Schwerhörig: Wie meistern Familien die

hand bieten
Schwerhörig: Wie meistern
Familien die Stolpersteine?
Wer Hörprobleme hat, kennt unzählige Situationen, in denen das Hören und
Verstehen schwierig ist. Verständnis gibt es im Alltag und im Beruf nicht
immer. Aber in der Familie sind immer alle täglich mit den Hörproblemen des
Partners, der Eltern, konfrontiert. Was nervt? Wie löst man die Kommunikation? dezibel hat nachgefragt. Die Umfrage erscheint in zwei Teilen.
Corinne Heuser mit ihren Söhnen
Dennis und Lukas. Foto: zVg.
Corinne Heuser, 49,
schwerhörig, zwei Kinder
1. Ich bin seit 1993 schwerhörig, zuerst leicht, dann rapide abnehmend.
Bei der Geburt meines ersten Sohnes
1998 war ich bereits hochgradig
schwerhörig. Grund: wahrscheinlich
Antibiotika. 2. Da meine Kinder Dennis und Lukas mich nicht anders kennen, wird unser Familienalltag von allen als sehr «normal» wahrgenommen.
Ich muss aber öfter einmal nachfragen,
reden von Raum zu Raum geht nicht.
Manchmal benötige ich Unterstützung
Umfrage Hörbehinderung: Wie reagiert die Familie?
dezibel 4/2015
Die Fragen
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Betroffene/Betroffener
1. Seit wann haben Sie Hörprobleme?
2. Wie wirkt sich Ihre Hörbehinderung auf
Ihre Familie aus?
3. Fühlen Sie sich in der Kommunikation
mit der Familie beeinträchtigt, benachteiligt oder auch manchmal ausgeschlossen?
Partnerin/Partner
4. Wie wirkt sich die Hörbehinderung Ihres
Partners auf Sie selber aus?
5. Kommt es wegen der Hörbehinderung
öfter zu Kommunikationsschwierigkeiten?
6. Welche Aufgaben haben Sie von Ihrem
Partner wegen seiner Hörbehinderung
übernommen?
Kinder
7. Ist es für euch ein Problem, wenn euer
Papa / eure Mama nicht immer alles hört
und versteht?
8. Stinkt es euch manchmal, wenn ihr
etwas zweimal sagen müsst?
9. Übernehmt ihr Übersetzungsaufgaben
oder Telefonanrufe?
10.Haben eure Freunde/Kollegen schon
einmal etwas wegen den Hörproblemen
eures Papas/eurer Mama gesagt?
hand bieten
Schwerhörig: Wie …
Dennis, 15 Jahre,
Handelsmittelschule,
Lukas, 17, 2. Lehrjahr,
Informatik-Lernender
7./8. Dennis: Die Schwerhörigkeit
meiner Mutter ist für mich kein Problem. Ich kenne nichts anderes. Das
Einzige, was manchmal nervt, ist,
wenn ich etwas mehrmals wiederholen muss, was aber eher selten der Fall
ist. Lukas: Für mich auch nicht. Muss
man aber etwas Lustiges zweimal erzählen, ist es nicht mehr dasselbe.
Und wenn ich müde bin, stinkt es mir
manchmal, etwas zu wiederholen.
9. Dennis: Beim Einchecken in Hotels
oder bei anderen wichtigen Informationsauskünften helfen mein Bruder
und ich meiner Mutter eigentlich immer, wenn sie etwas nicht versteht.
Lukas: In den Ferien spiele ich oft den
Übersetzer. Das mache ich gerne.
10. Dennis: Meinen Freunden fällt es
eigentlich gar nicht auf, dass meine
Mutter Hörprobleme hat. Aber das
Hörgerät haben sie registriert. Lukas:
Manche fragten mich schon nach den
Hörgeräten. Sie waren auch interessiert, was es mit der Gehörlosigkeit
und Schwerhörigkeit auf sich hat. Die
meisten können gut damit umgehen.
In unserer Gang haben wir auch ein
schwerhöriges Mädchen.
Markus Beeli mit seiner Familie. Foto: zVg
Markus Beeli, 50 Jahre,
schwerhörig
1. Die Hörprobleme resultieren aus ei-
ner Hirnhautentzündung in der Kindheit. Ich habe eine Hochtonschwerhörigkeit, der Verlust beträgt heute
beidseitig etwa 85–90 Prozent. 2. Das
Familienleben ist von Anfang an geprägt durch meine Schwerhörigkeit. Es
wurde aber nie ein grosses Aufheben
darum gemacht. Ich schaue, dass die
Kommunikations-Bedingungen optimal sind. Diskussionen sind nur möglich, wenn nicht alle zugleich reden.
3. Die Kommunikation ist immer beeinträchtigt, da sie meinerseits viel
Konzentration erfordert. Einfach unbeschwert diskutieren, geht nicht. Informationen muss ich mir manchmal
Stück für Stück erarbeiten. Ausgeschlossen fühle ich mich dann, wenn
die ganze Familie aufgeregt über ein
Erlebnis oder ein Vorkommnis diskutiert und ich nicht alles verstehe. Aber:
Ich habe auch gelernt, mich selber mal
«auszuschliessen», um die Spontanität
und Unbeschwertheit nicht jedes Mal
zu unterbinden.
Carmen, Partnerin, 46 Jahre
4. Als sehr lebendige Person liebe ich
spontane und chaotische Diskussionen. Das ist mit Markus nicht mehr
möglich. Gehen wir weg, denke ich
voraus: an die Akustik, ob Menschen
mit Markus undeutlich sprechen und
so. «Nuscheler» regen mich auf, als so-
lidarischer Gegenpart fühle ich mit.
Klar, manchmal bin ich auch ungeduldig. 5. Es gibt öfters Missverständnisse, aber die sind ja lösbar und
manchmal sogar witzig. 6. Ich erledige für meinen Mann wichtige private
Telefongespräche, auch Elternabende
oder ähnliche Veranstaltungen, wenn
die Raumakustik schwierig ist. Er managt das Meiste hervorragend selber
und auf seine Art.
Die Kinder Gian und Andrin
7. Gian (16): Ja, manchmal, es kommt
aber immer auf die Situation an.
Andrin (19): Nein, ein Problem ist es
nicht, aber es ist manchmal anstrengend oder es nervt. 8. Gian: Nein,
zweimal wiederholen geht noch, beim
vierten Mal nervt es. Andrin: Zweimal
wiederholen ist Standard, zudem bin
ich von Natur aus eher eine geduldige
Person. 9. Gian: Ja, dass wir übersetzen, das kann es schon geben. Ich sehe
auch sehr schnell, wenn eine Situation
schwierig für meinen Vater werden
könnte. Andrin: Ja, das gibt es immer
wieder. Früher, wenn wir im hektischen Döner-Shop standen, musste
ich die Initiative ergreifen, sonst hätte
ich immer den falschen Döner bekommen … 10. Gian und Andrin:
Nein, wir informieren unsere Kollegen immer vorher. Wir sagen klar,
dass er auch mit den Hörgeräten nicht
immer alles versteht.
dezibel 4/2015
bei Telefonanrufen. Sind wir unterwegs, kommt es vor, dass meine Kinder
für mich antworten. Sie sprechen deutlicher mit mir als mit anderen. Sie merken schnell, wenn ich etwas nicht verstehe, und wiederholen es dann intuitiv
für mich. 3. Nein, es ist, wie es ist, ich
muss mich manchmal einfach durchsetzen, wenn die Jungs Dinge, die aus
ihrer Sicht nicht wichtig sind, wiederholen sollen. Wir sind ein eingespieltes
Team, reisen auch viel, fahren Ski/
Snowboard, biken etc.
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