Dr. Mahmoud Sultan - Kassenärztliche Vereinigung Berlin

14
Titelthema
KV-Blatt 02.2016
Dr. Mahmoud Sultan
In Deutschland angekommen, Syrien
nicht vergessen
Anzeige
Damaskus liegt, per Luftlinie gemessen,
von Berlin exakt 2.791 km entfernt, die
Reiseroute zwischen beiden Städten auf
dem Landweg umfasst gar 3.696 km.
Doch durch den 2011 in der Folge der
Arabellion ausgebrochenen Bürgerkrieg
ist die syrische Hauptstadt ungleich
näher an die deutsche gerückt. Verschiedene aufständische Gruppen kämpfen
gegen die Regierung, diese setzte 2013
Giftgas gegen die eigene Bevölkerung
ein, die Terrormiliz des Islamischen
Staates (IS) hat weite Teile des Landes
unter ihrer Kontrolle. Die Türkei, Russ-
land, die VAE und die USA verfolgen in
dem Konflikt eigene, schwer zu durchschauende Interessen; seit Ende letzten Jahres ist auch Deutschland mit
den Aufklärungsflügen für Luftschläge
gegen Stellungen des IS Mitglied einer
brüchigen Kriegsallianz. Ein dauerhafter
Friede für das geschundene Land ist in
weite Ferne gerückt, heute ist Syrien auf
dem besten Wege zu einem gescheiterten Staat in der unseligen Tradition
Somalias, Libyens und des Irak. Wie
immer in solchen Fällen leiden die Zivilisten am meisten. Im Jahr 2015 haben
insgesamt fast 160.000 Menschen aus
Syrien in Deutschland einen Antrag auf
politisches Asyl gestellt, nach 40.000
Innovativ.
Praxisnah.
Preisfair.
Ihre Partner in Berlin
} Berlin
Mo-Fr von 8-20 Uhr
 Verkauf
 Service
 Schulung
 Beratung
Telefon (030) 8 51 28 48
Fax
(030) 62 72 67 32
Mobil
(0170) 5 25 37 11
[email protected]
TURBOMED Berlin GmbH
Distribution Berlin/Brandenburg
 Verkauf
 Service
Von Syrien nach Berlin
Dr. med. Mahmoud Sultan, 1961 in
Aleppo geboren, machte sein Abitur in
Syrien und kam Anfang der 1980er-Jahre
in die Bundesrepublik Deutschland mit
dem lang gehegten Ziel, Medizin zu
studieren, erzählt er anlässlich seines
Besuches in der KV-Blatt-Redaktion in
gepflegtem Hochdeutsch. Ein seiner­
zeit verbreiteter Wunsch unter S
­ yrern,
die sowohl in die BRD als auch die
DDR gingen, um Arzt zu werden. Seinen Worten zufolge war es nicht ungewöhnlich, dass ein Flugzeug von Syrien
nach Deutschland voller Mediziner
auf ihrem Weg zur Facharztausbildung
war: „Wenn Du damals in Deutschland
einen Syrer getroffen hast, war ­dieser
so gut wie immer Arzt“, erinnert er
sich mit einem Lächeln. Er hatte Englisch als Fremdsprache gelernt, da das
Medizinstudium in Syrien auf Englisch
abgehalten wurde. Als er nach einigen Semes­tern nach Deutschland kam,
wo er Verwandte und Freunde hatte,
­musste er nicht nur die deutsche Sprache erlernen, sondern auch sein Abitur
nachholen, da sein syrisches nicht zum
hiesigen Hochschulstudium berechtigte. Mahmoud Sultan biss sich durch,
jobbte als Barkeeper und schloss sein
Medizinstudium an der Freien Universität im Jahr 1992 ab, die Promotion zum
Dr. med. erfolgte 2005. Anschließend
arbeitete er in der Schloss­park-Klinik in
Charlottenburg und erwarb 2000 den
Facharzt für Innere Medizin sowie 2001
die Anerkennung als Diabetologe DDG.
Alltag in seiner Praxis
} Marzahn - Hellersdorf
WinterKlee EDV
noch im Jahr 2014. Was bedeuten diese
Zahlen und Fakten für einen Syrer, der
seit über drei Jahrzehnten in Deutschland lebt und als niedergelassener Arzt
in Berlin praktiziert?
EDV – SERVICE FÜR ÄRZTE
Telefon 030 - 56 49 87 04
[email protected]
www.winterklee.de
Zur Niederlassung in eigener Praxis
kam Mahmoud Sultan eher notgedrungen, er bezeichnet sich als Kliniker aus
Leidenschaft und schätzt an der dortigen Tätigkeit den regen Austausch
mit den Kollegen, allen rigiden Hierar-
Titelthema
Foto: Klotz
KV-Blatt 02.2016
chien zum Trotz. Seit 2006, nachdem
es in „seiner“ Klinik zu diversen personellen Veränderungen gekommen war,
ist er niedergelassen als allein verantwortlicher Internist und Diabetologe in
einer Praxis in Kreuzberg, einer ambulanten Behandlungseinrichtung für Typ1- und Typ-2-Diabetes. Seine rund 2.000
Patienten im bunt gemischten Kiez
kommen aus etwa 40 Nationen, darunter sind etwa 45 % türkischer Abstammung, unter ihren viele Analphabeten.
Sie halten ihm vor, dass er kein Türkisch
spricht, ihnen gegenüber ist seine arabische Muttersprache kein Pluspunkt.
Aktuell erlebt er die Flüchtlingskrise in
Berlin hautnah, unter seinen Patienten
sind etliche Asylsuchende. Traurig erinnert er sich des Jahres 2011, an den
Beginn des Arabischen Frühlings, der
geradewegs in den Bürgerkrieg mündete. Die Zukunftsträume jener Zeit, die
Hoffnungen auf mehr Demokratie, Freiheit, Wohlstand und Achtung der Menschenrechte im gesamten Nahen Osten
und im Maghreb zerplatzten schnell,
die ersten Flüchtlinge kamen 2013/14
nach Deutschland resp. Berlin und
Brandenburg und damit auch in seine
Praxis.
Arabisch sprechende Diabetiker brauchen, wie jeder andere Diabetiker, eine
umfangreiche Schulung zu Blut­zucker,
Insulin und Kohlenhydraten, um eine
gute Einstellung der Blutzuckerwerte
zu erreichen; die Aufklärung ist komplex und zeitaufwendig, Anfragen diesbezüglich erreichen ihn quasi täglich
von den großen Berliner Kliniken. Doch
Mahmoud Sultans Terminkalender ist
so voll, dass er seufzt: „Ich schaffe es
nicht mehr allein.“ Zumal er der Einzige
in seiner Praxis ist, der Arabisch spricht.
Ungeachtet des gewaltigen Arbeitspensums, behandelt er Patienten auch
ohne Versicherung, träumt von richtiger Erholung und arbeitet gleichzeitig
an einer Flüchtlingssprechstunde am
Samstag. Das Sprachthema ist absolut
dominant, zum Teil werden Beschwerden und Diagnosen über mehrere
Sprachen übersetzt: vom Italienischen
ins Englische ins Paschtunische ins
Behandelt u. a. zahlreiche arabischsprachige Asylsuchende: der Kreuzberger Diabetologe
Dr. Mahmoud Sultan zu Gast in der KV-Blatt-Redaktion.
Deutsche. Viele Patienten aus dem
­arabischen Raum werden dabei von
mehreren Familienmitgliedern begleitet,
die eifrig mitdiskutieren und die Krankheit kollektiv „erleben“.
Sichtlich berührt, erzählt Mahmoud
­Sultan von einem besonderen Schicksal:
Einer seiner arabischen Patienten, ein
junger Mann mit einem Typ-1-Diabetes,
war vier Wochen von Syrien über die
Türkei und den Balkan unterwegs nach
Deutschland. Dass er diese Zeit ohne
Insulin überlebt hat, liege wahrscheinlich nur daran, dass er unterwegs kaum
etwas gegessen habe, mutmaßt Sultan;
als Diabetologe streicht er heraus, dass
bis 1922, dem Zeitpunkt der Synthetisierung des Insulins, ein Typ-1-Diabetes
einem Todesurteil gleichkam. Dreh- und
Angelpunkt seiner Arbeit mit Flüchtlingen bleibe der hohe Bedarf an Dol-
metschern, ohne die eine umfassende
medizinische Behandlung der ­Patienten
nur schwer möglich sei, vor allem bei
einer chronischen Erkrankung wie dem
Diabetes, die eine strikte Adhärenz
erheische.
Humanitäres Engagement für Syrien
Dr. Mahmoud Sultan ist stellvertretender Vorsitzender des im August
2013 gegründeten Vereins DeutschSyrische Ärzte für humanitäre Hilfe
(ds-aerzte.de). Er konnte nicht länger
mit ansehen, wie der Bürgerkrieg zwischen Regierungstruppen, Aufständischen und dem Islamischen Staat
Zigtausende tötete und Millionen ins
Exil trieb. Das Assad-Regime verhaftete,
folterte und tötete Ärzte und Krankenschwestern, die Demonstranten medizinisch halfen.
15
Titelthema
KV-Blatt 02.2016
Fortsetzung von Seite 15­
Ein Jahr nach der Gründung trat der
Verein der Union of Medical Care
and Relief Organizations (UOSSM,
­uossmorg.­nationbuilder.com), einer
internationalen Dachorganisation mit
Sitz in Genf, bei, die mit rund 750
Ärzten in Syrien präsent ist. Die Arbeit
der UOSSM besteht neben dem Sammeln von Geld-, Medikamenten- und
Sachspenden im Aufrechterhalten einer
minimalen medizinischen Infrastruktur vor Ort, wo es praktisch an allem
fehlt, nicht zuletzt an Geld für die im
Land ausharrenden Ärzte. Diese operierten nach dem faktischen Zusammenbruch des Gesundheitssystems im
Untergrund; Heckenschützen, Minen,
Explosionen und marodierende Soldaten machten die schiere Bewegung im
Alltag zu einer Todesgefahr; in Damaskus, wo das Regime seine treuen Anhänger hat, sei hingegen ein weitgehend
normales Leben möglich, so Sultan.
Der Ruin der Krankenhäuser ohne Verbandszeug, Blutkonserven, Narkotika,
Kanülen und Dieselgeneratoren hat den
Aderlass der Mediziner zusätzlich beflügelt; Mahmoud Sultan präzisiert traurig, dass einem Arzt, der das Land verlässt, 10.000 Menschen ­folgen. Dank der
Hilfe der UOSSM kann an der türkischsyrischen Grenze das Bab Al Hawa Hospital betrieben werden, mit durchschnittlich 1.200 Opera­tionen im Monat. Das
gleichfalls von der UOSSM geförderte
Al Bernas Hospital, eine Frauen- und
Kinderklinik, versorgt mehr als 25.000
Patientinnen und führt monatlich etwa
145 Entbindungen durch. Insgesamt
betreibt die UOSSM etwa 120 Lazarette und gut 200 mobile Praxen in ganz
Syrien mit einem Budget von 8 Mio. $.
Doch trotz dieses Engagements musste mittlerweile rund eine Million Menschen in Syrien sterben, weil es für sie
keine adäquate ärztliche Versorgung
nach den Bombardierungen, den seelischen Traumen und dem Hunger gab.
Teilweise müssen medizinisch nicht
indizierte Amputationen vorgenommen werden, weil für eine konsequente
Nachversorgung der Wunden Material,
Zeit und Personal fehlen. Aus Angst vor
Bombardierungen wollen die noch im
Land lebenden Menschen keine Krankenhäuser in ihrer Nachbarschaft. Der
Verein Deutsch-Syrische Ärzte, der erst
kürzlich drei Krankenwagen ­kaufen und
in die Region bringen konnte, wird bei
seiner Lobbyarbeit (Informationsveranstaltungen etwa in Berlin und Dortmund) von der Bundesregierung unterstützt, hat aber mit einem ganz anders
gelagerten Problem zu kämpfen: Von
den geschätzten 10.000 syrischen
Ärzten in Deutschland seien lediglich
40 im Verein organisiert, zu groß sei
offensichtlich die Furcht vor der Macht
des syrischen Geheimdienstes. Viele
Ärzte hätten Angehörige im Land, die
sie durch ein exponiertes Handeln in
Gefahr bringen könnten.
Selbstverhältnis und Community
Von einst 22 Millionen Menschen ist
rund die Hälfte tot oder auf der Flucht,
3 Millionen leben als Flüchtlinge in der
Türkei, 1,5 Millionen im Libanon, 1 Million in Jordanien. Ob er sich nach nun
über 30 Jahren in Deutschland als Teil
einer syrisch-arabischen Community
fühle? Dr. Sultan kann diese Frage nur
schwer beantworten. Er habe Freunde,
Patienten und Kollegen aus der Region,
eine verbindende Infrastruktur, wie es
sie etwa bei den Auslandsiranern gebe,
fehle. Es gebe insgesamt 40 Hilfsvereine in Deutschland, für deren Integration ein Dachverband entstehen solle;
gegebenenfalls werde er dessen Präsi­
dent, dann könne von einem beginnenden Community-Building die Rede
sein. Abschließend weist Sultan auf
die humanitäre Wurzel seines Engagements und die des Vereins hin, bei politischer und religiöser Neutralität.
Sein Berliner Alltag darf als hybrid
bezeichnet werden: Der Diabetologe
kümmert sich in seiner Praxis um die
optimale Einstellung des Diabetes seiner Patienten und minimiert dergestalt
die Langzeitfolgen der Zuckerkrankheit; der Arzt und Humanist kämpft für
die medizinische Versorgung der Männer, Frauen und Kinder in der kriegszerstörten Heimat und lindert so das
schlimmste Elend; in Kreuzberg treffen
diese so entfernten Welten aufeinander,
Menschen unterschiedlichen Alters und
Geschlechts, verschiedener Kultur und
Religion begegnen einander. In der Vielvölkerstadt Berlin werden alle großen
und kleinen Sprachen dieser Welt
gesprochen – als Esperanto fungiert
die Medizin, die nur Patienten kennt
und auf die Einsicht des Herzens setzt.
Schließlich führt auch die größte Berliner Klinik die Nächstenliebe im Namen.
Andrea Bronstering
SPEZIALISTEN FÜR HEILBERUFE
Schumannstraße 18 10117 Berlin
Telefon 030 206298-6
Fax 030 206298-89
Anwaltstradition seit 1906 | www.meyer-koering.de
RECHT RUND UM DIE MEDIZIN *
* Wolf Constantin Bartha
Fachanwalt für Medizinrecht
* Torsten von der Embse
Fachanwalt für Medizinrecht
* Dr. Christopher Liebscher, LL.M. * Dr. Sebastian Thieme
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Fachanwalt für Medizinrecht
* Dr. Reiner Schäfer-Gölz
Fachanwalt für Medizinrecht,
Of Counsel
Fachanwalt für Medizinrecht * Jörg Robbers
Rechtsanwalt, Of Counsel
Anzeige
16