Bedeutung der Zivilcourage für unsere Gesellschaft

Bedeutungder
Zivilcouragefür
unsereGesellschaft
Sehr geehrte Damen und Herren,
nun habe ich die Ehre hier im Rahmen der
diesjährigen Ehrungen der Goslarer
Zivilcourage Kampagne vor Ihnen allen, die
Sie konkrete Vorstellungen davon haben, was
Zivilcourage für unsere Gesellschaft bedeutet, wie „richtige“ Zivilcourage
aussehen sollte, die Sie sich der Förderung und Verbreitung des Gedankens
schon seit Jahren verpflichtet haben oder die Sie bereits einfach zivilcouragiert
gehandelt haben und deshalb zu Recht heute hier geehrt werden bzw. die Sie
immer wieder entsprechend handeln, einen Festvortrag zur Bedeutung der
Zivilcourage für unsere Gesellschaft halten.
Eine „ermutigende“ Stellungnahme, nachdem ich auf Nachfrage erklärt hatte,
dass ich diesen Festvortrag gerade vorbereite, lautete: Aah, na, da möchte ich
gerade nicht mit dir tauschen…
Was ist also zur Bedeutung der Zivilcourage für unsere Gesellschaft heute zu
sagen - für mich als Pfarrerin der Braunschweigischen Landeskirche, als
Pfarrerin der Kirchengemeinde Vienenburg, als Gesicht der Plakataktion der
GZK, das zur Zivilcourage ermutigen möchte?
Erwarten Sie an dieser Stelle von mir eventuell vor allem Hinweise zu Worten
Jesu wie seinem Gleichnis über den barmherzigen Samariter oder
Spitzenaussagen der Bergpredigt: „Alles nun, was euch die Leute tun sollen, das
tut ihnen auch“?
Die sogen. Goldene Regel kann ja auch als Handlungsaufforderung verstanden
werden, die jede Christin und jeden Christen in der Nachfolge Jesu unmittelbar
zur Zivilcourage ermutigt. Schließlich kann jede und jeder von uns in eine
Notsituation geraten, in der wir auf Hilfe und Unterstützung anderer angewiesen
sind.
Mich bewegte dazu in den vergangenen Tagen die emotionsgeladene Debatte,
die in den Medien und an vielen anderen Stellen angesichts der Übergriffe auf
Frauen in der Silvesternacht in Köln und Hamburg geführt wird?
Werden nicht viele Ereignisse in den Medien und gerade auch in den sozialen
Netzwerken heutzutage in einer Art und Weise kommentiert und so ausgetragen,
dass Zivilcourage zwingend erforderlich ist, um menschenfeindlichen,
rassistischen und antisemitischen Äußerungen und Ideologien entgegenzutreten?
Kann und sollte nicht auch in diesem Lebensbereich zivilcouragiertes Handeln
darauf eine Antwort sein?
Der Duden erklärt Zivilcourage als den Mut, den jemand beweist, indem er
humane und demokratische Werte (z. B. Menschenwürde, Gerechtigkeit) ohne
Rücksicht auf eventuelle Folgen in der Öffentlichkeit vertritt.
Auch in der wissenschaftlichen Literatur wird Zivilcourage als die Bereitschaft
zu Handlungen, die persönlichen Mut erfordern, definiert und bezieht sich laut
Professorin Gertrud Nunner-Winkler auf die Bewahrung bzw. Verwirklichung
der normativen Grundlagen rechtsstaatlich demokratisch verfasster
Zivilgesellschaften.
Dem emeritierten Politikwissenschaftler Gerd Meyer von der Eberhard Karls
Universität Tübingen zufolge zeigt „Zivilcourage“, wer aus der Anonymität
heraustritt und damit als Person erkennbar wird. Denn Zivilcourage ist
prinzipiell ein öffentliches Handeln, d.h. andere (Dritte) sind anwesend oder
erfahren davon. Zivilcouragiertes Handeln ist Handeln unter Risiko, was
bedeutet, dass man zumeist mit Nachteilen rechnen und bereit sein muss, diese
in Kauf zu nehmen und sich mit der eigenen Angst auseinanderzusetzen.
Meyer unterscheidet drei Arten des Handelns mit Zivilcourage:
• Eingreifen zugunsten anderer, meist in unvorhergesehenen Situationen, in
die man hineingerät und wo schnell entschieden muss, was man tut.
In diesen Bereich gehört m.E. auch das Motto der Goslarer Zivilcourage
Kampagne : „Hinsehen Handeln Helfen ... ohne sich dabei selbst in
Gefahr zu bringen!“ Niemand muss ein Held sein und kann trotzdem
helfen!
• Sich-Einsetzen – meist ohne akuten Handlungsdruck – für allgemeine
Werte, für das Recht oder die legitimen Interessen anderer, vor allem in
organisierten Kontexten und Institutionen, wie z.B. in der Schule oder am
Arbeitsplatz, häufig auch für eine größere Zahl z.B. von Kolleginnen und
Kollegen oder Betroffenen.
• Sich-Wehren z.B. gegen Zumutungen, körperliche Angriffe, sexuelle
Belästigung, Mobbing oder Ungerechtigkeit; zu sich und seinen
Überzeugungen stehen, standhalten, sich behaupten; widerstehen, nein
sagen.Das kann auch bedeuten, sich zu weigern, etwas moralisch oder
rechtlich nicht Annehmbares zu tun, also ‚aus guten Gründen‘ den
Gehorsam zu verweigern.[1]
Dies erfordert Mut, da derjenige, der Zivilcourage zeigt, möglicherweise
mit Sanktionen durch Autoritäten, Vertreter der herrschenden Meinung
oder sein soziales Umfeld (z.B. einer Gruppenmehrheit) zu rechnen hat.
Als zivilcouragiert gelten auch Whistleblower, die illegale Handlungen oder
sozialethisches Fehlverhalten zum Schaden der Allgemeinheit innerhalb von
Institutionen, insbesondere Unternehmen und Verwaltungen, aufdecken.
Zivilcourage ist demnach nicht nur in akuten Not- und Bedrohungssituationen
gefragt, sondern weit darüber hinaus in vielfältigen Alltagssituationen.
Zivilcourage ist eine oft unbequeme demokratische Tugend in einer sozial
verantwortlichen Zivilgesellschaft.
In diesem Sinne verstehe ich auch die Aussagen, die der niedersächsische
Ministerpräsident Stephan Weil in seinem Grußwort für die Internetseite der
GZK festgehalten hat: „Wir alle wollen uns in unserer Gesellschaft und
Umgebung sicher fühlen. Dafür ist es erforderlich, Verantwortung auch für
andere Menschen zu übernehmen. Dieser Grundsatz gilt nicht nur in der eigenen
Familie oder im persönlichen Umfeld. Vielmehr muss diese Handlungsmaxime
Einzug in die gesamte Gesellschaft halten.
Gegenseitige Unterstützung in der Not, Hilfsbereitschaft und
Verantwortungsbewusstsein prägen eine intakte Gemeinschaft. Gemeinsam
gegen Gewalt einzutreten und – wenn nötig – Zivilcourage zu zeigen, muss
unser aller Anspruch sein.“
Wenn wir nicht wollen, dass unser Land vergiftet wird und unsere Demokratie
ihre Basis verliert, ist es zentral, sich gegen Unrecht, Ungerechtigkeit und
Willkür zu wehren und Freiheit und Menschenwürde überall dort zu verteidigen,
wo sie infrage gestellt oder beschnitten werden. Dies fängt im Alltag an, reicht
über den beruflichen und öffentlichen Bereich bis zur Politik.
Die Fähigkeit, Gleichheit von Ungleichheit und Recht von Unrecht zu
unterscheiden, soziale Demokratie und rechtsstaatliche Prinzipien als kostbares
Angebot von Freiheit, Gerechtigkeit und gesellschaftlichem Zusammenhalt zu
erkennen, ist nach Wolfgang Thierse, dem ehemaligen Bundestagspräsidenten,
eine Schlüsselqualifikation für eine demokratische Gesellschaft.
Zivilcourage ist damit für unsere Gesellschaft unverzichtbar. Sie hat die
Aufgabe, den öffentlichen Raum zu verteidigen und die Geltung humaner Werte
in der Gesellschaft zu sichern.
In diesem Sinne bin ich stolz darauf, ein Gesicht der GZK zu sein und zur
Zivilcourage zu ermutigen und im akuten Handlungsbedarf zu wissen, 110 zu
wählen ist nach allen bekanntgegebenen Regeln in diesem Zusammenhang
unbedingt notwendig.
Deshalb: „Richtige Zivilcourage sichert uns alle.“
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
© Ev.-luth. Kirchengemeinde Vienenburg
Pfarrerin Dagmar Hinzpeter