38 Werkstatt Das Projekt »Musikkästen« »Kunststück – Bilder und Objekte von Freiburger und Kehler Kindern«, eine Ausstellung, die Kunstwerke von Hortkindern präsentiert: die Musikkästen. Was es damit auf sich hat und wie diese Kästen entstanden, darüber berichtet Cora Eichele, Erzieherin im Freiburger Haus für Kinder am Hirzberg. Die Idee Kinder können ihre Lieblingslieder in selbstgebauten Holzkästen darstellen – diese Idee wurde von dem Wunsch getragen, auch die Jungen der Gruppe zum künstlerischen Arbeiten zu verlocken. Bei vorangegangenen Projekten bildnerischen Gestaltens zeigten sie nämlich wenig Interesse. Als es jedoch darum ging, Leuchtkästen mit eingebautem Leuchtmittel herzustellen, waren die Jungen der Hortgruppe begeistert. Da wurde uns klar, dass die Technik und das räumliche Gestalten reizvoll für sie sind. Aus diesem Grund entschieden wir uns dafür, Literatur in Form von Musiktexten mit dem Interesse der Kinder, speziell der Jungen, zu verbinden. Der besondere Clou: Wer die Musikkästen betrachtet, soll das jeweilige Lied hören können – vom CD-Player eingespielt. Die Vorbereitung Nach reiflichen Überlegungen, welches Material verwendet werden soll, entschieden wir uns aus zweierlei Gründen für Holz, um die Kästen herzustellen: • Holz ist stabil und robust. • Holz lässt sich mit Heißkleber schnell und sicher verarbeiten. Das Projekt sollte im Alltag der Hortkinder einen Stellenwert bekommen, nicht nur am Angebotstag mit der Projektleiterin Barbara Leitner. Damit die Kinder an ihren Kästen weiterarbeiten können, sollte eine Erzieherin sie auch an den restlichen vier Wochentagen begleiten. Also musste im Team geklärt werden, an welche Voraussetzungen kreatives Schaffen gebunden ist: • jederzeit künstlerisch tätig werden können, • Zeit für die Ideenumsetzung haben, • sich in den Prozess vertiefen können. Um das transparent zu machen, gestalteten wir eine Teamsitzung um: Jedes Teammitglied konnte sein Lieblingslied in einem Musikkasten darstellen. Schon die Auswahl der Lieder war interessant. Bei einigen Kolleginnen oder Kollegen stand der Text im Vordergrund, bei anderen die Musik oder die Biografie des Sängers. Gemeinsam hörten wir uns die Lieder an. Wer keine CD zur Hand hatte, sang selbst. Danach tauschten wir uns über das Warum der Auswahl aus und begannen, die Lieder umzusetzen – in der Schrittfolge, die wir für die Kinder vorgesehen hatten: Jeder stellte einen Kasten aus Holz her, den er mit unterschiedlichsten Materialien, Farben und Motiven ausstattete. Es entstand eine kreative, arbeitsame Atmosphäre. Reaktionen der Teammitglieder: »Ich hätte nie gedacht, dass Betrifft KINDER 03|2010 Werkstatt Wenn ich König von Deutschland wär Jede Nacht um halb eins, wenn das Fernsehen rauscht Leg ich mich aufs Bett und mal mir aus Wie es wäre, wenn ich nicht der wäre, der ich bin Sondern Kanzler, Kaiser, König oder Königin Ich denk mir, was der Kohl da kann, das kann ich auch Ich würd Vivaldi hörn tagein tagaus Ich käm viel rum, würd nach USA reisen Ronny mal wie Waldi in die Waden beißen Das alles und noch viel mehr Würd ich machen Wenn ich König von Deutschland wär Ich würd die Krone täglich wechseln, würde zweimal baden Würd die Lottozahlen eine Woche vorhersagen Bei der Bundeswehr gäb es nur noch Hitparaden Ich würde jeden Tag im Jahr Geburtstag haben Im Fernsehen gäb es nur noch ein Programm: Robert Lembke, vierundzwanzig Stunden lang Ich hätte zweihundert Schlösser und wär nie mehr Pleite Ich wär Rio der Erste, Sissi die Zweite Das alles und noch viel mehr Würd ich machen Wenn ich König von Deutschland wär Die Socken und die Autos dürften nicht mehr stinken Ich würd jeden Morgen erst mal ein Glas Champus trinken Ich wär schicker als der Schmidt und dicker als der Strauß Und meine Platten kämen ganz groß raus Reinhard Mey wäre des Königs Barde Paola und Kurt Felix wären Schweizer Garde Vorher würd ich gerne wissen, ob sie Spaß verstehen Sie müssten achtundvierzig Stunden ihre Show ansehen Das alles und noch viel mehr Würd ich machen Wenn ich König von Deutschland wär Rio Reiser Yannis • Woher kennst du dieses Lied? Ich hab’s das erste Mal im Auto bei der Mama gehört. • Was gefällt dir an diesem Lied besonders? Es rockt. Die Melodie macht gleich gute Laune. • Wonach hast du das Material ausgewählt? • Ich hab den Text gelesen und geguckt, was dazu passt. Und wie ein König lebt. Betrifft KINDER 03|2010 • Ist alles in deinem Kasten oder fehlt dir etwas? Was hättest du gern erweitert? Bin ganz zufrieden. Fehlt nix. 43 44 Werkstatt Das muss ein Ritter können Das muss ein Ritter können, das muss ein Ritter können. Einen Stier verkloppen, einen Löwen foppen, ohne dass ihm bange wird, einen Drachen jagen, ihm die Meinung sagen, ohne dass ihm mulmig wird, ohne dass die Ohren wackeln, ohne dass die Knochen knacken, ohne dass die Schulter schlottert, ohne dass die Zunge stot-tot-tot-tot-tot-tot-tot-tot-tot-tert. Das muss ein Ritter können, das muss ein Ritter können. Durch die Wüste laufen, einen Kaktus kaufen, ohne dass ihm durstig wird, brav den Teller leeren und ein Schwein verzehren, ohne dass ihm wurstig wird, ohne dass der Handschuh zittert, ohne dass das Hemd zerknittert, ohne dass die Nerven flattern, ohne dass die Zähne rat-tat-tat-tat-tat-tat-tat-tat-tat-tern. Das muss ein Ritter können, das muss ein Ritter können. Nah am Abgrund stehen und hinuntersehen, ohne dass ihm schwindlig wird, zu ‘nem Baby rauschen und die Windel tauschen, ohne dass ihm windlig wird, ohne dass die Knochen knacken, ohne dass die Schulter schlottert, ohne dass die Zunge stot-tot-tot-tot-tot-tot-tot-tot-tot-tert. Richard • Woher kennst du dieses Lied? Aus dem Hort. • Was gefällt dir an diesem Lied besonders? Ich fand witzig, dass der Ritter so gezittert hat. Ich fand die Musik gut, dass es so richtig lustig klingt. • Wonach hast du das Material ausgewählt? Mir war wichtig, dass der Ritter alles so macht wie im Lied. • Ist alles in deinem Kasten oder fehlt dir etwas? Was hättest du gern erweitert? Wenn ich mehr Zeit gehabt hätte, hätte ich noch einen neuen Kasten angefangen. Der andere Kasten gefällt mir schon. Betrifft KINDER 03|2010 42 Werkstatt Ab in den Süden Oh willkommen, willkommen Sonnenschein! Wir packen unsre sieben Sachen in den Flieger rein. Ja, wir kommen, wir kommen, wir kommen, macht euch bereit, reif für die Insel, Sommer, Sonne, Strand und Zärtlichkeit. Raus aus dem Regen, ins Leben, ab in den Süden, der Sonne entgegen, was erleben, einen heben, und dann Bikinis erleben. Jetzt kommt es dick, Mann, ich rette den Tag, ich sag, ab geht die Party, und die Party geht ab. Und ich sag: Eeeeeeeeeey, ab in den Süden, der Sonne hinterher, ey joh, was geht, der Sonne hinterher, ey joh, was geht. Ja, ich sag: Eeeeeeeeeey, ab in den Süden, der Sonne hinterher, ey joh, was geht, der Sonne hinterher, ey joh, was geht. Sommer, Sonne, Sonnenschein, Sommer, Sonne, Sonnenschein, Sommer, Sommer, Sommer Vivian • Woher kennst du dieses Lied? Wir haben die CD geschenkt gekriegt und gehört. • Was gefällt dir an diesem Lied besonders? Dass man sich wie im Süden fühlt, und der Text gefällt mir auch. • Wonach hast du das Material ausgewählt? Dass alles zum Süden passt. • Ist alles in deinem Kasten oder fehlt dir etwas? Was hättest du gern erweitert? Alles drin! Betrifft KINDER 03|2010 Werkstatt Emilie Aylén • Woher kennst du dieses Lied? Aus dem Hort. • Was gefällt dir an diesem Lied besonders? Die Sachen, die Piraten machen, werden erklärt und sind so lustig. • Wonach hast du das Material ausgewählt? Nach Piratensachen – alles, was zu Piraten passt. • Ist alles in deinem Kasten oder fehlt dir etwas? Was hättest du gern erweitert? Ich hätte gern noch ein paar Piraten draufgeklebt. • Woher kennst du dieses Lied? Von der Hütte. • Was gefällt dir an diesem Lied besonders? Ich fand den Text und die Musik ganz gut. Die Melodie macht einen gleich glücklich. • Wonach hast du das Material ausgewählt? Ich hab mich nach Piraten gerichtet, nach dem Text und dem Piratenleben. • Ist alles in deinem Kasten oder fehlt dir etwas? Was hättest du gern erweitert? Material hätte ich nicht mehr gebraucht. Aber hätte ich mehr Zeit gehabt, hätte ich noch einen Anker gemacht. Betrifft KINDER 03|2010 41 40 Werkstatt Hey Ho! Wer Wer Wer Und ist bekannt für fürchterliche Taten? Piraten! kennt echte Schatzkarten? Piraten! würde nie auf Erlaubnis warten? Piraten! wer gehört zu den Mutigen und Harten? Piraten! Unter dem Kopftuch ‘ne wilde Mähne Bewaffnet bis an die Säbelzähne Piraten gehn auf gefährliche Fahrten Kein Wind ist zu stark für sie und keine Welle ist zu hoch Piraten haben nie die Hosen voll Und sie machen, was sie woll’n. Hey Ho! Wer hat keine Angst, durchs Wattenmeer zu waten? Piraten! Und wer fürchtet sich nicht vor Hagel und Granaten? Piraten! Wer kann jeden Sturm kaum erwarten? Piraten! Und wer kann ruhig in ein Gewitter geraten? Piraten! Unter dem Kopftuch ‘ne wilde Mähne Bewaffnet bis an die Säbelzähne Piraten gehen auf gefährliche Fahrten Kein Wind ist zu stark für sie und keine Welle ist zu hoch Piraten haben nie die Hosen voll Und sie machen, was sie woll’n. Hey Ho! Und wer hat auch mal ein Herz für die Zarten? Und wer hat noch nie einen Kumpel verraten? Unter dem Kopftuch ‘ne wilde Mähne Bewaffnet bis an die Säbelzähne Piraten gehen auf gefährliche Fahrten Kein Wind ist zu stark für sie und keine Welle ist zu hoch Piraten haben nie die Hosen voll Und sie machen, was sie woll’n. Hey Ho! Lukas • Woher kennst du dieses Lied? Aus dem Kinderhaus – von der Hüttenzeit. • Was gefällt dir an diesem Lied besonders? Wie der Text geschrieben ist. Ich find auch witzig, dass die Leute singen: »Piraten scheißen nie in die Hose.« • Wonach hast du das Material ausgewählt? Nach dem Text. • Ist alles in deinem Kasten oder fehlt dir etwas? Was hättest du gern erweitert? Ich hätte gern noch nach Wassertieren gesucht. Betrifft KINDER 03|2010 Werkstatt mein Ergebnis so gut werden würde, obwohl ich doch gar nicht kreativ bin.« Und: »Zwei Stunden sind echt zu wenig Zeit.« Jetzt war die Basis geschaffen, um das Projekt mit den Kindern zu beginnen. Die Umsetzung – 1. Phase Damit sich die Kinder eine Vorstellung von der Idee machen konnten, bot es sich an, ihnen die Musikkästen der Teammitglieder zu zeigen. Sie waren überrascht, dass wir Erwachsene alle einen Kasten hergestellt hatten, und griffen die Idee gern auf. Mit den Kindern gingen wir so vor, wie wir es auf der Teamsitzung erprobt hatten. Sie bekamen den Auftrag, ihre Lieblingstitel auf CD mitzubringen. Interessant war, dass sie bereits bei der Auswahl der Titel viel stärker auf den Inhalt der Lieder achteten, als das bei uns Erwachsenen der Fall gewesen war. Ihre Interessen und Themen wurden deutlich. So gab es beispielsweise ein Handballlied und mehrere Piratenlieder. Am ersten Projekttag trafen wir uns, um alle ausgesuchten Stücke anzuhören. Einigen Kindern fiel die Auswahl leicht, andere brauchten erst eine genauere Vorstellung: Wie soll ich das Lied umsetzen? Muss ich ein Kinderlied nehmen? Was soll darin vorkommen? Wir beschlossen, die Kinder nicht zu drängen, sondern gaben ihnen eine weitere Woche Zeit, einen passenden Titel auszusuchen. Doch mit dem Rohbau ihrer Kästen begannen alle Kinder gleich am ersten Tag. Bei der Auswahl der Holzbretter ließen wir den Kindern freie Hand. Da die Bretter mit Heißkleber zusammengefügt wurden, gab es auch die Möglichkeit, kleinere Teile, die nicht haargenau zusammenpassten, stabil miteinander zu verbinden. Während die Kästen gefertigt und grundiert wurden, merkten die Kinder, dass der äußere Teil ebenso wichtig ist Betrifft KINDER 03|2010 wie das Innenleben, da man die Kästen von allen Seiten betrachten kann. Also war es nötig, die Farbe rundherum aufzutragen und auch die Innenwände farblich zu gestalten, bevor Figuren oder andere Teile eingeklebt werden. Die Kinder mussten also schon in dieser ersten Phase eine grobe Vorstellung des Endergebnisses entwickeln, um später darauf hinarbeiten zu können. Die Umsetzung – 2. Phase Nun ging es um das Bestücken der Musikkästen. Die Liedtexte, die als Vorlage dienten, hatten die Kinder mitgebracht oder mit uns aufgeschrieben. Dabei gingen wir Zeile für Zeile vor, um wichtige Abschnitte, Sätze oder den Refrain immer zur Hand zu haben – falls jemand mal an einen Punkt gelangt, an dem er nicht mehr weiter weiß. Wir hatten den Anspruch, dass die Kinder sich intensiv einlassen, damit das Projekt nicht schon in kurzer Zeit beendet ist. Deshalb schlugen wir ihnen vor, sich Zeit zu nehmen, um etwas zu verschönern oder genauer herauszuarbeiten, also keinen »Ruck-ZuckKasten« zu erfinden, der nur von einer guten Idee lebt. Vielmehr sollten die Kinder sich Gedanken machen, was in den Liedern beschrieben wird, welche Stimmung die Lieder verbreiten. Der Kasten, den die achtjährige Vivian baute, gibt die Stimmung des Lieds »Ab in den Süden« gut wieder. Für andere Kästen wurden nicht nur Stellen aus Liedtexten verwendet, sondern eigenes Wissen über das jeweilige Thema Kontakt: Haus für Kinder am Hirzberg Leitung: Maria Matzenmiller Kartäuserstr. 105 79104 Freiburg im Breisgau Tel.: 0761/201-3808 E-Mail: Kinderhaus-Hirzberg@ stadt.freiburg.de wurde eingebracht. So zeigten Lukas, Emilie – beide acht Jahre alt – und die neunjährige Aylén, die das Lied »Piraten« umsetzten, dass sie wissen, wo die Piraten lebten und welche Waffen sie hatten. Jederzeit hatten die Jungen und Mädchen die Möglichkeit, ihre Lieder zu hören und die Texte nachzulesen, um sich inspirieren zu lassen. Wichtig ist in dieser Phase die Vielfalt des Materials. Um die Kästen wirklich fantasievoll »einrichten« zu können, brauchten die Kinder ausreichend Material und vor allem völlig unterschiedliche Dinge: kleine Figuren, Kärtchen, Naturmaterial – einfach alles. Was fehlte, wurde selbst aus Ton, Karton oder anderem Material hergestellt. Uns Erwachsenen war wichtig, nicht nur als Helfer oder Projektleiter zu agieren, sondern uns am Prozess zu beteiligen, indem wir an unseren eigenen Kästen weiterarbeiteten. So konnten wir mit den Kindern gemeinsam in die Arbeit eintauchen und mussten uns – genau wie die Mädchen und Jungen – den Problemen stellen, die eine solche Aktion mit sich bringt: Was brauche ich? Was setze ich noch um? Wo kann ich genauer arbeiten? Werde ich rechtzeitig fertig? All diese Fragen kann man nur verstehen und beantworten, wenn man sie sich selbst stellen muss. Nach acht Projekttagen waren elf höchst unterschiedliche und beeindruckende Musikkästen entstanden. Die Kinder entwickelten viel Fantasie und verbrachten viel Zeit damit, sich der Gestaltung ihrer Musikkästen zu widmen. Wann immer sich die Möglichkeit bot, arbeiteten sie eigenständig weiter und brauchten nur ab und zu Hilfe bei der praktischen Umsetzung. Rechtzeitig zur Vernissage der Ausstellung »Kunststück – Bilder und Objekte von Freiburger und Kehler Kindern« wurden die Musikkästen – samt Hörgenuss – fertig. Zur Freude der jungen Künstler und Künstlerinnen war der Andrang nicht nur an diesem Abend groß. 39
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