Predigt-Text zum Nachlesen

PREDIGT
im Weihnachtshochamt 2015 im Trierer Dom
Jes 52,7-10/ Hebr 1,1-6/ Joh 1,1-18
Liebe Schwestern und Brüder im Glauben!
Die ersten Verse des Johannesevangeliums, die wir immer am Ersten Weihnachtstag
hören, schlagen den Bogen ganz weit: Sie setzen nicht erst ein mit dem Beginn des
Lebens Jesu, sondern sie schauen auf den Anfang schlechthin, auf den Ursprung, der
sogar der Schöpfung vorausliegt. So erinnern diese Verse des Johannesevangeliums
unwillkürlich an die ersten Seiten der Bibel überhaupt: Johannes spricht von dem göttlichen Wort, durch das alles geworden ist und mit dem das Licht in die Welt kommt.
Und tatsächlich: auch im Buch Genesis hebt die Erschaffung der Welt damit an, dass
Gott spricht: Es werde Licht (Gen 1,3). Alles beginnt mit diesem Wort. Damit tritt die
Welt ins Dasein. Am Anfang: das Wort und das Licht, in der Genesis und bei Johannes.
Aber es gibt einen Unterschied: Im Buch Genesis scheidet der Schöpfer das Licht von
der Finsternis. Er trennt das eine vom andern. Das Licht nennt er Tag, und die Finsternis
nennt er Nacht. Tag und Nacht, Licht und Finsternis sind klar voneinander unterschieden. Da ist entweder das eine oder das andere. Der Prolog des Johannesevangeliums
kennt diese scharfe Trennung nicht. Er spricht von dem Licht, das in die Finsternis
kommt und in der Finsternis leuchtet. Das Weihnachtslicht ist nicht das Licht des ersten
Schöpfungstages, das alles mit einem Schlag hell macht.
Liebe Schwestern und Brüder, ich gestehe Ihnen ehrlich, dass ich diesen Unterschied
bisher nicht so bewusst wahrgenommen habe. Denn wenn doch das göttliche Licht in
die Finsternis kommt, dann vertreibt es die Finsternis (so singen wir sogar in einem
unserer Weihnachtslieder [„Es ist ein Ros entsprungen“]). Dann ist es aus mit der Finsternis. Dann ist es heller Tag. So denken wir. Vielleicht waren es die vielen dunklen
Stunden, die unsere Welt und d. h. ja so viele Menschen im zu Ende gehenden Jahr
erleben mussten, die mich auf die Unterschiede zwischen den ersten Versen der Genesis und den ersten Versen des Johannesevangeliums aufmerksam gemacht haben:
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Ich denke an die ungezählten Opfer mörderischer Gewalt im Nahen Osten und in
Afrika, hier bei uns in Europa und in den Vereinigten Staaten; ob diese Menschen
nun durch die Hand von islamistischen Terroristen ihr Leben verloren, durch einen
lebensüberdrüssigen Flugzeugpiloten, durch Regierungstruppen oder durch Amokläufer … Was für ein lebenslanges Leid wird dadurch auch über die Angehörigen
gebracht.
Ich denke an die dunklen Seiten, die in diesem Jahr mitten in unserer Gesellschaft
in Form von Extremismus und Fremdenfeindlichkeit zutage getreten sind und die
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in den sozialen Netzwerken krebsartige Wucherungen hervorbringen. Das Wort
vom „Dunkeldeutschland“ machte die Runde. Wie viele finstere Gedanken geistern
durch die Köpfe von Menschen …
Die Dunkelheit, von der bei Johannes die Rede ist, lässt mich aber auch denken an
die Menschen, deren Leben überschattet ist, etwa durch die dramatische Verschlechterung einer Krankheit, durch Beziehungskrisen, durch bestehende Belastungen der Kindheit oder Jugend oder durch das Scheitern von Lebensentwürfen.
Jeder von uns kennt solche Schatten aus seinem Lebensumkreis oder sogar seinem
eigenen Leben.
Wie gut tut da das Evangelium des Ersten Weihnachtstages, weil es so nüchtern, so
realistisch ist. Es behauptet nicht, das göttliche Licht sei in die Welt gekommen und
damit seien alle Dunkelheiten hinweggefegt. Nein, es sagt: Das Licht kommt in die
Finsternis. Es leuchtet in der Finsternis. Eben wie im richtigen Leben: Da sind Licht
und Schatten. Da ist nicht einfach schwarz oder weiß. Die Botschaft des Johannes tut
gut, denn sie ist weder eine Wohlfühlgeschichte für schöne Stunden, noch polarisiert
sie bloß. Sie spricht von dem Licht, das keine Angst hat vor der Finsternis; das sich
hineintraut in das Zwielicht und die Finsternis dieser Welt.
Aber das ist noch nicht alles: Von dem Licht, das in der Finsternis leuchtet, heißt es
nämlich: Und die Finsternis hat es nicht erfasst (Joh 1,5b). Will sagen: Die Finsternis
hat das Licht nicht verschluckt. Die Finsternis hat nicht die Kraft und die Macht, das
Licht auszulöschen. Das ist erst recht Frohe Botschaft gerade auch für unsere Zeit:
Gottes Licht scheut die Finsternis unserer Welt nicht. Es trotzt ihr, und es leuchtet unbeirrt weiter.
„Aber was genau ist dieses Licht? Worin besteht es?“ so könnte man sich noch einmal
fragen. Für den Evangelisten speist sich dieses Licht vor allem aus dem Wort Gottes.
Gottes Wort, seine Botschaft an uns gibt dem Leben Orientierung, macht unser Leben
hell, gibt Hoffnung und Zuversicht. Diese Botschaft ist seit Weihnachten mehr als ein
ausgesprochenes und zugesagtes Wort, so wie es auch schon die Menschen des Alten
Testamentes verstanden haben. Schon der Psalmbeter sagt ja: „Gott, dein Wort ist meinem Fuß eine Leuchte, ein Licht für meine Pfade“ (Ps 119,105) Mit dem „Wort“ meint
der Beter die Tora, die Weisungen Gottes. Diesen Weisungen zu folgen, ist der Weg
zum wahren Leben. Denn Gottes Weisungen entspringen seiner unausdenklichen
Weisheit. Wer sie befolgt, der geht nicht in die Irre.
Wenn der Evangelist Johannes nun von dem Wort spricht, das das Leben hell macht,
dann denkt er daran, dass Gottes Wort fleischgeworden ist in Jesus Christus. In Jesus
erfüllen sich Gottes Verheißungen. Jesus Christus ist die Zusage Gottes an uns Menschen in Person. Er ist auch das Licht, das keine Angst hatte, in die Finsternis dieser
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Welt zu gehen. Er hat sich Leid und Krankheit ausgesetzt, ebenso dem Hass und der
Gewalt. Am Ende sah es fast so aus, als ob sein Licht endgültig erloschen sei, vom
Dunkel des Grabes verschluckt, ausgeknipst im Tod. Aber die Flamme der Liebe zwischen Vater und Sohn brannte weiter und hat Jesus aus dem Tod errettet. So hat es bis
heute keine Macht der Welt geschafft, Jesus und seine Botschaft zum Schweigen zu
bringen oder sie vergessen zu machen. - Das Licht, das Christus ist, leuchtet in der
Finsternis, und die Finsternis hat es nicht erfasst.
Lieber Schwestern und Brüder, darum zu wissen, das müsste uns eigentlich für unser
Leben reichen. In diesem Satz vom Licht ist die gesamte Botschaft des Glaubens auf
den Punkt gebracht. Mir kommt dazu das Bild von Kindern in den Sinn, die Angst
haben vor der Dunkelheit und die ihre Eltern darum bitten, im Flur das Licht anzulassen
und die Tür nicht ganz zuzumachen. Um beruhigt einzuschlafen, brauchen die Kinder
nicht das volle Licht. Es genügt der eine Strahl, der ihnen die Gewissheit gibt: „Die
Eltern sind da. Sie wissen um uns. Wenn wir sie brauchen, dann können wir sie rufen.“
Gottes Lichtstrahl, der Jesus Christus ist, müsste eigentlich auch uns Erwachsenen, uns
erwachsenen Kindern Gottes reichen. Denn er befähigt uns dazu, den dunklen Seiten
unseres Lebens nicht auszuweichen und uns auch den Dunkelheiten dieser Welt, ihren
Grausamkeiten und Ängsten zu stellen. Wir brauchen all das nicht auszublenden, und
wir sollen es auch nicht. Aber wir brauchen uns auch nicht davor zu fürchten, dass die
Dunkelheiten uns überwältigen. Das Licht leuchtet in der Finsternis, und die Finsternis
hat es nicht erfasst, sagt das Weihnachtsevangelium. Es verspricht nicht, dass denjenigen, die glauben, Dunkelheiten und Finsternisse, d. h. Fragen, Ängste, Zweifel … erspart bleiben. Da ist das Evangelium realistisch. Aber es verspricht, dass die Dunkelheiten, die uns in welcher Form auch immer zusetzen, nicht das letzte Wort behalten.
Wer im dunklen Wald pfeift, der will sich die Angst vertreiben, so sagt man. Gilt das
auch für uns, wenn wir Weihnachtslieder singen? Vielleicht. Denn ja, da ist die Dunkelheit des Lebens und der Welt. Da sind die Fragen, die Ängste, die Abgründe und
Scheußlichkeiten; da sind Überforderungen und Trauer, die das Leben überschatten.
Ja, Weihnachtslieder sind Lieder gegen die Dunkelheit. Aber wir singen sie nicht
grundlos. Seit jener Nacht in Bethlehem gibt es das Licht, das der Finsternis trotzt; das
Licht, das seitdem leuchtet, ruhig und beharrlich. Es lädt uns ein in seine Nähe, damit
wir unsere Angst verlieren, damit wir Licht sehen und selber mit unserem Leben die
Welt ein wenig heller machen. Amen.
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