Handbuch für ErzieherInnen Rucksack KiTa Handbuch für Erzieherinnen und Erzieher 1 Impressum Handbuch für ErzieherInnen 2 Impressum Titel: Rucksack KiTa: Handbuch für Erzieherinnen und Erzieher Herausgeber: Regionale Arbeitsstellen zur Förderung von Kindern und Jugendlichen aus Zuwandererfamilien (RAA). Anschrift: Hauptstelle der RAA/NRW Tiegelstraße 27 45151 Essen Tel. 0201 / 83 18 304 Fax: 0201 / 83 28 333 E-mail: [email protected] www.raa.de Gestaltung: Konzept: Monika Frei-Herrmann E-mail: [email protected] Redaktion: Livia Daveri E-mail: [email protected] Dr. Monika Springer-Geldmacher Magali Schüssler Erscheinungsjahr: 2009 Inhaltsverzeichnis Handbuch für ErzieherInnen Inhaltsverzeichnis Vorwort 4 1. Sprachförderung von Kindern mit Migrationshintergrund 7 Halima Zaghdoud: Interkulturelle Begegnung in der Kita 7 Rosemarie Tracy: Sprachförderung in Kindertagesstätten: Natürliche Begabungen nutzen 12 Standards für die Sprachförderung 16 Olaf Bärwald/Anne Meyer/Magali Schüssler/Monika Springer: Methoden der Sprachförderung 20 Olaf Bärwald/Anne Meyer/Magali Schüssler/Monika Springer: Materialien für die spezielle Sprachförderung 28 Monika Springer: Exkurs: Literacy –Erziehung 32 Reyhan Kuyumcu: Zu einer Kultur der gegenseitigen Teilhabe - im Kindergarten mit Migrantenfamilien Literalität entwickeln 36 2. Das Programm Rucksack 44 Monika Springer: Das Konzept 44 Monika Springer: Wieso heißt der Rucksack Rucksack? 48 Isabell Schaefer: Die wesentlichen Begriffserklärungen zu Rucksack 49 Anne Meyer: Organigramm des Rucksacks 52 Halima Zaghdoud: Rucksack in der Kita - gewünschte Nebenwirkungen 53 Isabel Schaefer/Monika Springer: Prinzipien: was der Rucksack braucht 55 Monika Springer: Rahmenbedingungen für die Durchführung des Rucksack-Projekts 60 3. Materialien der Sprachförderung Hans H. Reich: Konzept und Prinzipien für die Kita-Aktivitäten 68 68 Anhang 76 Vereinbarung zur Durchführung des Rucksack KiTa-Projektes 76 Standards für die Umsetzung von Rucksack KiTa 79 3 Vorwort Handbuch für ErzieherInnen 4 Vorwort Handbuch Rucksack KiTa für Erzieherinnen und Erzieher Im Jahre 1998 hatte der Arbeitskreis IKEEP (Interkulturelle Erziehung im Elementar- und Primarbereich der Regionalen Arbeitsstellen zur Förderung von Kindern und Jugendlichen aus Zuwandererfamilien (RAA) in NRW) das aus den Niederlanden stammende Programm „Rucksack I“ adaptiert und für den Einsatz in Deutschland übersetzt und überarbeitet. Der interkulturelle und interaktive Ansatz wurde herausgearbeitet und der Lebensweltbezug für die Bedingungen in Deutschland hergestellt. Seit 1998 wurde „Rucksack Kita“ zunächst in den RAAStädten, dann auch bald darüber hinaus in NRW-Kommunen ohne RAA und in vielen anderen Bundesländern umgesetzt – Jahr für Jahr mit steigender Tendenz. Es hat sich in der Zwischenzeit bewiesen, dass „Rucksack Kita“ ein Programm ist, das sich gut in der Breite verwirklichen lässt. Nach acht Jahren Arbeit mit der ersten Version „Rucksack I“ können wir Dank der finanziellen Unterstützung durch das Ministerium für Generationen, Familien, Frauen und Integration, NRW, und der Freudenberg Stiftung, Weinheim, nach zweijähriger Arbeit eine überarbeitete Fassung „Rucksack Kita“ vorstellen. Bislang gehörte zu dem Programm Rucksack Kita Elternmaterial für die Hand der Eltern, Übungsblätter für die Aktivitäten der Eltern mit ihren Kindern und ein Handbuch für Elternbegleiterinnen zur Vorbereitung und Begleitung des Elternprogramms. Den am Programm beteiligten KiTas haben wir bislang verpflichtend aufgegeben, das Programm der Eltern zu parallelisieren, im Regelbereich, wann immer sich situativ das Thema, das die Eltern aktuell bearbeiteten, einbeziehen lässt oder in Sprachfördergruppen durch Sprachfördermaterialien, die die Themen des Rucksacks auch enthielten und daher thematisch zum Rucksack kompatibel waren. Einige Erzieherinnen und Erzieher haben sich mit viel Phantasie dieser Aufgabe der zweigleisigen Sprachförderung gewidmet, anderen fiel es im KiTa-Alltag schwer, den Faden der Parallelisierung aufzunehmen, einige haben gar das Elternmaterial als Sprachfördermaterial eingesetzt, ein Missverständnis das es auszuräumen gilt. Denn das Elternmaterial ist kein Sprachfördermaterial für die Zweitsprache Deutsch, sondern ein Elternbildungsmaterial, das den Eltern die Kompetenz vermittelt, Ihre Kinder in der Regel mithilfe ihrer Muttersprache in ihrer sprachlichen und allgemeinen Entwicklung zu fördern. Die Zweigleisigkeit des Rucksack Programms ist vor dem Hintergrund vieler Sprachfördermaterialien, die in den letzten Jahren entstanden sind, hervorzuheben, weil es nicht nur ein Element für die Entwicklung der Kinder mit Zuwanderungsgeschichte anpackt sondern zwei: nämlich die Parallelisierung der Arbeit der Eltern mit der Zweitsprachenförderung durch die Erzieherinnen und Erzieher. Vorwort Handbuch für ErzieherInnen 5 Die Schwierigkeiten, die einige Erzieherinnen und Erzieher mit der parallelisierten Aufnahme des Rucksack-Programms für eine Förderung der Zweitsprache Deutsch hatten, haben uns bewogen, nun auch ein Handbuch für Erzieherinnen und Erzieher aufzulegen, in dem wir neben der Wichtigkeit des Programms für die Eltern die Sprachförderung der Erzieher und Erzieherinnen in den Vordergrund rücken: 1. Es soll die Notwendigkeit der Sprachförderung von Kindern mit Migrationshintergrund im Regelbereich und in gezielten Sprachfördergruppen aufgezeigt werden. In enger Verknüpfung mit der interkulturellen Erziehung werden Standards und Methoden der Sprachförderung dargelegt. Es werden Materialien vorgestellt, die aufgrund der Themennähe zum RucksackElternprogramm kompatibel für eine zweigleisige Förderung sind. Es wird ein besonderer Schwerpunkt auf die Literacy-Erziehung gelegt, die das Ziel hat, den Kindern die Sprache der Literalität zu vermitteln, die sie benötigen, wenn sie in der Schule erfolgreich sein wollen. 2. Es wird das Rucksack-Programm in seinen Prinzipien und Rahmenbedingungen dargestellt und der Anteil der Erzieherinnen und Erzieher hervorgehoben. 3. Es werden das Konzept und die Prinzipien für die neu erstellten RucksackSprachförderaktivitäten vorgestellt. Kern des dritten Kapitels dieser Handreichung sind einundsiebzig Sprachförderaktivitäten, die fünf der Rucksack-Elternthemen durch jeweils ca. fünfzehn Sprachförderaktivitäten aufnehmen. Zu diesem Zweck hatten wir zunächst Sprachförderaktivitäten durch die Spielpädagogin Petra Geukes nach dem Prinzip der Ganzheitlichkeit entwickeln lassen. Wir ließen uns von der Überzeugung leiten, dass das wichtige Prinzip der Wiederholung als Handlungsleitung für sprachfördernde Aktivitäten ausreichen würde. Aus spracherwerbstheoretischer Sicht standen in den Aktivitäten die BICS (Basic Interpersonal Communicative Skills) im Vordergrund. Es machten uns aber die Experten und Expertinnen für Deutsch als Zweitsprache darauf aufmerksam, dass Wiederholung alleine nicht ausreiche, um Kindern die Struktur der zweiten (oder dritten) Sprache zu vermitteln, Struktur, die sie benötigen, um über Sprache im Sinne von CALP (Cognitive-Academic Language Proficieny) als Voraussetzung für schulisches Sprachverstehen zu verfügen. Wir haben uns bei der Bearbeitung der Spielvorschläge der Spielpädagogin der Expertise von Prof. Hans H. Reich und seiner Mitarbeiterin Magali Schüssler vergewissert, die uns mit einem handlungsleitenden Konzept halfen, die Aktivitäten so zu bearbeiten, dass sie neben dem Wortschatz, der Erzählkompetenz auch die Struktur der Zweitsprache Deutsch berücksichtigten – immer nach dem Prinzip der Parallelisierung zum Elternmaterial und dem Prinzip der Wiederholung. Neu eingeführt wurde das Prinzip der Berücksichtigung von unterschiedlichen Leistungsniveaus der Kinder, um dem Primat der individualisierten Förderung des Kindes Rechnung tragen zu können. Wir haben die Förderaktivitäten für Kinder im Alter von vier Jahren gestaltet. Dies schränkt Vorwort Handbuch für ErzieherInnen 6 die Parallelisierung zwischen Elternmaterial und Sprachförderaktivitäten streng genommen auf dieses Alter ein, ist aber aufgrund der Empfehlung zu rechtfertigen, Kinder so früh wie möglich in ihrer Mehrsprachigkeit zu fördern. Diese frühe Förderung sollte spätestens im Kindergarten im Alter von vier Jahren einsetzen, um den Kindern Zeit zu geben, ihre zweite Sprache gut zu entwickeln und sich in ihr dem Leistungsstand von einsprachigen Kindern anzunähern. Es sollte sicherlich möglich sein, die Sprachförderaktivitäten in der Zweitsprache Deutsch auch für ältere Kinder, die im Aneignungsprozess des Deutschen am Anfang stehen, anzuwenden. Die Anwendungsmöglichkeiten sollen in der kommenden Zeit wissenschaftlich evaluiert werden. Die Ergebnisse werden den Anwendern auf der Intranetseite dargestellt, die den Zugang zum Materialpaket Rucksack KiTa für berechtigte Nutzer ermöglicht. Im Teil „Materialien der Sprachförderung“ wird von Prof. Hans Reich das Konzept für den Aufbau der Kita-Aktivitäten dargelegt, im „Materialpaket Kita-Aktivitäten für die parallele Förderung der Kinder in der Zweitsprache Deutsch“ wird das Format der einzelnen Aktivitäten von Magali Schüssler beschrieben. Diese Darlegung soll der Erzieherin/dem Erzieher als Folie dienen, weitere Sprachförderaktivitäten selber zu erstellen. Uns ist es sehr wichtig zu vermitteln, dass eine gute Sprachkompetenz, die den Kindern in ihrem späteren schulischen Leben eine erfolgreiche Teilhabe verspricht, sich nicht von selber einstellt. Um eine Sprache auf hohem Niveau zu erlernen, brauchen die Kinder laut Reich (s. S. 68 ff.) kommunikative Beteiligung, Redegelegenheiten, Rückmeldung auf Redebeiträge und Zeit zur Verarbeitung von Gehörtem. Dies sollte zum einen in der Familie erfolgen, die wir mit dem Elternmaterial für diese Aufgabe fit machen wollen. Dies soll zum anderen im Bildungsbereich geschehen. In den Kindertageseinrichtungen sind - um diese Ziel zu erreichen - kleine Gruppen notwendig, in denen eine konzentrierte Sprachförderung in diesem Sinne bewerkstelligt werden kann. Die RAA wird bemüht sein, Weiterbildungsangebote für Erzieherinnen und Erzieherinnen für eine gute Parallelisierung des Rucksack Elternmaterials anzubieten. Die Regionalen Arbeitsstellen zur Förderung von Kindern und Jugendlichen aus Zuwandererfamilien (RAA) wünschen Ihnen viel Freude bei der Sprache fördernden Arbeit mit den Kindern und wir hoffen, dass dieses Handbuch Ihnen dabei Unterstützung gibt. Über Rückmeldungen, Korrekturen und Ergänzungen aus der Praxis würden wir uns jederzeit freuen. Wir möchten Dank sagen all jenen, die an der Erarbeitung des Handbuchs „Rucksack Kita“ für Elternbegleiterinnen mitgearbeitet haben: Olaf Bärwald und Jasmin Steffens, beide ehemals RAA Remscheid, Christiane Bainski und Livia Daveri, Hauptstelle RAA, Tanja Biermann und Jutta Polzius, RAA Leverkusen, Nurhan Dogruer-Rütten, RAA Bochum, Petra Geukes, Doris Frickemeyer, RAA Dortmund, Maike Hoeft, Monika Kostewitz, RAA Hagen, Martina Kleinewegen, RAA Mülheim, Reyhan Kuyumcu, Anne Meyer, RAA Wuppertal, Heike Münker und Halima Zaghdoud, RAA/Interkulturelles Büro Essen, Hans H. Reich, Isabell Schaefer, RAA Düsseldorf, Magali Schüssler, Rosemarie Tracy, Anke Wagner, Vorwort Handbuch für ErzieherInnen 7 RAA Köln, Ingmar Zerbin-Melcher, RAA Solingen, Songül Dogan, Wilma Osuji, Beatrix Peschke, Ute Scheffler und Iskender Yildirim, die letzten fünf von der RAA Duisburg. Dr. Monika Springer-Geldmacher, Hauptstelle RAA Programm Rucksack 8 1. Sprachförderung von Kindern mit Migrationshintergrund Halima Zaghdoud Interkulturelle Begegnung in der Kindertageseinrichtung Eine Zuwanderungsgeschichte zu haben, ist nicht länger Merkmal einer Minderheit, sondern ist mittlerweile gesellschaftliche Normalität. Jede fünfte Ehe in Deutschland ist heute binational, jedes vierte Neugeborene hat mindestens einen Elternteil mit Zuwanderungsgeschichte und jeder dritte Jugendliche in Westdeutschland hat einen Migrationshintergrund. 1 Durch die zunehmende Internationalisierung erweitern sich nicht allein die Bewegungs- und Informationsräume der Kinder und Jugendlichen; ihre Lebenswelten entwickeln sich im Zuge von demografischen Entwicklungen und transnationalen Wanderungsprozessen zunehmend zu interkulturellen 2 Beziehungs- und Wissenswelten. Da davon auszugehen ist, dass sich diese Entwicklung in Zukunft fortsetzt, stehen Institutionen wie Kindertageseinrichtung, Schule und andere Bildungs-, Betreuungs-, und Erziehungseinrichtungen vor einer großen Herausforderung. Die heranwachsende Generation muss in die plurale Gesellschaft hineinwachsen und 1 Presseerklärung der Beauftragten für Migration, Flüchtlinge und Integration der Bundesregierung, Frau Staatsministerin Prof. Dr. M. Böhmer vom 06.06.2006 2 Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Zwölfter Kinder- und Jugendbericht, 2006 Programm Rucksack 9 mit den entsprechenden Fähigkeiten und Kompetenzen ausgestattet werden. Zu den Grundkompetenzen gehören eine kulturelle Aufgeschlossenheit und ein kulturelles Selbstbewusstsein, damit sich die Kinder in interkulturellen Sozialräumen bewegen und bewähren und letztlich die Lern- und Bildungschancen, die sich aus dieser pluralen Gesellschaft ergeben, nutzen können. Diese Vielfalt der Erfahrungswelt- und Bildungsmöglichkeiten steht jedoch nicht allen Kindern gleichermaßen offen. Die Teilhabe an den Bildungsmöglichkeiten, so zeigt es der "Zwölfte Kinder und Jugendbericht", ist abhängig von der sozialen und ethnischen Herkunft. Schon die IGLU–Studie aus dem Jahr 2003 zeigte auf, dass Schüler mit Migrationshintergrund in den Grundschulen im Vergleich zu ihren deutschen Mitschülern überproportional schlecht abgeschnitten haben3. Das setzt sich an den weiterführenden Schulen fort. Hier sind die Kinder mit Migrationshintergrund überwiegend an den Hauptschulen vertreten. Dort machen 41% der Jugendlichen mit Migrationshintergrund ihren Abschluss, während fast jeder fünfte Jugendliche mit Migrationshintergrund die Schule ohne einen Abschluss verlässt. Um die gesellschaftliche Benachteiligung abzubauen und um die kulturelle Vielfalt produktiv nutzen zu können, muss angemessen auf dieses Ungleichgewicht reagiert werden. In besonderem Maße gilt es Barrieren und Mechanismen, die zur Benachteiligung oder zum Ausschluss bestimmter Gruppen führen oder führen können, abzubauen und Bildungschancen zu erhöhen. Kindertageseinrichtungen haben als erste Erziehungs- und Bildungsinstitution den wichtigen Erziehungs- und Bildungsauftrag, Entwicklungspotentiale von Kindern in ihrer frühen Lebensphase zu fördern und sie bei ihren individuellen Lebens- und Lernaufgaben zu unterstützen. Darüber hinaus kommt den Kindertageseinrichtungen bezogen auf die Aktivierung und Einbindung von Eltern mit Migrationshintergrund eine besondere Rolle zu. Für viele nicht-deutsche Eltern ist die Kindertageseinrichtung der erste Kontakt zu einer deutschen Bildungsinstitution. Die Qualität und der Verlauf dieser ersten Begegnung stellen Weichen für die zukünftige Zusammenarbeit zwischen Elternhaus und Bildungseinrichtungen. Diese Vorerfahrungen prägen den zukünftigen Umgang mit den anderen Institutionen wie z.B. der Schule. Kindertageseinrichtungen bieten als Bildungs-, Erziehungsund Betreuungseinrichtung allen Beteiligten die Möglichkeit für intensive Begegnungen. Hier treffen unterschiedliche Kulturen aufeinander, die von und miteinander lernen können. Außerhalb der Kindertageseinrichtungen sind Möglichkeiten, sich in dieser Form zu begegnen, eher selten gegeben. Was bedeutet jedoch „Interkultur“ bezogen auf den Alltag in Kindertagesstätten? Welche Auswirkungen hat die Vielfalt der Kulturen auf die pädagogische Arbeit? „Inter“ ist lateinisch, heißt „zwischen“ und weist auf das, was zwischen den unterschiedlichen Orientierungssystemen (Kulturen) entsteht. Die interkulturelle 3 Bos u.a. Hrsg., Erste Ergebnisse aus IGLU, Schülerleistungen am Ende der vierten Jahrgangsstufe im internationalen Vergleich, Hamburg 2003 Programm Rucksack 10 Pädagogik will den Dialog und den Austausch zwischen den Kulturen unterstützen, sie verlangt von allen Kommunikationspartnern eine offene Haltung und begreift alle Beteiligten als Lernende. Wenn wir also von Inter-Kultur sprechen, geht es nicht um etwas, was die Migranten in die Mehrheitsgesellschaft "herein tragen"; sondern darum, was innerhalb dieser interkulturellen Begegnung entsteht. Alle Kinder lernen bei dieser Begegnung im Kindergarten dazu und profitieren voneinander. Dem kulturellen Hintergrund der Kinder ist im Alltag der Kindertageseinrichtung Rechnung zu tragen, ohne dass ihnen jedoch aufgrund der Tatsache, dass ihre Eltern oder Großeltern ursprünglich aus einem anderen Land kommen, etwas zugeschrieben wird, das nicht ihrer Lebenswirklichkeit entspricht. Es ist daher wichtig, sich ein Bild von der Lebenswelt der Kinder zu machen. Das erfordert einen Dialog mit echtem Interesse und einer wertschätzenden Haltung. Hier bieten sich Gespräche im Stuhlkreis mit den Kindern an wie z.B.: - „Wenn ihr zuhause ein großes Fest feiert, wie feiert ihr das?“ - „Was ist dein Lieblingsfest?“ - „Wie feiert ihr eure Geburtstage?“ Diese oder ähnliche Fragen können für die gesamte Gruppe spannend sein und bilden eine gute Ausgangslage für interessante Projekte, wo Sie die Eltern als Experten ihrer Kultur einbeziehen können. Für eine „erfolgreiche“ Begegnung mit Kindern und Eltern aus anderen Kulturkreisen ist es wichtig, Kenntnisse über den Migrationshintergrund der Familien zu haben. So ist die Chance groß, Eltern als Projektpartner zu gewinnen. Es sollte darum gehen, gemeinsame Interessen und Ziele herauszufinden und Eltern als Erziehungspartner und Experten ihrer Kinder wahr - und ernst - zu nehmen. Nur über den direkten Austausch mit den Eltern bekommen Sie die für Ihre Arbeit wichtigen Informationen. Dieser Austausch hilft Ihnen, die Kultur der Familie zu verstehen, eventuell vorhandene Vorurteile abzubauen, Vorstellungen und Meinungen zu revidieren. Erfahrungen der Erzieherinnen aus Essener Kindertagesstätten bestätigen dies: „Seitdem wir mit unseren Fragen direkt auf die Eltern zugehen, sind diese viel offener geworden und erzählen gerne“. 4 Ebenso bedeutsam wie der Dialog sind Hausbesuche, die als wichtiger Bestandteil der pädagogischen Arbeit mit in die Konzeption aufgenommen werden sollten. Der oft verpönte Hausbesuch gewinnt unter dem interkulturellen Aspekt eine andere Bedeutung als den ursprünglichen Beigeschmack eines „Kontrollbesuchs“. Es zeugt von Interesse und Aufmerksamkeit den Familien und ihrer Kultur gegenüber. 4 Aussage einer Essener Erzieherin im Rahmen eines Workshops zum Thema “Interkulturelle Pädagogik“ Programm Rucksack 11 Hinterlässt die kulturelle Vielfalt in Ihrer Einrichtung Spuren und können sich die Kinder und die Eltern damit identifizieren? Dies kann schon bei der räumlichen Gestaltung beginnen, indem die Kinder und Eltern Gegenstände aus ihrem kulturellen und häuslichen Umfeld mitbringen. Es ist für das selbstverständliche Miteinander der verschiedenen Kulturen wichtig, dass Kinder Gegenstände und Gebrauchsobjekte aus ihrem Alltag in der Einrichtung wiederfinden, wie z.B. eine „Djelaba“ (marokkanisches Gewand) für die Umkleidekiste, oder sich in den Räumen die unterschiedlichen Schriftkulturen wieder finden lassen. Ebenso wichtig für das Wohlempfinden sind z.B. Medien wie zweisprachige Kinderbücher, hierfür können Sie die Eltern, Großeltern oder andere Personen als Lesepaten gewinnen, die regelmäßig in den jeweiligen Sprachen vorlesen können. Hierbei machen die muttersprachlich deutschen Kinder eine interessante Erfahrung mit den fremden Sprachen und werden hierfür sensibilisiert. Die nicht muttersprachlich deutschen Kinder erleben so eine Wertschätzung ihrer Muttersprache, was wiederum ihr Selbstbewusstsein stärkt und ihre Sprechfreude anregt. Durch solche Projekte oder Bestandteile des KiTa-Alltags lassen Sie den Sprachen in Ihrer Einrichtung eine gleichwertige Wertschätzung zukommen, was für die Kinder auf der Beziehungsebene ein wichtiges Signal ist. Welchen Einsatz verlangt dieser Ansatz? Diese Form der Arbeit und die damit zusammenhängende wertschätzende Haltung setzt eine interkulturelle Kompetenz bei den Erzieherinnen und Erziehern voraus. Zur Empathie, das meint die Fähigkeit sich in die Situation der Kinder und Eltern hineinversetzen zu können, gehört auch die kommunikative Kompetenz und die Bereitschaft, sich offen und möglichst vorurteilsfrei auf das Neue oder Fremde einzulassen. Sich auf wandelnde und ungewohnte Situationen einzustellen erfordert ein hohes Maß an Flexibilität, ohne dabei die eigenen Grenzen des Möglichen zu überschreiten. Begegnungen mit dem Anderen oder Fremden verlaufen nicht immer konfliktfrei. In diesem Zusammenhang bedeutet interkulturelle Kompetenz, den Konflikt bzw. die Irritation anzusprechen und grundsätzlich Konflikte zu thematisieren, um gemeinsam nach einer Lösung zu suchen. Wichtig ist hier, dass eine gesunde und faire Streitkultur nicht durch eine falsch verstandene Toleranz verdrängt wird. Der interkulturelle Dialog verlangt eine intensive Auseinandersetzung aber auch das Aushalten und Austragen von Konflikten. 5 Die Auseinandersetzung mit dem „Fremden“ setzt eine Sicherheit in der eigenen Kultur voraus. Die bewusste Wahrnehmung und Wertschätzung der eigenen 5 D. Böhm, R. Böhm, B. Deiss-Niethammer, Handbuch Interkulturelles Lernen- Theorie und Praxis für die Arbeit in Kindertageseinrichtungen, 2. Auflage, Freiburg im Breisgau, Herder 1999 Programm Rucksack 12 Entwicklung, ermöglicht die Wertschätzung von Fremdem und das Lernen voneinander. […]
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