Video-Podcast der Bundeskanzlerin #01/2016 9. Januar 2016 Die Fragen stellte Dr. Galina Kolev, Wirtschaftswissenschaftlerin am Institut der deutschen Wirtschaft, Köln. Galina Kolev: Frau Bundeskanzlerin, am Mittwoch sprechen Sie bei einer Festveranstaltung zum 125. Geburtstag von Walter Eucken, einem der Vordenker der Sozialen Marktwirtschaft. Deren zentrale Idee besteht in wirtschaftlicher Freiheit bei gleichzeitigem sozialem Ausgleich. Um die Zukunftsfähigkeit der Sozialen Marktwirtschaft in Deutschland zu sichern, brauchen wir Innovationen. Wir brauchen Investitionen, und da fehlt es gerade an Schwung. Was kann die Bundesregierung tun, um die Attraktivität Deutschlands als Investitionsstandort zu verbessern? Bundeskanzlerin Merkel Ja, ich freue mich erst mal, dass ich zu diesem Jubiläum sprechen kann. Walter Eucken und die Gründer der Sozialen Marktwirtschaft haben ja auf zwei Dinge sehr viel Wert gelegt: Einmal auf die Freiheit, damit Unternehmertum sich entfalten kann. Auf der anderen Seite aber auch auf einen starken staatlichen Ordnungsrahmen, der sicherstellt, dass es nicht zu Konzentrationen und dadurch zu Beschränkungen der Freiheit von Akteuren im Wirtschaftsraum kommt. Heute ist die Soziale Marktwirtshaft natürlich sehr vielen neuen Herausforderungen ausgesetzt, die es zu der Zeit von Walten Eucken noch nicht so gab. Insbesondere die Globalisierung ist etwas, was wir immer wieder im Auge haben müssen. Die Digitalisierung verändert unsere Wirtschaftsordnung komplett. Und auch die internationalen Finanzmärkte agieren natürlich nationenüberspannend. Das heißt, wir brauchen Ordnungsrahmen nicht nur national oder nicht nur auf der Ebene der Europäischen Union, sondern eben auch international. Und deshalb sind wir im Augenblick auf dem Weg, eine solche internationale Ordnung zum Beispiel für die Finanzmärkte herzustellen – durch die Beschlüsse der G20-Gruppe. Aber dies ist ein sehr komplizierter Prozess. Ich bin zum Beispiel der Bank für Internationale Zusammenarbeit oder dem Finanzstabilitätsboard sehr dankbar, dass sie uns hier immer wieder mit neuen Vorschlägen Input und Anregungen geben. Zweitens entwickeln sich natürlich auch neue Herausforderungen für die Wettbewerbsordnung. Gerade in der Europäischen Union haben wir das europäische Wettbewerbsrecht, das aber bei der Marktdefinition auch so ausgestaltet sein muss, dass wir im internationalen Wettbewerb mithalten können. Zum Beispiel bei Telekommunikationsunternehmen ist der europäische Markt noch sehr zersplittert, während wir international sehr großen Wettbewerbern gegenüberstehen. Und hier ist die Kommission auch dabei, nochmal eine Recherche zu machen, wie dieses Wettbewerbsrecht vorangebracht werden könnte. Jetzt die Frage der Investition: Natürlich ist der Ordnungsrahmen auch immer der Rahmen, in dem Menschen sich entscheiden, zu investieren – in Deutschland zum Beispiel. Ich glaube, es war richtig, die Steuern nicht zu erhöhen. Jetzt ist das Thema Erbschaftssteuer ein Thema, was viele Familienunternehmer sehr bedrückt, und wir wollen eine Lösung finden, die verfassungskonform ist, aber auch den Generationenübergang möglich macht. Die Bundesregierung hat in dieser Legislaturperiode einen Schwerpunkt auf Investitionen gesetzt. Wir haben den Forschungshaushalt um über eine Milliarde erhöht. Wir haben die Straßeninvestitionen in dieser Legislaturperiode deutlich erhöht – um vier Milliarden Euro –, und wir investieren in den Ausbau des Breitbandnetzes. Und wir hoffen, dass mit diesen staatlichen Hilfen auch dann private Investitionen wieder besser Platz greifen können. Walter Eucken hat einst geschrieben: „Die Meinungen der Menschen, ihre geistige Haltung, sind für die Richtung der Wirtschaftspolitik viel wichtiger als die wirtschaftlichen Tatsachen selbst.“ Und dies zeigt zum Beispiel auch der Diskurs heute um das geplante Freihandelsabkommen mit den USA, TTIP. Trotz erwarteter wirtschaftlicher Vorteile, ist die Mehrheit der Deutschen skeptisch. Wie kann man der Bevölkerung die Angst vor TTIP nehmen? Walter Eucken hat im Grunde ein bisschen auch das gesagt, was Ludwig Erhard mit anderen Worten gesagt hat: dass Wirtschaftspolitik, Wirtschaft insgesamt, immer zu 50 Prozent auch Psychologie ist. Und deshalb ist es auch die Aufgabe der Politik, hier aufzuklären und eine rationale Debatte zu führen: Was sind die Vorteile, was sind vielleicht auch die Abrisskanten, die Gefahrenmomente? Ich glaube, dass das Stichwort, um hier erst einmal Vertrauen aufzubauen, Transparenz ist – wir haben jetzt in den Verhandlungsprozessen sehr viel mehr Transparenz, als wir das bisher hatten –, aber eben auch dauernde Aufklärung über die Tatsachen. Und zu den Tatsachen des Freihandelsabkommens mit den Vereinigten Staaten gehört, dass eben kein Standard, den es heute in der Europäischen Union gibt, abgesenkt wird. Und dass wir auch sicherstellen, dass zukünftige Standards, die wir in der Europäischen Union entwickeln, dann auch mit einem solchen Freihandelsabkommen kompatibel sind. Ich glaube, dass die Vorteile die Nachteile wirklich deutlich überwiegen. Und wenn es um Arbeitsplätze für Europa geht, dann haben wir ja wirklich Nachholbedarf. Deshalb glaube ich, dass dieses Freihandelsabkommen gut ist, und dass es sogar helfen kann, ein Beispiel für andere Freihandelslabkommen zu sein, in denen dann auch soziale und ökologische Standards eine stärkere Rolle spielen. Kommende Woche sind Sie zu Besuch sowohl bei dem Deutschen Gewerkschaftsbund als auch bei der Wirtschaft im Südwesten Deutschlands. Und ein brennendes Thema sowohl aus Arbeitnehmer- als auch aus Arbeitgeberperspektive ist die Flüchtlingsintegration in den deutschen Arbeitsmarkt. Was ist zu tun, damit dieser Prozess möglichst reibungslos verläuft, und von wem? Ja, ich bin erst mal sehr dankbar, dass sowohl die Gewerkschaften als auch die Wirtschaft gegenüber der Integration von Flüchtlingen sehr offen sind. Wir wissen aus der Vergangenheit, dass die Arbeit natürlich die beste Methode der Integration ist. Nur ist heute die Beschäftigung in den allermeisten Fällen so qualifiziert, dass man natürlich auch eine gute Vorbildung, eine gute Voraussetzung braucht. Deshalb sind Sprachkenntnisse von allergrößter Bedeutung. Und zwar auch die richtige Ausbildung in Sprache, die dann auch hilft, vielleicht die eigene berufliche Fähigkeit abzubilden und zu verstärken. Deshalb ist es, glaube ich, richtig und gut gewesen, dass Herr Weise nicht nur die Bundesagentur für Arbeit führt, sondern auch das Bundes- amt für Migration und Flüchtlinge, und schon von vornherein bei den Flüchtlingen möglichst schnell ein Status gemacht wird, über welche beruflichen Qualifikationen sie verfügen und wie man sie in den Arbeitsmarkt integrieren kann. Die Wirtschaft ist bereit, Praktika durchzuführen und Hospitanzen – ich glaube, das wird ein wichtiges Mittel sein. Und natürlich kann man auch durch gemeinnützige Arbeit – EinEuro-Jobs zum Beispiel – staatlicherseits schon Vorbereitungen treffen, damit Flüchtlinge möglichst schnell eine Betätigung bekommen. Das heißt, gefragt sind Staat – das ist der Bund durch die Integrationskurse, durch die Sprachausbildung –, gleichzeitig dann die Wirtschaft und die Gewerkschaften, damit man alle Möglichkeiten auch wirklich nutzt, die sich bieten, um Flüchtlingen eine Chance zu geben. Für Walter Eucken kam es nicht auf die Menge, sondern auf die Qualität der Staatstätigkeit an. In Deutschland wird die Wirtschaft aber durch vergleichsweise viele bürokratische Hürden belastet, wie zum Beispiel Arbeitszeitregelungen. Wie zufrieden wären die Vordenker der Sozialen Marktwirtschaft Ihres Erachtens mit der Umsetzung ihres Konzeptes heute? Das ist schwer zu beantworten. Ich glaube, das ist eine sehr spekulative Frage, weil ja jede Zeit mit ihren Arbeitsbedingungen auch den notwendigen Ausgleich finden muss. Und ich meine: Sozialer Ausgleich war immer Kernbestand auch der Sozialen Marktwirtschaft. Das heißt, dass es auch Arbeitszeitregelungen gibt, hat ja nicht nur einschränkenden Charakter, sondern es hilft auch, die Arbeitskraft nachhaltig zur Verfügung zu stellen und nicht überzubeanspruchen. Und insofern würde ich sagen, das sind Regelungen, die auch dem sozialen Ausgleich dienen. Gleichzeit muss man sagen, wir haben sehr viel Bürokratie und vielleicht auch manchmal ein Sicherheitsbedürfnis, alles zu regeln. Deshalb haben wir auch das Thema Bürokratieabbau auf die Tagesordnung dieser großen Koalition gesetzt. Und wir haben im Juli eine Regelung besprochen, die, glaube ich, wichtig ist, wenn es um Berichtspflichten geht und neue Berichtspflichten eingeführt werden; dann sagen wir, es muss eine alte wieder abgeschafft werden, also „one in – one out“. Das läuft noch nicht so lange, und ob wir das auch schaffen, das muss die Praxis noch erweisen. Der gute Vorsatz ist jedenfalls da. Und wir können nachweisen, dass wir in den letzten Jahren gerade die Bürokratiekosten bei Berichtspflichten – auch mit Hilfe der digitalen Möglichkeiten – um über 20 Prozent gesenkt haben. Das ist ein kleiner Erfolg, aber wir müssen natürlich weiterarbeiten.
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