Die Wiege der Sonne titelthema Die Badari- und Naqada I−III-Kulturen des prädynastischen Ägypten Abb. 1 Beispiele für einige der im Grab U-j in Abydos gefundenen Anhängetäfelchen, die wahrscheinlich zur Auszeichnung von Stoffballen verwendet worden sind und hieroglyphische Schrift- und Zahlenzeichen tragen. Lange Zeit glaubte man, die altägyptische Hochkultur sei um 3100 v. Chr. aus einer Art historischem Vakuum entstanden. Tatsächlich, so zeigen archäologische Befunde, hatte sie ihre Vorläufer in den um den geistigkulturellen Mittelpunkt Abydos belegten Kulturen der Prädynastik. Deren eigene Wurzeln führen noch mehr als 2000 Jahre weiter in die Vorgeschichte zu den frühesten Ursprüngen der altägyptischen Religion und Gesellschaftsstrukturen zurück. von Katrin Laatsch I m 6. Jt. v. Chr. siedelten im Gebiet des heutigen Ägypten nomadische Stämme, die ihr Jäger- und Sammlerleben gegen eine auf Ackerbau und Viehzucht basierende, sesshafte Lebensweise eintauschten. Die ältesten Belege stammen aus dem unterägyptischen Faijum und dem westlichen Nildelta (ca. 4800 v. Chr.). Erst rund 300 bis 400 Jahre später finden sich vergleichbare Siedlungen auch im oberägyptischen Niltal, so in der Region Badari (bei der heutigen Stadt Sohag). Ihre Blüte fällt in die Zeit zwischen 4400 und 4000 v. Chr. Archäologische Befunde zeigen, dass die Angehörigen der Badari-Kultur bereits gediegenes Kupfer bearbeiteten und die überwiegend aus Quarzsand bestehende Fayence herstellten, die später typisch für das pharaonische Ägypten wurde. Lebensgrundlage waren neben dem Anbau von Getreide und Linsen eine bescheidene Viehzucht sowie Jagd und Fischfang. Die Verstorbenen wurden in einfachen Grubengräbern in der Wüste beigesetzt. Grabbeigaben wie Nahrung, Schmuck, Werkzeuge und Töpferwaren belegen, dass die Menschen bereits an ein Fortleben im Jenseits glaubten. Keramiken als Datierungshilfe Gegen Ende des 5. Jts. v. Chr. geht die Badari-Kultur in den Naqada-Kulturen auf, die Forscher als die direkten Vorläufer des pharaonischen Ägypten betrachten. Die Ortschaft Naqada (nahe dem modernen Koptos) lag in ihrem Zentrum. Aufgrund der bereits 1899 durch Flinders Petrie eingeführten Differenzierung der Keramikbearbeitung teilt man sie heute in die als Naqada I bis III bezeichneten Kulturstufen ein. Archäologische 8 ANTIKE WELT 1/16 Funde in einer Nekropole bei Abydos haben in den vergangenen Jahren das Bild, das sich die ägyptologische Forschung lange von der Prädynastik machte, nachhaltig verändert: In einem Herrschergrab gefundene Täfelchen mit hieroglyphischen Schriftzeichen belegen, dass die Erfindung der Schrift in der Region des alten Ägypten schon sehr viel früher stattfand, als man bisher glaubte (Abb. 1). Die Vorläuferkulturen des dynastischen Ägypten Die Naqada I-Zeit (auch Amra-Kultur, ca. 4300−3600 v. Chr.) war vermutlich durch lokal begrenzte, dörflich geprägte Gemeinschaften ohne steile soziale Hierarchien gekennzeichnet, die Beziehungen zu den umliegenden Oasen und ins heutige Nubien unterhielten. Zur Zeit von Naqada II (auch Gerza-Kultur, ca. 3600−3200 v. Chr.) vollzog sich ein bemerkenswerter Wandel: Es wurden intensive internationale Handelsbeziehungen bis nach Mesopotamien gepflegt, Steingefäße und Keramiken wurden nicht mehr nur für den Eigenbedarf, sondern auch für den Handel hergestellt, die Metallverarbeitung wurde ausgebaut. Die Wohnstätten der Menschen wandelten sich von einfachen Rundbauten hin zu viereckigen Häusern. Bei der Grablegung sind nun klare hierarchische Unterschiede mit Blick auf die Ausstattung des Verstorbenen erkennbar, was auf eine fortschreitende Differenzierung der Gesellschaft schließen lässt: Während viele Tote weiter in schlichten Grubengräbern beigesetzt wurden, fanden höhergestellte Personen ihre Ruhestätte in mit Lehmziegeln verkleideten Gräbern. Gold, Silber, Kupfer und Luxusgüter wie z. B. aufwändig gearbeitete Schminkpaletten begleiteten sie ins Jenseits. Gleichzeitig Abb. 2 Blick auf das Grab U-j des Skorpion I in Abydos. Die Wände sind mit Lehmziegeln ausgemauert, die Anlage umfasst insge samt zwölf Kammern. In einer davon befinden sich noch diverse aus der Levante importierte Keramikgefäße. 1/16 ANTIKE WELT titelthema Die Wiege der Sonne – Die Badari- und Naqada I−III-Kulturen des prädynastischen Ägypten 9 Die Wiege der Sonne – Die Badari- und Naqada I−III-Kulturen des prädynastischen Ägypten titelthema vergrößerte sich das Verbreitungsgebiet erheblich. Diese an archäologischen Funden zu verfolgende zunehmende Homogenisierung der Kultur des Niltals lässt vermuten, dass eine vergleichsweise einheitliche ägyptische Zivilisation bereits lange vor der politischen Reichseinigung ausgeprägt war. Naqada III (auch Semaina-Kultur, ab ca. 3200 v. Chr.), teilweise identisch mit der Dynastie 0 in Abydos, markiert den im Detail bislang nicht greifbaren Übergang zur dynastischen Epoche des alten Ägypten. Die Nekropole Umm el-Qaab südwestlich von Abydos beherbergt Gräber aus der Zeit der ausgehenden Prädynastik sowie der 1. und 2. Dynastie, darunter das Grab U-j auf dem Friedhof U, das König Skorpion I zugeordnet wird (frühe Naqada-III-Periode; Abb. 2). Es besteht aus zwölf Kammern und illustriert bereits die Idee des Grabes als Haus, die später auch die Grab architektur des pharaonischen Ägypten prägt. Dem deutschen Ägyptologen Günter Dreyer gelang hier ein spektakulärer Fund: Er entdeckte Weinkrüge und eine Vielzahl kleiner Anhängetäfelchen, die mit den vermutlich bislang ältesten bekannten Hieroglyphen beschriftet sind (vgl. Abb. 1). Weinkrüge und andere Behälter als Grabbeigaben fanden sich auch in weiteren Gräbern. E. Christiana Köhler zufolge, Professorin für Ägyptologie an der Universität Wien und seit 2014 Leiterin eines DAI-Projektes zur Erforschung der Königsgräber von Abydos, macht die Tatsache, dass die hier gefundenen Krüge durch eingeritzte Herrschernamen eindeutig datiert sind, sie neben ihrer einzigartigen Bedeutung für die Schriftentwicklung auch zu einem wertvollen chronografischen Referenz objekt für das übrige Ägypten. Es sei diese materielle Kultur, die das Rückgrat der heute erfassten Chronologie Ägyptens ist (Abb. 3). Bereits in der Prädynastik entstanden dank der jährlichen Nilüberschwemmungen außergewöhnlich günstige Lebensbedingungen und damit Freiräume für die Entfaltung einer reichen Mythologie, die später die göttliche Verehrung der Sonne als zentrales Merkmal des pharaonischen Ägypten hervorbrachte. Die Menschen der Prädynastik schufen so mit ihren religiösen, sozialen, territorialen und ökonomischen Errungenschaften den Urgrund, aus dem sich die Sonne der altägyptischen Hochkultur erheben konnte. Adresse der Autorin Dr. phil. Katrin Laatsch Wissenschaftsjournalistin / Ägyptologin Hamburg www.katrinlaatsch.de Bildnachweis Abb. 1−3: © Deutsches Archäologisches Institut Kairo. Literatur G. DREYER, Umm el-Qaab I. Das prädyna stische Königsgrab U-j und seine frühen Schriftzeugnisse (1998). Abb. 3 Beispiel für einen rekonstruierten Weinkrug aus dem B-Friedhof in Abydos, der aus dem Grab eines Herrschers der 0. Dynastie stammt. 10 ANTIKE WELT 1/16 U. HARTUNG, Umm el-Qaab II. Importkeramik aus dem Friedhof U in Abydos (Umm el-Qaab) und die Beziehungen Ägyptens zu Vorderasien im 4. Jahrtausend v. Chr. (2001). D. O’CONNOR, Abydos: Egypt’s first phar aohs and the cult of Osiris (2009).
© Copyright 2024 ExpyDoc