„Big Sugar“ manipuliert/ Zuckerlobbyisten treiben

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Wie „Big Sugar“ manipuliert: Zuckerlobbyisten treiben Forscher vor sich her
REISE BERUF & CHANCE RHEIN-MAIN
Wie „Big Sugar“ manipuliert
Zuckerlobbyisten treiben Forscher vor sich
her
Zu viel Zucker macht krank und hat Suchtpotential. Das soll nur keiner wissen,
meint die Zuckerindustrie, erst recht nicht die Politik. Ihr Hebel in der
Meinungsbildung ist die Medizinforschung.
26.07.2015, von MARTINA LENZEN-SCHULTE
© AFP
Nicht alles, was wenig Kalorien verspricht, bleibt ohne Folgen auf den Bauchumfang.
L
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imonaden machen dick und haben erheblichen Anteil am
Anstieg von Typ-2-Diabetes, warnte im Jahr 2007 das
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„American Journal of Public Health“. Im Jahr 2008 hieß es im
„American Journal of Clinical Nutrition“ hingegen, ein
Zusammenhang zwischen Limonadenkonsum und
Body-Mass-Index existiere praktisch nicht. An solche absolut
widersprüchlichen Aussagen in Sachen Ernährung sind alle
gewöhnt. Sie tragen dazu bei, dass sämtliche Hinweise für eine
gesündere, Gewicht reduzierende Ernährung von vornherein
höchst skeptisch aufgenommen und im Zweifel eher ignoriert
werden. „Diät halten hilft eh nicht, ist sogar schädlich“, so oder so
ähnlich sind die Reaktionen derer, die sich fatalistisch der
grassierenden Zunahme von fettleibigen Menschen fügen: Die
einen als Betroffene, die das Gefühl haben, es gebe ohnehin keine
wirklich guten Ernährungsempfehlungen und denen auf diese
Weise auch Ausreden für den Junkfood-Konsum geliefert werden.
Die anderen als Akteure in Sachen Beratung, Erziehung,
Meinungsbildung und Politik, die eigentlich die Umsetzung von
Ernährungswissen in Lebenswirklichkeit verantworten sollen, aber
dank widersprüchlicher Forschungsergebnisse entschuldigt sind,
wenn sie etwa unliebsame Gesetze gar nicht erst erlassen.
Exakt diese lähmende Ambivalenz ist der Zustand, in dem offenbar
die Hersteller von Fastfood und Softdrinks nicht nur die
Konsumenten, sondern auch Multiplikatoren wie Ärzte, Erzieher
und Ernährungsberater, aber vor allem die Entscheidungsträger in
der Politik gerne haben. Torben Jørgensen, Leiter des
Forschungszentrums für Prävention an der Universität in
Kopenhagen, erläuterte unlängst auf der Tagung der Deutschen
Akademie für Präventivmedizin in Kiedrich die ausgetüftelten
Strategien von „Big Sugar“.
Das Hin und Her um
die Limonaden ist ein
Beispiel für die
Strategie dieser
Industrie: Obwohl es
bereits 2007
© DAPD
Zuckerwürfel
erdrückende - und bis
heute nur weiter
bestätigte - Evidenz
dafür gab, dass
Limonaden schon junge Menschen ins Übergewicht treiben, wollte
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Richard A. Forshee 2008 daran kratzen. Er erhält für sein
Forschungszentrum an der Universität von Maryland finanzielle
Mittel von Coca-Cola und Pepsi. Eine Mitarbeiterin Forshees und
Mitautorin der beschwichtigenden Studie bezog bald danach einen
Posten in der Ernährungsindustrie. Als man Forshees Arbeit unter
die Lupe nahm, offenbarten sich denn auch eindeutige
methodische Mängel. Forshee und seine Mitstreiter hatten genau
die passenden Arbeiten zusammengesucht und dann so gedeutet,
dass sie den Süßgetränken einen Freibrief erteilen konnten. Aber
auch wenn sie schlecht ist, Forshees Arbeit ist nun publiziert und
kann von einschlägig gebrieften Lobbyisten Politikern vor die Nase
gehalten werden. Das verhindert dann womöglich, dass diese
Politiker ein Verbot für den Verkauf von Süßgetränken an Schulen
durchsetzen, wie es ihnen andere Ernährungswissenschaftler
längst anraten. Es handelt sich um eine wichtige und simple
Präventivmaßnahme, die zum Beispiel in einigen Regionen von
Australien bereits umgesetzt werden konnte.
Johannes Scholl, der die Veranstaltung der Akademie für
Präventivmedizin in Kiedrich leitete und als Arzt für
Präventivmedizin niedergelassen ist, erläutert, dass man nicht
einmal in führenden Fachzeitschriften vor Manipulationen gefeit
ist: „Als David Ludwig von der Harvard-Universität seine
überzeugenden Bildbefunde zum Suchtpotential bestimmter
Zucker und Kohlenhydrate in dem weltweit führenden „American
Journal of Clinical Nutrition“ 2013 veröffentlichte, hat Ian
Macdonald diese in demselben Journal ziemlich kleingeredet.“ Das
„British Medical Journal“ enthüllte nun Anfang des Jahres nicht
nur, dass zum Beispiel Mars und Coca-Cola Macdonald an der
Universität von Nottingham bei seiner Stoffwechselforschung
großzügig unterstützen. Das britische Ärzteblatt deckte außerdem
auf, dass dies bei einflussreichen Experten in Gremien, die die
englische Regierung in Sachen Ernährung unabhängig beraten
sollen, nicht anders aussieht. „Deshalb veranstaltet die Deutsche
Akademie für Präventivmedizin alle ihre Tagungen konsequent
ohne Sponsoren, jeder zahlt selbst“, betont Scholl, der die
unabhängige Institution mitgegründet hat.
Zu den ebenfalls bewährten Strategien, Junkfood mittels
wissenschaftlicher Expertise aus der Schusslinie zu ziehen, zählt
es, scheinbar stichhaltige Gegenargumente von Experten mit
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Reputation vortragen
zu lassen. Ein Kern
Wahrheit mag darin
sein, aber der wird
dann so aufgebauscht,
als könne man ihn
verallgemeinern.
© WOLFGANG EILMES
McDonald’s in Offenbach: Wie spielte sich der
Abend ab bis Sanel M. zuschlug?
„CokeSpeak“ nennen
kritische
Ernährungswissenschaftler dies inzwischen, und einer der hier
meistzitierten Vertreter ist Steve Blair. Bekanntgeworden ist sein
Satz „Obesity is not about what we put in our mouth, it ’s about
being too darn lazy“. („Bei Adipositas geht es nicht darum, was wir
uns in den Mund stecken, sondern darum, dass wir so verflixt faul
sind.“) Seine Studien hinterfragen zum Beispiel die Verlässlichkeit
von Umfragen zur Ernährung und säen so erhebliche Zweifel
daran, ob man überhaupt über das Essverhalten der Amerikaner
etwas Substantielles sagen könnte. Dass solche Forschung von
Coca-Cola finanziert wird, verschweigt er hin und wieder, wie zum
Beispiel in der Zeitschrift „Plos One“ im Jahr 2013, die dann bei
der Erklärung der Interessenkonflikte nachbessern musste. Dass
er selbst womöglich „verflixt faul“ ist und damit keine gute
Werbung für seine wissenschaftlichen Proklamationen macht,
wird ihm inzwischen auch im Internet von der kritischen
Ernährungsexpertin Zoë Harcombe auf ihrer Homepage
vorgeworfen. Man solle sich mal Bilder von Steve Blair ansehen,
fordert sie dort auf, dann sähe jeder, dass er entweder selbst zu
träge sei, oder aber „zu viel von der Medizin seines Sponsors
konsumiere“.
Blair zieht aber weiterhin nach dem Motto „Fett, aber fit“ die
Aufmerksamkeit gezielt weg vom Essen und vom Körpergewicht
als krankmachenden Faktoren. Der Kern seiner Botschaft: Nicht
jeder, der übergewichtig ist, ist schon krank. Das mag für einige zumindest eine Zeitlang - stimmen. Dies stimmt auch insofern, als
weitere Risikofaktoren mit dafür verantwortlich sind, wie schlimm
und wie schnell die überzähligen Kilos schließlich Herz, Gefäßen
und Stoffwechsel schaden. Aber es lässt die Dicken in dem guten
Glauben, sie seien dennoch gesund, und es beschwichtigt Politiker,
die eigentlich längst die dickmachende Umwelt für Kinder und
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Erwachsene ändern sollten. Eine eigene Webeite www.CokeSpeak.org - hält eine Fülle von Beispielen derartiger
Halbwahrheiten von Forschern bereit, die auf die eine oder andere
Weise von „Big Food“ ihre Förderung erhalten.
Perfide Kommunikationsstrategie
Solche Wissenschaftler stellen die Basics bereit, um damit
Multiplikatoren - Journalisten zum Beispiel - zu verwirren. Sie
dienen weiter dazu, Beratertätigkeit zu unterstützen, die dann
verhindert, dass Politiker unangenehme Entscheidungen treffen,
wie der Public-Health-Experte Jorgensen darlegte. Ein
Riesenerfolg der Junkfood-Lobby war zweifelsohne die
Verhinderung der Lebensmittelampel, die von der EU im Jahr
2011 abgelehnt wurde. Hierzulande konnten es viele kaum fassen.
Obwohl zwei Drittel der deutschen Bevölkerung für die Ampel
waren und die deutschen Kinder- und Jugendärzte, zahlreiche
Verbraucherorganisationen, allen voran Foodwatch, die
Krankenkassen und viele Fachverbände die Ablehnung der Ampel
vielfach und nachhaltig kritisiert haben - sie kam nicht. Sie hätte
mit einem Blick dem Verbraucher die Augen über den Zucker-,
Fett- und Salzgehalt von Lebensmitteln geöffnet und absehbar zu
empfindlichen Gewinneinbußen bei gesundheitlich bedenklichen
Nahrungsmitteln geführt. Eine Milliarde Dollar habe sich die
Industrie diese Blockade kosten lassen, wie der Däne Jørgensen
unter Hinweis auf die einschlägigen Publikationen von
Beobachtern der Verhandlungen erläuterte („Journal of European
Public Policy“ Bd. 20, S. 722).
England hat schon reagiert
Da nützt es wenig, dass einzelne Länder ausgeschert sind. England
etwa war der EU-Ersatz der Ampel zu lasch, es schuf strengere
Label-Regelungen. Der Fall der Ampelregelung war ein einziger
Triumph für die Industrie. Viele Kritiker fragen jetzt, warum
Deutschland nicht auf nationaler Ebene längst ebenfalls strengere
Wege im Alleingang einschlägt - wer hindert uns? Ähnlich wie die
Ampel im Vorhinein verhindert wurde, hat man in Dänemark die
Besteuerung von Lebensmitteln, die gesättigte Fettsäuren
enthalten, im Nachhinein zu Fall gebracht - und zwar sehr schnell.
Der weltweit ersten Fettsteuer war von 2011 bis 2013 nur ein
kurzes Zwischenspiel von fünfzehn Monaten vergönnt, bis sie
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zurückgenommen wurde. Jørgensen ist nicht der Erste, der aus
diesen Gründen die Lebensmittelhersteller mit „Big Tobacco“ und
deren falschen Schwüren vergleicht. Er fordert für „Big Food“ eine
ähnlich weitreichende Rahmenkonvention (Framework
Convention on Nutrition Control, FCNC), wie sie die WHO für die
Tabakindustrie inzwischen umgesetzt hat. Die Werbung für
Lebensmittel, insbesondere die Kampagnen, welche die Kinder
ansprechen, gehört nach Überzeugung Jørgensens ebenso
überwacht, wie es endlich einer klaren Ampellösung in Europa
bedürfe, formulierte er als unabdingbare Kernpunkte einer
vorbeugenden weltweiten Gesundheitsagenda.
Süßsteuer: Soll der Staat bei zuckerhaltigen Limonaden zulangen?
Süßsteuer: Soll der Staat bei zuckerhaltigen Limonaden zulangen? Zucker besteuern? In seinem
1776 erschienenen Buch „Der Wohlstand der Nationen“ schrieb der schottische Ökonom Adam
Smith folgenden Satz darüber: „Zucker, Rum und Tabak sind Konsumartikel, die zum Leben
keineswegs notwendig sind, die aber fast überall auf der Welt konsumiert werden und deshalb
extrem geeignet für eine Besteuerung sind.“ Alkohol und Zigaretten haben es wie Treibstoff in
beinahe jedem Land der Welt auf die Liste der Steuertatbestände geschafft, Zucker nicht. Einzige
Ausnahme bisher: Mexiko. Das mittelamerikanische Land mit dem weltweit höchsten Konsum an
Süßgetränken (der Mexikaner trinkt statistisch 745 Gläser pro Jahr) erhebt seit vergangenem
Jahr einen Peso pro Liter (0,058 Euro, das entspricht etwa einem Zehntel des Preises) auf alle
zuckerhaltigen Getränke. Ob die Maßnahme zu dem gewünschten Effekt - gesündere
Staatsbürger - führen kann, ist noch völlig unklar. Derzeit gelten weltweit knapp zwei Milliarden
Menschen als übergewichtig, 600 Millionen als adipös. In der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift
„Social Science and Medicine“ wird die Besteuerung als durchaus erfolgversprechende
Vorbeugungsmaßnahme angesehen - sofern die Höhe der Steuer sich an dem Kaloriengehalt der
zugesetzten Zuckersüße bemisst. „Eine Flat-Steuer bringt nichts. Sie schafft keine Anreize, zu
weniger süßen Getränken zu wechseln“, findet Autor Evan Blecher, Ökonom an der Universität
Kapstadt und Experte der amerikanischen Krebsgesellschaft, in Sachen Zuckersteuer. Dass es
sich medizinisch tatsächlich auszahlen könnte, weniger Süßes zu konsumieren, zeigt einmal
mehr eine neue Studie im „British Medical Journal“. Die 17 Beobachtungsstudien, die
ausgewertet wurden, um das 10-Jahres-Risiko für Diabetes Typ 2 zu ermitteln, lassen zwar keine
kausalen Schlüsse zu. Aber das Ergebnis ist statistisch eindeutig: Wer regelmäßig Süßgetränke
konsumiert, hat unabhängig vom Übergewicht ein deutlich höheres Diabetes-Risiko. Geringer ist
das Risiko für künstlich gesüßte Getränke, doch zu einem Freispruch reicht es keineswegs. Wer
süchtig nach Süßem ist, holt sich seine tägliche Zuckerration offenbar anderweitig. (jom)
Quelle: F.A.Z.
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