dass diese
Leistung unter die Leistungsbeschreibung dieser Gebührennummer
fällt, sondern auch, dass seine Leistung zu den kassenärztlichen Versorgungsleistungen gehört und nach dem allgemeinen Bewertungsmaßstab abgerechnet werden kann“.
17 Luthe MedR 2011, 404, 406; Armbruster in: Eichenhofer/Wenner
SGB V (2013), § 128 Rn. 15; Butzer in: Becker/Kingreen, SGB V
4. Aufl. (2014), § 128 Rn. 8; Schiller Bayerisches Ärzteblatt 2009,
484.
18 Gesetz zur Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-OrgWG) vom 15. Dezember
2008, BGBl. I S. 2426, in Kraft getreten am 1. Januar 2009.
19 Das Ziel der Regelung besteht insbesondere darin, „Fehlentwicklungen in der Zusammenarbeit zwischen Leistungserbringern und Vertragsärzten“ entgegenzutreten (BT-Drucks. 16/10609, S. 58). Schutzzweck ist demnach primär, das Verordnungsverhalten und die Produktauswahl des Arztes von sachfremden wirtschaftlichen Erwägungen freizuhalten und die Wahlfreiheit der Versicherten (insbesondere
bei der Hilfsmittelversorgung) zu gewährleisten. Die Vorschrift ist seit
ihrem Inkrafttreten mehrfach reformiert und verschärft worden. Die
Verbote greifen auch dann ein, wenn keine wirtschaftlichen Eigenvorteile des Arztes gegeben sind und es ausschließlich darum geht,
„für die Versicherten bequemere, schnellere und qualitativ bessere
Versorgungsformen“ zu schaffen, Wabnitz in: Spickhoff (Hrsg.), Medizinrecht (2014), § 128 SGB V Rn. 1; vgl. auch Butzer in: Becker/
Kingreen, SGB V 4. Aufl. (2014), § 128 Rn. 6.
20 Flasbarth in: Orlowski/Rau/Wasem/Zipperer SGB V aktuelle Fassung 36. Aktualisierung (Juli 2014), § 128 Rn. 17; Bäune/Dahm/
Flasbarth MedR 2012, 77 ff; Luthe MedR 2011, 404, 407; Fulda
PharmR 2010, 94 ff.
21 Vgl. BGHSt 15, 342, 343 f.; BGH NJW 1975, 1234, 1235; Dierlamm
in: MüKo, StGB 2. Aufl. (2014), § 266 Rn. 202; Perron in: Schönke/
Schröder, StGB, 29. Aufl. (2014), § 266 Rn. 40; Kindhäuser in: K/
N/P, StGB, 4. Aufl. (2013), § 266 Rn. 100.
NFETUSB 4DIOFJEFS,BMUFOIÊVTFS r "O EFO (SFO[FO EFT LSFBUJWFO 4USBGSFDIUT
anderem dem berechtigten Anliegen, Wertungswidersprüche
in der Rechtsordnung zu vermeiden.22
Auf dem Prinzip der Akzessorietät basieren zunächst die vereinzelt im Kernstrafrecht (§ 264 Abs. 1 Nr. 1 StGB, Verweis
auf die „Rechtsvorschriften über die Subventionsvergabe“)
und insbesondere im Nebenstrafrecht (z.B. § 370 AO23 ) verbreiteten Blanketttatbestände. Sie zeichnen sich dadurch aus,
dass sie zwar eine Strafandrohung vorgeben, das pönalisierte
Verhalten aber gerade nicht (vollständig) aufzeigen, sondern
auf eine „Ausfüllungsnorm“24 verweisen.25 Blankette dienen
vor allem der Vereinfachung der Gesetzestechnik im Sinne
einer Flexibilisierung des Rechts und sollen eine schnelle Anpassung des Strafrechts an Veränderungen in Technik und
Wirtschaft gewährleisten.26 Die Blanketttatbestände werden
im strafrechtswissenschaftlichen Schrifttum weiter ausdifferenziert. So wird zwischen „echten“ und „unechten“27 bzw.
zwischen einfachen und qualifizierten Blanketten unterschieden.28 Bei allen Kategorien stellt sich die Frage der Vereinbarkeit mit dem Bestimmtheitsgrundsatz nach Art. 103 Abs. 2
GG29 , weshalb diesbezügliche Anforderungen an Blankettnormen häufig Gegenstand von Entscheidungen des BVerfG30
sind. Fest steht, dass es dem Gesetzgeber obliegt, einen Tatbestand als Blankett auszugestalten. Die Kennzeichnung als
Blankett im Wortlaut der Sanktionsnorm ist eindeutig, weil jeweils auf die so genannte „Ausfüllungsnorm“ verwiesen wird.
Die zweite Möglichkeit des Gesetzgebers, auf Wertungen und
Regelungen anderer Rechtsgebiete Bezug zu nehmen, besteht
in Gestalt der Verwendung so genannter normativer Tatbestandsmerkmale. Ein klassisches Beispiel für eine derartige
„konkludente Verweisung“31 stellt das Merkmal „fremd“ in
§§ 242, 246, 249 StGB dar, das sich vollständig an das Zivilrecht anschließt32 und dessen Wertungen, wie etwa der Einbezug des Sicherungseigentums in den Schutzbereich der genannten Eigentumsdelikte zeigt, übernimmt. Das Gegenstück
zu den normativen bilden die deskriptiven Tatbestandsmerkmale, wobei die Abgrenzung zwischen den beiden Merkmalstypen im Einzelnen streitig ist. Die meisten Begriffe haben sowohl deskriptive als auch normative Komponenten, die in der
Auslegung des entsprechenden Merkmals sichtbar gemacht
werden können33 .
Hinsichtlich der rein deskriptiven Merkmale oder der deskriptiven Aspekte in gemischt normativ-deskriptiven Tatbestandsvoraussetzungen kommt eine blinde Übernahme strafrechtsfremder Wertungen nicht in Betracht, sondern es bedarf einer strafrechtsautonomen Analyse an den für die Auslegung
der Strafgesetze maßgeblichen verfassungsrechtlichen Prinzipien. Diese drosseln die bei der Auslegung mögliche Kreativität und verschließen die Norm vor der Integration bestimmter kriminal- oder sozialpolitischer Ordnungsvorstellungen.
Hierbei ergeben sich strafrechtsinterne Grenzen insbesondere
aus dem Wortlaut sowie aus Sinn und Zweck der Norm. So ist
zum Beispiel ein Tier eine Sache im Sinne des § 24234 bzw.
des § 303 StGB35 , auch wenn § 90a S. 1 BGB postuliert, dass
Tiere keine Sachen sind. Dies ergibt sich daraus, dass Tiere
um ihres Schutzes Willen zu den „Sachen im strafrechtlichen
Sinne“36 gehören und nicht deshalb, weil § 90a S. 2 BGB die
für Sachen geltenden Vorschriften entsprechend für anwendbar erklärt37 .
Soweit man auch bei deskriptiven Merkmalen im Strafrecht
eine Akzessorietät erwägt, ist diese, wie Lüderssen zuerst zutreffend hervorgehoben hat, „asymmetrisch“: „Was im Zivilrecht erlaubt ist, darf (also) nicht zu einem strafrechtlichen
Verbot führen. Was im Zivilrecht verboten ist, kann gleichwohl ohne Strafe bleiben.“38 Insoweit kommt dem Zivilrecht
NFETUSB #FJUSÊHF
allenfalls39 eine die strafrechtliche Verantwortlichkeit begrenzende, jedoch keine haftungserweiternde Funktion zu. Dasselbe gilt im Verhältnis zum Sozialrecht bzw. zum Recht der
Gesetzlichen Krankenversicherung. Eine wirtschaftliche Betätigung des Arztes, die das Gesetz ausdrücklich erlaubt, kann
nicht durch das Strafrecht für verboten erklärt werden40 . Es
geht folglich bei der Lehre von der asymmetrischen Akzess22 Eine „Befreiung des Strafrechts vom zivilistischen Denken“ ist daher grundsätzlich nicht angezeigt. Das Plädoyer hierfür (Bruns, Die
Befreiung des Strafrechts vom zivilistischen Denken (1938) verfolgte im Nationalsozialismus das übergeordnete Anliegen, „das volkstümliche Rechtsdenken“ im Strafrecht durchzusetzen, das Strafrecht
hierdurch zu entfesseln und dem totalitären Denken unterzuordnen.
Insofern galt es, das so genannte „formale Rechtsdenken“ insbesondere des Zivilrechts, das nach nationalsozialistischer Ideologie stellvertretend für den zu überwindenden liberalen Rechtsstaat (Analogieverbot, nulla poena) und die individuelle Rechtssicherheit stand, zu
verdrängen und zu eliminieren (näher und mit weiteren Nachweisen:
Pauli, Die Rechtsprechung des Reichsgerichts in Strafsachen zwischen 1933 und 1945 und ihre Fortwirkung in der Rechtsprechung
des Bundesgerichtshofs (1945), S. 42 ff.). Bruns bringt diese Zielsetzung bereits im „Vorspruch“ seiner Habilitationsschrift mit Zitaten
von Schaffstein und Freisler zum Ausdruck.
23 Vgl. zu den verschieden ausgestalteten Blankettmerkmalen der Norm
Schmitz/Wulf in: MüKo, StGB, 1. Aufl. (2010), § 370 AO Rn. 323 ff.
24 Böxler, Markenstrafrecht (2013), S. 247.
25 Vgl. dazu Binding, Die Normen und ihre Übertretung I (1916),
S. 161 f.; Roxin, StrafR AT I (2006), § 5 Rn. 40; Krey, StrafR AT
(2011), Rn. 128; Seebode in: Festschrift für Wilfried Küper zum 70.
Geburtstag (2007), S. 580; Schmitz in: MüKo, StGB, 2. Aufl. (2011),
§ 1 Rn. 19; Lackner in: Lackner/Kühl, StGB, 28. Aufl. (2014), § 1
Rn. 2; Otto Jura 2005, 538.
26 Schneider in: Brettel/Schneider (Fn. 8), Rn. 85; Hohmann ZIS 2007,
42 f. Aufgrund des Verweisungscharakters bezeichnet Lange JZ 1956,
76 Blankettnormen auch als „offene Tatbestände“.
27 Otto Jura 2005, 538 f.
28 Schneider in: Brettel/Schneider (Fn. 8), § 1 Rn. 86.
29 Eingehend dazu Otto Jura 2005, 538 f. und Hohmann ZIS 2007, 43 ff.
Bereits Binding (Fn. 25), S. 162 sah die Gefahr der Rechtsunsicherheit bei Blankettnormen: „(...) dass ferner dieses Verbot dem Erlass
des Strafgesetzes erst nachfolgen kann, wo denn das Strafgesetz einstweilen wie ein irrender Körper seine Seele sucht; dass es von dem
Belieben der betreffenden Behörde abhängt, was sie auf das Blankett
schreiben will; dass dieses Verbot während der Dauer des Strafgesetzes sich vollständig umwandeln kann und dass somit nach demselben Strafgesetz morgen ein Verbrechen ist, was gestern ein Gebot
war (...)“.
30 Vgl. etwa aus der neueren Rechtsprechung BVerfGE 126, 170; BVerfG
NJW 2010, 754; BVerfGE 78, 205.
31 Hohmann ZIS 2007, 39.
32 Lüderssen in: Arnold u.a. (Hrsg.): Festschrift für Albin Eser zum 70.
Geburtstag (2005), S. 163, 170 ff.
33 Roxin (Fn. 25), § 10 Rn. 57 ff.
34 Vgl. Schmitz in: MüKo, StGB, 2. Aufl. (2012), § 242 Rn. 26.
35 Vgl. Stree/Hecker in: Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl. (2014),
§ 303 Rn. 3.
36 BayObLG NJW 1993, 2760.
37 Schnapp in: Duttge (Fn. 4), S. 47 ff., 66.
38 Lüderssen in: Dölling (Hrsg): Festschrift für Ernst-Joachim Lampe
zum 70. Geburtstag (2003), S. 767, 729; ders, in: Arnold u.a. (Fn. 32),
S. 163, 170. Ferner Günther in: Heinrich u.a. (Hrsg.): Festschrift für
Ulrich Weber zum 70. Geburtstag (2004), S. 311, 314: „Das Strafrecht
verhält sich gegenüber dem Wirtschaftsrecht limitiert akzessorisch.
Es kann nicht bei Strafe verbieten, was das Wirtschaftsrecht erlaubt.
(...). Das wirtschaftsrechtliche Verbot ist eine notwendige, aber noch
keine hinreichende Bedingung“ für die Strafbarkeit; Schneider in:
Duttge (Fn. 4), S. 35 ff.; Schnapp in: Duttge (Fn. 4), S 47, 66.
39 Für die Fallgruppe der neutralen Handlungen als Beihilfe zu fremder
Tat ist dies freilich umstritten, vgl. Schneider NStZ 2004, 312 ff.
40 Schneider in: Duttge (Fn. 4), S. 35 ff. Die Problematik stellt sich heute insbesondere bei den Kooperationsverträgen, die niedergelassene
Ärzte mit Krankenhäusern unterhalten. Der Gesetzgeber hat die entsprechenden wirtschaftlichen Handlungsfelder jüngst erweitert. Dies
muss auch das Strafrecht respektieren. Näher Schneider/Ebermann
HRRS 2013, 219 ff.
#FJUSÊHF
4DIOFJEFS,BMUFOIÊVTFS r "O EFO (SFO[FO EFT LSFBUJWFO 4USBGSFDIUT
orietät vor allem um eine Vermeidung von Wertungswidersprüchen, die dann drohen, wenn das Strafrecht das Zivil- oder
Sozialrecht „überholt“ und eine dort gestattete wirtschaftliche
Betätigung „zur Verbotsmaterie erklärt“.41
%FS #FUSVHTUBUCFTUBOE VOE EBT .FSLNBM EFT
7FSNÚHFOTTDIBEFOT
Nach dem oben Gesagten dürfte unstreitig sein, dass es
sich bei § 263 StGB nicht um ein Blankett handelt und die
sozial- und gebührenrechtlichen Abrechnungsprämissen folglich nicht unmittelbar als „Ausfüllungsnormen“ herangezogen
werden dürfen. Insoweit fehlt es schon an einem entsprechenden Verweis in der Sanktionsnorm (§ 263 StGB) und der Entscheidung des Gesetzgebers, § 263 StGB als Blankett auszugestalten.
Ein „Import“ der sozial- und gebührenrechtlichen Wertungen
könnte allenfalls dann in Betracht kommen, wenn es sich bei
dem zentralen Begriff des Vermögensschadens, in dem die
„streng formale Betrachtungsweise“ der Rechtsprechung verankert ist, um ein normatives Tatbestandsmerkmal handelt,
das für die entsprechenden rechtlichen Wertungen zugänglich
ist. Nach dem hier vertretenen Standpunkt ist das Merkmal
sowohl durch normative als auch durch deskriptive Elemente gekennzeichnet und es ist zwischen dem Begriff des Vermögens und dem des Schadens zu unterscheiden: Legt man
den Begriff des Vermögens im Sinne der herrschenden juristisch-ökonomischen Vermittlungslehre42 aus, wird dessen
Schutz durch § 263 StGB akzessorisch auf solche Güter begrenzt, die einer Person in „rechtlich schutzwürdiger Weise“
zugeordnet sind.43 Der Terminus Vermögen ist folglich als primär normatives Merkmal ausgestaltet. Vermögen kann man
zwar (in der Regel) sinnlich wahrnehmen (deskriptive Komponente des Begriffes). Welche Gegenstände unter den Begriff
Vermögen im Einzelnen fallen, bestimmt sich aber nach der
Rechtsordnung.
Die dargelegte Argumentation kann indessen zur Stützung der
„streng formalen Betrachtungsweise“ und für die Aufnahme
der sozial- und berufsrechtlichen Wertungen in den Schadensbegriff nicht herangezogen werden, weil der Begriff des von
§ 263 StGB geschützten Vermögens die Sphäre des Opfers
betrifft. Sowohl der Patient als auch der Kostenträger bei der
Behandlung gesetzlich versicherter Patienten haben Geld verloren, das für die Behandlung bzw. das Hilfsmittel aufgewendet wurde. Dies ist unstreitig geschütztes Vermögen im Sinne
des § 263 StGB.
Der Begriff des Schadens, für den die herrschende Meinung
und ständige Rechtsprechung zurecht auf die Saldierungslehre44 abstellen, ist ebenfalls durch deskriptive und normative
Elemente gekennzeichnet. Im Unterschied zum Begriff des
Vermögens erfordert das normative Element des Schadensbegriffs allerdings in erster Linie eine Bewertung anhand ökonomischer Kategorien. Nicht anhand des Rechts, sondern anhand
wirtschaftlicher Parameter45 ist daher festzustellen, welchen
Wert der Vermögenszufluss hat und ob er den Abfluss aus dem
Opfervermögen kompensiert.46
Von diesem Grundsatz wird von der Rechtsprechung in den
Fallgruppen des „individueller Schadenseinschlags“47 zwar
eine Ausnahme gemacht. Diese ist – unabhängig von der
grundsätzlichen Tragfähigkeit der diesbezüglichen Position
der Rechtsprechung48 - aber in den vorliegenden Konstellationen des Abrechnungsbetruges nicht einschlägig. Denn Ratio
für den in Einzelfällen49 angenommenen Bruch mit der rein
ökonomischen Bewertung der Zuflussseite ist stets der subjektive Nutzen der erlangten Vermögensposition für das Opfer,
der in den der „streng formalen Betrachtungsweise“ zugrunde
liegenden Fällen regelmäßig nicht streitig ist.
Fraglich ist folglich der wirtschaftliche Wert des Vermögenszuflusses, der bei privat Versicherten beim Patienten, bei gesetzlich versicherten Patienten bei der jeweiligen Krankenkasse entsteht. Bei Privatpatienten geht es folglich um die Bemessung des wirtschaftlichen Wertes der Behandlungsleistung für
den konkreten Patienten, während bei GKV-Patienten zu prüfen ist, ob die Kassen von dem Sachleistungsanspruch ihres
Patienten befreit worden sind. Denn der gesetzlich versicherte
Patient hat nach dem heute in § 2 Abs. 2 S. 1 in Verbindung
mit § 11 SGB V normierten Strukturprinzip der Sachleistung
einen Anspruch auf konkrete Gesundheitsleistungen. Demzufolge sind die gesetzlichen Krankenkassen im Versicherungsfall nicht lediglich zur Leistung von Geldzahlungen verpflichtet, sondern haben ihren Mitgliedern die Gesundheitsleistungen vielmehr als Sach- und Dienstleistungen zur Verfügung
zu stellen.
Liegt diese Befreiung von einer Verbindlichkeit vor, ist der
Vermögensabfluss entsprechend kompensiert und es ist kein
Schaden entstanden. Für die eingangs genannten Fallkonstellationen ergibt sich aus der gebotenen wirtschaftlichen Analyse des Vermögenszuflusses auf Seiten des Kostenträgers der
medizinischen Versorgung folgendes:
*7 ,POTFRVFO[FO GàS EJF ESFJ 'BMMLPOTUFMMBUJPOFO
v1ýFHFEJFOTUGBMMi #FTDIMVTT EFT 4USBGTFOBUT EFT
#() WPN +VOJ Im Pflegedienstfall ist, soweit nicht Luftleistungen abgerechnet wurden (unproblematischer Normalfall des § 263 StGB),
41 Lüderssen in: Dölling (Fn. 38), S. 728.
42 Vgl. dazu eingehend Hefendehl in: MüKo, StGB, 2. Aufl. (2014),
§ 263 Rn. 353 ff.
43 Kindhäuser, LPK, StGB, 6. Aufl. (2015) – bereits erschienen, § 263
Rn. 122.
44 Näher und mit weiteren Nachweisen Dierlamm in: MüKo, StGB,
2. Aufl. (2014), § 266 Rn. 202; BGHSt 30, 388, 389; BGH NStZ
1997, 32, 33; BGH NStZ 1999, 353, 354; Cramer/Perron in: Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl. (2014), § 263 Rn. 99 ff.; Duttge, in: NK
Gesamtes Strafrecht 3. Aufl. (2013), § 263 Rn. 56 f.; Hefendehl in:
MüKo, StGB, 2. Aufl. (2014), § 263 Rn. 489 ff.; Lackner in: Lackner/
Kühl, StGB, 28. Aufl. (2014), § 263 Rn. 36 ff.
45 Tiedemann in: Heinrich u.a. (Fn. 38), S. 327 spricht vergleichbar von
der gebotenen wirtschaftlichen Schadensbetrachtung.
46 Deshalb liegt ein Schaden auch in den der „Makeltheorie“ zugrunde
liegenden Fallkonstellationen vor. Denn die gegebenen Prozessrisiken, denen das Opfer ausgesetzt ist, (z.B. Klage des Eigentümers auf
Herausgabe der vom Opfer erlangten Sache) lassen sich ökonomisch
bewerten, vgl. hierzu Perron in: Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl.
(2014), § 263, Rn. 111; Hefendehl in: MüKo, StGB, 2. Aufl. (2014),
§ 263 Rn. 650; Lackner in: Lackner/Kühl, StGB, 28. Aufl. (2014),
§ 263 Rn. 43.
47 Vgl. dazu den so genannten „Melkmaschinenfall“ bei BGHSt 16, 321.
48 Kritisch mit beachtlichen Argumenten: Tiedemann in: LeiKo, StGB,
12. Aufl. (2012), § 263 Rn. 177 ff. sowie Gaede in: AnwaltKommentar, StGB, (2011), § 263 Rn. 139: „Lehre vom individuellen Schadenseinschlag“ als „Teil einer i.S. des Art. 103 Abs. 2 GG entgrenzend
zu nennenden (...) Schadensnormativierung über lediglich terminologisch verschleierte Gefährdungsargumente (...)“.
49 Nach BGHSt 16, 321 kommen als solche in Betracht, dass das Opfer „die angebotene Leistung nicht oder nicht in vollem Umfange zu
dem vertraglich vorausgesetzten Zweck oder in anderer zumutbarer
Weise verwenden kann oder durch die eingegangene Verpflichtung zu
vermögensschädigenden Maßnahmen genötigt wird oder infolge der
Verpflichtung nicht mehr über die Mittel verfügen kann, die zur ordnungsmäßigen Erfüllung seiner Verbindlichkeiten oder sonst für eine
seinen persönlichen Verhältnissen angemessene Wirtschaftsführung
oder Lebensführung unerläßlich sind“.
NFETUSB 4DIOFJEFS,BMUFOIÊVTFS r "O EFO (SFO[FO EFT LSFBUJWFO 4USBGSFDIUT
die pflegerische Leistung erbracht worden. Für den in der
Vergangenheit liegenden und vergüteten Zeitraum ist die
Kranken- und Pflegekasse des Patienten folglich von dem entsprechenden Sachleistungsanspruch ihres Versicherten befreit
worden. Dieser Zufluss im Vermögen der Kasse ist nach der
Saldierungslehre und der gebotenen wirtschaftlichen Betrachtung in jedem Fall zu berücksichtigen. Vor diesem Hintergrund liegt eine unzulässige Normativierung eines deskriptiven Tatbestandsmerkmals vor, wenn der BGH unter Bezug
auf die „streng formale Betrachtungsweise“ und aufgrund der
„verletzten vertraglichen Vorgaben“ den Wert der durchgeführten Pflegemaßnahmen mit Null beziffert.
Fraglich ist allenfalls, ob der Kasse ein Schaden in Höhe der
Differenz zwischen der für die qualifizierte Kraft angemessenen 32,- bzw. 29,- EUR und dem Stundensatz für die minder qualifizierte Mitarbeiterin entstanden ist. Im strafrechtswissenschaftlichen Schrifttum wird dies unter Bezug auf ein
„leistungsbezogenes Schadenselement“ bejaht. Mit dem von
Volk in die Diskussion um den Vertragsarztabrechnungsbetrug
eingeführten Begriff des „leistungsbezogenen Schadenselements“ wird der Sache nach auf die Grundlagen der Schadensermittlung beim so genannten „Anstellungsbetrug“ zurückgegriffen. Bemisst sich der Wert einer Arbeitsleistung auch
am Vorliegen einer bestimmten Ausbildung und Qualifikation, kann sich danach ein den Arbeitgeber über das Vorliegen
der Qualifikation täuschender Arbeitnehmer auch dann wegen Betruges strafbar machen, wenn er fachlich in der Lage
ist, die arbeitsvertraglich geschuldete Leistung zu erbringen.50
Analog soll nach Volk ein Schaden beim Abrechnungsbetrug
dann vorliegen, wenn der „Abrechnungsfehler leistungsbezogen“51 ist. Denn soweit „die Qualifikation dessen, der die
Leistung erbringt, zu den wertbildenden Faktoren“ gehöre, sei
eine Leistung, die von einem nicht Qualifizierten ausgeführt
werde, minderwertig, so dass schon nach den „allgemeinen
Regeln zum Betrug“ ein Schaden vorliege52 . Dem Standpunkt
Volks ist im Grundsatz zuzustimmen. Soweit der Verkehr den
Wirtschaftswert einer Leistung nicht nur nach ihrem Resultat,
sondern auch nach der Qualifikation des Leistenden bemisst,
kann auch nach der gebotenen wirtschaftlichen Betrachtungsweise ein Schaden bestehen. Allerdings werden der „leistungsbezogenen“ Schadensfeststellung bei medizinisch-fachlich einwandfreien Leistungen enge Grenzen zu ziehen sein.53
Denn der entscheidende wirtschaftliche Ausgangspunkt besteht auch hier in der Frage, ob die Krankenkasse des Patienten von dessen Sachleistungsanspruch befreit wurde. Dies ist
vorliegend der Fall, weil die pflegerischen Leistungen (im Unterschied beispielsweise zu diagnostischen Leistungen durch
nicht fachkundiges Personal) nicht nachgeholt oder überprüft
werden müssen.
Nach dem hier vertretenen Standpunkt wurde die Angeklagte (A) in dem genannten Tatkomplex zu Unrecht verurteilt.
Nach der Lehre Volks wäre zumindest im Rahmen der Strafzumessung zu berücksichtigen, dass der verursachte Schaden
nicht in der Gesamthöhe der an A ausgekehrten Pflegesätze,
sondern nur in Höhe der Differenz zwischen den vereinbarten Stundensätzen für qualifiziertes und den angemessenen
Sätzen für das von A herangezogene Personal bestünde.
v%FQPUGBMMi 6SUFJM EFT "( -BOETCFSH BN -FDI WPN
+BOVBS Unhaltbar ist die Argumentation des AG Landsberg, das in
seinem Urteil den Schaden unmittelbar aus der Verletzung der
Regelungen über das Depotverbot, § 128 Abs. 1 SGB V, ableitet. Der Patient hat im Rahmen der medizinischen Notwendigkeit und der Berücksichtigung des Wirtschaftlichkeitsgebots
einen gegen seine Versicherung gerichteten Anspruch auf die
NFETUSB #FJUSÊHF
Versorgung mit Hilfsmitteln. Von diesem ist die Kasse mit der
Aushändigung der Hilfsmittel befreit worden. Dieser Vermögenszuwachs ergibt sich völlig unabhängig von der Frage, ob
die Hilfsmittel aus einem Depot oder über ein Sanitätshaus
abgegeben wurden. Der angeklagte Geschäftsführer kann gemäß § 128 Abs. 3 SGB V zur Verantwortung gezogen werden.
Strafbar hat er sich nicht gemacht.
v-BCPSMFJTUVOHTGBMMi #FTDIMVTT EFT 4USBGTFOBUT
EFT #() WPN +BOVBS Auch im Laborleistungsfall liegt eine unzulässige Normativierung des Schadensmerkmals vor. Die erbrachte Laborleistung ist ihr Geld wert. Sie kompensiert den Vermögensabfluss auf Seiten des (privat versicherten) Patienten, weil sie
für die Diagnostik und Therapie verwendet werden kann, völlig unabhängig davon, wer die Leistung abgerechnet hat. Auch
die Lehre vom leistungsbezogenen Schadenselement kommt
zu keinem anderen Ergebnis. Es bleibt bei der Zuweisung
von Material gegen Entgelt, die berufsrechtlich sanktionierbar, nicht aber (nach gegenwärtiger Rechtslage54 ) strafrechtlich relevant ist.
Unter einem wirtschaftlichen Blickwinkel ergibt sich etwas
anderes allenfalls dann, wenn der abrechnende Arzt nur vorgibt, Inhaber der Forderung auf Erstattung der Laborleistung
zu sein, der Patient somit auf eine (die erhaltene Leistung nicht
kompensierende) Nichtschuld geleistet hat und die Gefahr einer doppelten Inanspruchnahme durch das Labor besteht. Die
genannte Konstellation ist theoretisch denkbar und wäre durch
das Gericht im Einzelnen nachzuweisen. Praktisch relevant ist
sie indessen nicht. Denn das Modell der Zuweisung von Material gegen Entgelt funktioniert nur, wenn beide Seiten der
getroffenen „Unrechtsvereinbarungen“ gegenüber dem Rechnungsempfänger Stillschweigen bewahren und die Laborleistung nur einmal abrechnen.55
7 "VTCMJDL %FS CBZFSJTDIF &OUXVSG EFT f B 4U(#
%JF HFHFOXÊSUJHF 3FGPSNEJTLVTTJPO VOE JISF
)JOUFSHSàOEF
Während demnach § 263 StGB nach ständiger Rechtsprechung durch Argumentationsfiguren wie „streng formale Betrachtungsweise“ geöffnet wird, um sozialrechtliche Wertungen in den Tatbestand einzuschleusen, soll der gegenwärtig
diskutierte bayerische Entwurf des § 299a StGB – ein Tatbestand zur Erfassung der so genannten Ärztekorruption – von
50 Zur Fallgruppe des „Anstellungsbetruges“ vgl. Cramer/Perron in:
Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl. (2014), § 263 Rn. 153 ff.; Duttge
in: NK Gesamtes Strafrecht 3. Aufl. (2013), § 263 Rn. 58; Hefendehl in: MüKo, StGB, 2. Aufl. (2014), § 263 Rn. 567 ff.; Lackner in:
Lackner/Kühl, StGB, 28. Aufl. (2014), § 263 Rn. 52.
51 Volk NJW 2000, 3385 ff.
52 Volk NJW 2000, 3385, 3387.
53 Ausführlich: Schneider in: Duttge (Fn. 4), S. 35 ff.
54 Mögliche Korruptionsdelikte sind deshalb nicht einschlägig, weil diese auf den niedergelassenen Arzt nicht anwendbar sind, BGHSt 57,
202; ferner dazu Schneider Neue Kriminalpolitik 2012, 30 ff. (kritisch bereits zu den Vorlagebeschlüssen); Schneider/Eberhardt KU
Gesundheitsmanagement 12/2012, 38 f.
55 Scharfsinnige zivilrechtliche Analyse der Fallkonstellation bei Wimmer in: AG Medizinrecht im DAV/IMR (Fn. 9), S. 51, 56 ff.
#FJUSÊHF
4DIOFJEFS,BMUFOIÊVTFS r "O EFO (SFO[FO EFT LSFBUJWFO 4USBGSFDIUT
vornherein als Blankett und damit sozialrechts- und berufsrechtsakzessorisch ausgestaltet werden.56 Ziel des Gesetzes ist
es, eine Lücke im Schutz der Korruptionsdelikte, die insbesondere auf eine enge Fassung des geltenden § 299 StGB zurückzuführen ist, durch Einführung eines neuen Tatbestandes zu
schließen. § 299 StGB schließt in der gegenwärtig geltenden
Fassung Freiberufler und andere Selbständige aus dem Anwendungsbereich des Sonderdeliktes aus, weil der Kreis der
möglichen Täter (in der hier maßgeblichen Alternative) auf
Beauftragte geschäftlicher Betriebe eingegrenzt wird. Auch
im Rahmen der neben der Diskussion um die Einführung des
§ 299a StGB betriebenen Reform des § 299 StGB57 soll hieran
nichts geändert werden, obwohl durch eine Öffnung des § 299
StGB und den Einbezug des Handelns im Auftrag von Privatpersonen selektives Strafrecht zur Kriminalisierung einer bestimmten Berufsgruppe von vornherein obsolet wäre.58 Die
Verschonung zum Beispiel von Rechtsanwälten und Architekten bei gleichzeitiger (medienwirksamer) Kriminalisierung
der Ärzte ist verfassungsrechtlich bedenklich, weil für die Unterscheidung zwischen diesen Berufsgruppen kein sachliches
Differenzierungskriterium besteht.59
Darüber hinaus enthält der nachstehend zitierte bayerische
Entwurf des § 299a StGB Aufspaltungen, die zu einer weiteren selektiven Verfolgung bzw. Verschonung einzelner Akteure im Gesundheitswesen (und ihrer Kooperationspartner)
auf der Geberseite der möglichen Unrechtsvereinbarung führen.
(FQMBOUF *OJUJBUJWF FJOFT f B 4U(# BVT #BZFSO
Der Regelungsentwurf lautet in Abs. 1:
„§ 299a Bestechlichkeit und Bestechung im Gesundheitswesen
(1) Wer als Angehöriger eines Heilberufs, für den im Inland eine berufsständische Kammer eingerichtet ist, im Zusammenhang mit der
Ausübung dieses Berufs einen Vorteil für sich oder einen Dritten als
Gegenleistung dafür fordert, sich versprechen lässt oder annimmt,
dass er bei dem Bezug, der Verordnung, der Empfehlung, der Verabreichung oder der Abgabe von Arznei-, Heil- oder Hilfsmitteln oder
Medizinprodukten oder bei der Zuführung von Patienten oder Untersuchungsmaterial
1. einen anderen im inländischen oder ausländischen Wettbewerb in
unlauterer Weise bevorzuge oder
2. in sonstiger Weise seine Berufsausübungspflichten verletze, wird
mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“60
Abs. 2 ist spiegelbildlich aufgebaut und erfasst die Tathandlung „anbieten, versprechen oder gewähren“ der Vorteilsgeber.
7FSGBTTVOHTSFDIUMJDIF VOE LSJNJOBMQPMJUJTDIF
,SJUJLQVOLUF BN v#BZFSJTDIFO &OUXVSGi
§ 299a StGB ist als Sonderdelikt ausgestaltet und bezieht sich
auf Angehörige eines Heilberufs, für die im Inland eine berufsständische Kammer eingerichtet ist. Der Begriff des „Heilberufs“ (vgl. § 1 Abs. 2 Heilpraktikergesetz) schließt die Angehörigen von Heilhilfsberufen von vornherein vom Anwendungsbereich der Vorschrift aus. Gesundheits- und (Kinder-)
Krankenpfleger, Altenpfleger, Hebammen, Logopäden, Masseure, Ergotherapeuten, MTRA, MFA, MTA, PTA usw. sind
daher nicht erfasst61 , obwohl insbesondere die Pflege in der
Praxis erheblichen Korruptionsrisiken ausgesetzt ist (Vertriebsförderung bei Heil- und Hilfsmitteln, Überleitungsmanagement, Kooperation mit Bestattungsunternehmen usw.)62 .
Kriminalisiert werden demgegenüber die Angehörigen akademischer Heilberufe, für die Kammern eingerichtet sind, d.h.
insbesondere Ärzte, Zahnärzte, Psychotherapeuten, Tierärzte und Apotheker (vgl. zum Beispiel § 2 Abs. 1 Sächsisches
Heilberufekammergesetz).
56 Der Vorschlag knüpft an die parlamentarische Diskussion der letzten Legislaturperiode an, vgl. BT-Drucks. 17/3685 vom 10. November 2010 (Gesetzesantrag der SPD-Fraktion: „Korruption im Gesundheitswesen wirksam bekämpfen“); BT-Drucks. 17/13080 vom
16. April 2013 (Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und
FDP: „Entwurf eines Gesetzes zur Förderung der Prävention“); BRDrucks. 451/13 vom 5. Juli 2013 (Gesetzesantrag der Länder Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern: „Entwurf eines Strafrechtsänderungsgesetzes zur Bekämpfung der Korruption im Gesundheitswesen“; kritisch zu diesen Entwürfen Schneider HRRS 2013, 473 ff.
57 Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz „Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Korruption“ vom 13. Juni 2014, S. 5, 21 f.; kritisch dazu Kneisel Neue
Kriminalpolitik 2014, 325 ff. wonach zwar der Wortlaut, aber nicht
der praktische Anwendungsbereich von § 299 StGB verändert würde.
58 Näher Schneider HHRS 2013, 480 mit Hinweis auf den plausiblen
Reformvorschlag von Erb in: v. Geisler u.a. (Hrsg.), Festschrift für
Klaus Geppert zum 70. Geburtstag (2011), S. 111 f. Denn es wäre ausreichend, den Täterkreis auf Vertrags- und Privatärzte zu erweitern.
Etwa die Merkmale „Bezug von Waren und gewerblichen Leistungen“ würden keinen Hinderungsgrund darstellen. Vgl. auch Pragal
NStZ 2005, 135: „Die übrigen Tatbestandsmerkmale des § 299 StGB
sind dagegen so unproblematisch erfüllt (...)“. Vgl. dagegen Müller,
Der niedergelassene Vertragsarzt als (un-)tauglicher Täter der Bestechungsdelikte (2013), S. 259 ff., wonach der „Bezug“ jedenfalls nicht
durch den Vertragsarzt, sondern durch die Krankenkasse erfolge.
59 Schneider HRRS 2013, 478. Vgl. dagegen Kubiciel KPKp 5/2014, 3:
„Eine ungerechtfertigte „Diskriminierung“ von Ärzten und Apothekern gegenüber Angehörigen anderer freier Berufe, für die §§ 299,
299a StGB nicht gelten (werden), liegt nicht vor. Denn Architekten oder Rechtsanwälte operieren nicht in Strukturen mit einer derart
großen sozialen Bedeutung und hohen Korruptionsanfälligkeit“. Betrachtet man hingegen die (sichtbare) Korruptionsbelastung im Gesundheitswesen und im Baugewerbe, kann diese Behauptung in Frage gestellt werden. Denn während ausweislich des Bundeslagebildes Korruption 2013, S. 13 lediglich 2,5 % der Geber dem Bereich
des Gesundheitswesens zugeordnet werden können, entstammen dem
Baugewerbe 14,4 % aller Geber. Insofern wäre es wiederum angezeigt, auch andere Berufsgruppen wie etwa Architekten in den Anwendungsbereich einer neuen Norm einzubeziehen.
60 Diskussionsentwurf des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz
„Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Korruption im Gesundheitswesen“ vom 25. Juli 2014.
61 Nach gegenwärtiger Rechtslage fallen die Angehörigen von Heilhilfsberufen unter § 299 StGB, wenn sie Angestellte eines geschäftlichen Betriebes bzw. unter §§ 331 ff. StGB, wenn sie Amtsträger sind.
§ 299a StGB könnte insoweit als spezielleres Gesetz eine Sperrwirkung entfalten. Wenn der Gesetzgeber Korruption im Zusammenhang
mit der Ausübung der Heilkunde nur dann bestrafen will, wenn der
Vorteilsnehmer Angehöriger eines Heilberufes und nicht Angehöriger eines Heilhilfsberufes ist, liegt es nahe, diese Wertung unabhängig
davon umzusetzen, ob der Täter Angestellter, Selbstständiger oder
Amtsträger ist. Der Gesetzesentwurf würde daher partiell zu einer
(wohl nicht bedachten) Entkriminalisierung bei den Angehörigen von
Heilhilfsberufen führen.
62 So spricht der Diskussionsentwurf des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz „Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Korruption im Gesundheitswesen“ vom 25. Juli 2014, S. 14 davon, dass
nach geltendem Recht „Ärzte und andere Angehörige der Heilberufe“
aus dem Anwendungsbereich des Korruptionsstrafrechts herausfielen. Dass auch die Heilhilfsberufe von Korruption belastet sein können, soll dagegen nur von untergeordneter Bedeutung sein: „Ihrer
Tätigkeit kommt damit anders als bei den akademischen Heilberufen keine vergleichbare wirtschaftliche Bedeutung für andere Leistungserbringer auf dem Gesundheitsmarkt zu“, Diskussionsentwurf
des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz „Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Korruption im Gesundheitswesen“ vom
25. Juli 2014, S. 21. Vielmehr komme es darauf an, „das Vertrauen der
Allgemeinheit in die Integrität der Ärzte und gleichstehender Heilberufe“ und damit in „akademische Heilberufe“ zu schützen, Diskussionsentwurf des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz „Entwurf
eines Gesetzes zur Bekämpfung der Korruption im Gesundheitswesen“ vom 25. Juli 2014, S. 15, 17. Dieses Vorgehen kontrastiert bereits
den Titel des Entwurfes, der vermutet lässt, dass das gesamte Gesundheitswesen erfasst sein soll. Kritisch dazu auch Kubiciel KPKp
5/2014, 11 f.
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Der Vorschlag knüpft in § 299a Abs. 1 Nr. 2 StGB ferner daran
an, dass Angehörige eines Heilberufes gegen berufsrechtliche
Pflichten verstoßen. Offensichtlich soll § 299a Abs. 1 Nr. 2
StGB daher Fallkonstellationen erfassen, bei denen die Unrechtsvereinbarung gemäß § 299a Abs. 1 Nr. 1 StGB nicht
nachweisbar ist. Bei § 299a Abs. 1 Nr. 2 StGB handelt es
sich demgemäß (vergleichbar § 331 StGB) um einen „Klimaschutztatbestand“, der schon bei dem Anschein der Käuflichkeit eingreifen soll. Infolge des Verweises auf Berufsausübungspflichten ist er als „echtes“ Blankett ausgestaltet und
bezieht sich auf die Ausfüllungsnormen aus dem SGB V und
insbesondere die Berufsordnungen der Landesärztekammern.
Dies wirft hinsichtlich des Anwendungsbereichs der Norm
weitere verfassungsrechtlich und kriminalpolitisch schwer zu
vertretende Differenzierungen auf:
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Im Rahmen der Diskussion über die Gesetzesvorhaben der
17. Legislaturperiode wurde als Vorteil einer Regelung der
„Ärztekorruption“ im StGB angesehen, dass diese – im Gegensatz zu einer Verankerung im SGB V – sowohl Unrechtsvereinbarungen im Zusammenhang mit der Behandlung von
GKV- als auch von Privatpatienten erfassen würde.63 Über
das Merkmal der Berufsausübungspflichten gerät zum Beispiel § 128 Abs. 5a SGB V in das Blickfeld, der klarstellt,
dass ein Verstoß gegen das Zuwendungsverbot in § 128 Abs. 2
SGB V als Verstoß gegen vertragsärztliche Pflichten anzusehen ist. Von der Regelung, die an Berufsausübungspflichten des Vertragsarztes anknüpft64 , ist nach dem Regelungszusammenhang des SGB V nur der Vertragsarzt betroffen,
nicht hingegen sein Kollege, der sich auf die Behandlung von
Privatpatienten beschränkt. Ob die Differenzierung zwischen
Vertrags- und Privatärzten sachgerecht und verfassungsrechtlich haltbar ist, wird von der Ausrichtung des § 299a StGB und
dem von diesem geschützten Rechtsgut abhängig sein. Dieses
ist nach dem vorliegenden Entwurf noch ungeklärt. Der Standort im Regelungszusammenhang des § 299 StGB lässt darauf
schließen, dass der Schutz des freien Wettbewerbs intendiert
ist.65 Dieses Rechtsgut trägt die Differenzierung zwischen der
Behandlung von GKV- und Privatpatienten jedenfalls nicht.
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Offensichtlich übersehen wurde, dass die einschlägigen berufsrechtlichen Regelungen in den Berufsordnungen der Landesärztekammern teilweise nicht einheitlich sind. Aus diesem
Grund kann ein strafrechtlicher Flickenteppich entstehen, der
unbeabsichtigte landesrechtliche Differenzierungen im Hinblick auf die Strafbarkeitsrisiken eröffnet. Schon heute besteht
beispielsweise ein Unterschied hinsichtlich der berufsrechtlichen Zulässigkeit des Sponsorings der „passiven“66 Teilnahme an Fortbildungsveranstaltungen.
Die Landesärztekammer Niedersachsen hat die Regelung des
§ 32 Abs. 2 Satz 1 MBO explizit deshalb nicht in die BO Niedersachsen übernommen, weil das Industriesponsoring der
Teilnahme an Fortbildungsveranstaltungen auf die aktive Teilnahme beschränkt werden sollte. Dies galt der Klarstellung,
dass in Niedersachsen die Annahme von Einladungen der Industrie zur passiven Teilnahme an Fortbildungsveranstaltungen berufsrechtswidrig ist, wenn hierdurch die Besorgnis der
Gefährdung der ärztlichen Unabhängigkeit geweckt wird67 . In
den Berufsordnungen der 16 verbleibenden Landesärztekammern wurde demgegenüber § 32 Abs. 2 MBO mit der Folge
übernommen, dass passives Fortbildungssponsoring grundsätzlich nicht berufsrechtswidrig ist.68 Über § 299a Abs. 1
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Nr. 2 StGB könnte der „niedersächsische Sonderweg“69 strafrechtlich aufgewertet werden, während die Ärzte anderer Bundesländer sich ohne weiteres zu Fortbildungsveranstaltungen
einladen lassen könnten.
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Das Beispiel Niedersachsen belegt eindrucksvoll den paradoxen Befund, dass die Grenzen des Strafrechts auf der Grundlage des geplanten § 299a StGB durch die Normadressaten
selbst gezogen werden können. Das ärztliche Berufsrecht beruht weitreichend auf den Berufsordnungen der Landesärztekammern der einzelnen Bundesländer. Mitglieder der Landesärztekammern sind die approbierten Ärzte. Entscheidungen,
auch über den Beschluss der Berufsordnung, werden durch
die Delegiertenversammlung gewählter Ärzte getroffen. Diese sind gut beraten, wenn sie zukünftig möglichst liberale Regelungen in Kraft setzen, um dem Strafrecht zu entgehen. Sie
haben es selbst in der Hand!
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§ 299a StGB ist verfassungsrechtlich bedenklich, weil die
Norm selektives Strafrecht ohne sachliches Differenzierungskriterium schafft und über die Ausgestaltung als Blankett der
Bildung eines strafrechtlichen Flickenteppichs Vorschub leistet. Dem akzessorischen Strafrecht, das, sei es durch die Entscheidung des Gesetzgebers, sei es die Interpretation, durch
die die Rechtsprechung im Rahmen der Grenzziehung auf
außerstrafrechtliche Bestimmungen verweist, ist daher eine
Absage zu erteilen. Nur bei sicheren, durch das Strafgesetz
selbst bestimmten „Leitplanken“ besteht die Chance, dass die
Norm auf Akzeptanz bei den Adressaten stößt, verstanden,
verinnerlicht und beachtet wird.70 Der neuen Fachzeitschrift
medstra ist nach unserem Dafürhalten zu wünschen, dass sie
ein Organ für die kritischen Stimmen wird. Mögen sich die
Claqueure des punitiven Strafrechts, die Neukriminalisierungen durch Gesetzgebung und Rechtsprechung stützen, an anderer Stelle verwirklichen.
63 Vgl. BR-Drucks. 451/13 vom 30. Mai 2013 (Gesetzesantrag der Länder Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern: „Entwurf eines Strafrechtsänderungsgesetzes zur Bekämpfung der Korruption im Gesundheitswesen“), S. 6 f.: „Das Phänomen der Korruption ist darüber hinaus nicht auf den öffentlichen Bereich des Gesundheitswesens beschränkt. Betroffen ist vielmehr auch der private Sektor, für den etwaige sozialrechtliche Verbote keine Wirkung entfalten. (...). Daher
soll mit diesem Gesetzentwurf ein Straftatbestand geschaffen werden, der den freien Wettbewerb im gesamten, also im öffentlichen
und privaten Gesundheitsbereich schützt“.
64 Wabnitz in: Spickhoff (Fn. 19), § 128 SGB V Rn. 12.
65 Schneider HRRS 2013, 477. Zum geschützten Rechtsgut von § 299
StGB vgl. Dannecker in: K/N/P, StGB, 4. Aufl. (2013), § 299 Rn. 4 ff.;
Heine/Eisele in: Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl. (2014), § 299 Rn.
2; Krick in: MüKo, StGB, 2. Aufl. (2014), § 299 Rn. 2.
66 Boemke in: Boemke/Schneider, Korruptionsprävention im Gesundheitswesen (2011), S. 107 f.; Dieners in: Dieners (Hrsg.): Handbuch
Compliance im Gesundheitswesen (2010), Kap. 6 Rn. 45.
67 Valluet MedTech Kompass Juli 2014.
68 Vgl. etwa § 32 Abs. 2 BO-Bayern, § 33 Abs. 4 BO-Berlin, § 32 Abs. 2
BO-Sachsen.
69 Sonntag/Valluet/Clausen MPR 2014, 80.
70 Kubiciel ZStW 120 (2008), 429, 436 f., 444 weist insbesondere darauf hin, dass „Angemessenheits- und Richtigkeitsvorstellungen“ der
Bevölkerung nicht außer Acht gelassen werden dürfen. Bestraft die
Norm darüber hinausgehend Verhaltensweisen, wird sie kaum auf allgemeine Akzeptanz stoßen.