Auf den Spuren eines amerikanischen Oldtimers

TZ-SPEZIAL
DONNERSTAG, 11. Februar 2016
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Au Pair mit Spezialauftrag
Alicia Wiemann, 18 Jahre jung, aus Torgau arbeitet seit
Anfang Oktober 2015 als Au Pair, sprich Kindermädchen
für eine Familie in der Hauptstadt Des Moines des
US-Bundestaates Iowa. 13 Monate will die freie
TZ-Mitarbeiterin insgesamt in den USA verbringen.
Regelmäßig berichtet sie in der Heimatzeitung vom
Alltag im Land der unbegrenzen Möglichkeiten.
W
er sein Auto liebt, setzt alles in Bewegung, um es zu pflegen und zu erhalten. Wenn man dann auch noch einen ganz
besonderen Wagen hat, möchte man auch
etwas über die Historie erfahren, wie der
Torgauer Frank Lange. Mitte November des
letzten Jahres setzte er sich mit mir in Verbindung und bat mich um Hilfe bei der Recherche zu seinem Oldtimer. Er besitzt seit
2011 eine seltene amerikanische Chevrolet
Corvette C1, Baujahr 1960. Bei dem Oldtimer handelt es sich um die erste Generation
der Corvette. Diese wurde in den Jahren von
1953-1962 produziert, dabei mehrfach technisch und optisch überarbeitet und gehört
zur Klasse der Sportwagen. Alle C1 entstanden als Roadster / Cabrios. Hinter so einem
extravaganten Auto, dessen Neupreis damals auch locker für zwei bis drei „normale
Autos“ reichte, steckt eine lange und interessante Geschichte. Und die versuchte Frank
Lange im Laufe der Zeit zu ergründen und
zu dokumentieren.
Auf den Spuren eines
amerikanischen Oldtimers
Über New York und Rotterdam
Im Januar 2011 hat er das Auto in einem guten, aber nicht perfekten Zustand in den
USA in Wisconsin über einen deutschen
Händler, den er beauftragt hatte, erworben.
Wie er mir erzählte, wäre die Verbindung
eher zufällig über dienstlichen Kontakt mit
dessen Frau zustande gekommen, bei dem
der Torgauer über das erneute Auswandern
der Familie in die Staaten erfahren hatte. In
Deutschland war die Suche nach einem Auto
zuvor mangels Angebot gescheitert. Die Einfuhr der roten Corvette C1 erfolgte in Eigenregie über New York und Rotterdam nach
Deutschland. Bis 2013 hat er viel Zeit und
Geld investiert, um das Auto bis ins kleinste Detail in seinen Originalzustand zurückzuversetzen. Währenddessen das Auto mit
seinem wundervoll klingenden V8-Motor
seine alte Schönheit zurückgewann, versuchte er die Historie des Fahrzeuges zu ergründen. Der erste Kontakt entstand zum
Vorbesitzer Mr. Brigger aus Clarion, Iowa.
Von ihm erfuhr er, dass er das Auto im Jah-
lebe ich ausgerechnet in Des Moines, der
Hauptstadt von Iowa. Als ich die E-Mail mit
der Geschichte und dessen Bitte, ihm vor Ort
zu helfen, erhalten habe, war ich sehr fasziniert von der Hingabe, die dahinter steckte. Ich wollte auf jeden Fall versuchen, etwas über Gary White herauszufinden,
auch wenn seit 1980 nun mal schon 35
Jahre vergangen sind. Ich habe mich
trotzdem der Herausforderung gestellt
einen Mann zu finden – mit einem Allerwelts-Nachnamen wie bei uns Müller,
rade erst zusammen gekommen
sind. Ich sollte am Abend nochmal anrufen, da Gary noch arbeiten wäre. Das Ziel war so
nah und meine Hoffnung
war wieder neu geweckt
worden nach so vielen
vergeblichen Versuchen.
Als ich dann später mit
Gary White gesprochen
habe, hätte ich fast
Luftsprünge gemacht. Er
war es! Ich habe ihn
Chic ist sie geworden, die rote Chevrolet Corvette C1 aus dem Jahr 1960, die eine ebenso schnieke Garage hat (links). re 2003 gekauft hatte und keine weiteren
Veränderungen an der Corvette vornahm.
Mit dem vorletzten Besitzer Thomas Glab
aus Dubuque, Iowa steht Frank Lange bis
heute per E-Mail in Verbindung. Er hatte das
Auto 1997 günstig erworben und bis 1999
restauriert. Glab konnte sich wiederum an
Thomas Guler als Verkäufer erinnern und
auch hier gelang eine Kontaktaufnahme.
Guler stammt aus Cuba City, Wisconsin und
hatte 1980 das Cabrio für seine Frau erworben. Er konnte auch noch den Verkäufer
Gary White benennen. Allerdings verlor
Frank Lange hier die Spur bei dem in Des
Moines, Iowa, lebenden White.
Reiner Zufall kam ins Spiel
Hier würde nun eigentlich die Geschichte
enden, doch es kam anders. Ein Bericht zu
meiner Au-Pair-Tätigkeit in den USA in der
Torgauer Zeitung ließ Lange aufhorchen und
Kontakt zu mir aufnehmen, denn schließlich
Meyer, Schmidt – ohne andere Merkmale,
nur das Jahr, des Autoverkaufs. Klingt nach
einer fast unmöglichen Mission in einer
Stadt wie Des Moines mit circa 563 000 Einwohnern.
ABER: Ich habe ihn gefunden – Gary White,
der 1980 eine rote Corvette C1 an Thomas
Guler verkauft hat! Nach eineinhalb Monaten haben sich meine Bemühungen bezahlt
gemacht. Und es war echt nicht einfach!
Man muss ja bedenken, dass ich nebenbei
auch noch als Kindermädchen gearbeitet
habe. Ich habe zuerst mit dem mir schnellsten Weg begonnen – Facebook.
Ungefähr 50 verschiedene Gary Whites haben von mir eine Nachricht bekommen, ob
sie der gesuchte Gary White sind. Leider
habe ich entweder nur negative oder gar
keine Antworten bekommen. Auch in Facebookgruppen von Des Moines konnte keiner bei meiner Suche helfen. Dann bin ich
zur amerikanischen Version des Straßenverkehrsamtes gegangen, da wollte man mir
aber nach mehreren Terminen keine Auskunft geben. Auch beim Einwohnermeldeamt bin ich nicht weiter gekommen, da ich
kein Recht auf Informationen habe, aufgrund der nicht vorhandenen Verwandtschaft. Auch wenn sie meine Geschichte interessant fanden und mir gerne geholfen
hätten, stand ich weiterhin ohne Ergebnis
da.
Alle Gary Whites angerufen
Als dann in der letzten Woche des Jahres ein
riesiges Telefonbuch in der Post war, habe
ich angefangen, alle Gary Whites anzurufen. Ich brauchte drei Tage und habe mit
mindestens 80 Familien mit dem Nachnamen White gesprochen, bis ich am 29. Dezember endlich eine Mrs. White am Telefon
hatte, die mir bestätigen konnte, dass ihr
Ehemann Gary 1980 ein rotes Auto verkauft
hatte. Sie konnte sich aber an die Marke
nicht mehr erinnern, da sie zu dieser Zeit ge-
Bilder des ehemaligen Zustandes der Corvette C1. Das rechte Foto zeigt den Motorraum im jetzigen Zustand. Deshalb hat er es monatelang wieder hergestellt und hatte nicht wirklich die Gelegenheit, es zu Fahren. Er hat mir aber Fotos vom
Kauf und nach der Restauration zur Verfügung gestellt.
Aus Geldnot verkauft
Er erinnerte sich noch daran, wie Thomas
Guler die 1960er Corvette sah und so beeindruckt war, dass er fragte, ob White diese
verkaufen würde. „Da ich etwas pleite war
zu der Zeit und ich das Geld gebrauchen
Fotos: Frank Lange
nochmal kurz zusammengefasst, worum es
geht, und dass der Torgauer Frank Lange
auf der Suche nach ihm war.
Faszination Corvette
Total überrascht hat er mir von seiner Zeit
mit dem roten Corvette C1 erzählt. ,,Ich habe
schon immer den Baustil der Vintage Corvette geliebt, und als ich 1979 die rote C1 in
einer Einfahrt in Des Moines, Iowa sah,
musste ich einfach anhalten. Das Schild ,Zu
Verkaufen’ hat mich so angestrahlt“, erzählt
mir Gary White am Telefon bei unserem
zweiten Gespräch an Neujahr. Leider kann
er sich nicht an den Namen des Verkäufers
erinnern und hat aufgrund von zwei Umzügen auch die Papiere der damaligen Zeit
nicht mehr. Wer dachte denn daran, diese
jemals wieder zu benötigen? Jedenfalls ist
er der Meinung, dass er nicht wie vermutet
der Zweitbesitzer ist weil das Auto, als er es
erwarb, schon sehr mitgenommen aussah.
konnte, habe ich schließlich sein Angebot
akzeptiert und ihm das Auto verkauft!“, antwortete Gary auf die Frage, warum er denn
das nun wieder schmucke Auto nach solch
kurzer Zeit verkauft habe. Heute bereut er
es, die Corvette hergegeben zu haben und
ist deshalb sehr froh, das Auto in guten Händen bei Frank in Deutschland zu wissen. ,,Es
ist unglaublich, dass ein junges Mädchen,
das als Au Pair nach Amerika gekommen ist,
dabei hilft, die Geschichte eines sehr alten,
aber trotzdem wunderbaren Fahrzeugs wie
der roten Corvette zu ergründen.“ Auch
wenn die Spur nach Gary White aus Des
Moines, Iowa wieder endet, so hat die Historie der 1960er Corvette C1 einen wissenswerten Punkt dazugewonnen. Und damit
wünsche ich dem Torgauer Frank Lange alles Gute und viel Spaß mit seinem wundervollen roten Oldtimer, der seinen Weg von
Amerika ins kleine Deutschland gefunden
hat. Und weiterhin eine gute Fahrt!
Alicia Wiemann
Fotos: privat
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