02 Dienstag, 27. Oktober 2015 Antworten Größere Reichweite mit alternativen Antrieben. Johannes Kaufmann geht der Frage nach, wie die Reichweite von E-Autos ermittelt wird und welches Potenzial in der Brennstoffzelle steckt. Gerüchte um sexistische Flüchtlinge. Verweigern in Ehra-Lessien Asylbewerber Essen aus den Händen von Frauen? Erik Westermann (Mitte)ist dem Gerücht auf die Spur gegangen. 14 Flüchtlinge untergetaucht. Auf dem Weg nach Ilsede sind 14 Menschen spurlos verschwunden. Ob sie nun Anrecht auf soziale Leistungen haben, recherchierte Harald Meyer (rechts). Leser fragen, die Redaktion recherchiert Elektro-Autos: Wer friert, kommt weiter Die Reichweite wird im Labor ermittelt. Unser Leser Karl-Heinz Schlawatzky aus Helmstedt fragt: Sind die angegebenen Reichweiten der „neuen“ Elektromodelle von Volkswagen auch wieder manipulierte Laborwerte? Ein Audi A7 h-tron quattro wird mit Wasserstoff für seine Brennstoffzelle betankt. Eine Tankfüllung reicht für mehr als 500 Kilometer. Aus dem Auspuff Foto: obs/Audi AG kommt nur Wasser. Doch bisher gibt es lediglich 19 öffentliche Wasserstoff-Tankstellen in Deutschland. Die Antworten recherchierte Johannes Kaufmann Braunschweig. Der Abgas-Skandal 500 Kilometer Reichweite – ganz ohne Benzin oder Diesel Die Brennstoffzelle liefert Energie für weite Strecken. Doch es hapert an der Infrastruktur. Unser Leser Jörg Pape aus Sickte fragt: Warum nicht die Brennstoffzelle? Große Reichweite, schnelles Tanken. VW sollte den Anspruch haben, dort in Zukunft der Beste zu sein. „Die Brennstoffzelle ist eine echte Alternative zum batteriebasierten Elektromotor.“ Die Antwort recherchierte Johannes Kaufmann Braunschweig. Auf dem Papier klingt es wie die Lösung aller Probleme: Autos mit Elektromotor, die in wenigen Minuten betankt sind, Reichweiten von 500 Kilometern erreichen und dabei lediglich Wasserdampf ausstoßen. Möglich macht es die „kalte Verbrennung“ in einer Brennstoffzelle. Das Prinzip: Getankter Wasserstoff reagiert mit dem Sauerstoff aus angesaugter Luft zu Wasser. Der dabei stattfindende Elektronen-Austausch wird zur Stromerzeugung genutzt. Und in der Realität? „Die Brennstoffzelle ist eine echte Alternative zum batteriebasierten Elektromotor“, ist Ulrike Krewer überzeugt. Die Professorin leitet das Institut für Energie- und Systemverfahrenstechnik an der TU Braunschweig. Warum aber sieht man keine Brennstoffzellen-Autos auf den Straßen? Immerhin stellt Toyota mit dem Mirai, japanisch für Zukunft, seit Ende 2014 ein solches Auto in Groß-Serie her. Andere, auch deutsche Autobauer, haben Kleinserien- oder zumindest Konzeptfahrzeuge entwickelt. Laut Hersteller-Angaben reicht eine Tankfüllung, um den Elektromotor des Mirai mit seinen 155 PS über die Brennstoffzelle für 500 Kilometer mit Strom zu versorgen. Der Wasserstoff-Verbrauch liegt bei 3,6 Litern auf 100 Kilometern. Das Problem ist der Wasser- Blick unter die Haube: Die Brennstoffzelle im Motorraum des Toyota Mirai Foto: Christopher Jue/dpa zieht ihre Energie aus Wasserstoff und Sauerstoff. stoff. „Die Wasserstoff-Tankstellen-Infrastruktur ist in Deutschland stark unterentwickelt, gerade im Vergleich zu Japan“, sagt Professor Krewer. In unserer Region gibt es lediglich eine Tankstation von VW bei Isenbüttel. Die erste öffentliche Wasserstoff-Tankstelle Niedersachsens soll in Hannover gebaut werden. Eigentlich sollte es 50 solcher Tankstellen in Deutschland geben. So sah es das Nationale Innovationsprogramm Wasserstoffund Brennstoffzellentechnologie (NIP) vor, in dessen Rahmen Bund und Industrie gemeinsam den Ausbau der Infrastruktur vorantreiben wollten. Tatsächlich gibt es aber nur 19 öffentliche Wasserstoff-Tankstellen. Viel zu wenig, wie der Vergleich zeigt: Erdgas kann an rund 1000 Stationen getankt werden, Benzin und Diesel an mehr als 14 000 Zapfsäulen. Immerhin: Die für 2015 vorgesehenen 50 Tankstellen sollen nun 2016 fertig sein. Bis 2023 sind sogar 400 solcher Tankstellen in Deutschland geplant. Doch selbst wenn Wasserstoff überall zur Verfügung stünde, bliebe die Frage nach der Klimabilanz. Schließlich appelliert die Brennstoffzellen-Technologie vor allem an das Umweltbewusstsein des Autokäufers. Ein Problem: Wasserstoff ist ein Gas. Um es platzsparend in Tanks unterzubringen, ist hoher Druck notwendig. Beim Mirai sind es 700 bar. Die Kompression benötigt rund zwölf Prozent der im Wasserstoff gespeicherten Energie. Außerdem ist die Herstellung von Wasserstoff energie-intensiv. „Dieses Problem ließe sich lösen, wenn man überschüssige Windenergie für die Zerlegung von Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff nützte“, sagt Krewer. Der Wirkungsgrad bei dieser Elektrolyse sei dabei nicht relevant, schließlich sei die Alternative, die Windräder bei Windüberschuss abzustellen. Ist VW bei der Brennstoffzelle denn auf dem Weg an die Spitze, wie unser Leser es fordert? Die Ingenieurin sieht die deutsche Auto-Industrie da eher im Hintertreffen. Sie habe sich in den vergangenen Jahren stark auf Batterien konzentriert. Nun stehe sie unter Druck, den Abstand zu den asiatischen Konkurrenten aufzuholen. Dabei stehen die beiden Technologien eigentlich nur teilweise in Konkurrenz zueinander, ist Krewer überzeugt: „Das Brennstoffzellen-Auto wird immer ein Hybrid sein“. Die Brennstoffzelle sorge für die Reichweite, eine zusätzliche Batterie für eine kurzfristige Leistungssteigerung. Das ermögliche es auch, die teure Ulrike Krewer, Institut für Energie- und Systemverfahrenstechnik der TU Brennstoffzelle zu verkleinern. Denn die Kosten sind ein weiteres Problem. Der Mirai kostet in den USA, wo er vor allem für den umweltbewussten kalifornischen Markt interessant ist, mindestens 57 500 Dollar. In Deutschland ist er gar erst ab 78 540 Euro erhältlich. Viel zu viel, um eine echte Alternative zu Benzin und Diesel zu sein. Die japanische Regierung fördert daher jeden Kauf eines Mirai in Japan mit umgerechnet rund 14 000 Euro. Damit sinkt der Preis dort auf etwa 33 000 Euro. Ohne ähnliche Subventionen wird es die Brennstoffzelle auch auf lange Sicht schwer haben in Deutschland. Und in Verbindung mit der mangelhaften Tankstellen-Infrastruktur fürchtet Ulrike Krewer: „Ohne Forderungen der Automobilindustrie an Gaslieferanten und Politik, aber insbesondere auch Eigeninitiative, werden wir hier nicht weiterkommen – und das Brennstoffzellen-Auto bleibt ein Traum für das nächste oder übernächste Jahrzehnt.“ kratzt am sorgsam gepflegten grünen Image von Volkswagen. Vor kurzem reagierte der Konzern darauf mit dem Ausrufen einer Elektro-Offensive. Das E-Auto soll attraktiver werden. Bislang gilt die Reichweite als Hemmschuh der Elektromobilität. Das soll sich nun ändern: Mindestens 250 Kilometer sollen die neuen Stromer von VW mit einer Batterie-Ladung zurücklegen können. Aber ist das realistisch? Ob bei der Ermittlung von Reichweiten manipuliert wird, wie unser Leser andeutet, ist kaum zu beantworten. Dass es sich um Laborwerte handelt, ist aber richtig: „Die Reichweiten werden über standardisierte Prüfzyklen ermittelt“, sagt Kathrien Inderwisch, Wissenschaftliche Geschäftsführerin des Niedersächsischen Forschungszentrums Fahrzeugtechnik (NFF) der TU Braunschweig. Das Verfahren ist also ähnlich wie das zur Ermittlung von AbgasWerten auf dem Rollenprüfstand. „Die Reichweiten von Elektro-Autos werden über standardisierte Prüfzyklen auf dem Prüfstand ermittelt.“ Kathrien Inderwisch, Wissenschaftliche Geschäftsführerin des NFF Dazu erläutert die Ingenieurin: „Es werden Beschleunigungs- und Verzögerungsphasen sowie die Fahrt bei konstanter Geschwindigkeit berücksichtigt. Nebenverbraucher wie Heizung und Klimaanlage sind allerdings ausgeschaltet.“ Und die können einen erheblichen Einfluss haben, vor allem im Winter. Darauf weist Christian Hanisch, Batterie-Forscher am Institut für Partikeltechnik der TU, hin: „Anders als beim Verbrennungsmotor entsteht beim Elektro-Antrieb keine Abwärme, die zum Heizen genutzt werden kann.“ Der Innenraum müsse also elektrisch geheizt werden. Auch steige bei hoher Geschwindigkeit durch den größeren Luftwiderstand der Energieverbrauch stark an. Auf dem Prüfstand gibt es aber keinen Gegenwind. Sind die Hersteller-Angaben zur Reichweite also ähnlich weltfremd wie die zu Verbrauch und Abgasen? So weit wollen die Experten nicht gehen. Hanisch weist auf die hohe Effizienz der Elektromotoren hin, die stets im optimalen Drehzahlbereich arbeiteten. Inderwisch betont, dass beim Stromer letztlich dieselben Verbrauchseffekte wirksam würden wie beim Verbrennungsmotor: „Entscheidend ist also der Fahrstil.“ Mit vorausschauendem Fahrstil lasse sich Energie sparen und die Reichweite erhöhen: „Wir haben am NFF Messkampagnen mit Studierenden durchgeführt, um realistische Reichweiten unterschiedlicher Nutzergruppen zu bestimmen. Dabei haben manche sogar höhere Reichweiten erreicht, als der Hersteller angegeben hat.“ Allerdings haben die Studenten darum konkurriert, wer mit seinem Elektro-Auto am weitesten kommt. Auf den Alltag dürften solche Ergebnisse also nur bedingt übertragbar sein. Somit bleibt die Hersteller-Angabe lediglich als Richtwert. Wie weit die Realität davon abweicht, hängt vom Verhalten (und wohl auch vom KälteEmpfinden) des Fahrers ab. Elektromobilität – wo stehen wir jetzt? Diesem Thema widmet sich der Schaufenster-Dialog am 3. November, 19 Uhr, im Haus der Wissenschaft. Moderiert wird die Diskussion vom stellvertretenden Chefredakteur unserer Zeitung, Thomas Roth. Reden Sie mit! Glauben Sie, dass die Brennstoffzelle sich durchsetzen wird? braunschweiger-zeitung.de Der Porsche Panamera e-Hybrid verbindet einen Elektro-Motor für die höhere Foto: Marijan Murat/dpa Reichweite mit einem Verbrenner.
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