Widerruf und Wechsel der amtlichen Verteidigung

Strafprozessrecht II (FS 16), Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Daniel Jositsch
23.02.16
Vorgelegt von: Peter Thomas Hiltner
Widerruf und Verteidigung Wechsel der amtlichen 1. Einleitung
Die beschuldigte Person hat, basierend auf Art. 32 Abs. 2 BV1, Art. 3 lit. c EMRK2,
Art. 14 Ziff. 3 lit. d IPBPR 3 und Art. 128 ff. StPO 4 , einen Anspruch auf
Verteidigung.5 Des weiteren hat die beschuldigte Person, sofern sie nicht über die
erforderlichen Mittel verfügt, es zur Wahrung ihrer Rechte erforderlich ist und das
Rechtsbegehren
nicht
aussichtslos
erscheint,
einen
Anspruch
auf
einen
unentgeltlichen Verteidiger. 6 Geregelt sind die Voraussetzungen der amtlichen
Verteidigung im schweizerischen Strafprozessrecht in Art. 130, Art. 132 Abs. 1 lit. a
und Art. 132 Abs. 1 lit. b, Abs. 2 und Abs. 3 StPO.7 Die amtliche Verteidigung
beginnt mit der Bestellung des amtlichen Verteidigers und wird gemäss Art. 134
Abs.1 StPO von der Verfahrensleitung widerrufen, sobald der Grund dafür
dahingefallen ist.8 Sie ist daher so lange zu gewähren, wie die Voraussetzungen gem.
Art. 132 StPO erfüllt sind.9 Der zu verteidigenden Person steht es allerdings frei, eine
Verteidigung seiner Wahl (Privatverteidiger) zu bestellen, damit entfällt sodann das
Erfordernis einer amtlichen Verteidigung gem. Art. 132 Abs. 1 lit. a Ziff. 1 StPO.10
1
Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 (SR 101).
Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (SR
0.101).
3
Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 16. Dezember 1966 (SR 0.103.2).
4
Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (SR 312.0).
5
DONATSCH, ANDREAS/SCHWARZENEGGER, CHRISTIAN/WOHLERS, WOLFGANG, Strafprozessrecht, 2.
Aufl., Zürich/Basel/Genf 2014, (zitiert: DONATSCH, SCHWARZENEGGER, WOHLERS, Strafprozessrecht,
S. x.), S. 90.
6
Vgl. BGE 129 I 285.
7
DONATSCH, SCHWARZENEGGER, WOHLERS, Strafprozessrecht, S. 91.
8
SCHMID, NIKLAUS, Handbuch des schweizerischen Strafprozessrechts, 2. Aufl., Zürich/St.Gallen
2013, (zitiert: SCHMID, Handbuch, N x.), N 747 u. 750.
9
STUCKI, STEPHAN: Art. 104 -111, 127 - 135 StPO, in: GOLDSCHMID , PETER / MAURER , THOMAS /
SOLLBERG, JÜRG (Hrsg.), Kommentierte Textausgabe zur Schweizerischen Strafprozessordnung, Bern
2008, (zitiert: STUCKI, Kommentierte Textausgabe, Art. x.), Art. 134.
2
10
LIEBER, VIKTOR, Art. 22 - 42, 104 - 138, 379 - 392, 450 – 457 StPO, in: DONATSCH, ANDREAS /
HANSJAKOB ,THOMAS/ LIEBER , VIKTOR (Hrsg.), Kommentar zur Schweizerischen
Strafprozessordnung, Zürich 2014, (zitiert: BEARBEITER, Kommentar, Art. x., N x.), Art. 134 N 2.
1
2. Widerruf der amtlichen Verteidigung (Art. 134 Abs. 1
StPO)
Der Widerruf der amtlichen Verteidigung durch die Verfahrensleitung kann erfolgen,
wenn die für die Einsetzung erforderlichen Gründe nachträglich dahinfallen (Art. 134
Abs. 1 StPO), so zum Beispiel, wenn die beschuldigte Person zu neuen Mitteln
gelangt (Art. 132 Abs. 1 lit. b StPO) und infolge dessen, einen Privatverteidiger mit
der Wahrung ihrer Interessen beauftragt. Es ist allerdings grundsätzlich nicht möglich,
zunächst die amtlichen Verteidigung zu entlassen und im Anschluss einen Antrag auf
Umwandlung der erbetenen Verteidigung in eine amtliche Verteidigung zu stellen.
Dieser Antrag wird in der Regel abgewiesen (Ausnahme: unvorhergesehene
Ausweitung des Strafverfahrens oder der frühere amtliche Verteidiger weigert sich,
erneut als solcher eingesetzt zu werden).11
Der Wegfall der sog. Offizialverteidigung (amtliche Verteidigung, wenn die
Voraussetzungen der Notwendigkeit gem. Art. 130 StPO erfüllt sind) ist insbesondere
dann gegeben, wenn die beschuldigte Person aus der Untersuchungshaft entlassen
wird und keine weiteren Gründe für eine notwendige Verteidigung (Art. 130 lit. b – e
StPO) vorhanden sind.12 Dies führt zum Widerruf der amtlichen Verteidigung durch
das Büro für amtliche Mandate.13
3. Wechsel der amtlichen Verteidigung (Art. 134 Abs. 2
StPO)
Der Wechsel der amtlichen Verteidigung ist immer dann angezeigt, wenn die
sachgemässe Verteidigung der beschuldigten Person nicht mehr gewährleistet ist.14
Der Antrag auf Wechsel der amtlichen Verteidigung geht meist von der beschuldigten
Person selbst aus, kann aber auch vom amtlichen Verteidiger oder, kraft der
11
LEITFADEN des BGZ für amtliche Mandate in Strafsachen und bei Zwangsmassnahmen gegen
Ausländer, 2.1 Auflage, (zitiert: LEITFADEN, S. x.), S. 22.
12
RUCKSTUHL, NIKLAUS, Art. 127 – 135, Art. 157 – 161 StPO, in: NIGGLI, MARCELALEXANDER/HEER, MARIANNE/WIPRÄCHTIGER HANS (Hrsg.), Basler Kommentar, Schweizerische
Strafprozessordnung/Jugendstrafprozessordnung, 2. Auflage, Basel 2014, (zitiert: BEARBEITER, BSK StPO, S. x), S. 986.
13
LEITFADEN, S. 23.
14
BGE 116 Ia 102.
2
Fürsorgepflicht, von der Verfahrensleitung gestellt werden.15 In jedem Fall muss die
Niederlegung des Mandats von der Verfahrensleitung angeordnet werden.
Nachfolgend wird auf die drei verschiedenen Konstellationen im Einzelnen
eingegangen.
3.1. Wechsel auf Antrag des Beschuldigten
Der Wechsel des amtlichen Verteidigers auf Antrag des Beschuldigten ist
insbesondere
dann
von
der
Verfahrensleitung
zuzulassen,
wenn
das
Vertrauensverhältnis aus Sicht des Beschuldigten erheblich gestört ist oder eine
effektive Verteidigung nicht mehr möglich ist.16 Beweisen muss die beschuldigte
Person den Vertrauensverlust zwar nicht, sie muss aber Anhaltpunkte liefern, die das
gestörte Vertrauensverhältnis belegen. Die rein subjektive Ansicht, sie sei schlecht
verteidigt, ist für einen Wechsel nicht ausreichend.17 Nicht ausreichend ist daher
bspw. die Zusammenarbeit des Verteidigers mit der Staatsanwaltschaft, kritische
Äusserungen über den Beschuldigten oder die Verweigerung aussichtlose
Prozesshandlungen vorzunehmen.18 Die Gründe für den Vertrauensverlust müssen
objektiv sein. Das Bundesgericht sieht diese objektivierbaren Gründe als gegeben,
wenn die Verteidigung die „anwaltlichen Berufs- und Standespflichten zum Schaden
des Angeschuldigten in schwerwiegender Weise vernachlässigt“, worin „eine
Verletzung der in Art. 29 Abs. 3 BV und Art. 6 Ziff. 3 EMRK gewährleisteten
Verteidigungsrechte liege.“ 19 Gründe, die eine effektive Verteidigung nicht mehr
gewährleisten, müssen ebenfalls objektiv belegbar und nachvollziehbar sein, wie zum
Beispiel die Unfähigkeit des Verteidigers, den Beschuldigten angemessen zu
verteidigen, der Tod oder die Handlungsunfähigkeit des Verteidigers oder der Glaube
an die Schuld des Beschuldigten und eine entsprechende Äusserung vor Gericht.20
Ineffektivität ist ebenfalls gegeben wenn die Verteidigung offensichtlich überfordert
ist. Beispiele hierfür wären, das Fernbleiben der Hauptverhandlung oder krasse
Terminversäumnisse.21
15
LIEBER, Kommentar, Art. 134, N 10.
JOSITSCH, DANIEL, Grundriss des schweizerischen Strafprozessrechts, 2. Auflage, Zürich/St. Gallen
2013, N 259.
17
STUCKI, Kommentierte Textausgabe, Art. 134.
18
LEITFADEN, S. 25.
19
BGE 1P.417/2002, E.3.1.
20
LEITFADEN, S. 27.
21
RUCKSTUHL, BSK - StPO, S. 991.
16
3
3.2. Wechsel auf Antrag des Verteidigers
Ein Wechsel des amtlichen Verteidigers gem. Art. 134 Abs. 2 StPO ist von der
Verfahrensleitung auch zu genehmigen, wenn das Vertrauensverhältnis von Seiten
des Verteidigers gestört und so eine wirksame Verteidigung nicht mehr gewährleistet
ist.22 Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn besondere Umstände, oder zwingende
Gründe eingetreten sind, die auch die Verweigerung der Übernahme des Mandats
rechtfertigen würden. Wenn die Übernahme des Mandats als privates Mandat unter
den gegeben Umständen nicht empfehlenswert oder unstatthaft wäre, so kann davon
ausgegangen werden, dass das Entlassungsgesuch von der Verfahrensleitung
genehmigt wird.23 Als Gründe hierfür werden unter anderem anerkannt: Befangenheit,
wegen Verwandtschaft, Feindschaft oder Freundschaft mit der beschuldigten Person,
sowie Nicht-Eignung als Strafverteidiger oder ernste gesundheitliche Gründe. Die
Verfahrensleitung muss das Mandat zwingend widerrufen, wenn die Verteidigung
glaubhaft macht, an einem ernsthaften, gesundheitlichen Problem zu leiden, das es ihr
infolge Arbeitsunfähigkeit verunmöglicht, die Interessen der beschuldigten Person zu
wahren. Ebenfalls muss das Mandat widerrufen werden, wenn die Verteidigung
glaubhaft macht, aufgrund eines Interessenkonflikts die beschuldigte Person nicht
lege artis vertreten zu können.24
Als nicht ausreichende Voraussetzung gelten rein subjektive Gefühle der
Verteidigung, wie bspw. Antipathie oder die Einschätzung des Beschuldigten als
uneinsichtig.25
3.3. Wechsel der Verteidigung durch die Verfahrensleitung
Die Verfahrensleitung kann, stellt sie schwerwiegende Vernachlässigungen der
Berufs- und Standespflicht fest, die Verteidigung auch ohne das Ersuchen der
beschuldigten Person oder der Verteidigung, selbst austauschen.26 Dieses Recht ergibt
sich aus Art. 134 Abs. 2 StPO und der strafbehördlichen Fürsorgepflicht. Erachtet der
Staat eine amtliche Verteidigung als notwendig, ist er verpflichtet sicherzustellen,
22
HAEFELIN, WALTER, Die amtliche Verteidigung im schweizerischen Strafprozess, Zürich/St. Gallen
2010, (zitiert: HAEFELIN, Die amtliche Verteidigung, S. x.) S. 287.
23
HAEFELIN, Die amtliche Verteidigung, S. 288.
24
LEITFADEN, S. 27.
25
HAURI MAX, Der amtliche Rechtsbeistand in der schweizerischen Strafprozessordnung –
Neuerungen aus Zürcher Sicht, in: SJZ 105 (2009),Nr. 4, S. 77 ff., S.81.
26
HAEFELIN, Die amtliche Verteidigung, S. 289.
4
dass diese ihrem Auftrag gewissenhaft nachkommt und die Interessen des
Beschuldigten wahrt.27 Einem Wechsel des amtlichen Verteidigers geht zwingend die
Anhörung (in schriftlicher Form) der beschuldigten Person und der Verteidigung
voraus. Erscheinen sodann mildere Massnahmen wie bspw. eine Abmahnung nicht
sinnvoll, so beantragt die Verfahrensleitung beim Staatsanwalt für amtliche Mandate
einen Wechsel der Verteidigung.28
4. Rechtsmittel
Wird der Wechsel der amtlichen Verteidigung abgelehnt, so steht der beschuldigten
Person die Beschwerde im Sinne von Art. 393 ff. StPO offen.29 Dieser kantonale
Entscheid kann nach aktueller Praxis nicht an das Bundesgericht weitergezogen
werden, da die betroffene Person nach wie vor Verteidigt wird und ihr daher kein
nicht widergutzumachender Nachteil entsteht (Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG.31
27
RUCKSTUHL, BSK - StPO, S. 987.
LEITFADEN, S. 25.
29
SCHMID, Handbuch N 749.
31
RUCKSTUHL, BSK – StPO, S. 991.
28
5
Eigenständigkeitserklärung
Hiermit erkläre ich, dass ich die vorliegende schriftliche Arbeit selbstständig und nur
unter Zuhilfenahme der in den Verzeichnissen oder in den Anmerkungen genannten
Quellen angefertigt habe. Ich versichere zudem, diese Arbeit nicht anderweitig als
Leistungsnachweis verwendet zu haben. Eine Überprüfung der Arbeit auf Plagiate
unter Einsatz entsprechender Software darf vorgenommen werden.
23. Februar 2016
Peter Thomas Hiltner
6