Artikel als PDF - Heller Enterprises

Besondere Kennzeichen
Heller reitet in die Stadt
Die Projekte von Martin Heller, künstlerische Leiter der Expo.02, geben zu
Reden. Er unterstützt ein bedingungsloses Grundeinkommen, überrascht und
lässt sich überraschen. Von David Signer
von David Signer 8.1.2016, 10:00 Uhr
Überraschend bei Martin Heller ist, dass er riesige Projekte stemmt, mit
Millionenbeträgen und sehr vielen Involvierten, und er trotzdem nicht zum
Routinier und Technokraten wird. Er war künstlerischer Direktor der Expo
02, verantwortete als Intendant Linz als Kulturhauptstadt Europas 2009,
wird das Projekt «500 Jahre Zürcher Reformation» kuratorisch begleiten und
hatte daneben seine Finger bei 1001 Projekten drin. Aber bei allem, was er
berührt, spürt man etwas Spontanes, Frisches, Experimentelles, Lust am
Neubeginn und Andersmachen. Er ist das Gegenteil eines abgebrühten Profis,
der immer weiss, wie's geht, nach Schema F.
Martin Heller steht am Fenster der Räumlichkeiten von Heller Enterprises.
Er hat die Firma für Kulturprojekte im Jahr 2003 gegründet. Untergebracht
ist sie im Gebäude des Schiffbaus. Man blickt hinunter auf ein riesiges Loch.
Die Baustelle scheint Heller nicht zu stören, im Gegenteil, die beständige
Veränderung fasziniert ihn. Geboren 1952 in Basel, hat er seinerzeit neben
Kunstgeschichte auch Ethnologie und europäische Volkskunde studiert, und
sein Vorgehen hat immer noch etwas von einer ethnologischen
Forschungsexpedition an sich. Es liegt ihm nicht, nur als Zaungast die
gesellschaftlichen Verhältnisse distanziert zu beobachten, so wie das die
meisten Intellektuellen tun. Lieber wirft er sich ins Getümmel, mischt mit,
mischt auf, provoziert heftige Reaktionen. «Teilnehmende Beobachtung»
nennt man diese Methode in der Ethnologie. Sie beruht auf der Annahme,
dass man mehr erfährt, wenn man aktiv mitmacht, Irritationen erlebt und
auslöst, auf Widerstände trifft, Konflikte provoziert, zum spannungsreichen
Dialog gezwungen wird. Das stösst sowohl bei einem selbst wie auch bei den
andern Lernprozesse an.
Die Clint-Eastwood-Methode
So wurde Heller 2003 beauftragt, die Bewerbung von Bremen als
Kulturhauptstadt Europas 2010 künstlerisch zu leiten. Sein kritischer Blick
von aussen sollte auf der Grundlage des Vertrauten und vermeintlich
Bekannten Neues freilegen. Das war eine zukunftsgerichtete
Herausforderung, da sich die Freie Hansestadt nicht mehr über den
Überseehandel und die Werften definieren kann und sich neu erfinden muss.
Bremen schaffte es nicht bis zum Label Kulturhauptstadt, aber es gelang
Heller, in seiner zweijährigen Tätigkeit zahlreiche Prozesse zu initiieren. Und
einige Jahre später konnte er dann Linz als Kulturhauptstadt inszenieren. In
beiden Fällen lösten Hellers Impulse hitzige Kontroversen aus. Für ihn
ähnelte die Arbeit einer ethnologischen Feldforschung. «Man geht zuerst
einmal als Fremder in eine Stadt wie Bremen oder Linz», sagt Heller. «Und
muss so rasch wie möglich verstehen, worum es an diesem Ort geht; dem
Kern auf die Spur kommen.» Man wolle ja dem Ort nicht einfach ein Konzept
überstülpen, sondern auf das eingehen und von dem ausgehen, was ist.
Aber bei solchen Expeditionen, gerade wenn sie lediglich in Nachbarländer
führen, findet sich das Fremde nicht unbedingt dort, wo man es erwartet.
Genaugenommen wäre es dann ja auch gar nichts Fremdes mehr. «Eine
deutsche Stadt steht uns vermeintlich nah, wir stellen uns nicht auf
Überraschungen ein», sagt Heller. «Umso grösser ist dann die Irritation,
wenn vieles eben doch nicht wie bei uns abläuft.» Für das Fremde müsse man
nicht in die Südsee fahren, meint er, denn schon Paul Klee wusste: «Ein Gang
ins Kinderzimmer genügt.»
Als Leitschnur bei seinen Unternehmungen dient Heller, was er ironisch
«Eastwood-Methode» nennt. «Laut einer Anekdote wurde Clint Eastwood
einmal gefragt, wie er seine übermenschliche Aufgabe erfülle. Ständig neue
Städte, immer auf der Seite des Guten, pausenlos Kampf gegen Gemeinheit
und Lüge, unter Entbehrungen und Gefahren. Kaum der Rede wert,
antwortete Eastwood. In Wirklichkeit verhalte es sich einfach.» Und dann
sprach der Held unzähliger Filme den unsterblichen Satz, der auch Heller
fortan als Maxime diente: «Ich reite in eine Stadt – der Rest findet sich.»
Der coole Satz bedeutet für Heller: Hingehen, sich umschauen, genau
hinsehen, mit den Leuten sprechen, ohne Herablassung, liebevoll. Jeden
ernst nehmen. Sich auf das einlassen, was da ist, jetzt. Ohne Verachtung und
ohne übertriebenen Respekt. Diese Haltung trug massgeblich dazu bei, dass
die Expo 02 am Ende sowohl von Intellektuellen wie auch von einem
breiteren Publikum besucht wurde. Auch für seine jüngste Operation,
Humboldt Lab Dahlem, wo es darum ging, im Rahmen der Planungen für das
umstrittene Humboldt-Forum mit den altehrwürdigen Beständen des
Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst von Dahlem
zu experimentieren, überzeugte Heller die Wissenschafter mit drei Credos:
multiperspektivisch, publikumsorientiert, gegenwärtig. Auch dort ritt er in
die Stadt, ohne den Anspruch, von vornherein alles planen und steuern zu
können, und liess sich auf einen Prozess voller Überraschungen ein. Ein
Labor eben. Am Anfang stand wie immer eine Überforderung, die sich dann
langsam in eine Herausforderung transformierte. Beim neusten Projekt,
«Edition Unik», geht es um die Publikation autobiografischer Texte von
gewöhnlichen Menschen. «Der Clou ist natürlich, dass es das nicht gibt. Jeder
ist aussergewöhnlich und hat deshalb etwas zu sagen und weiterzugeben.»
Als «neugierig und gelassen» wird Heller gerne bezeichnet. Man könnte ihn
auch als Samurai charakterisieren, eine Art zenbuddhistischen Söldner. Er
selber weigert sich, sich irgendwie zu beschreiben. Zu entlocken ist ihm
lediglich ein trockenes «Die Langeweile suche ich nicht unbedingt».
Schon in frühen Jahren hat ihn der Philosoph Paul Feyerabend fasziniert, der
in «Wider den Methodenzwang» die berühmt-berüchtigte Feststellung traf:
«Anything goes.» Für Heller ist damit keine postmoderne Beliebigkeit, kein
frivoler Nihilismus gemeint. Vielmehr drückt es aus, dass es keine von Anfang
an wahre, einzige Methode, kein Patentrezept gibt. Man muss sich zuerst in
eine konkrete Situation hineinbegeben, um ihr gerecht zu werden. «Das heisst
keineswegs, dass es egal ist, wie man entscheidet», sagt Heller. «Eine
Entscheidung steht ja nur an, wenn es nicht von vornherein Richtig und
Falsch gibt. Aber gerade diese Wahlfreiheit bringt Verantwortung mit sich.»
Für bedingungsloses Grundeinkommen
Heller unterstützt die Initiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen.
Das mag erstaunen bei einem, der immer wieder die mangelnde
Risikobereitschaft der Schweiz beklagt hat, das Sicherheitsbedürfnis, die
Angst vor Experimenten. Aber bei den 2500 Franken, die laut der InitiativUtopie jeder erhalten soll, unabhängig von den Umständen, geht es ihm nicht
um eine Vollkaskomentalität, sondern um eine «Entkrampfung» der
Diskussion um Lohnarbeit, unentgeltliche Arbeit, Arbeitslosigkeit, Geld und
Fürsorge. Aber werden sich bei einem garantierten Basiseinkommen
tatsächlich plötzlich ganz viele Menschen sozial, politisch oder kreativ
engagieren? Wird ein Potenzial an selbstbestimmter Arbeit freigesetzt?
Werden nicht mehr Leute auf der faulen Haut liegen? Ist nicht gerade Heller
– der ursprünglich Zeichenlehrer war und heute ganze Städte in Aufruhr
versetzt – ein Beispiel dafür, dass sich Kreativität und Ökonomie nicht
ausschliessen müssen? Dass gerade in der Reibung zwischen Visionen und
der gesellschaftlichen Realität Innovationen entstehen?
«Diese Einschätzung ist letztlich eine Frage des Menschenbildes und des
Vertrauens in unsere Gesellschaft», sagt Heller. Er ist gespannt auf die
Auseinandersetzungen auf politischer Ebene, wo es für einmal um
grundsätzliche Fragen des Zusammenlebens gehen wird. Aber – fügt er hinzu,
ganz Eastwood – er sei auch noch nicht hundertprozentig überzeugt; es gehe,
auch bei ihm selber, um den Beginn eines (Um-)Denkprozesses. Vielleicht
sieht er die Initiative auch als eine Art soziale, künstlerische, intellektuelle
Intervention, als Input, der – wie schon oft in seinem fruchtbaren Leben –
langsame, längerfristige Umwälzungen anstösst.
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