Leseprobe Antike Welt Heft 1_2016 - WBG

Die Wiege der Sonne
titelthema
Die Badari- und Naqada I−III-Kulturen des prädynastischen Ägypten
Abb. 1
Beispiele für einige der im
Grab U-j in Abydos
ge­fundenen Anhängetäfelchen, die wahrscheinlich
zur Auszeichnung
von Stoffballen verwendet
worden sind und hieroglyphische Schrift- und
Zahlenzeichen tragen.
Lange Zeit glaubte man, die altägyptische Hochkultur sei um 3100 v. Chr.
aus einer Art historischem Vakuum entstanden. Tatsächlich, so zeigen
archäologische Befunde, hatte sie ihre Vorläufer in den um den geistigkulturellen Mittelpunkt Abydos belegten Kulturen der Prädynastik.
Deren eigene Wurzeln führen noch mehr als 2000 Jahre weiter in die Vorgeschichte zu den frühesten Ursprüngen der altägyptischen Religion
und Gesellschaftsstrukturen zurück.
von Katrin Laatsch
I
m 6. Jt. v. Chr. siedelten im Gebiet des
heutigen Ägypten nomadische Stämme,
die ihr Jäger- und Sammlerleben gegen eine
auf Ackerbau und Viehzucht basierende, sesshafte Lebensweise eintauschten. Die ältesten
Belege stammen aus dem unterägyptischen
Faijum und dem westlichen Nildelta (ca.
4800 v. Chr.). Erst rund 300 bis 400 Jahre
später finden sich vergleichbare Siedlungen
auch im oberägyptischen Niltal, so in der Region Badari (bei der heutigen Stadt Sohag).
Ihre Blüte fällt in die Zeit zwischen 4400 und
4000 v. Chr. Archäologische Befunde zeigen,
dass die Angehörigen der Badari-Kultur bereits gediegenes Kupfer bearbeiteten und die
überwiegend aus Quarzsand bestehende Fayence herstellten, die später typisch für das
pharaonische Ägypten wurde. Lebensgrundlage waren neben dem Anbau von Getreide
und Linsen eine bescheidene Viehzucht sowie Jagd und Fischfang. Die Verstorbenen
wurden in einfachen Grubengräbern in der
Wüste beigesetzt. Grabbeigaben wie Nahrung, Schmuck, Werkzeuge und Töpferwaren
belegen, dass die Menschen bereits an ein
Fortleben im Jenseits glaubten.
Keramiken als Datierungshilfe
Gegen Ende des 5. Jts. v. Chr. geht die Badari-Kultur in den Naqada-Kulturen auf,
die Forscher als die direkten Vorläufer des
pharaonischen Ägypten betrachten. Die Ortschaft Naqada (nahe dem modernen Koptos)
lag in ihrem Zentrum. Aufgrund der bereits
1899 durch Flinders Petrie eingeführten Differenzierung der Keramikbearbeitung teilt
man sie heute in die als Naqada I bis III bezeichneten Kulturstufen ein. Archäologische
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Funde in einer Nekropole bei Abydos haben
in den vergangenen Jahren das Bild, das sich
die ägyptologische Forschung lange von der
Prädynastik machte, nachhaltig verändert: In
einem Herrschergrab gefundene Täfelchen
mit hieroglyphischen Schriftzeichen belegen,
dass die Erfindung der Schrift in der Region
des alten Ägypten schon sehr viel früher stattfand, als man bisher glaubte (Abb. 1).
Die Vorläuferkulturen des dynastischen
Ägypten
Die Naqada I-Zeit (auch Amra-Kultur, ca.
4300−3600 v. Chr.) war vermutlich durch
lokal begrenzte, dörflich geprägte Gemeinschaften ohne steile soziale Hierarchien gekennzeichnet, die Beziehungen zu den umliegenden Oasen und ins heutige Nubien
unterhielten. Zur Zeit von Naqada II (auch
Gerza-Kultur, ca. 3600−3200 v. Chr.) vollzog
sich ein bemerkenswerter Wandel: Es wurden
intensive internationale Handelsbeziehungen
bis nach Mesopotamien gepflegt, Steingefäße
und Keramiken wurden nicht mehr nur für
den Eigenbedarf, sondern auch für den Handel hergestellt, die Metallverarbeitung wurde
ausgebaut. Die Wohnstätten der Menschen
wandelten sich von einfachen Rundbauten
hin zu viereckigen Häusern. Bei der Grablegung sind nun klare hierarchische Unterschiede mit Blick auf die Ausstattung des
Verstorbenen erkennbar, was auf eine fortschreitende Differenzierung der Gesellschaft
schließen lässt: Während viele Tote weiter in
schlichten Grubengräbern beigesetzt wurden,
fanden höhergestellte Personen ihre Ruhestätte in mit Lehmziegeln verkleideten Gräbern. Gold, Silber, Kupfer und Luxusgüter
wie z. B. aufwändig gearbeitete Schminkpaletten begleiteten sie ins Jenseits. Gleichzeitig
Abb. 2
Blick auf das Grab U-j des
Skorpion I in Abydos.
Die Wände sind mit Lehmziegeln ausgemauert,
die Anlage umfasst insge­
samt zwölf Kammern.
In einer davon befinden
sich noch diverse aus
der Levante importierte
Keramikgefäße.
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titelthema
Die Wiege der Sonne – Die Badari- und Naqada I−III-Kulturen des prädynastischen Ägypten
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Die Wiege der Sonne – Die Badari- und Naqada I−III-Kulturen des prädynastischen Ägypten
titelthema
vergrößerte sich das Verbreitungsgebiet erheblich. Diese an archäologischen Funden zu
verfolgende zunehmende Homogenisierung
der Kultur des Niltals lässt vermuten, dass
eine vergleichsweise einheitliche ägyptische
Zivilisation bereits lange vor der politischen
Reichseinigung ausgeprägt war.
Naqada III (auch Semaina-Kultur, ab ca.
3200 v. Chr.), teilweise identisch mit der Dynastie 0 in Abydos, markiert den im Detail
bislang nicht greifbaren Übergang zur dynastischen Epoche des alten Ägypten. Die Nekropole Umm el-Qaab südwestlich von Abydos
beherbergt Gräber aus der Zeit der ausgehenden Prädynastik sowie der 1. und 2. Dynastie,
darunter das Grab U-j auf dem Friedhof U,
das König Skorpion I zugeordnet wird (frühe
Naqada-III-Periode; Abb. 2). Es besteht aus
zwölf Kammern und illustriert bereits die Idee
des Grabes als Haus, die später auch die Grab­
architektur des pharaonischen Ägypten prägt.
Dem deutschen Ägyptologen Günter Dreyer
gelang hier ein spektakulärer Fund: Er entdeckte
Weinkrüge und eine Vielzahl kleiner Anhängetäfelchen, die mit den vermutlich bislang ältesten bekannten Hieroglyphen beschriftet sind
(vgl. Abb. 1). Weinkrüge und andere Behälter
als Grabbeigaben fanden sich auch in weiteren
Gräbern. E. Christiana Köhler zufolge, Professorin für Ägyptologie an der Universität Wien
und seit 2014 Leiterin eines DAI-Projektes zur
Erforschung der Königsgräber von Abydos,
macht die Tatsache, dass die hier gefundenen
Krüge durch eingeritzte Herrschernamen eindeutig datiert sind, sie neben ihrer einzigartigen
Bedeutung für die Schriftentwicklung auch zu
einem wertvollen chronografischen Referenz­
objekt für das übrige Ägypten. Es sei diese materielle Kultur, die das Rückgrat der heute erfassten Chronologie Ägyptens ist (Abb. 3).
Bereits in der Prädynastik entstanden dank
der jährlichen Nilüberschwemmungen außergewöhnlich günstige Lebensbedingungen und
damit Freiräume für die Entfaltung einer reichen Mythologie, die später die göttliche Verehrung der Sonne als zentrales Merkmal des
pharaonischen Ägypten hervorbrachte. Die
Menschen der Prädynastik schufen so mit
ihren religiösen, sozialen, territorialen und
ökonomischen Errungenschaften den Urgrund, aus dem sich die Sonne der altägyptischen Hochkultur erheben konnte.
Adresse der Autorin
Dr. phil. Katrin Laatsch
Wissenschaftsjournalistin / Ägyptologin
Hamburg
www.katrinlaatsch.de
Bildnachweis
Abb. 1−3: © Deutsches Archäologisches
Institut Kairo.
Literatur
G. DREYER, Umm el-Qaab I. Das prädyna­
stische Königsgrab U-j und seine frühen
Schriftzeugnisse (1998).
Abb. 3
Beispiel für einen rekonstruierten Weinkrug aus
dem B-Friedhof in Abydos,
der aus dem Grab eines
Herrschers der 0. Dynastie
stammt.
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U. HARTUNG, Umm el-Qaab II. Importkeramik aus dem Friedhof U in Abydos (Umm
el-Qaab) und die Beziehungen Ägyptens zu
Vorderasien im 4. Jahrtausend v. Chr. (2001).
D. O’CONNOR, Abydos: Egypt’s first phar­
aohs and the cult of Osiris (2009).