KÜNSTLER NACHLÄSSE - Kulturstiftung der Länder

Das Magazin der
Kulturstiftung der Länder
1 2015
GERHARD ALTENBOURG
IN BERLIN
NORDRHEIN-WESTFALEN:
DIE SAMMLUNG SUERMONDT
IN AACHEN
KÜNSTLER
NACHLÄSSE
MAX SLEVOGT UND
MAX PECHSTEIN
EDITORIAL
Was bleibt?
Isabel Pfeiffer-Poensgen,
Generalsekretärin der Kulturstiftung der Länder
Liebe Leserin, lieber Leser,
Johann Heiss
(M emm in gen 1 6 40 - 1 704 Aug s b urg )
A r te mis vo n E ph e s us a l s A l l e go r i e d e r Fr uc htb ar kei t
Öl a u f Leinwan d, M a ß e : 1 2 5 x 9 2 c m
G a l e r ie N e u s e Ku n s tha nde l G m b H , A c h i m N e u s e Volker Wurs ter
Co ntre s c a rp e 1 4 , 28 2 0 3 B re m e n , Te l . : 04 2 1 3 2 56 4 2 , w w w. galerieneus e . co m
was vom Leben bleibt, ist ein fundamentaler Gedanke
der menschlichen Kultur. Und nicht nur was es ist,
das bleibt, sondern immer auch: wo es bleibt.
Die Künstler sind es oder deren Erben, die sich
diesen Fragen zu stellen haben. Manuskripte und
Bücher, Gemälde und Skulpturen brauchen Platz,
Pflege, Aufarbeitung. Nicht jedem Künstler war der
Weg in die Museen und großen Sammlungen zu Lebzeiten vergönnt, und den allermeisten wird er wohl
verschlossen bleiben.
Alles lässt sich nicht bewahren, doch Kunst vernichten weckt – ganz besonders in unserem Land – wenig
gute Erinnerungen. Keine Generation sollte sich die
Möglichkeiten für Entdeckungen nehmen lassen, denn
ob ein Künstler Geschichte schreibt oder in Vergessenheit gerät, hängt von vielen Faktoren ab – nicht nur von
der Qualität, deren Empfinden ohnehin dem Zeitgeschmack obliegt. Was also tun? Unser Autor Michael
Zajonz sucht in diesem Heft nach Antworten.
Nicht nur die Kunst indessen sucht nach Raum,
auch der Raum sucht Kunst: Wie glücklich schätzen
sich Museen und Archive, wenn sie das Schaffen eines
großen Künstlers verbreitern und vertiefen können und
wenn zu Bildwerken schlussendlich auch die Dokumente kommen, die ein Künstlerleben in der Rückschau abrunden.
So manchen Nachlass konnte auch die Kulturstiftung der Länder in den letzten Jahren bewahren helfen.
Große Namen sind darunter – wie Slevogt oder Pechstein, von denen wir Ihnen heute berichten möchten –,
aber auch weniger bekannte oder fast vergessene, denken Sie nur an die wunderbaren Scherenschnitte von
Lotte Reiniger im Tübinger Stadtmuseum oder den
ARSPROTOTO 1 2015
grandiosen „Krabat“-Illustrator Herbert Holzing,
dessen Nachlass nach Troisdorf in das Bilderbuchmuseum Burg Wissem gelangt ist.
Was bleibt? Nicht nur Künstler haben sich diese
Frage gestellt, sondern ganz besonders auch die Sammler. Und manche haben folgenreiche Antworten gegeben. Mit ihren Vermächtnissen wurden sie zu Gründern ganzer Weltmuseen, die für uns heute längst zu
Pfeilern unserer kulturellen Identität geworden sind:
Das Städel, die Ludwig-Museen, das Museum Folkwang in Essen, die Sammlung Schack in München, ja
selbst die Berliner Nationalgalerie – sie, und viele
Museen mehr, verdanken ihr Entstehen der Initiative
von privaten Sammlern, die ein Zeichen setzen wollten
und wollten, dass etwas von ihnen: bleibt.
Solche Männer und Frauen möchten wir Ihnen in
den kommenden 16 Ausgaben von Arsprototo vorstellen. Uta Baier, Autorin unserer nun abgeschlossenen
Serie über Deutschlands Künstlerinnen und Künstler,
beginnt die Reihe der Geschichten in Nordrhein-Westfalen. Pars pro toto für das Land, dem wir unser erstes
Heft in diesem Jahr widmen möchten, erzählen wir
vom Auf und Ab des großen Sammlers und Museumsstifters Barthold Suermondt.
Ich wünsche Ihnen und Ihren Familien einen
schönen Frühlingsanfang!
Ihre
Max Pechstein, Kopf eines Indios, Postkarte
vom 28.2.1909; Kunstsammlungen Zwickau,
Max-Pechstein-Museum
3
AUTOREN
SIGRUN PAAS
Sigrun Paas bereiste die halbe Welt, um
Bilder ihrer Lieblingskünstler Goya und
Manet zu sehen: Die Begeisterung für die
beiden Maler teilt sie mit Max Slevogt, der
der Kunsthistorikerin immer wieder bei ihren
Forschungen begegnete – so beispielsweise als
Mitarbeiter von Cassirers Zeitschrift „Kunst
und Künstler“, über die Paas in Heidelberg
promovierte. Doch nie hätte Paas damals
gedacht, dass ihr berufliches Leben einmal so
tief von der Auseinandersetzung mit dem
Pfälzer Impressionisten Slevogt geprägt sein
würde. Nach Stationen in Karlsruhe, Ludwigshafen, Hamburg und Darmstadt arbeitete Paas seit 1990 am Landesmuseum
Mainz, ab 1995 übernahm sie zusätzlich die
Leitung der Max Slevogt-Galerie in der
Südpfalz. Hier veranstaltete sie mehr als 80
Ausstellungen zu Slevogt und seinem Umfeld. „Licht und Farbe in Slevogts Malerei
stehen zeichnerischer Esprit, böser Witz und
abgründige Düsternis in der Graphik gegenüber. Mich faszinieren solche Brüche“, sagt
Sigrun Paas, der 2012 die Max-Slevogt-Medaille für ihre Verdienste um den berühmten
Landessohn verliehen wurde. Seit 2006 war
sie maßgeblich an der Erwerbung des
Slevogt-Nachlasses durch das Land Rheinland-Pfalz beteiligt, die Preziosen des graphischen Bestands enthüllt Sigrun Paas nun in
ihrem Artikel für Arsprototo. ––– Seite 20
ARMIN SCHLECHTER
Armin Schlechter, im Landesbibliothekszen­
trum Speyer zuständig für Handschriften,
Alte Drucke und Nachlässe, studierte in
4
IMPRESSUM
Heidelberg Altgermanistik, Mittellatein und
Geschichte. Seine wissenschaftlichen Schwerpunkte sind die Buch- und Bibliotheks­
geschichte, die südwestdeutsche Landesgeschichte sowie die Heidelberger Romantik.
Im Zusammenhang mit der Beschäftigung
mit frühen Drucken entdeckte Schlechter
2004 eine kunsthistorische Sensation, die
früheste Notiz zu Leonardo da Vincis „Mona
Lisa“. Für Arsprototo beschreibt er den für
die Pfälzische Landesbibliothek erworbenen
schriftlichen Nachlass des impressionistischen
Malers und Graphikers Max Slevogt.
Schlechter fasziniert dabei besonders, aus
vielen Perspektiven detaillierte Einblicke in
die Biographie einer Person zu gewinnen,
dabei gleichzeitig aber auch den Nachlass als
Spiegel der Zeitgeschichte zu erleben.
––– Seite 27
Arsprototo
Das Magazin der Kulturstiftung der Länder
Lützowplatz 9, 10785 Berlin
Telefon 030 - 89 36 35-0
Redaktion 030 - 89 36 35-27
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Herausgeberin Isabel Pfeiffer-Poensgen,
Generalsekretärin der Kulturstiftung der Länder
Projektleitung Dr. Stephanie Tasch
Chefredakteurin Carolin Hilker-Möll
Geschäftsführender Redakteur Johannes Fellmann
Redaktionelle Mitarbeit Jenny Berg,
Matthias Müller, Laura Hoßfeld
Senior Editor Dieter E. Beuermann
Consulting Editor Dr. Philipp Demandt
Konzeption und Gestaltung Stan Hema mit
Vladimir Llovet Casademont, www.stanhema.com
Vertriebsleitung, Abonnement, Internet
Johannes Fellmann
Anzeigen Jenny Berg, Telefon 030 - 89 36 35-21
INHALT
3
EDITORIAL
TITELTHEMA KÜNSTLERNACHLÄSSE
4
AUTOREN / IMPRESSUM
8
IE LABUNG
D
von Hans von Marées
20
12
SALONFLÜGEL
VON PETER BEHRENS
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Bessemerstraße 51, 12103 Berlin
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Jahresabonnement: 20 Euro
Erscheinungsweise Viermal jährlich
Erscheinungstermin dieser Ausgabe: 3.3.2015
Gedruckte Auflage dieser Ausgabe: 14.700
AYA SOIKA
Aya Soika hat als Autorin des Max PechsteinWerkverzeichnisses und einer Biographie des
Malers eng mit dem Nachlass des Künstlers
zusammengearbeitet. Die Kunsthistorikerin
lehrt am Bard College Berlin und forscht im
Bereich des deutschen Expressionismus. Dass
Max Pechsteins Briefe an den Studienfreund
Alexander Gerbig, die Soika vor zehn Jahren
bei ihren Forschungen noch in einer Privatsammlung studierte, nun für die Kunstsammlungen Zwickau – und das neu gegründete Max-Pechstein-Museum – erworben
werden konnten, freut sie besonders. Für
Arsprototo wirft Soika erneut einen Blick auf
den spannenden Briefwechsel Pechsteins mit
seinem ältesten und besten Freund Gerbig –
119 Briefe und Karten Pechsteins aus dem
Zeitraum zwischen 1901 und 1942 kommen
nach Zwickau und vervollständigen die dort
bereits vorliegende Korrespondenz.
––– Seite 30
Titelbild: Max Slevogt,
Selbstbildnis en face,
1889, 15,2 × 13,1 cm;
Landesmuseum Mainz
Nachdruck von Bildern und Artikeln, auch
auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung
der Redaktion.
Litho Mega-Satz-Service, Berlin
Herstellung Buch- und Offsetdruckerei
H. Heenemann GmbH & Co., Berlin
Vertrieb OML KG , Berlin
ISSN 1860 - 3327
Arsprototo erscheint mit Unterstützung des
Freundeskreises der Kulturstiftung der Länder.
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Generalsekretärin Isabel Pfeiffer-Poensgen
Stellv. Generalsekretär Prof. Dr. Frank Druffner
Dezernenten Dr. Britta Kaiser-Schuster;
Dr. Stephanie Tasch
Leiterin der Verwaltung Erika Lancelle
Finanzbuchhalterin
Angela Neumann-Bauermeister
Sekretariat Gabriele Lorenz, Monika Michalak
Assistentin des Vorstands Jenny Berg
MALER DES
LICHTES
Max Slevogts künstlerischer Nachlass ist
nun vollständig in Rheinland-Pfalz vereint
— von Sigrun Paas
„IN
DER MALEREI
SIND SIE NOCH NICHT
GANZ SO WEIT“
27
14
ÜNZHUMPEN
M
von Friedrich Engau
15HANDSCHRIFTEN
der Sekundogenitur-Bibliothek Wettin
16
DAGUERREOTYPIE
von Bertha Beckmann
Max Slevogt und sein schriftlicher Nachlass
— von Armin Schlechter
30
„MIT
HERZLICHSTEM
GRUSS DEIN MAX“
Den Kunstsammlungen Zwickau gelingt
der Ankauf von Briefen und Postkarten
Max Pechsteins — von Aya Soika
Informationsgemeinschaft zur Feststellung
der Verbreitung von Werbeträgern e.V.
ARSPROTOTO 1 2015
5
INHALT
34
PAPIER BRAUCHT STÄRKE
LÄNDERPORTRÄT NORDRHEIN-WESTFALEN
Im Papiermuseum Düren soll eine Skulptur
von Bernard Schultze restauriert werden
52
MEISTENS
MEISTERWERKE
GELEHRTER MALER —
GELEHRTES PUBLIKUM
36
Das Stadtmuseum Memmingen erwirbt
den Gemäldezyklus der „Vier Elemente“
von Johann Heiss — von Stephanie Tasch
41
KUNSTVOLL
FÖRDERT KULTURELLE BILDUNG
IN FRANKFURT RHEINMAIN
DAS GEZEICHNETE ICH
Kulturelle Bildung für alle! Es gibt viele Wege zu diesem Ziel. Für den Kulturfonds
Frankfurt RheinMain führt der wichtigste über die Schule. Daher bringt der Kulturfonds mit seinem Jugendprogramm KUNSTVOLL seit dem Schuljahr 2013/2014 die
Kunst buchstäblich in die Schule. In enger gemeinsamer Arbeit gestalten Schüler
und Künstler aus Frankfurt RheinMain über Monate ein Projekt und präsentieren
es der Öffentlichkeit. Auf diese Weise leistet der Kulturfonds seinen Beitrag, an den
Schulen der Region Zugänge zu herausragender kultureller Bildung zu schaffen.
Das Kupferstichkabinett Berlin erwirbt
100 Aquarelle, Zeichnungen und Graphiken
von Gerhard Altenbourg
— von Anita Beloubek-Hammer
46
VERWANDELTE VERWANDLUNG
In der Forschungsbibliothek Gotha konnten
Ovids „Metamorphosen“ restauriert werden
— von Frank Druffner
48
NEUE BÜCHER
49
SIGMAR POLKE: ALIBIS
Eine Ausstellung im Kölner Museum Ludwig
würdigt den 2010 verstorbenen Künstler
50
SPENDEN UND ABONNIEREN
51
FÖRDERER / BILDNACHWEIS
6
Die Sammlung Suermondt im Aachener
Suermondt-Ludwig-Museum — von Uta Baier
58
KUNST UND KULTUR IN DEN LÄNDERN
62
IE KUNST BLEIBT —
D
ABER WO?
Künstlernachlässe als Herausforderung
— von Michael Zajonz
65
NACHRICHTEN
66
S CHÖN IM DEPOT
Susanne Titz über Walter De Marias
„High Energy Bar“ im Mönchengladbacher
Museum Abteiberg
BEWERBUNGSSCHLUSS FÜR DAS SCHULJAHR 2015/2016
IST DER 13. MAI 2015
INFORMATION, BERATUNG UND BEWERBUNGSADRESSE
Gemeinnützige Kulturfonds Frankfurt RheinMain GmbH
z. H. Claudia Oberschäfer
Ludwig-Erhard-Anlage 1–5 · 61352 Bad Homburg v. d. Höhe
Tel 06172.999.4695 · [email protected]
www.kulturfonds-frm.de/kunstvoll
In einem Europa der Regionen wollen wir die starke Position
von Frankfurt RheinMain festigen und weithin sichtbar machen.
Mit diesem Ziel führen wir die kulturellen Aktivitäten unserer
Region enger zusammen und fördern neue Kulturprojekte mit
nationaler und internationaler Ausstrahlung.
Getragen wird der gemeinnützige Fonds vom Land Hessen, von Frankfurt am Main,
dem Hochtaunuskreis und dem Main-Taunus-Kreis, Darmstadt, Wiesbaden und Hanau.
www.kulturfonds-frm.de | Facebook | Twitter
ERWERBUNGEN
KEHRSEITE
Was die Provenienzforschung mit dem nüchternen Begriff „Rückseitenuntersuchung“ bezeichnet, ist Stoff für Biographen und Romanciers,
nicht nur für Kunsthistoriker: Jedes Bild erzählt
eine Geschichte, und die Geschichte seines
Weges durch die Zeit erzählen scheinbar banale
Etiketten, Zahlen und Stempel. Betrachtet man
die Spuren auf Leinwand und Rahmen genau,
so berichten sie hier von einer Ausstellung in
München 1908/09 (110a), zu der das Gemälde
aus Rom reiste, wo sein Schöpfer 1887 verstorben war (Zollstempel „Dogana di Roma, 7 DIC
08“). Als es 1925 erstmals in Berlin bei Paul
Cassirer versteigert wird, hinterlässt dieser Eigen­tümerwechsel ebenso eine Spur (104) wie eine
zweite Auktion am 23. März 1935 (9), jetzt bei
Paul Graupe in Berlin. In dieser Versteigerung
muss sich der ursprünglich aus Neuruppin
stammende Breslauer Industrielle Max Silberberg, als Jude verfolgt, von seiner bedeutenden
Kunstsammlung trennen. Das Gemälde wird
einem Berliner Kommissionär zugeschlagen,
1942 werden Silberberg und seine Frau Johanna
deportiert und – vermutlich in Theresienstadt
– ermordet. 70 Jahre später stoßen die Provenienzforscher des Museums Wiesbaden, in dessen
Bestand das Bild 1980 als Stiftung gelangt war,
auf die Spur des ehemaligen Eigentümers. Eine
bisher einmalige Spendenaktion unter dem Titel
„Wiesbaden schafft die Wende“ lenkt die Aufmerksamkeit der Wiesbadener (und vieler an­
derer!) Bürger auf eine bisher nicht erzählte
Geschichte aus der eigenen Sammlung, denn
fast zwei Monate ließ sich im Museum nur die
Rückseite des Werkes studieren. Der gemeinsame Einsatz – unterstützt u. a. durch die
Förder­ung der Kulturstiftung der Länder und
den Freundeskreis des Museums – glückte, und
auf die Restitution des Bildes folgte die erhoffte
Wende: Die Erben nach Max Silberberg stimmten dem Rück-Kauf durch Wiesbaden zu.
Das Gemälde verbleibt im Museum und erinnert an ein Stück deutsch-jüdischer Sammlungsgeschichte.
Hans von Marées, Die Labung, 1880, 64 × 85 cm
(Gemälderückseite); Museum Wiesbaden
8
9
ERWERBUNGEN
SCHAUSEITE
Seit der erfolgreichen Wende im Wiesbadener
Museum präsentiert sich Hans von Marées’
delikat koloriertes Gemälde „Die Labung“
wieder von seiner besten Seite: Im Eindruck
dunkler Farbigkeit zeigt das Spätwerk des Malers
eine arkadische Landschaft mit mythologischem
Personal – eine freie Adaption der Begrüßung
des schiffbrüchigen Odysseus durch die Königstochter Nausikaa, gefasst als überzeitlich-idealistisches Sinnbild menschlichen Verhaltens. Der
italienaffine Deutschrömer Hans von Marées
(1837–1887) bemalte die 64 × 85 cm große
Pappelholztafel um 1880 „im Atelier des Malers
Viktor zur Helle sehr schnell zu Demonstra­
tions­zwecken“, wie Julius Meier-Graefe in seiner
1909 erschienenen Marées-Monografie leicht
abschätzig zur „Labung“ schreibt. Heute entpuppt sich die allzu rasche Realisierung des
Bildes allerdings als wahrer Glücksfall für seinen
visuellen Reiz. Denn im Streben nach koloristischer Perfektion experimentierte der Künstler
– ohne hinreichende Chemiekenntnisse – mit
Bitumen als Malmittel, lasierte einzelne Partien
seiner Werke mit zahllosen Schichten wechselnder Öl- und Temperafarbe. Während viele Gemälde Hans von Marées’ aufgrund dieser Technik extrem nachdunkelten und als trübe Ruinen
kaum noch ihre einstige Farbpracht versprühen,
brilliert das Wiesbadener Gemälde mit leuchtender Intensität.
Als Werk einer Zeit des künstlerischen Aufbruchs schlägt die „Labung“ als Scharnier in der
Sammlung des Museums eine malerisch glänzende Brücke von den traditionellen Bildauffassungen des 19. Jahrhunderts zur Moderne, auf
deren namhafte Vertreter Franz Marc, Paul Klee
und Karl Hofer Hans von Marées wirkte.
Hans von Marées, Die Labung, 1880,
64 × 85 cm; Museum Wiesbaden
10
11
ERWERBUNGEN
Flügelkunst
Als „Meisterwerk moderner Technik und hoher
Kunst“ feierte die zeitgenössische Presse den Salon­
flügel, den Peter Behrens 1900 eigens für das Musikzimmer seines neu erbauten Hauses auf der Mathildenhöhe in Darmstadt entwarf. Haus Behrens ist das
Debüt des Malers als Architekt: Während alle Wohnund Nutzgebäude der 1899 durch Großherzog Ernst
Ludwig von Hessen initiierten Künstlerkolonie vom
Architekten Joseph Maria Olbricht konzipiert wurden,
traute einzig Peter Behrens (1868 –1940) sich zu, sein
Wohnhaus selbst zu planen, einschließlich der Inneneinrichtung sowie aller Ausstattungsgegenstände. Das
Musikzimmer war der Höhepunkt von Haus Behrens.
Hier bildete der Salonflügel mit Sesseln, Tischchen
und Behrens’ Gemälde „Der Traum“ ein raumkünst­
lerisches Ensemble, in dem alle Objekte eine gemeinsame Bildsprache einte. Rhomben und Rauten, Rechtecke und Quadrate – geometrische Formen dominierten den Raum. Der Salonflügel beeindruckt auf dem
geschweiften Hauptdeckel zudem mit einer stilisierten
Adlerschwinge, das Strahlenmotiv findet sich als
Sonne auf Deckelinnerem und Notenständer wieder.
Die konstruierten und organischen Motive symbolisieren die kristallinen Formen des Denkens und den
freien Flug der Gedanken, die der Jugendstilbewegung
zu Grunde liegen. Die Sinnbilder Diamant, Adler und
Sonne zitieren dabei Friedrich Nietzsches Werk „Also
sprach Zarathustra“. In sich schon ein Prachtstück,
war der Flügel so Teil eines einmaligen Gesamtkunstwerks. Ein Sessel aus dem Musikzimmer befindet sich
bereits im Museum für Angewandte Kunst Köln. Dort
kann nun das formale wie geistige Zusammenspiel von
Instrument und Sitzmöbel wieder dauerhaft erklingen.
Peter Behrens, Salonflügel, 1900/01, 190 ×152 × 99 cm;
Museum für Angewandte Kunst Köln
Historische Aufnahme des Musikzimmers
im Haus Behrens, 1901
12
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IN ZWEITER
LINIE
ERWERBUNGEN
Maß für Maß
Eine gleich doppelte Seltenheit ist im
Erfurter Angermuseum zu bewundern:
Bereits im Dreißigjährigen Krieg ging das
Erfurter Ratssilber fast vollständig verloren, und die von Napoleon geforderten
Tributzahlungen der besetzten Stadt taten
ein Übriges, den Bestand an profaner
Gold- und Silberschmiedekunst in Erfurt
durch Einschmelzung zu dezimieren.
So ist der mit 32 Münzen geschmückte,
teilvergoldete und mit reichen getriebenen und gravierten Dekorformen ver­
sehene Silberhumpen bereits an sich ein
Rarissimum. Als der Münzhumpen in
einer Londoner Auktion anonym angeboten wurde, erkannte man im Anger14
museum sofort, mit welchem Schatz
man es zu tun hatte – die Initialen der
Meister­marke führten zu dem Erfurter
Meister Friedrich Engau (Meister 1647,
erwähnt bis 1662), von dem bisher weder
die Marke noch ein erhaltenes Werk
bekannt waren. Eine der Münzen auf der
Außenwand des Humpens lieferte einen
weiteren Hinweis zur Datierung, die sich
nun auf sieben Jahre genau – zwischen
1655 und 1662 – eingrenzen lässt. Mit
Unterstützung der Kulturstiftung der
Länder angekauft, veranschaulicht der
Münzhumpen das hohe Niveau der
Erfurter Gold- und Silberschmiedekunst
des 17. Jahrhunderts.
Neben der königlichen Hofbibliothek existierte in Dresden noch ein
weiterer Bücher- und Handschriftenschatz, gegründet 1767 von der
kunstsinnigen Kurfürstin Maria
Antonia (1724 –1780): In der prinzlichen Sekundogenitur-Bibliothek
pflegte man die Sammlungen der
Zweitgeborenen des Hauses Wettin.
Im Zuge der gütlichen Einigung
zwischen dem Freistaat Sachsen und
dem Haus Wettin (Albertinische
Linie) gelang es, mit Hilfe der
Kulturstiftung der Länder ein
geschlossenes Konvolut von 257
Handschriften in 388 Bänden für
die Sächsische Landesbibliothek –
Staats- und Universitätsbibliothek
Dresden (SLUB) zu erwerben. Die
Gründerin Maria Antonia ist in dem
Ankauf genauso mit Handschriften
vertreten wie ihr Enkel König
Johann I. (1801–1873), der neben
seinem Hauptberuf als Landesfürst
unter dem Pseudonym „Philalethes“
(„Freund der Wahrheit“) einer
Beschäftigung als bis heute anerkannter Dante-Übersetzer nachging.
Ein 29-bändiges, reich ausgestattetes
Wappenbuch (1771–1887) kündet
von der Bedeutung von Adels­
geschlechtern wie der Schnorr von
Carolsfeld, der Familie des Malers,
während eine Vielfalt von Dokumenten Einblick in die Dresdner Hof­
kultur des 18. und 19. Jahrhunderts
bietet. Neben den Überlieferungen
zu Militär, Religion und Hofleben
sind die Reisetagebücher verschiedener Familienmitglieder von großem
wissenschaftlichen Interesse, denn
Aufzeichnungen von Reiseeindrücken sind in Deutschland häufig aus
bürgerlichen oder adligen Kreisen
überliefert, von Mit­gliedern eines
regierenden Königs­hauses sind sie
eine Rarität.
Handschriften der SekundogeniturBibliothek: Titelblatt aus Dante
(Alighieri) „La Visione / Poema“,
1629; Titelblatt aus Louis de
Silvestre „Observation sur le merite
des ouvrages des peintres sculpteurs
et graveurs …“, um 1750; Blatt 53
(Schnorr von Carolsfeld) aus
J.B. Henze „Sammlung Gräflicher,
Freyherrlicher und Adelicher
Wappen“, 1887; Blatt 54 aus Carl
Gottfried Maximilian Zschaschler
„Bas Officier des Ingenieurs: 58
militärische Zeichnungen und
Profile, Angriff und Verteidigung ...“
Sammelband, um 1794. Sächsische
Landesbibliothek – Staats- und
Universitätsbibliothek Dresden
ARSPROTOTO 1 2015
15
ERWERBUNGEN
Jan Brueghel d. J. · Paradieslandschaft mit dem Sündenfall (Detail) · Um 1630 · Öl auf Holz · 66 x 105 cm
AN IMPORTANT
OLD MASTER
COLLECTION
FROM BERLIN'S
GOLDEN T WENTIES
THE ROHDE-HINZE COLLECTION
FOTO-FIEBER
Es schickte sich noch nicht für Damen,
allein zu reisen, als Bertha Beckmann mutig
neue Wege beschritt. Vom Foto-Fieber
gepackt – und entgegen aller gesellschaft­
lichen Konventionen – gab sie ihren einträglichen Beruf als Haarklöpplerin auf, um
beim Prager Porträtisten Wilhelm Horn die
Kunst der Daguerreotypie zu erlernen. Das
war 1842: Frauen hatten weder das Recht
auf Bildung noch auf eine selbstständige
Erwerbstätigkeit, und das nach seinem
Erfinder Louis Daguerre benannte Verfahren, mittels hochgiftiger Quecksilberdämpfe
flüchtige Momente dauerhaft auf silberbeschichtetes Kupfer zu bannen, war gerade
einmal drei Jahre jung. Mit der technischen
Revolution im Gepäck zog Bertha Beckmann (1815 –1901) fortan als Wanderfoto16
grafin umher. In Zeitungen annoncierte die
junge Frau ihre Dienste, wobei sie ihr
Geschlecht zunächst verheimlichte. Nach
Cottbus, Dresden und Leipzig machte sie
auch Station im thüringischen Ronneburg.
Das dort im Sommer 1843 entstandene
Bildnis des Stadtschultheißen Otto Weise
überzeugt durch würdige Inszenierung und
sorgsames Arrangement. Zudem besticht die
Fotografie auf rundem Kupferblech durch
eine feine Nuancierung der Graustufen und
eine für die Geburtsstunde des Mediums
sensationelle Schärfe. Jüngst konnte das
Stadtgeschichtliche Museum Leipzig mit
dem empfindlichen Schmuckstück die
vermutlich früheste erhaltene Aufnahme der
ersten Berufsfotografin Europas erwerben.
Das Kleinod ergänzt dort den Schatz von
über 3.000 Daguerreotypien, Kalotypien,
Stereoskopien und Glasnegativen, die
Bertha Beckmanns Leben für die Fotografie
dokumentieren: Nach der Heirat mit ihrem
Kollegen Eduard Wehnert und frühem
Witwentum wagte sie 1849 den Sprung
nach New York, wo sie in ihrem angesehenen Studio am Broadway sogar den 13.
Präsidenten der USA, Millard Fillmore,
ablichtete. Ab 1851 wieder in Leipzig
ansässig, unterhielt Bertha Wehnert-Beckmann ein florierendes Fotoatelier, mit dem
sie sich souverän gegen die starke Konkurrenz in einem männlich geprägten Gewerbe
behauptete. Das Stadtgeschichtliche Museum Leipzig ehrt die fast in Vergessenheit
geratene Fotopionierin noch bis zum 26.
April mit einem Panorama ihrer Lichtbilder.
Bertha Beckmann, Porträt des Otto Weise,
Daguerreotypie, 1843, Durchmesser 9,5 cm,
mit zeitgenössischem Rahmen 16,5 ×15 cm
(hier in Originalgröße abgebildet);
Stadtgeschichtliches Museum Leipzig
Auktion in Berlin · 3. Juli 2015 · Katalogbestellung: [email protected]
Sigrun Paas über Max Slevogts
künstlerischen Nachlass in der Max
Slevogt-Galerie in Edenkoben
— Seite 20
Armin Schlechter über Max Slevogts
schriftlichen Nachlass in der Landesbibliothek in Speyer — Seite 27
Aya Soika über Briefe und Post­
karten Max Pechsteins für die Kunstsammlungen Zwickau — Seite 30
TITELTHEMA KÜNSTLERNACHLÄSSE
VERSAMMELTES
SCHAFFEN
Max Slevogt, Schumann-Sonate, 1886,
21 × 33,1 cm; Landesmuseum Mainz
18
ARSPROTOTO 1 2015
19
TITELTHEMA KÜNSTLERNACHLÄSSE
MALER DES LICHTES — KÖNIG
DER ILLUSTRATION
Max Slevogts künstlerischer Nachlass ist endlich vollständig
in Rheinland-Pfalz vereint
von Sigrun Paas
N
ach lange sich hinziehenden Verhandlungen
konnte Rheinland-Pfalz im Jahr 2014 endlich den
letzten Teil des künstlerischen Nachlasses von
Max Slevogt ankaufen, der noch im Besitz seiner Erben
war. Diesen wichtigen Komplex an Kunstwerken
konnte man mit finanzieller Unterstützung u. a. der
Kulturstiftung der Länder und der Stiftung RheinlandPfalz für Kultur für die Öffentlichkeit und Forschung
sichern. Bereits 1971 hatte das Land einen großen Teil
des Slevogt-Nachlasses von Nina Lehmann, der Tochter
und Erbin von Max Slevogt, erworben. Der größte Teil
dieser Kunstwerke, über 120 Gemälde, kam ab 1980 in
der dafür gegründeten Max Slevogt-Galerie auf Schloss
Villa Ludwigshöhe in Edenkoben in der Südpfalz zur
dauernden Ausstellung. Soweit der Erwerb damals
Mobiliar und Bücher betraf, verblieben diese in den von
Slevogt auf seinem Landsitz in Neukastel bei Leinsweiler bewohnten Räumen, die in Führungen der Öffentlichkeit zugänglich waren und es auch heute sind.
Die Pfälzer zählen Slevogt zu den Ihren, auch wenn
er in Bayern geboren wurde, denn Pfalz und Bayern
gehörten damals politisch zusammen. Außerdem hatte
er dort in seiner Kindheit viele Ferien bei Verwandten
verlebt, und er verheiratete sich auch dort. In Berlin zu
Ruhm und Ehre gelangt, verbrachte er die Sommerzeit
fast immer in Godramstein bei Landau und später auf
seinem Landgut Neukastel bei Leinsweiler, wo er 1932
auch gestorben ist. Seine Landschaftsbilder hat er
nahezu alle während seiner Aufenthalte in der Pfalz
gemalt. Er hat, wie die französischen Impressionisten
einst die Seine-Landschaft, die Pfalz zur „Weltlandschaft“ erhoben. Seinen impressionistischen Malstil
schärfte er in der Auseinandersetzung mit dem Licht
im besonderen Klima dieser Region. Die Landschaft,
geprägt von Weinbergen, Kiefern und Esskastanien auf
trockenem Sandboden, betrachtete er am liebsten aus
der Höhe mit dem Blick über die weite Rheinebene.
Das gelang ihm von seinem Anwesen aus, dem heute
als „Slevogthof“ bekannten Wohnsitz, den er von der
20
Familie seiner Frau 1914 erworben und nach und nach
umgebaut hatte, um ihn den Erfordernissen eines
Künstlerdomizils anzupassen: Ab 1922 ließ er einen
Anbau errichten, der zunächst seinen Konzertflügel in
einem Musiksaal aufnahm, dann, etwas später, seine
Bibliothek. Die Wände und Decken der beiden Räume
versah er 1924 und 1929 mit Malereien, in welchen
er den von ihm am meisten verehrten Komponisten
und Dichtern und ihren Werken ein Denkmal schuf.
Slevogt, der selbst ausgezeichnet Klavier spielte, bemalte
seinen Musiksalon mit Szenen aus Mozarts „Zauberflöte“ und „Don Giovanni“ sowie Wagners „Ring des
Nibelungen“, an der Decke seiner Bibliothek huldigte
er Homers „Ilias“, Shakespeares „Macbeth“ sowie
Coopers „Lederstrumpf“ und den Erzählungen aus
„1001 Nacht“.
Dass der am 8. Oktober 1868 morgens um halb
acht in einer Mietwohnung in der dritten Etage des
Landshuter Postamtes geborene Max einst ein begna­
deter Zeichner und Maler lichtvoller Landschaften
werden würde, ahnte damals sicher keiner: nicht der
Vater, Friedrich Ritter von Slevogt, ein schneidiger
Max Slevogt, Studie einer Schleiertänzerin
(Loïe Fuller), um 1895, 10,5 × 16,5 cm
(Ausschnitt); Landesmuseum Mainz
Max Slevogt, Selbstbildnis mit Hut, 1887,
46,5 × 40,2 cm; Landesmuseum Mainz
ARSPROTOTO 1 2015
21
Militär fränkischer Abstammung, in der bayrischen
Armee berühmt für seine Schwimmrekorde im Bodensee. Nicht die Mutter, Caroline von Slevogt, geborene
Lucas, eine musikliebende, sensible Unternehmers­
tochter aus der Nähe von Saarbrücken. Doch bereits in
seinem vierten Lebensjahr war klar, dass Max Slevogts
Hände und Finger außergewöhnlich talentiert waren
für Bildnerisches. Die Mutter ließ seine Begabung
durch privaten Zeichenunterricht fördern. Slevogt
wurde von Ludwig Prechtlein, einem Studienfreund
Moritz von Schwinds, unterrichtet. Er musste Themen
aus Sagen, Mythologie und Dichtung zeichnen, aber
auch Kopien nach Raffael oder eben Moritz von
Schwind. Prechtlein achtete sehr auf Genauigkeit. Hier
fand Slevogt die strenge Schule, die seine Zeichnungen
später so sicher und locker machten. Einige dieser
frühen Übungen haben sich im nun erworbenen Nachlass erhalten.
Slevogts Vater war bereits 1870 an den Folgen einer
Verwundung aus dem Deutsch-Französischen Krieg
gestorben, seine Mutter blieb als Witwe alleinerziehend.
Mit ihren beiden Söhnen Marquard und Max zog sie
nach Würzburg. Hier wurde Max das Schülerleben so
vergällt, dass er froh war, mit 16 Jahren nach München
an die Kunstakademie zu entkommen. Slevogt studierte
ab 1884 an der Münchener Akademie, die damals noch
vor der „Düsseldorfer Schule“ rangierte. Er war in den
Klassen von Johann Herterich und Wilhelm von Diez,
Gabriel von Hackl und Karl Raupp. Er wandte sich
jedoch bald ab von der dort gepflegten akademischen
Tradition und suchte eigene, „moderne“ Wege, die
zunächst an den Münchener Größen Gabriel von Max,
sogar Franz von Stuck, dann aber eher an Wilhelm
Leibl und den Malern von Barbizon orientiert waren.
Heute faszinieren die Arbeiten aus jener Entwicklungsphase, die Slevogt später stets verbarg, weil sie von
der aufkommenden Dominanz der impressionistischen
Malerei, zu der Slevogt sich später bekennen sollte,
noch nichts ahnen lassen. So schrieb Slevogt z. B.
seinem Freund Johannes Guthmann, als dieser wegen
seiner Monographie über Slevogt sich für dessen frühe
Zeichnungen interessierte: „Dass Sie die Jugendzeichnungen nicht entdecken konnten, begreife ich. Ich bitte
Sie, sich nicht darauf zu verbeißen.[...] Da die große
Menge davon [...] mehr den Durchgangsweg aller
Max Slevogts rotes
Klebealbum,
um 1890; Landesmuseum Mainz
22
Der Nachlass, der seit Slevogts Tod 1932 von seinen
beiden Kindern in zwei Räumen des Slevogthofes
gesammelt und untergebracht worden war, umfasst zwei
Bereiche: erstens rund 2.000 Zeichnungen und Aquarelle, die er Zeit seines Lebens wohl absichtlich nicht
verkaufte. Die Blätter reichen von frühen Kinderzeichnungen über das besagte rote Klebealbum mit über
300 Arbeiten aus seiner Zeit als Heranwachsender und
junger Schüler der Münchener Akademie bis zu Por­
trät- und Aktstudien aus seiner akademischen Lehrzeit;
sie reichen von Selbstbildnissen des jungen Künstlers,
der sich von der Akademie gelöst hatte und die eigene
Genialität befragte, zu Bildnissen seiner Familienangehörigen und Freunde, von phantastischen Entwürfen
blutiger Ereignisse zu Vorzeichnungen und Detail­
studien ausgeführter Gemälde und endlich zu Skizzen
des fertigen „Meisters“, der in Berlin immer mehr zum
angesehenen und gesuchten Maler wurde. In Skizzenbüchern und Kladden notierte Slevogt unbekümmert
hintereinander Gesichter, Bewegungsabläufe von Tieren
oder spontane Ideen zu Bildkompositionen, er benutzte
zum Festhalten seiner Einfälle eigentlich jedes gerade
greifbare Papier, Telegramme, Briefumschläge, Konzertprogramme oder Theaterkarten. Es befinden sich im
erworbenen Nachlass sowohl bereits bekannte und
mehrfach publizierte Zeichnungen, wie die 1914 bei
seiner Ägyptenreise entstandenen Bleistift- und Kreidezeichnungen, aber auch unbekannte Szenen von seinem
Max Slevogt, Gekreuzigter, 1886, 27,2 × 15 cm;
Landesmuseum Mainz
erdenkbaren Beeinflussung darstellt – kann es sich nur
um einige wenige Eigenproben handeln, bevor ich
durch die Akademie und Münchens Kunstleben verdorben wurde und in diese Redseligkeit mit entlehnten
Redensarten verfiel.“
Vermutlich ist unter deutschen Künstlernachlässen
das „rote Klebealbum“ mit Slevogts Jugendzeichnungen
ein Solitär und ein einzigartiges Dokument. Es ist für
die Forschung zum späten 19. Jahrhundert und zum
Historismus eine wahre Fundgrube.
Nach Slevogts Studium der Malerei in München
zog er 1901 nach Berlin. Die im Kunsthandel und in
der Berliner Sezession tätigen Cousins Bruno und Paul
Cassirer hatten dem vielversprechenden Münchener
Talent Slevogt einen lukrativen Vertretungsvertrag
angeboten, der Slevogt absicherte und den er bis zu
seinem Tode einhielt. In der Folge sollte er fast all seine
Gemälde über die Galerie Paul Cassirer verkaufen
lassen, seine Buch-Illustrationen an den Verlag Bruno
Cassirer binden. Sie waren die Garanten für seine
Karriere, bald sollte er in Berlin in einem Atemzug mit
Max Liebermann und Lovis Corinth genannt werden.
Die Berliner Kunstkritiker kürten diese drei Künstler
sogar zum „Triumvirat des deutschen Impressionismus“.
Max Slevogt, Vorzeichnung zum Blatt „Der Verantwortliche“ aus der
graphischen Serie „Gesichte“, 1917, 16 × 10 cm; Landesmuseum Mainz
23
Max Slevogt,
Ringerschule,
1893, 137 × 140
cm; Max SlevogtGalerie, Schloss
Villa Ludwigshöhe
Frontaufenthalt im Ersten Weltkrieg oder Vorzeichnungen zu seiner 1917 geschaffenen, düsteren politischen
graphischen Serie „Gesichte“. Die Fülle seiner nach­
gelassenen Zeichnungen reicht von knappen ersten,
schnell hingeworfenen Ideen bis hin zu den ausgefeilten
Entwürfen und ihren quadrierten Eins-zu-eins-Um­
setzungen für sein letztes großes Wandgemälde, das
­„Golgatha-Fresko“ der Friedenskirche in Ludwigshafen,
so dass sich im Material allein die Ausbildung und Entwicklung dieses Künstlers und sein Weg vom 19. ins
20. Jahrhundert verfolgen und belegen lässt, so beispielhaft wie sonst wohl kaum noch bei einem anderen
Künstler. Dieser bisher überwiegend unver­öffentlichte
Teil des Nachlasses wird der kunstwissenschaftlichen
Forschung zukünftig einiges an Stoff bieten.
Dass die meisten dieser Arbeiten bisher im Dunkel
geblieben sind, liegt möglicherweise an der Einschätzung Slevogts selbst, der aus der späteren Sicht des
überzeugten Impressionisten heraus die Werke seiner
Jugendjahre für unergiebig ansah und sie deshalb zurückhielt. Hier äußert sich eine Ausrichtung am Zeit­
geschmack der „Moderne“, die im Nachhinein alles
Historistische und Romantisch-Symbolistische ablehnte, getreu der Maxime der Impressionisten und der
Moderne überhaupt, das „être de son temps“ zu pflegen
– sich dem ausschließlichen Malen von zeitgenössischen
Themen zu widmen, dem „Realismus“ – und alles
Mythologische, Religiöse, Phantastische oder sonst mit
der Wirklichkeit des Lebens nicht Übereinstimmende
abzulehnen. Heute sieht man die Umbrüche der Kunst
vor und um 1900 und deren Inhalte mit neuer
Spannung.
Ein zweiter, zum Nachlass gehörender Teil besteht
aus einer immensen Zahl von Druckgraphiken, die in
den drei dafür bisher erschienenen wissenschaftlichen
Werkverzeichnissen längst nicht komplett erfasst sind
und mit ihrer Fülle von Zustandsdrucken je Platte die
erstaunlich innovative wie penible Arbeitsweise Slevogts
– im Vergleich zu seiner „schnellen Malerei“ – bezeugen. Hinzu kommen über 40 von Slevogt illustrierte
Bücher und Mappenwerke in verschiedenen Ausführungen (Luxus- oder Normalausgaben) und ein bisher
völlig unbekanntes, umfangreiches Mappenwerk der
24
Künstlervereinigung „SPOG“, deren führende Köpfe
Slevogt wie auch sein Freund Emil Orlik waren.
Slevogt wurde in Berlin einst von der Kunstkritik
als „König der Illustration“ oder gar als „süddeutscher
Menzel“ gefeiert, ein Kritikerpapst wie Julius MeierGraefe erlaubte sich 1904 sogar, Slevogts malerisches
Werk im Vergleich zu seiner Zeichenkunst als ganz und
gar nebensächlich einzuschätzen. Heute gilt unser Blick
wie auch der der meisten Zeitgenossen Slevogts aber
hauptsächlich seinem malerischen Werk, weil es Tradition ist, Malerei höher zu gewichten und den Künstler
Slevogt im Umfeld der Berliner Sezession als Mitstreiter
für den Impressionismus zu sehen. Doch muss angesichts der sprudelnden Fülle von Slevogts Einfällen im
graphischen Bereich, wie sie der jetzt erworbene Nachlass sichtbar macht, die Frage nach einer neuen Gewichtung gestellt werden, vor allem deshalb, weil seine
Schwarz-Weiß-Kunst weit über das illustrativ Dienende
einer Textbegleitung hinausgeht. Denn neben den
Zeichnungen für die meist im Bruno Cassirer-Verlag
publizierten bibliophilen Bücher, neben den berühmten
Randzeichnungen zur Partitur von Mozarts „Zauberflöte“ (1920) oder den kongenialen Illustrationen zu
Goethes „Faust II“ (1927) schuf Slevogt mit eigenen
druckgraphischen Bildzyklen wie „Schwarze Szenen“
(1904), „Gesichte“ (1917), „Schatten und Träume“
(1924) oder „Reineke Fuchs“ (1928) komplexe, eigenständige Serien an Künstlergraphik, die sich ästhetisch
und geistig in die Tradition der großen Schwarz-WeißKünstler von Dürer bis Goya und Dix einreihen.
Lässt man Slevogts künstlerische Entwicklung, wie
sie sich im Material des Nachlasses darstellt, Revue
passieren, so wird in seinem graphischen Werk ein
Wesenszug deutlich, den seine Malerei nicht aufweist:
ein tiefgründiger, teils schwarzer Humor, der auch
Themen durchdringt, die durch und durch politisch
sind. Die Tendenz zur Karikatur, den satirischen Zug,
hatte Slevogt schon sehr früh, er war sicher auch deshalb zeitweise Mitarbeiter der Münchener politischsatirischen Wochenschrift „Simplicissimus“ gewesen.
Max Slevogt, Entwurf zur Ringerschule, 1893,
16 × 24 cm; Landesmuseum Mainz
Max Slevogt, Kleine Weinernte, 1913, 17,9 × 27 cm; Max Slevogt-Galerie, Schloss Villa Ludwigshöhe
Gerade in zahlreichen Zeichnungen aus dem „roten
Klebealbum“, die noch ganz im akademisch-klassizistischen Stil gemacht sind, verbindet sich Slevogts Humor
mit dem Makabren und ist hier bereits auf dem Weg
zu den 20 Jahre späteren, bitter-bösen, satirisch-zeitkritischen Kommentaren zu den Ereignissen des Ersten
Weltkrieges und der Weimarer Republik. Ganz nebenbei durchquert man bei dem Gang durch das vorliegende Material des Nachlasses auch Slevogts Bildungshorizont: Obgleich er Maler war, schöpfte er wie
selbstverständlich aus der Literatur der deutschen
Klassik, die ihm völlig geläufig war. Schiller, Wieland,
Herder, Lessing und vor allem Goethe hatte er gelesen,
viele seiner frühen Zeichnungen im Klebealbum be­
ziehen sich inhaltlich auf Themen aus der Literatur.
­Slevogt wäre nicht Slevogt, wenn sich daneben nicht
auch noch eine andere Welt auftäte: Abenteuerromane,
die Indianergeschichten Karl Mays und James Coopers,
die Märchen Andersens und der Brüder Grimm, die
Erzählungen aus Tausendundeiner Nacht. Hier wurde
eine Welt lebendig, die ganz dem neugierigen Wesen
eines Künstlers entsprach, der nach den Worten des
Schriftstellers Uhde Bernays das berühmte Romanische
Café in Berlin betrat, wie wenn „ein Spautzteufelchen
aus seiner Schachtel durch die Drehtüre hereinkam“.
Slevogt nahm gegenüber dem hohen Bildungsgut des
19. Jahrhunderts nicht die steife, beflissene Haltung des
ARSPROTOTO 1 2015
Bildungsbürgers ein. Für ihn zählten der Bilderreichtum der Sprache, die farbige Schilderung, in den Texten
wie in der Musik – sie inspirierten sein bildnerisches
Talent. Insgesamt vertiefen die im jetzt erworbenen
Nachlass enthaltenen Originale und Druckgraphiken
die Einsicht in Slevogts Arbeitsweise, sie fügen sich wie
Puzzle-Teile zu einem beeindruckenden Gesamtwerk.
Die wissenschaftliche Aufbereitung wird in den nächsten Jahren erfolgen. Es ist zu hoffen, dass der Nachlass
bald als Gesamtpublikation der Öffentlichkeit zugänglich sein wird.
Rheinland-Pfalz, das in den zurückliegenden Jahren
für die Max Slevogt-Galerie, als Zweigstelle des Landesmuseums Mainz, bereits zwei graphische Bestände von
Slevogt-Sammlern angekauft hat, besitzt somit, noch
vor Saarbrücken und Hannover, den reichsten Bestand
an Slevogt-Werken. Mit der Slevogt-Galerie und dem
bislang erworbenen malerischen, schriftlichen und
graphischen Nachlass ist das Land Rheinland-Pfalz auf
dem besten Weg, das größte Sammel-Zentrum von
Max Slevogt zu werden. Max Slevogt-Galerie, Schloss Villa Ludwigshöhe
Villastraße 65, 67480 Edenkoben
Telefon 06323 - 9 30 16
Öffnungszeiten unter www.max-slevogt-galerie.de
25
TITELTHEMA KÜNSTLERNACHLÄSSE
„IN DER MALEREI SIND SIE NOCH
NICHT GANZ SO WEIT“
Max Slevogt und sein schriftlicher Nachlass
von Armin Schlechter
D
Brief von Max Slevogt an seine Frau Antonie aus London mit einer
Selbstkarikatur unter den „Söhnen und Töchtern des Nordens und
Albions“, 1906; Pfälzische Landesbibliothek Speyer
26
er impressionistische Maler und Graphiker Max
Slevogt starb am 20. September 1932 auf seinem
über Leinsweiler an der pfälzischen Weinstraße
gelegenen Gut, dem „Slevogthof“. Da er offensichtlich
keine testamentarische Vorsorge getroffen hatte, verblieben sein künstlerischer und sein schriftlicher Nachlass
an diesem Ort im Besitz seiner Erben. Erst im Jahr
2011 konnte das Landesbibliothekszentrum RheinlandPfalz den bis dahin nur sehr eingeschränkt zugäng­
lichen schriftlichen Nachlass des Künstlers mit Unterstützung der Kulturstiftung der
Länder von der Familie erwerben.
Es handelt sich um ein Konvolut von
etwa 3.700 hand- und maschinenschriftlichen Blättern, die auf mehrere
hundert Absender zurückgehen.
Neben Briefen Slevogts, die er an
seine Familie geschrieben hatte, findet
sich hier in erster Linie die eingegangene Korrespondenz. Daneben haben
sich einige Lebenszeugnisse erhalten,
beispielsweise ein Passierschein der
französischen Besatzungsmacht mit
Passfoto Slevogts sowie verschiedene
eigenhändige Konzepte für Vorreden
und Aufsätze.
Im Gegensatz zum künstlerischen
Nachlass, der für das malerische und
graphische Œuvre großen Quellenwert hat, steht im Falle des schrift­
lichen Nachlasses das persönliche
Netzwerk Slevogts im Vordergrund.
Es gruppiert sich, von der nicht sehr
dichten Überlieferung zur Münchener
Schaffensperiode abgesehen, um seine
Max Slevogts Passierschein für die Pfalz, beiden späteren Lebensmittelpunkte,
die nach dem Ersten Weltkrieg unter
das Berlin des späten Kaiserreiches
französischer Verwaltung stand, 1919;
und der Weimarer Republik sowie die
Pfälzische Landesbibliothek Speyer
zu dieser Zeit noch zu Bayern gehörende Pfalz. Hier finden sich Briefe
von Verwandten und Freunden,
ARSPROTOTO 1 2015
Künstlern und Kunsthistorikern, Schriftstellern und
Journalisten, Auftraggebern und Sammlern, Museums­
direktoren, Galeristen und Verlegern. Für viele Kunstwerke und buchgraphische Arbeiten kann der schrift­
liche Nachlass die genauen Entstehungsumstände
erhellen.
In den Briefen an seine Familie karikierte sich
Slevogt immer wieder selbst. So berichtete er seiner
Frau 1906 ausführlich von einer Reise nach London,
wo der Deutsche Künstlerbund eine Ausstellung ausrichtete. Zum gesellschaftlichen Leben gehörte der
Besuch eines vornehmen Restaurants mit Frackzwang;
unter den „Söhnen und Töchtern des Nordens und
Albions“ würde er als stämmiger Mann mit Vollbart
leicht zu erkennen sein (siehe linke Seite). Eine weitere
Selbstkarikatur findet sich in einem Rechnungsbuch, in
dem Slevogt seine künstlerische Produktion, die Namen
der Käufer sowie jeweils die Erträge verzeichnet hat.
Das Frontispiz ziert der Künstler selbst, der einen reiche
Geldmengen liefernden Dukatenscheißer mit Farbe
füttert (siehe Seite 28). Wie gut ein renommierter
Maler zur Zeit Slevogts tatsächlich verdienen konnte,
zeigt beispielsweise eine Anfrage von Otto Henkell,
Teilinhaber der gleichnamigen Wein- und Sektkellerei
in Mainz, aus dem Jahr 1906 nach den Kosten eines
Porträts. Der Künstler notierte in Vorbereitung
einer Antwort lakonisch: „Knie 4 – 5000, ganze Figur
9 –10.000.“
Das umfangreichste Konvolut innerhalb des
­schriftlichen Nachlasses ist die Korrespondenz mit den
Vettern Bruno und Paul Cassirer, die einerseits einen
großen Teil seines buchkünstlerischen Schaffens verlegten, andererseits seine Gemälde und Graphiken vertrieben. Insbesondere Paul Cassirer bewertete die künstle­
rischen Leistungen Slevogts ganz unverblümt. In einem
Brief vom 4. April 1912 warf er ihm beispielsweise vor,
sich mit Schmeichlern zu umgeben. „In Ihrer Graphik“,
so Cassirer weiter, „sind Sie zu einer Freiheit gekommen, die bewundernswert ist; in der Malerei sind Sie
noch nicht ganz so weit.“ Kritiklose Bewunderung
dürfe der Künstler nicht von ihm erwarten: „Bin ich
27
Postkarte von Emil Orlik an Max Slevogt mit
einer Skizze der Wolkenkratzer von New York,
1924; Pfälzische Landesbibliothek Speyer
denn nun wirklich verpflichtet, wie ein Kind oder wie
ein Narr alles, was Sie tun, über alle Massen schön zu
finden? Oder finden Sie nicht, dass meine Liebe zu
Ihnen und zu Ihrer Kunst ehrlicher, tiefer, männlicher
ist als die Affenliebe derer, die Sie umgeben und die
alles, was Sie machen, gut finden, als wären Sie ein
Automat und nicht ein lebendiger, ringender Mensch?“
Eine enge Freundschaft bestand zwischen Slevogt
und dem Graphiker und Buchkünstler Emil Orlik. Er
wurde 1870 in Prag geboren und erhielt seine künstle­
rische Ausbildung in München. Von 1905 bis kurz vor
seinem Tod 1932 unterrichtete er an der Staatlichen
Lehranstalt des Berliner Kunstgewerbemuseums. In
seinen Briefen und Postkarten an Slevogt finden sich
viele Randzeichnungen. So berichtete Orlik dem
Freund im Juli 1923 über eine „Neuerscheinung im
Romanischen Cafe“, eine nach der neuesten Mode
gekleidete Frau, die Anschluss an die dort verkehrende
Künstlerszene suchte (siehe rechte Seite). Das 1916
begründete Romanische Café an der Kaiser-WilhelmGedächtniskirche war in der Weimarer Republik ein
wichtiger Treffpunkt für Künstler, Schriftsteller, Schauspieler und Verleger. Der Stammgast Slevogt betrachtete
diese Einrichtung aber mit einer gewissen Distanz, wie
er im Winter 1928 an seine Frau schrieb: „Im Romanischen war ich erst gestern Abend, freudig begrüßt, und
eben der übliche Quatsch.“ Von Dezember 1923 bis
April 1924 besuchte Orlik die USA. Auf einer Postkarte
an Slevogt skizzierte er die Wolkenkratzer von New
York, wo „die Seele friert und hungert“ (siehe oben).
Hier habe er, so Orlik in einem Brief vom Februar
1924, „gar oft den Zusammenhang zwischen ruhigem
Denken und dem Leben verloren“. Einerseits finde ein
Maler hier „ungeahnte, unvorstellbare Bilder“, andererseits sei Europa „wahrhaftig nicht der schlechtere“ Teil
der Welt. Weiter notierte er „schauderhafte kalte Geldmenschen“ und die „ewige Jagd und Hast nach dem
Dollar“.
Aus dem Kreis der zeitgenössischen Künstler ist in
erster Linie die Korrespondenz Max Liebermanns mit
Slevogt hervorzuheben. Liebermann war von 1920 bis
28
1932 Präsident der Preußischen Akademie der Künste.
In dieser Eigenschaft informierte er im Juli 1927 den
Kollegen darüber, dass die Akademie zur Feier seines
60. Geburtstages im Folgejahr eine „umfassende […]
Ausstellung Ihrer Werke, Oelgemälde, Aquarelle, Graphiken und Zeichnungen“ veranstalten wolle; er hoffe,
so Liebermann, dass sich Slevogt darüber freuen würde.
Tatsächlich verzeichnet der Katalog zur Ausstellung 444
Kunstwerke Slevogts, der selbst zu dieser Publikation als
Vorwort eine Abhandlung über den deutschen Impressionismus und dessen Aktualität beisteuerte. Im Nachlass haben sich vier handschriftliche Vorstufen erhalten,
die die Entstehung des Textes erkennen lassen. Auch
zu anderen Themen nahm der Künstler immer wieder
Stellung. So äußerte er sich 1910/11 über seine Würzburger Schulzeit. Der „unfrohe[n] Erinnerung an diese
Schulluft“ und dem seiner Ansicht nach überschätzten
„Ideal des humanistischen Gymnasiums“ stellte er die
Forderung nach Aufwertung von Naturwissenschaften
und lebenden Sprachen gegenüber. 1931 befragte ihn
die Berliner Zeitung „Tempo“ zum Schlagwort „Kulturbolschewismus“, mit dem vor allem rechtskonservative
Kreise unter anderem moderne Kunstströmungen bekämpften. Slevogt verteidigte in seiner Stellungnahme
Kunst, die sich mit „sozialen Problemen“ befasse, griff
aber jedwede politisch tendenziöse Kunst scharf an:
„Nichtskönner, die sich an die gegebene Marschroute
halten, werden immer Nichtskönner bleiben.“ Die
absolute Freiheit der Kunst hatte er schon 1920 in
einem Gutachten für den Graphiker und Illustrator
Brief von Emil Orlik an Max Slevogt mit einer Impression aus dem Romanischen Café, einem
wichtigen Treffpunkt der Berliner Kunstszene, 1923; Pfälzische Landesbibliothek Speyer
Max Slevogt, Dukatenscheißer, Frontispiz eines Rechnungsbuchs
mit Selbstkarikatur, um 1910; Pfälzische Landesbibliothek Speyer
Walter Klemm verteidigt. Eine „Erotische Schöpfungsgeschichte“ hatte diesem eine Anklage wegen Herstellung und Verbreitung unzüchtiger Bilder und Schriften
eingebracht, worauf Klemm neben Liebermann auch
Slevogt um Stellungnahme gebeten hatte.
Der schriftliche Nachlass von Max Slevogt enthält
reiches biographisches Quellenmaterial, das seine
Beziehungen zu ganz verschiedenen Personen und
Kreisen erkennen lässt. Insbesondere das Berlin der
Weimarer Republik mit seinen Kunstszenen, aber auch
die ökonomische Dimension der Kunst ist hier in
herausragender Weise dokumentiert. Aber auch zur
Pfalz, dem zweiten Lebensmittelpunkt des späten
Slevogts, gibt es vielfältige persönliche und künstleri-
ARSPROTOTO 1 2015
sche Bezüge, die zeigen, wie sehr der 1868 in Landshut
geborene Künstler hier heimisch geworden war. Landesbibliothekszentrum Rheinland-Pfalz
Pfälzische Landesbibliothek Speyer
Otto-Mayer-Straße 9, 67346 Speyer
Telefon 06232 - 9006-242
www.lbz.rlp.de
Aus Max Slevogts Briefkasten. Zeugnisse aus seinem
schriftlichen Nachlass. Patrimonia 368, hg. von der
Kulturstiftung der Länder in Verbindung mit dem
Landesbibliothekszentrum Rheinland-Pfalz, Koblenz.
118 Seiten mit 70 Abbildungen, 21 Euro. Bestellbar
bei der Kulturstiftung der Länder, Berlin
29
TITELTHEMA KÜNSTLERNACHLÄSSE
„MIT HERZLICHSTEM GRUSS
DEIN MAX“
Den Kunstsammlungen Zwickau gelingt mit dem Ankauf von Briefen
und Postkarten Max Pechsteins eine kleine Wiedervereinigung
von Aya Soika
D
ie schnellen Skizzen auf den Künstlerpostkarten
der „Brücke“-Maler bezeugen wie kaum ein anderes Medium die Verschmelzung von Kunst und
Leben im Zeitalter der Moderne: Während die Vorderseiten Szenen aus dem Urlaub oder dem Alltag darstellen, liefern die meist frankierten und mit Poststempeln
versehenen Rückseiten wertvolle Einblicke in die Biographien der Künstler. Kein Wunder also, dass die
kreativen Grüße der Dresdner Maler-Rebellen Erich
Heckel, Ernst Ludwig Kirchner, Karl Schmidt-Rottluff
oder eben Max Pechstein auf Auktionen der vergangenen Jahre bis zu fünfstellige Ergebnisse erzielten. Angesichts solcher Einzelverkäufe gerät leicht in Vergessenheit, dass die kleinen Kunstwerke oftmals Bestandteil
einer jahrzehntelangen Korrespondenz sind, die in
ihrem Zusammenhang ein umfassendes Bild vom
Leben und Schaffen ergibt, von Freundschaften und
Künstlernetzwerken. Das Angebot von ausgewählten,
einzelnen Stücken zu hohen Preisen erschwert es Museen, Stiftungen oder Künstlernachlässen, zusammenhängende Konvolute für sich zu sichern und in ihren
Bestand einzugliedern. Häuser wie das Berliner BrückeMuseum, das Kirchner Museum in Davos oder die
Nolde Stiftung Seebüll haben mitunter nur geringe
Chancen, bei Bietergefechten um Künstlerpost
mitzuhalten.
Die Kunstsammlungen Zwickau bemühen sich
schon länger darum, in ihrer Autographen-Sammlung
möglichst viel von der Hand des gebürtigen Zwickauers
Max Pechstein (1881–1955) zusammenzutragen. Vor
etlichen Jahren konnten bereits einige von Pechsteins
Briefen und Karten an seinen ältesten und besten
Freund, den Maler Alexander Gerbig, für die Sammlung erworben werden. Nun ist mit Hilfe der Kulturstiftung der Länder der Ankauf weiterer 119 Briefe und
Karten aus dem Zeitraum zwischen 1901 und 1942
gelungen, darunter 29 illustrierte Postkarten und Briefe.
Durch diese umfangreiche Neuerwerbung wurde die
mit Gerbigs Tod im Jahre 1948 auseinandergerissene
Pechstein-Korrespondenz zu großen Teilen wiedervereint. Somit ergänzen die Autographen den ohnehin
schon beachtlichen Pechstein-Bestand der Kunstsammlungen Zwickau, die sich allmählich zu einem Zentrum
seiner Nachlasspflege entwickeln.
Zusätzlich zum Ankauf der Briefe an Gerbig wurde
dem Museum im letzten Jahr von den Nachfahren des
Künstlers unter anderem die umfangreiche private
Korrespondenz mit Pechsteins erstem Sohn Frank
geschenkt. Durch Erwerbungen wie diese signalisieren
die Kunstsammlungen Zwickau, dass zu ihren Aufgaben neben der Präsentation auch der Auf- bzw. Ausbau
eines Archivs zum Leben und Werk Max Pechsteins
Max Pechstein, Boot am Ufer, Postkarte an
Alexander Gerbig vom 25.12.1909; Kunstsammlungen Zwickau, Max-Pechstein-Museum
Max Pechstein, Akte mit Calla, Brief an Alexander Gerbig vom 18.3.1914;
Kunstsammlungen Zwickau, Max-Pechstein-Museum
30
31
gehört, ein zukunftsweisendes Projekt, bei dem die
Nachlasspflege Hand in Hand gehen kann mit wissenschaftlicher Aufarbeitung und öffentlicher Aufbereitung.
Die Beziehungen zwischen Pechstein und dem
Museum reichen bis in die 1920er Jahre zurück. Bereits
dem Pionier der Moderne, dem inzwischen durch den
„Schwabinger Kunstfund“ fragwürdig gewordenen
Museumsmann und Kunsthändler Hildebrand Gurlitt,
der das Haus von 1925 bis 1930 leitete, war daran
gelegen, mit Arbeiten des in Zwickau geborenen Pechstein zum Profil der modernen Abteilung im wilhelminischen Prunkbau beizutragen. Nach Gurlitts Weggang
im April 1930, der von rechtsnational gesinnten Gruppen wie dem „Kampfbund für deutsche Kultur“ erzwungen worden war, verblieben die Werke vorerst in
der Sammlung. Später fielen viele von ihnen der Aktion
„Entartete Kunst“ zum Opfer. Gurlitt, der als einer von
vier Kunsthändlern durch das Propagandaministerium
mit dem Verkauf der beschlagnahmten Museumswerke
betraut wurde, erwarb im Zuge seiner neuen Tätigkeit
mindestens zwei der einst von ihm selbst für Zwickau
erstandenen Arbeiten anderer Künstler (etwa von Ernst
Ludwig Kirchner und Christian Rohlfs). Ob er noch
weitere, 1937 aus der Zwickauer Sammlung beschlagnahmte Objekte ankaufte, wird die Forschung im
Rahmen der Aufarbeitung der Sammlung Gurlitt
zeigen.
Einige weitere Pechstein-Werke, darunter auch ein
Gemälde, wurden bei den Beschlagnahmungen über­
sehen und bildeten nach 1945 den Grundstock für
einen Pechstein-Bestand, der in den letzten Jahren von
der Sammlungsleiterin Petra Lewey durch zahlreiche
benen Briefe liegt auf der Periode seiner frühen künst­
lerischen Karriere und „Brücke“-Mitgliedschaft in den
Jahren 1906 bis 1912 und liefert weitgehend unbekannte Einblicke in Pechsteins erste künstlerische
Erfahrungen in Dresden, Rom, Paris und Berlin. Während seiner „Grand Tour“ durch Italien, zu der sich der
27-jährige Sachse im Sommer 1907 aufmachte, äußerte
er sich überwältigt von seiner Begegnung mit den
Kunstwerken von Giotto, Mantegna und Botticelli.
Und beklagte im gleichen Atemzug die kunsthistorische Reizüberflutung, die bei Pechstein zwar nicht –
wie bei seinem französischen Vorgänger Stendhal – zur
Ohnmacht führte, doch immerhin zu einer gewissen
Überforderung: „man weiß [...] gar nicht wohin mit
den vielen Eindrücken“. Seinen Brief illustrierte er aber
nicht etwa mit einer Skizze der ikonischen Werke,
sondern – und das ist für den Tenor der Briefe bezeichnend – mit einer „Pißunkel“, eine Art öffentlicher
Toilette an einer „x-beliebigen Hausecke“, über die
er bemerkt: „Alle Welt geht vorüber und kann Dich
bewundern.“ (Abb. siehe linke Seite) Der über die
kulturellen Andersartigkeiten staunende Tourist Pechstein, das erste Mal im Ausland, fuhr direkt im Anschluss weiter nach Paris. Auch hier sind die ausführ­
lichen Briefe zusammen mit einigen Ansichtskarten die
einzigen Quellen über diese Monate. Die geläufigen
Darstellungen vom jungen Pechstein, der vor Ort die
fauvistischen Maler kennenlernte und deren Techniken
und Stil an seine „Brücke“-Kollegen in Dresden kommunizierte, dürfen aufgrund seiner Berichte an Gerbig
kritisch hinterfragt werden. Vielmehr erfahren wir, dass
ihm die aktuelle Kunst viel zu modern war. Den Salon
des Indépendants verlässt er mit „ganz wahnsinnigen
Kopfschmerzen“. Für die Exponate fand er keine
Worte: „Donnerwetter nochmal, man kann sich keinen
Begriff davon machen, wenn man’s nicht gesehen,
Max Pechstein, Akte unter Bäumen, Postkarte an Alexander Gerbig vom
17.6.1912; Kunstsammlungen Zwickau, Max-Pechstein-Museum
Max Pechstein, Brief an Alexander Gerbig vom
2.11.1907; Kunstsammlungen Zwickau, MaxPechstein-Museum
32
Ankäufe und Dauerleihgaben beachtlich erweitert
wurde. Mit einer umfangreichen Neu-Präsentation
dieser Ölgemälde wurde im April letzten Jahres in
einemTeil der Räume feierlich ein eigenes „Max-PechsteinMuseum“ eröffnet.
Hier soll es aber um Erwerbungen gehen, die
weniger öffentlichkeitswirksam sind, doch nicht weniger verdienstvoll: Die Briefe und Karten Pechsteins an
Alexander Gerbig sind – neben ihrem künstlerischen
Wert, den die illustrierte Post besitzt – aus biographischer und kulturhistorischer Sicht höchst aufschlussreich. Pechstein gelingt es in lebhaften Schilderungen,
dem in Suhl lebenden Künstler die große Welt nahezubringen, und dies auf eine teilweise sehr humorvolle
Art und Weise. Ein zeitlicher Schwerpunkt der erwor-
Max Pechstein schreibt an Alexander Gerbig am 12.4.1910:
„Lieber Alex, Komme Donnerstag Vormittags über Dresden und
hoffe Dich in Deinem Atelier anzutreffen. Habe Dir einen kleinen
Niederländer aufgezeichnet Gruß Dein Max.“ Kunstsammlungen
Zwickau, Max-Pechstein-Museum
ARSPROTOTO 1 2015
Wolfgang Knop,
„Mein lieber Alex ...
Dein alter Max“.
Die Korrespondenz
Max Pechsteins mit
dem Maler Alexander Gerbig. Hg. von
den Kunstsammlungen Zwickau,
Max-Pechstein-Museum. 350 Seiten,
270 Abbildungen,
25 Euro
Wollte ich Dir eine Schilderung geben, müßte ich auf
rotem Papier mit irgendeiner schrecklichen Substanz
schreiben.“ Aufgrund seiner mangelnden Sprachkenntnisse gelang es Pechstein nicht, so belegen die Briefe, in
den französischen Künstlerkreisen Kontakte zu knüpfen. Stattdessen freundete er sich mit einigen jungen
Russen an, von denen er einen porträtierte. Das Porträt
ist verschollen, doch Miniatur-Skizzen in seinen Briefen belegen die einstige Existenz dieses und anderer
Werke der Pariser Studienzeit. Aber auch Botschaften
wie „Mindestens einmal pro Woche muß sich der
Mensch waschen n’est pas mon cher Ami“ zeugen von
Pechsteins unbeschwertem Lebensgefühl in Paris im
Februar 1908.
Überhaupt verstehen wir mit Hilfe der ausführ­
lichen Briefe, wie der ehrgeizige Maler aus der sächsischen Provinz sich von einer vom Jugendstil inspirierten Kunst abwandte, hin zu einer neuen Ausdruckssprache. Spätestens mit Paul Fechters Buch „Der Expressionismus“, das kurz vor Ausbruch des Ersten
Weltkriegs im Juni 1914 erschien, war er als „Führer“
dieser neuen Kunstrichtung bekannt und avancierte
schließlich zum Berliner Künstlerstar der Weimarer
Republik. Als es im Frühjahr 1912 zum Bruch mit den
Kollegen der „Brücke“ kam – ein Ereignis, das bislang
weniger aus Pechsteins als aus der Perspektive seiner
echauffierten Kollegen dargestellt wurde –, schüttete er
Gerbig sein Herz aus. Laut Pechstein war es kein „Ausschluss“ aus der Gruppe, sondern ein freiwilliges Ausscheiden nach Monaten der zunehmenden Verärgerung
darüber, sich dem Verdikt der Gruppe beugen zu müssen. Transkriptionen dieser reichhaltigen Korrespondenz mit Gerbig liegen mittlerweile in einem reich
bebilderten Katalog vor, der in den Kunstsammlungen
Zwickau erhältlich ist.
Für die Forschungen sind solche Konvolute eine
wahre Schatzkiste. Es wäre mehr als wünschenswert,
wenn in den nächsten Jahren noch weitere Autographen in öffentliche Sammlungen übergingen. Kunstsammlungen Zwickau, Max-Pechstein-Museum
Lessingstraße 1, 08058 Zwickau
Telefon 0375 - 83 45 10
Öffnungszeiten: Di – So 13 – 18 Uhr
www.kunstsammlungen-zwickau.de
33
HELFEN SIE MIT:
PAPIER BRAUCHT
STÄRKE
Im Leopold-Hoesch-Museum &
Papiermuseum Düren muss eine
Papierskulptur von Bernard Schultze
dringend restauriert werden
von Renate Goldmann
Bernard Schultze, Großer PapierMigof-Wald, 1972, 81 × 92 × 76,5 cm
(Detail); Leopold-Hoesch-Museum &
Papiermuseum Düren
34
D
as Leopold-Hoesch-Museum, nach
dem Dürener Industriellen Leopold
Hoesch (1820 –1899) benannt,
wurde 1905 als Universalmuseum eröffnet. Heute zeugt die imposante neobarocke Fassade des Gebäudes von der langen
Sammlungsgeschichte und Kunsttradition der Stadt.
Gemeinsam mit dem 1990 gegründeten benachbarten Papiermuseum
Düren bildet das Leopold-Hoesch-Museum in einem dualen Museumskonzept
eine global ausgerichtete Plattform für
die Kunst der Gegenwart und die Kulturgeschichte des Papiers mit interdiszi­
plinären Ausstellungen. Das Peill-Forum,
als Erweiterungsbau zwischen 2006 und
2010 von Professor Peter Kulka verwirklicht, unterstützt seine Bedeutung als
Kunstmuseum für die Sammlung der
Moderne, Zero und der zeitgenössischen
Kunst.
Im „Jahr des Papiers 2015“ werden
sowohl 625 Jahre deutsche Papierher­
stellung als auch das 25. Jubiläum des
Papiermuseums Düren gefeiert. Die
Signifikanz dieses Termins ist gerade in
dieser Gegend so bedeutungsvoll, da die
Kunst des Papiermachens bereits seit
dem 16. Jahrhundert in der industriellen
Entwicklung Dürens eine wichtige Rolle
spielt. Das außergewöhnlich weiche und
saubere Wasser der Rur führte dazu, dass
Düren als internationales Papiermacherzentrum anerkannt wurde.
Durch die glückliche Symbiose
zwischen den beiden Museen befinden
sich in der ständigen Sammlung auch
Papierskulpturen, wie beispielsweise
„Großer Papier-Migof-Wald“ von
Bernard Schultze aus dem Jahr 1972.
Bernard Schultze (* 31. Mai 1915
in Schneidemühl; † 14. April 2005 in
Köln) war 1952 Mitgründer der Künstlergruppe Quadriga, der Kerngruppe
des deutschen Informel. Schultze, vom
Tachismus und Action Painting beeinflusst, schafft farblich kräftige, gestisch
abstrakte Gemälde. Er bezieht bei der
Gestaltung der Werke stark surreale
Komponenten ein, bevorzugt die Intuition und lehnt dabei die Kontrolle ab.
Der Wunsch nach einer Erweiterung
des Bildes über den Malgrund hinaus
führt Schultze ab den 1960ern zu Skulp-
ARSPROTOTO 1 2015
Zum „Jahr des Papiers 2015“ zeigt das
turen, die er mit dem Begriff Migof beMuseum folgende Ausstellungen:
zeichnet.
Migofs sind phantasievolle Objekte, „Paper is part of the picture. Europäische
die in ihrer Erscheinung als Kunstwesen
Künstlerpapiere von Albrecht Dürer bis
und Naturgeschöpfe lebendig wirken. Im Gerhard Richter“ (15.3. – 31.5.2015) mit
internationaler Fachtagung und
„Papier-Migof-Wald“ ranken sich unter
„Colour, Space & Paper“ mit Papiereiner Plexiglashaube Pflanzengebilde aus arbeiten von Hans Salentin, Volker Saul,
Martin Gerwers, Jorinde Voigt und Ulrich
Papier nach oben, die – mit Bleistift
Rückriem (14.6. – 22.11.2015)
akzentuiert und verziert, teilweise ineinander verwoben und sich gegenseitig
Wir bitten Sie herzlich, liebe Leserin und
lieber Leser, um Unterstützung für das
stützend – ein Dickicht erzeugen.
Papiermuseum Düren. Spenden Sie für
Schultze erschafft mit diesem Wald eine
die Restaurierung von Bernard Schultzes
Utopie der Natur, die abstrakt erscheint, Papierskulptur „Papier-Migof-Wald“
aber vor allem experimentell ist. Waldund überweisen Sie bitte unter dem
Stichwort „Papiermuseum“ auf eines der
einsamkeit, Waldesfühlen und WaldesKonten der Kulturstiftung der Länder.
lust – das grüne Naturreich war das
Überweisungsträger finden Sie nach der
zentrale Sujet der Kunst der Romantik:
Seite 50. Vielen Dank!
In den Märchen und Sagen der Gebrüder Grimm, den Novellen Tiecks, den
Gedichten Novalis’ und Gemälden
Caspar David Friedrichs wurde der Wald
zum geistigen Erfahrungsraum, zum Ort
innerer Einkehr und Stille stilisiert sowie
zum ureigenen Symbol deutscher Kultur­
landschaft erhoben. Schultze lässt den
romantischen Mythos als Sinnbild der
Naturschönheit in den undurchsichtigen
Verästelungen seines dreidimensionalen
Blätterwaldes erneut aufleben.
Heute bedarf Schultzes „PapierMigof-Wald“ dringlich einer Restaurierung: Harte Knickspuren, verschmutzte
Stellen und die Plexiglashaube auf dem
Sockel zeigen deutlich, dass sich das
Werk in einem schlechten Zustand
befindet. Daher kann die Arbeit weder
Bernard Schultze, Großer Papierausgestellt noch als Leihgabe verwendet
Migof-Wald, 1972, Bleistift auf
weißem Karton, 81 × 92 × 76,5 cm;
werden. Das ist besonders betrüblich,
Leopold-Hoesch-Museum &
weil sie hervorragend in die AusstellungsPapiermuseum Düren
zyklen im Jahr des Papiers passen würde.
Angesichts des zunehmenden Interesses
an dem Werkstoff Papier und der musealen Bedeutung ist der derzeitige Zustand
des Werks umso bedauerlicher und
bedarf dringender Hilfe, um die wir Sie
hiermit gerne bitten möchten.
Dr. Renate Goldmann ist Direktorin des
Leopold-Hoesch-Museum & Papiermuseum
Düren. Leopold-Hoesch-Museum & Papiermuseum Düren
Hoeschplatz 1, 52349 Düren
Telefon 02421- 25-2559
www.leopoldhoeschmuseum.de
35
ERWERBUNGEN
GELEHRTER
MALER –
GELEHRTES
PUBLIKUM
Das Stadtmuseum
Memmingen erwirbt
die „Vier Elemente“
von Johann Heiss
von Stephanie Tasch
V
enus und Jupiter betrachten die
Gesellen des Schmiedegottes Vulkan
bei der Arbeit, Chronos, Herrscher
der Zeit, wendet sich der auf Wolken
thronenden Juno zu, die Erdmutter
Cybele säugt am Boden sitzend ein Kind,
umgeben von den reichen Gaben von
Äckern und Gärten, und Neptun erreicht
mit seiner Gemahlin Amphitrite eine
felsgesäumte Küste: Reich ausgebildete
Figurengruppen mit vielfältigen Attributen bevölkern in Johann Heiss’ (1640 –
1704) Gemälde­zyklus der „Vier Elemente“ eine flache Bildbühne, auf der
die Personifikationen der Elemente
Feuer, Luft, Erde und Wasser dem Betrachter in Nahsicht gegenübertreten.
Großformatig angelegt, scheint der im
Element „Luft“ signierte und 1690
datierte Zyklus wie geschaffen für die
Gemäldegalerie eines privaten Sammlers
mit Sinn für komplexe Bildprogramme.
Heiss’ Auftraggeber ist nicht überliefert, aber es lässt sich annehmen, dass der
Maler das anspruchsvolle Werk nicht
ohne die Sicherheit eines jener Abnehmer aus adeligen, aber zunehmend
auch bürgerlichen Kreisen in Angriff
ge­nommen hätte, die nach dem Ende
des Dreißigjährigen Krieges mit ihren
Ankäufen dafür sorgten, dass Augsburg
als Handelsplatz für Kunst, Kunsthandwerk und Graphik ein Zentrum künstle-
36
rischer Ideen blieb. Die Gemälde aus
Johann Heiss’ Werkstatt gelangten auf
diese Weise bis nach Böhmen und
­Mähren; in Norddeutschland hat Peter
Königfeld, der Autor des Werkverzeichnisses, eine Gruppe von Bildern in den
ehemaligen Sammlungen von Salzdahlum, dem Lustschloss Herzog Anton
Ulrichs von Braunschweig-Wolfenbüttel
(1633 – 1714) nachgewiesen.
Die Personifikationen, welche antike
Gottheiten im Historiengemälde in
allegorische Repräsentanten von Elementen oder Jahreszeiten verwandeln, waren
dem Publikum des 17. Jahrhunderts ein
Begriff, oder man unterstellt zumindest,
dass dies so war. Dass der von Malern
wie Johann Heiss aufgerufene visuelle
Bildungshorizont nicht notwendig allen
Betrachtern zugänglich war, zeigt ein
amüsanter Archivfund Königfelds. 1684
heißt es im Inventar der aus dem herzoglichen Kabinett in Stuttgart an die neue
Kunstkammer überwiesenen Objekte
von einer Darstellung des „Triumph des
Bacchus“: „Eine große Satirey vom
heißen zu Memmingen / gemählt mit
tanzenden Kindern“. Aufklärung versprachen Schriften wie die 1704 in Hamburg
erschienene Publikation „Die geöffneten
Raritäten- und Naturalien-Kammern“,
„worinnen der galanten Jugend, anderen
Curieusen und Reisenden gewiesen wird,
wie sie Galerien, Kunst- und RaritätenKammern mit Nutzen besehen und
davon raisonieren sollen“.
Der im schwäbischen Memmingen
geborene Heiss war in den 1660er Jahren
am Hof des württembergischen Herzogs
Eberhard III. in Stuttgart tätig, bevor
er sich nach einem Umweg über seine
Heimat­stadt 1677 endgültig in Augsburg
niederließ. Man hat sich den Künstler zu
diesem Zeitpunkt wohl als einen vielseitig interessierten, mit dem Humanismus
seiner Zeit vertrauten und gut vernetzten
Mann vorzustellen. Augsburg war in
der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts
ein Zentrum der graphischen Künste,
und die zahlreichen Hinweise in seinen
Bildern auf künstlerische Vorbilder, wie
sie damals im Medium der Graphik
vervielfältigt und verbreitet wurden, sind
ein Spiegel des Bilderschatzes, der Heiss
zur Verfügung stand. Aber neben den
– bis heute – vor allem für Kenner zu
identifizierenden Bildquellen gibt es
künstlerische Einflüsse auf Heiss’ Werk,
die über Anleihen aus der Graphik
hinausgehen. Die historischen Quellen
geben keine Auskunft darüber, ob Heiss
jemals über die Grenzen von Memmingen, Augsburg und Umgebung hinaus­
gekommen ist und zu welchen Kunstsammlungen seiner Zeit er Zugang hatte,
aber es lässt sich mit einigem Recht über
eine Reise nach Italien spekulieren. Dort
hätte Heiss die Werke der venezianischen
Malerei im Original studieren können,
ebenso wie die Gemälde Nicolas Poussins (1594 –1665), der jahrzehntelang in
Rom gearbeitet hatte. Seine Farbigkeit
hinterließ wie die Tizians und Tintorettos ihre Spuren in Heiss‘ Bildern. Dass
die Bedeutung Poussins für seine Bild­
erfindungen bereits früh wahrgenommen
wurde, zeigt ein Zitat des Berliner Unternehmers, Kunsthändlers und -sammlers
Johann Ernst Gotzkowsky (1710 –1775),
der 1759 ein Gemälde von Heiss wie
folgt anbot: „Mars und Venus, ganze
Figuren, auf Leinwand gemalt. Dieses
Bild ist so schön als von Poussin.“
Kunst kommt im Falle Heiss ganz
exemplarisch von Kunst, und bei allem
gelehrten barocken Klassizismus fällt in
seinen Gemälden eine Art bodenständige
Erzählfreude auf: Die Körper seiner
Götter sind zwar nackt, aber nur bedingt
ideal, und man ist versucht, von Allegorien im Gewand der niederländischen
Genremalerei des 17. Jahrhunderts zu
sprechen. Mit Unterstützung der Kulturstiftung der Länder aus Privatbesitz für
die Barockgalerie im Stadtmuseum Memmingen angekauft, ergänzt der ElementeZyklus auf exemplarische Weise eine
frühere Förderung für die Sammlungen
von Werken Johann Heiss’ in seiner
Heimatstadt, den 1676 entstandenen
Zyklus der „Vier Jahreszeiten“.
Dr. Stephanie Tasch ist Dezernentin der
Kulturstiftung der Länder.
Stadtmuseum Memmingen
Zangmeisterstraße 8, 87700 Memmingen
Telefon 08331- 850-134
Öffnungszeiten:
Di – So 10 –12 und 14 –16 Uhr
www.memmingen.de
Die Seiten 37 bis 40 zeigen den Gemäldezyklus „Die Vier Elemente – Feuer, Luft, Erde und Wasser“
von Johann Heiss, hier: Allegorie des Feuers, 1690, 114 × 91 cm; Stadtmuseum Memmingen
ARSPROTOTO 1 2015
37
Johann Heiss, Allegorie der Luft, 1690, 114 × 91 cm; Stadtmuseum Memmingen
38
Johann Heiss, Allegorie der Erde, 1690, 114 × 91 cm; Stadtmuseum Memmingen
ARSPROTOTO 1 2015
39
ERWERBUNGEN
DAS GEZEICHNETE ICH
Das Kupferstichkabinett Berlin erwirbt eine
schwedische Privatsammlung mit mehr als 100 Aquarellen,
Zeichnungen und Graphiken Gerhard Altenbourgs
von Anita Beloubek-Hammer
D
Johann Heiss, Allegorie des Wassers, 1690, 114 × 91 cm; Stadtmuseum Memmingen
as Berliner Kupferstichkabinett konnte im Sommer 2014 mit der großzügigen Unterstützung der
Kulturstiftung der Länder und der Ernst von
Siemens Kunststiftung die ausschließlich dem Werk des
bedeutenden Zeichners und Graphikers Gerhard Altenbourg (1926 –1989) gewidmete Privatsammlung von
Solgärd und Rolf Walter aus Stockholm erwerben. Mit
ihrem Schwerpunkt auf dem eigenwilligen Frühwerk
des Künstlers stellt diese Neuerwerbung eine wunderbare und zugleich fundamentale Bereicherung des
bisherigen – zwar erlesenen, aber recht überschaubaren
– eigenen Museumsbestandes dar, in dem das spätere
Schaffen dominiert. Durch den Zugewinn von 30
Aquarellen bzw. Zeichnungen, mehr als 70 Einzelgraphiken (Holzschnitte, Lithographien, Kaltnadelradierungen), vier Künstlerbüchern bzw. Mappenwerken
sowie zahlreichen Vorzugsausgaben von Katalogen und
Büchern mit Einzeichnungen oder originalgraphischen
Beilagen in der Sammlung Walter ist das Berliner
Kupferstichkabinett nunmehr in der Lage, in einer
repräsentativen, die gesamte Schaffenszeit umfassenden
Werkschau (1948 bis 1988) die erstaunliche Kontinuität und Qualität dieses außergewöhnlichen bildnerischen Poeten vor Augen zu führen. Altenbourg, der
eigentlich Gerhard Ströch hieß und um 1955 den
Künstlernamen – in Anlehnung an seinen thüringischen Wohnort Altenburg – annahm, kam durch einen
Autounfall am Jahresende 1989, wenige Wochen nach
dem Fall der Berliner Mauer, ums Leben.
Kein deutscher Nachkriegskünstler war vom
Schicksal der deutschen Teilung so betroffen wie gerade
er. Berlin, die geteilte Stadt mit ihren zweigeteilten
Kunstinstitutionen war von Anbeginn ein Fixpunkt
seiner künstlerischen Karriere, fördernd einerseits, was
den Bezug zum westlichen Teil der Stadt betrifft, hemmend andererseits durch das Walten der Funktionäre
in Ostberlin. So unterstreicht auch diese biographische
Konstellation über die künstlerisch herausragende
Bedeutung hinaus die Wichtigkeit, einen solchen,
40
ARSPROTOTO 1 2015
nahezu ausschließlich auf Papier arbeitenden Künstler
aussagestark in der Sammlung des Berliner Kupferstichkabinetts vertreten zu sehen.
In Ausstellungen der Westberliner Galerie Springer
wurde das Werk des Künstlers bereits seit 1952 privaten
Sammlern bekannt, die ihn auch in den Jahren nach
dem Bau der Berliner Mauer über die innerdeutsche
Grenze hinweg unterstützten. Zu ihnen gehörte seit
1966 auch Rolf Walter. Nach Rudolf Springer setzte
sich die Galerie Brusberg – zunächst von Hannover,
dann seit Anfang der 1980er Jahre von Berlin aus – für
Altenbourg ein, der auch von der Westberliner Akademie der Künste gefördert und geehrt wurde: 1961 mit
einem Gastatelier, 1968 mit dem ersten Will-Grohmann-Preis, 1970 mit der Wahl zu ihrem Mitglied und
folgenden Ausstellungsbeteiligungen. Dagegen gingen
von Ostberlin als Hauptstadt der DDR viele Jahre
kulturpolitische Restriktionen gegen den nonkonformistischen Künstler aus.
Gerhard Altenbourg, Stalins Geburtstag,
1950, 61 × 51,5 cm; Kupferstichkabinett,
Staatliche Museen zu Berlin
41
Mutter - Sohn, 1956, 35 × 19,6 cm; Kupferstichkabinett, Staatliche Museen zu Berlin
linke Seite: Gerhard Altenbourg, Kreidelithographien aus der Sammlung Walter;
Kupferstichkabinett, Staatliche Museen zu Berlin
obere Reihe (v.l.n.r): Es erhält den Namen, 1949; Er tut das Maul auf, 1949; Knaben, 1950
mittlere Reihe: Phönix, 1949; Dreispitz, 1950; Meine Mutter Anna, 1950
untere Reihe: Vater-Sohn, 1950; Tier der Anfechtung, 1950; Don Quijote, 1949
ARSPROTOTO 1 2015
43
Gerhard Altenbourg, Fern das Gebirge, 1952,
68,8 × 51 cm; Kupferstichkabinett, Staatliche
Museen zu Berlin
Altenbourgs künstlerische Karriere begann in Weimar,
wo sich der Anfang Zwanzigjährige im Herbst 1948 an
der Hochschule für Bildende Künste einschrieb. Die
1946 als erste Kunstakademie nach dem Krieg in der
sowjetisch besetzten Zone wiedereröffnete Hochschule
wollte zunächst programmatisch an die zwölf Jahre
verfemte Moderne, speziell an die dortigen Wurzeln des
Bauhauses, anknüpfen, doch wurde bereits 1948 ein
Kurswechsel in Richtung Realismus nach sowjetischem
Vorbild erzwungen. Altenbourg, der den Vorbildern der
klassischen und zeitgenössischen Moderne (etwa Jean
Dubuffet) folgte, kommentierte dies mit Arbeiten wie
der zeichnerischen Persiflage „Stalins Geburtstag“,
einem Vexierbild mit deutlichen Hinweisen auf das
Tierreich und damit auf Gewalt und Bedrohung.
Als er wegen „fachlichen und gesellschaftlichen
Außenseitertums“ im Frühjahr 1950 exmatrikuliert
wurde, konnte er allerdings als künstlerischen Ertrag
seiner kurzen Studienzeit einen abseits vom Lehrbetrieb
geschaffenen Komplex von knapp 50 außergewöhn­
lichen Lithographien verbuchen, die zu den Höhepunkten der deutschen Nachkriegsgraphik zu zählen sind.
Es sind vieldeutige, jeweils nur in wenigen Exemplaren
gedruckte Meisterblätter, die weit gespannte, mythenhaltige Phantasien in oftmals paradoxen Formkombinationen darstellen, erotische Symbole verwenden, insektenartige Gebilde mit menschlichen Assoziationen
verbinden, allgemein ambivalente Figurationen, Janushaftes, zeigen und damit die phantastische farbige
Bildwelt des späteren Œuvres in Schwarz-Weiß vorwegnehmen. Obsessiv haben die Walters mehr als 30 dieser
44
seltenen Blätter zusammengetragen. Altenbourg erklärte
später die besonderen psychischen Bedingungen, unter
denen diese eigenartigen Gebilde entstanden, mit
Hinweis auf die Psychoanalyse als „ein Bewusstwerden
des Tragisch-Grotesken, dass die Bemühungen des
Menschen ins Leere laufen, ein Gefühl des Abstands,
der Mitleidlosigkeit, des Vergnügens am Erfolglosen
der Tätigkeit, eine Freude am Brutalen, die aus tiefer
innerer Verletztheit aufsteigt“.
Wenige Jahre zuvor hatte er als 17-jähriger Wehrmachtssoldat die Schrecken des Krieges erfahren, als er
– Sohn eines freikirchlichen Predigers, im Geiste der
christlichen Ethik erzogen – sich gezwungen sah, im
Nahkampf einen russischen Soldaten zu töten. Dieses
Trauma prägte sein weiteres Leben und seine Kunst.
Geradezu eruptiv äußerte es sich in einem aggressiven,
parallel zu den frühen Lithographien geschaffenen
Zeichenwerk mit monströsen Zwitterdarstellungen von
Mensch und Tier (im Sinne von Gottfried Benns Ekel:
„Die Krone der Schöpfung, das Schwein, der Mensch“),
schreienden Köpfen mit Narrenkappen sowie drei
monumentalen Ecce homo-Darstellungen, metaphorischen Selbstbildnissen mit Wunden und Narben, von
denen sich die größte, nahezu drei Meter hohe Fassung
bereits seit einigen Jahren als Leihgabe im Kupferstichkabinett befindet.
Die frühen psychischen Verletzungen fanden eine
Fortsetzung durch eine rigide Kulturpolitik in Ostdeutschland, wo der Künstler bis zum Beginn der
1980er Jahre nicht ausstellen durfte. Seine Kontakte
zu seinem Kunsthändler und zahlreichen Sammlern
im Westen wurden beargwöhnt, 1964 wurde ihm gar
wegen angeblicher Zollvergehen ein Prozess gemacht.
Altenbourg reagierte auf die Verletzungen von außen
mit dem Rückzug nach innen: „Das, was geschieht,
geschieht in dir (und nur in dir), oder es wird nicht
sein“, so der Künstler. So wehrte er denn auch ab, als
Freunde im Westen sich für seine Ausreise aus der DDR
einsetzen wollten. „Versunken im Ich-Gestein“ ist der
Titel eines tiefernsten metaphorischen Selbstbildnisses
(1971); die unserem Ausstellungstitel beigefügte
Gerhard Altenbourg, Flottenversteck, 1955, 32 × 61,5 cm;
Kupferstichkabinett, Staatliche Museen zu Berlin
Gerhard Altenbourg, Komm über die Brücke, ja komm. Erinnerung an eine blaue Stunde, 1976,
30,8 × 39,8 cm; Kupferstichkabinett, Staatliche Museen zu Berlin
druckgraphischen Werken – aufwändig kombinierten
S­ entenz „das gezeichnete Ich“, einem melancholischen
Farbholzschnitten, silbrig schimmernden LithograGedicht des verehrten Gottfried Benn entlehnt, hat
phien, zarten Radierungen voll köstlicher Erotik – ist
Altenbourg in der ambivalenten Deutung – das vom
höchste Meisterschaft und Brillanz erreicht.
Leben „gezeichnete Ich“ zu zeichnen – wiederholt auf
Die Bewunderung für das so besondere Œuvre von
sein eigenes Schaffen bezogen. Der erzwungenen räumGerhard Altenbourg mit seiner existenziellen Tiefe,
lichen Isolierung setzte der Bücher-Besessene seine
Beschäftigung mit der geistigen Welt über alle Grenzen erfinderischen Vielfalt und staunenswerten Schönheit
schließt auch das Bewusstsein der Wahrhaftigkeit ihres
und Zeiten hinweg entgegen und war überzeugt, dass
Schöpfers ein, der unbeirrbaren Treue zu seinen ureige„man in der Einsamkeit besser zu sich finden, auf die
nen Überzeugungen selbst in widriger Zeit.
eigene Stimme hören [kann]“.
Der Sarkasmus und die Aggressivität in den Gestal- Dr. Anita Beloubek-Hammer ist Kuratorin am Berliner
tungen der Nachkriegszeit wandelten sich mit der Zeit
Kupferstichkabinett.
in eine größere Gelassenheit in der Menschenbetrachtung und -darstellung. Die Natur wurde in Verbindung Kupferstichkabinett, Staatliche Museen zu Berlin
Matthäikirchplatz, 10785 Berlin
mit fernöstlicher Weisheit ein dominanter BezugsTelefon 030 - 266424242
punkt, was zu einem Verwobensein des Menschen mit
Di – Fr 10 – 18, Sa, So 11 – 18 Uhr
dem Reich der Pflanzen, der Bäume und auch mit Stein www.smb.museum
und Hügel führte. Mit erlesenen Tuschen und Farben
Ausstellungshinweis:
sowie unzähligen Tüpfelchen mit feinen Marderhaar„Gerhard Altenbourg. Das gezeichnete Ich“
pinseln hat der Künstler eine oft ikonenhafte Kostbar20. März bis 7. Juni 2015, Kupferstichkabinett
keit, ein Leuchten der Farbe und ein feines Geflecht der der Staatlichen Museen zu Berlin
Linien erzielt, wodurch eine immer subtiler und vielschichtiger werdende Bilderwelt entstand. Auch in den
ARSPROTOTO 1 2015
45
FREUNDESKREIS
DIE VERWANDLUNG DER
„VERWANDLUNGEN“
Der Freundeskreis der
Kulturstiftung der Länder
ermöglichte die Restaurierung einer illustrierten
Handschrift von Ovids
„Metamorphosen“ in der
Forschungsbibliothek
Gotha
von Frank Druffner
Weshalb gibt es das Atlasgebirge? Warum
heißen Blumen Hyazinthe und Narzisse?
Und woher stammt der Begriff Echo?
Es ist der antike Schriftsteller Ovid,
der uns die Antworten auf all diese
Fragen liefert. Mit seinen „Metamorphosen“ hat er gleichsam eine Schöpfungs­
geschichte auf der Grundlage der antiken
Mythologie geschaffen. So lesen wir, dass
der beleidigte Perseus dem Titanen Atlas
das abgeschlagene Medusenhaupt ent­
gegenhielt, wodurch sich dieser in einen
riesigen Felsen, eben das Atlasgebirge,
verwandelte. Hyacinthus, ein schöner
Jüngling, wurde von seinem göttlichen
Liebhaber Apoll aus Versehen durch
einen Diskus getötet, worauf der trauernde Gott aus dem Blut des Opfers eine
edle Blume entstehen ließ. Der hoch­
mütige Narcissus, den seine Schönheit
zur Überheblichkeit trieb, wurde von der
Rachegöttin zu unstillbarer Selbstliebe
verdammt und verliebte sich in sein
eigenes, im Wasser einer Quelle entdecktes Spiegelbild. Schmachtend starb er
und wurde ebenfalls in eine Blume
verwandelt. Die Nymphe Echo, die
46
Nach Petrus Berchorius, Illustrierte Ovid-Handschrift „Metamorphosen“, um 1350, 36,5 × 25,5
cm; Forschungsbibliothek Gotha. Gesamtaufnahmen der Blätter 10 und 11: Blatt 10 weist eine
große Fehlstelle mit Riss am Blattrand auf. Das rechte Blatt zeigt vier einzelne Miniaturen, auf
Zeus’ Gattin während dessen amourösen
Abenteuern durch das Erzählen von
Geschichten ablenken sollte, wurde von
Hera nach Aufdeckung der List der
Sprache beraubt – fortan konnte sie nur
noch die letzten an sie gerichteten Worte
wiederholen.
Ovid führt in seinem Werk zahlreiche Tiere, Pflanzen, Gebirge und Stern-
bilder auf ähnliche Verwandlungen (eben
„Metamorphosen“) infolge von Liebeshändeln zurück. Und auch wenn das
Ansehen antiker Autoren im Mittelalter
nicht das beste war, erlebte Ovid alsbald
eine Renaissance. Das lag vor allem an
dem Umstand, dass sich seine „Metamorphosen“ christlich-allegorisch umdeuten ließen. Immerhin ging das Werk
denen die Metamorphose der Nymphe Yo erzählt wird. Yo wird von Jupiter in eine Kuh ver­
wandelt, um seine heimliche Beziehung mit ihr vor seiner Gemahlin Juno zu verheimlichen
von einem Schöpfergott aus, dem Erde,
Himmel, Tier- und Pflanzenreich und
schließlich der Mensch ihre Existenz
verdankten. Es dauerte nicht lange, bis
mittelalterliche Kommentatoren den
Römer zum heimlichen Christen ummünzten. Manche Interpreten deuteten
seine Werke, vor allem die „Verwand­
lungen“, nach dem so genannten mehr­
ARSPROTOTO 1 2015
fachen Schriftsinn – seine Episoden
wurden dadurch im theologischen Sinn
„moralisiert“, sie gewannen heilsgeschichtliche Bedeutung.
Zu den christlichen Autoren, die
Ovid zu einem „Ovidius moralizatus“
umschrieben, gehörte der französische
Benediktinermönch Petrus Berchorius
(um 1290 –1362). Seine theologische
Interpretation der „Metamorphosen“ ist
immerhin in etwa 60 Handschriften
überliefert, was für die Popularität des
Themas spricht. Und so dauerte es auch
nicht lange, bis auf seiner Textgrundlage
um 1350 in Bologna erstmals eine
Illustra­tionsfolge entstand, die auf mehr
als 200 Bilder angelegt war. Lediglich
drei illustrierte Manuskripte sind heute
noch bekannt. Das älteste Exemplar liegt
in der Forschungsbibliothek Gotha, in
deren Sammlungen es vor 1714 gelangt
sein muss. Es enthält immerhin 104 der
vorgesehenen 200 Illustrationen und ist
damit das vollständigste und das künst­
lerisch anspruchsvollste der erhaltenen
Stücke.
Begleitend zu der 2013 begonnenen
Edition und Kommentierung konnte im
vergangenen Jahr dank der finanziellen
Unterstützung des Freundeskreises der
Kulturstiftung der Länder eine aufwändige Restaurierung der Pergamenthandschrift vorgenommen werden. Die
empfindlichen Pergamentblätter wellten
sich, der Einband war verzogen, in der
Malschicht hatten sich Haarrisse gebildet, mancherorts lösten sich Schollen
vom Malgrund. Aufgrund dieser Schäden, die vor allem die wertvollen, mit
Goldgrund versehenen Miniaturen
betrafen, konzentrierte sich der Restaurator darauf, Verluste und Risse behutsam
zu behandeln, insbesondere aber das
Abspringen weiterer Farbschollen durch
den Auftrag bestimmter Festigungsmittel
zu verhindern. Dabei waren sorgfältige
Voruntersuchungen und die Anwendung
alter Rezepturen vonnöten, um die Verträglichkeit der Maßnahmen zu gewährleisten.
Die lange zu Unrecht unbekannt
gebliebene Handschrift erstrahlt nun,
gleichsam als verwandelte „Verwandlung“, in neuem Glanz und vermag
dadurch umso intensiver das Interesse
der Forschung und der Öffentlichkeit
auf sich zu ziehen. Prof. Dr. Frank Druffner ist Stellvertretender Generalsekretär der Kulturstiftung der
Länder.
47
NEUE BÜCHER
VOGELMALEREI DES
NIEDERLÄNDISCHEN
BAROCKS
Aufgescheuchte Hühner, geschwätzige Elstern,
eitle Pfauen und schimpfende Rohrspatzen –
Vögel bevölkern als Sinnbilder nicht nur unsere
Sprache, das liebe Federvieh hat auch seit jeher
in der Malerei seinen festen Platz. Besonders in
den Niederlanden des 17. Jahrhunderts erfreuten
sich detailreiche Darstellungen geflügelten
Getiers großer Beliebtheit beim Bürgertum, das
seine Häuser sowohl mit kleinen Vogelporträts
als auch mit raumfüllenden wandbehangsels voller
Vogelscharen schmückte. König des Genres war
der als „Raffael“ der Vogelmaler bezeichnete
Melchior D’Hondecoeter: Mit feinmalerischer
Finesse verstand er es in seiner Kunst, das
farbenfrohe Gefieder von Kronenkranich,
Rohrdommel, Eichelhäher und Dompfaff
wissenschaftlich präzise ins Bild zu setzen und die
tierischen Protagonisten in kleine Geschichten
einzubinden. Dem Phänomen Vogelmalerei im
niederländischen Barock widmete nun Lisanne
Wepler eine erste monographische Studie. Dabei
untersucht die Kunsthistorikerin vor allem die
komplexen Bilderzählungen innerhalb der
Gemälde, die dem Publikum moralisierende,
aber auch politische Botschaften vermittelten.
Neben Einblicken in die literarische Welt der
Vogel-­Fabeln bietet der Band mit seiner groß­
zügigen Bebilderung höchsten ornithologischen
Kunstgenuss.
Lisanne Wepler, Bilderzählungen in der
Vogelmalerei des niederländischen Barocks.
Michael Imhof Verlag, Petersberg. 240 Seiten
mit 245 Abbildungen in Farbe, 49,95 Euro
48
LEITBILDER EINER
NATION
Seit drei Jahren bringt das Zentralarchiv der
Staatlichen Museen zu Berlin seine eigene
wissenschaftliche Reihe „Schriften zur Geschichte
der Berliner Museen“ heraus. Im jüngst erschienenen, vierten Band spürt Jörn Grabowski der
wechselvollen Sammlungs- und Präsentationsgeschichte der Berliner Nationalgalerie vom Deutschen Kaiserreich bis zur Nachkriegszeit nach.
Das Gebäude, die Lebensläufe der Mitarbeiter,
Ausstellungen, Forschungsvorhaben, Erwerbungen ebenso wie Sammlungsverluste: In ihnen
manifestieren und materialisieren sich die Wechselfälle der vergangenen Jahrhunderte, ihre
historischen Glanz- und Krisenzeiten. Zunächst
als Magazinverwalter an der Nationalgalerie tätig,
wechselte Grabowski 1988 als wissenschaftlicher
Mitarbeiter zum Berliner Zentralarchiv, wo er
bereits vier Jahre später zum Leiter ernannt
wurde. Mit der Geschichte und Sammlung der
Berliner Nationalgalerie seit mehr als 40 Dienstjahren vertraut, spiegeln die wissenschaftlichen
Beiträge nicht nur das Lebenswerk des – 2014 in
den Ruhestand verabschiedeten – Autors wieder,
sondern im selben Maße die Entwicklung einer
international herausragenden Institution.
Jörn Grabowski,
Leitbilder einer
Nation. Zur Geschichte der Berliner
Nationalgalerie.
Böhlau Verlag,
Köln, Weimar,
Wien. 310 Seiten
mit 60 schwarzweißen Abbildungen,
34,90 Euro
DIE KINDER DES
PROMETHEUS
Hören wir ein kollektives Murmeln am abend­
lichen Feuer des Neandertalers oder tauschten
unsere frühzeitlichen Verwandten schon angeregt
die besten Jagdtipps aus? Manche Fragen, besonders die nach der Sprache, muss der Prähistoriker und Leibniz-Preisträger Hermann Parzinger
offen lassen in seinem an Erkenntnisfülle reichen
Opus Magnum über die Menschheit vor der
Schrift. Gute 800 Seiten lang kann man staunen,
sich wundern, überrascht werden, nie aber soll
über Ungewisses spekuliert werden – in der
Zusammenschau aller wissenschaftlicher Gewissheiten über die dann gar nicht mehr so graue
Vorzeit entfaltet sich ein Panorama aus Millionen
Jahren schriftlosen Menschseins: Von der ersten
Speerschleuder zur Erfindung der Nähnadel samt
Faden, von der Verwandlung des Vegetariers über
den Aasfresser in einen gewieften Jäger mit Pfeil
und Bogen, der das Feuer beherrschen lernte,
von der Wandlung des Wildbeuters in den
Bauern, der Tiere zähmen kann, geht Parzingers
Weltreise. Dabei liest der Autor nimmermüde
aus den Überresten aus Stein, Knochen, Holz,
Metall, Keramik und Textilien, er begibt sich in
die Arktis ebenso wie die Sahara, in die Hoch­
anden ebenso wie an den Jangtse oder die
pazifischen Inseln. Parzinger blickt auch auf
globale Klimaveränderungen und die großen
Wander­bewegungen der Menschen, die damals
alle von einem Hauptmotiv angetrieben wurden:
Nahrungssuche. Der vorliegende Band entpuppt
sich im Rausch seiner abertausend Entdeckungen
als eine unverzichtbare Enzyklopädie von Kulturen, die zwar untergingen, von denen wir alle
doch unleugbar geprägt wurden.
AUSSTELLUNGEN
SIGMAR POLKE
Eine Ausstellung im Kölner Museum Ludwig würdigt
den 2010 verstorbenen Künstler
von Jenny Berg
Hermann Parzinger,
Die Kinder des
Prometheus. Eine
Geschichte der
Menschheit vor der
Erfindung der
Schrift. Verlag C.H.
Beck, München.
848 Seiten mit 110
Abbildungen und
19 Karten, meist
farbig, 39,95 Euro
DIE ZERRISSENEN JAHRE
Mit „Der taumelnde Kontinent“ hat er eine brillante Analyse der Jahre vor dem Ersten Weltkrieg
vorgelegt, nun legt er nach: Philipp Blom. In
seinem neuesten Werk „Die zerrissenen Jahre“
widmet er sich der Zwischenkriegszeit. 1918 ist
der Weltenbrand zu Ende, aber die Welt findet
keinen Frieden. „Eine Generation“, so Walter
Benjamin, „die noch mit der Pferdebahn zur
Schule gefahren war, stand unter freiem Himmel
in einer Landschaft, in der nichts unverändert
geblieben war als die Wolken und unter ihnen, in
einem Kraftfeld zerstörender Ströme und Explosionen, der winzige, gebrechliche Menschenkörper.“ Alle Gewissheiten sind ins Wanken geraten,
und so geht der Kampf weiter: zwischen Linken
und Rechten, Konservativen und Modernisten,
Arbeitern und Unternehmern. Philipp Blom
erzählt von den Jahren 1918 bis 1938 und erweitert dazu den Horizont bis in die USA. Der Jazz
verbreitet ein neues Freiheitsgefühl, gleichzeitig
gerät die Demokratie unter Druck. Zeitung und
Radio erleben ihre besten Jahre, trotzdem brennen in Berlin die Bücher. „Die zerrissenen Jahre“
macht auf einmalige Weise jene Zeit anschaulich,
die in den Zweiten Weltkrieg führte.
Philipp Blom, Die zerrissenen Jahre 1918 –1938. Carl
Hanser Verlag, München.
572 Seiten mit 127
schwarzweißen und 14
farbigen Abbildungen,
27,90 Euro
Sigmar Polke, Freundinnen, 1965/1966, 150 ×190 cm; Froehlich Sammlung, Stuttgart
Zinksulfid, Cadmiumoxid, Silbernitrat,
Iodide oder Kobaltchloride – nicht selten
dürfte Sigmar Polkes Atelier einem
professionellen Chemielabor geglichen
haben. Selbst von giftigen Stoffgemischen ließ sich der experimentierfreudige
Künstler nicht einschüchtern und schuf
alchemistische Zeugnisse im Großformat, die ihr Aussehen je nach Lichteinfall, Feuchtigkeit und Temperaturunterschied verändern konnten. Doch ist dies
nur eine der vielen Seiten Polkes. Immer
auf der Suche nach neuen Materialien
und Medien, hantierte er mit transparenten Bildflächen, phosphoreszierenden
Flüssigkeiten und fließenden Farben,
entwarf Skulpturen wie die rotierende
Kartoffelmaschine, zeichnete, fotografierte, filmte und bediente sich an den
Motivvorlagen der Massenmedien, die
zu seinen berühmten Rasterbildern
führten. Über fünfzig Jahre hinweg
schuf Sigmar Polke ein Werk, das durch
ARSPROTOTO 1 2015
Ironie, Beweglichkeit und Komplexität
besticht.
International bereits zu Lebzeiten
bekannt und erfolgreich, war Sigmar
Polke (1941– 2010) im Rheinland zu
Hause. Nach seiner Lehre zum Glas­
maler in Düsseldorf-Kaiserswerth studierte der gebürtige Schlesier von 1961
bis 1969 an der Kunstakademie Düsseldorf bei Gerhard Hoehme und Karl Otto
Goetz, bevor er Anfang der 1970er Jahre
nach Köln zog. Hier lebte und arbeitete
er bis zu seinem Tod. Nun wird dem
Künstler in seiner einstigen Heimatstadt
erstmals eine posthume Retrospektive
gewidmet: Vorab im Museum of Modern
Art in New York und in der Tate Modern
in London zu sehen, werden Polkes vielseitige Arbeiten nun im Museum Ludwig
in Köln präsentiert. Von den rund 200
Werken aus den Jahren von 1963 bis
2010 wurden einige noch nie in Europa
und Deutschland gezeigt, darunter auch
die 1988 entstandene Gemäldegruppe
„The Spirits that Lend Strength are
Invisible“. Ergänzt wird die Schau in
Köln durch Werke aus dem eigenen
Bestand, so das Transparentbild „Fensterfront“ aus dem Jahr 1994, das die
Sammlerin Irene Ludwig dem Museum
2002 als Geschenk übergab. Auch das
mit 180 Objekten nahezu vollständig
zusammengetragene Konvolut der Editionen wird thematisch in die Ausstellung
eingebunden. Seit 2009 im Besitz des
Museum Ludwig, zeugen die – im industriell geprägten Offset-Verfahren – reproduzierten Blätter vom hintersinnigen
Witz des rheinischen Raster-Künstlers.
Einen weiteren Schwerpunkt legt die
Kölner Schau auf die filmischen Arbeiten. Ab Mitte der 1960er Jahre bis zu
seinem Tod war die Kamera Polkes
ständiger Begleiter: im Atelier, auf Reisen, bei Ausstellungsaufbauten oder bei
seiner Tätigkeit als Lehrer an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg.
Durch Doppel-, Über- und Unterbelichtung bewusst verfremdet, fingen die zu
Lebzeiten weitgehend unveröffentlichten
Aufnahmen die öffentliche wie private
Seite des umtriebigen Multitalents ein.
Die von der Kulturstiftung der
Länder und der Kulturstiftung des
Bundes gemeinsam geförderte Retrospektive im Museum Ludwig bietet die
einmalige Gelegenheit, das oft ironische,
gleichwohl kritische Werk Sigmar Polkes
in seiner Heterogenität nachzuvollziehen
und seine abwechslungsreichen Schaffens­phasen dank des medial breiten Spektrums der präsentierten Arbeiten in ein
neues Verhältnis zu setzen. Jenny Berg ist Assistentin des Vorstands
der Kulturstiftung der Länder.
Alibis: Sigmar Polke. Retrospektive
Museum Ludwig, Köln
14.3. – 5.7.2015
www.museum-ludwig.de
Kathy Halbreich,
mit Mark Godfrey,
Lanka Tattersall und
Magnus Schaefer
(Hg.), Sigmar Polke:
Alibis. 1963 – 2010.
Prestel Verlag,
München. 328
Seiten mit 520
farbigen Abbildungen, 49,90 Euro
49
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RETTEN SIE KUNST
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helfen Sie dem Leopold-Hoesch-Museum & Papier­
museum Düren bei der Restaurierung seiner Papier­
skulptur von Bernard Schultze. ––– Siehe Seite 34
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DIE KULTURSTIFTUNG
DER LÄNDER
Die Kulturstiftung der Länder ist eine Stiftung bürger­
lichen Rechts und verfolgt ausschließlich gemeinnützige
Zwecke. Sie hat die Berechtigung, steuerlich wirksame
Spendenbescheinigungen auszustellen. Spenden an die
Kulturstiftung der Länder sind steuerlich abzugsfähig.
Die Kulturstiftung der Länder wurde 1987 von den
Ländern der Bundes­republik Deutschland gegründet
und nahm am 1. April 1988 in Berlin ihre Arbeit auf.
Im Oktober 1991 traten die neuen Bundesländer bei.
Die Kulturstiftung der Länder unterstützt und
berät deutsche Museen, Bibliotheken und Archive bei
der Erwerbung und Bewahrung von national wertvollem Kulturgut. Darüber hinaus widmet sie
sich wichtigen kulturpolitischen Themen wie dem
„Deutsch-Russischen Museumsdialog“ und hat mit
„Kinder zum Olymp!“ eine erfolgreiche Bildungs­
initiative für Kinder und Jugendliche ins Leben
gerufen.
www.kulturstiftung.de
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Ausgaben sind jedoch vergriffen:
2/2005, 1/2007, 2/2007, 4/2007, 2/2009, 3/2009,
2 – 4/2010, 1– 4/2011, 1– 4/2012, 1/2014, 4/2014
Seite 9/11: Hans von Marées, Die Labung;
Museum Wiesbaden
Kulturstiftung der Länder, Freunde der Kunst
im Museum Wiesbaden e.V., Hessische Kulturstiftung, Spendenaktion „Wiesbaden schafft die
Wende“
Seite 12: Peter Behrens, Salonflügel; Museum
für Angewandte Kunst Köln
Kulturstiftung der Länder, Stadt Köln
Seite 14: Friedrich Engau, Münzhumpen;
Angermuseum Erfurt
Kulturstiftung der Länder, Rudolf-August
Oetker Stiftung
PATRIMONIA
Die Kulturstiftung der Länder gibt seit 1988 die
Schriftenreihe PATRIMONIA heraus, in der sie ihre
wichtigsten Förderungen ediert. Bislang sind über
350 Bände erschienen. Die Bände der PATRIMONIAReihe entstehen in den geförderten Institutionen in
Zusammenarbeit mit der Kulturstiftung der Länder. Sie
spiegeln das breite Förderspektrum der Kultur­stiftung
der Länder und stellen ausgewählte Erwerbungsförderungen in wissenschaftlich fundierten Einzel­
betrachtungen vor. Einzelhefte können Sie – soweit
nicht vergriffen – bei der Kulturstiftung der Länder
bestellen.
Eine vollständige Liste mit Kurzbeschreibungen
der einzelnen Bände und Preisangaben finden Sie auf
unserer Webseite. Die Rechnung erhalten Sie mit der
Lieferung Ihrer Ausgabe von PATRIMONIA.
www.kulturstiftung.de/publikationen/patrimonia/
50
ERWERBUNGEN
DEUTSCHER MUSEEN,
BIBLIOTHEKEN UND
ARCHIVE IN DIESEM HEFT
UND IHRE FÖRDERER
Seite 14: Prinzliche Sekundogenitur-Bibliothek; Sächsische Landesbibliothek – Staatsund Universitätsbibliothek Dresden (SLUB)
Kulturstiftung der Länder, Freistaat Sachsen
Seite 16: Bertha Beckmann, Daguerreotypie
Porträt des Otto Weise; Stadtgeschichtliches
Museum Leipzig
Kulturstiftung der Länder, Stadt Leipzig,
Sächsische Landesstelle für Museumswesen
Seite 18: Max Slevogt, Graphischer Nachlass;
Landesmuseum Mainz
Kulturstiftung der Länder, Stiftung RheinlandPfalz für Kultur, Generaldirektion Kulturelles
Erbe Rheinland-Pfalz, Sparkassenstiftung Südliche Weinstraße
Seite 36: Johann Heiss, Die Vier Elemente;
Stadtmuseum Memmingen
Kulturstiftung der Länder, Sparkassenstiftung
Memmingen-Mindelheim, Ernst von Siemens
Kunststiftung, Stadt Memmingen, Geschwister
Rittmayer Stiftung, Kurt und Felicitas Viermetz
Stiftung, Bezirk-Schwaben-Stiftung für Kultur
und Bildung
Seite 38: Gerhard Altenbourg, Sammlung
Walter; Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett
Kulturstiftung der Länder, Ernst von Siemens
Kunst­stiftung, Stiftung Preußischer Kulturbesitz
Seite 27: Max Slevogt, Schriftlicher Nachlass;
Landesbibliothekszentrum Rheinland-Pfalz
Kulturstiftung der Länder, Stiftung RheinlandPfalz für Kultur, Landesbibliothekszentrum
Rheinland-Pfalz
BILDNACHWEIS
Titel: © GDKE, Landesmuseum Mainz / Foto: Uta Süße-Krause; S. 3 o.: © Oliver Helbig; S. 3 u.: © Kunstsammlungen Zwickau, Max-Pechstein-Museum / 2015 Pechstein, Hamburg/Tökendorf; S. 4 l.o.: © Henner Hess; S.4 l.u.,
r.o.: privat; S. 4 r.u.: © GDKE, Landesmuseum Mainz / Foto: Uta Süße-Krause; S. 5 l.: privat; S. 5 r.o.: © GDKE,
Landesmuseum Mainz; S. 5 r.u.: © Landesbibliothekszentrum Rheinland-Pfalz / Foto: Ralf Niemeyer; S. 6 l.: ©
Stiftung Gerhard Altenbourg, Altenburg / VG Bild-Kunst, Bonn 2015 / Foto: bpk / Kupferstichkabinett, SMB /
Volker-H. Schneider; S. 6 r.: © bpk / Gemäldegalerie, SMB / Jörg P. Anders; S. 8-11: © Museum Wiesbaden; S. 12:
Aus: The Studio: an illustrated magazine of fine and applied art, 1901; S. 12/13: © Museum für Angewandte Kunst
Köln / Foto: Rheinisches Bildarchiv, Marion Mennicken; S. 14: © Angermuseum Erfurt / Foto: Dirk Urban; S. 15: ©
SLUB Dresden, Deutsche Fotothek / 36.8.5743, Mscr.Dresd.App.581, Mscr.Dresd.App.533,Bd.27, Mscr.Dresd.
App.1898; S. 16: © Stadtgeschichtliches Museum Leipzig; S. 18/19: © GDKE, Landesmuseum Mainz, Slevogt-Archiv/
Grafischer Nachlass; S. 20, S. 21, S. 22 r.o.: © GDKE, Landesmuseum Mainz, Slevogt-Archiv/Grafischer Nachlass
/ Foto: Uta Süße-Krause; S. 22 l.u., S. 23: © GDKE, Landesmuseum Mainz, Slevogt-Archiv/Grafischer Nachlass /
Foto: Ursula Rudischer; S. 24 l.o., r.u.: © GDKE Rheinland-Pfalz, Landesmuseum Mainz, Max Slevogt-Galerie / Foto:
Uta Süße-Krause; S. 25: GDKE Rheinland-Pfalz, Landesmuseum Mainz, Max Slevogt-Galerie / Foto: Axel Brachat;
S. 26-29: © Landesbibliothekszentrum Rheinland-Pfalz / Foto: Ralf Niemeyer; S. 30-33: © Kunstsammlungen
Zwickau, Max-Pechstein-Museum / Pechstein, 2015 Hamburg/Tökendorf; S. 34, S. 35: © VG Bild-Kunst, Bonn 2015 /
Foto: Peter Hinschläger; S. 37-40: © Stadtmuseum Memmingen / Foto: Heribert Thanner; S. 41: © Stiftung Gerhard
Altenbourg, Altenburg / VG Bild-Kunst, Bonn 2015 / Foto: bpk / Kupferstichkabinett, SMB / Jan-Erik Johansson; S.
42: © Stiftung Gerhard Altenbourg, Altenburg / VG Bild-Kunst, Bonn 2015 / Foto: bpk / Kupferstichkabinett, SMB
ARSPROTOTO 1 2015
Seite 30: Konvolut von Schriftwechseln Max
Pechsteins; Kunstsammlungen Zwickau,
Max-Pechstein-Museum
Kulturstiftung der Länder, Ernst von Siemens
Kunst­stiftung, Zwickauer Energieversorgung
/ Volker-H. Schneider; S. 43: © Stiftung Gerhard Altenbourg, Altenburg / VG Bild-Kunst, Bonn 2015 / Foto: bpk /
Kupferstichkabinett, SMB / Jan-Erik Johansson; S. 44 l.o.: © Stiftung Gerhard Altenbourg, Altenburg / VG Bild-Kunst,
Bonn 2015 / Foto: bpk / Kupferstichkabinett, SMB / Jörg P. Anders; S. 44 r.u., S. 45: © Stiftung Gerhard Altenbourg,
Altenburg / VG Bild-Kunst, Bonn 2015 / Foto: bpk / Kupferstichkabinett, SMB / Jan-Erik Johansson; S. 46, S. 47: ©
Universität Erfurt, Forschungsbibliothek Gotha / Foto: Sergej Tan; S. 48: © bei den Verlagen; S. 49 o.: © 2015 The
Estate of Sigmar Polke / VG Bild-Kunst, Bonn / Foto: Archiv Sammlung Froehlich; S. 47 u.: Prestel-Verlag, München;
S. 50: © VG Bild-Kunst, Bonn 2015 / Foto: Peter Hinschläger; S. 51 u.r.: © VG Bild-Kunst, Bonn 2015 / Foto: bpk /
Kupferstichkabinett, SMB / Jan-Erik Johansson; S. 52, S. 53: © Suermondt-Ludwig-Museum, Aachen / Foto: Anne
Gold; S. 54: © bpk / Gemäldegalerie, SMB / Foto: Jörg P. Anders; S. 55: © Suermondt-Ludwig-Museum Aachen /
Foto: Anne Gold; S. 56: © bpk / Gemäldegalerie, SMB / Foto: Jörg P. Anders; S. 57: © bpk / Gemäldegalerie, SMB /
Foto: Klaus Göken; S. 58 l.: © Arnulf Rainer; S. 58 2.v.l.: © Bayerisches Nationalmuseum München; S. 58 3.v.l.: ©
VG Bildkunst, Bonn 2015 / Foto: Franzeska Megert, ZERO foundation, Düsseldorf; S. 58 r.: © Museum Neuruppin;
S. 59 l.: © RMN-Grand Palais (Musée d'Orsay) / Foto: Patrice Schmidt; S. 59 2.v.l.: © VG Bild-Kunst, Bonn 2015; S.
59 3.v.l.: © bpk, RMN-Grand Palais (Musée d'Orsay) / Foto: Hervé Lewandowski; S. 59 r.: © Studio Scully; S. 60 l.:
© Roemer- und Pelizaeus-Museum Hildesheim / Foto: Sh. Shalchi; S. 60 2.v.l.: © VG Bild-Kunst, Bonn 2015 / Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen / Foto: Peter Cox, Eindhoven, Niederlande; S. 60 3.v.l.: © VG Bild-Kunst, Bonn 2015 /
Foto: Gunther Balzer, Kaiserslautern; S. 60 r.: © Saarlandmuseum Saarbrücken, Stiftung Saarländischer Kulturbesitz;
S. 61 l.: © Kupferstich-Kabinett, Staatliche Kunstsammlungen Dresden / Foto: Herbert Boswank; S. 61 2.v.l.: © VG
Bild-Kunst, Bonn 2015; S. 61 3.v.l.: © Mia Pearlman; S. 61 r.: © Klassik Stiftung Weimar; S. 65: © Kinder zum Olymp!
/ Foto: Stefan Gloede; S. 66: © Oliver Mark / Walter De Maria / VG Bild-Kunst, Bonn 2015
51
LÄNDERPORTRÄT
NORDRHEIN-WESTFALEN
Ludwig Knaus, Bildnis
Barthold Suermondt, 1852,
196 × 134 cm; SuermondtLudwig-Museum, Aachen
Die Sammlung Suermondt
MEISTENS MEISTERWERKE
Mit den Schenkungen des Sammlers und Mäzens Barthold Suermondt
beginnt die Geschichte des Aachener Suermondt-Ludwig-Museums
von Uta Baier
52
Jan Boeckhorst, Höllensturz der Verdammten, um 1640, 118 × 92 cm;
Suermondt-Ludwig-Museum, Aachen
E
in Mann liegt im Sterben – die Ärzte haben ihn
aufgegeben. Er ordnet seine Angelegenheiten,
lässt sich die Bilder seiner Kunstsammlung einzeln ans Bett bringen und bestimmt 51, die
er dem örtlichen Kunstverein schenkt. Es ist der
5. Oktober 1882. Fünf Tage später sind Todesangst
und lebensbedrohliche Krankheit vorbei. Barthold
Suermondt (1818 –1887), damals 64 Jahre alt, steht
vom Totenbett auf und schenkt dem Aachener Kunstverein noch einmal 53 Bilder.
Vielleicht ist einiges an dieser Geschichte Legende,
fest steht, dass der Museumsverein in Aachen nach den
Schenkungen von Barthold Suermondt ein Museum
gründen konnte und es – zu Ehren des Stifters – Suermondt-Museum nannte. Es sollte nicht die letzte Gabe
Suermondts bleiben. Insgesamt schenkte er 141 Gemälde und 41 graphische Arbeiten. Der Kunstverein,
der bereits seit 1877 existierte, aber vor allem eine
stadtgeschichtliche, archäologische und naturwissenschaftliche Sammlung besaß, konnte 1883 die Museumsgründung erreichen – schließlich mussten die
Suermondt-Bilder gezeigt werden. Dass es heute Suermondt-Ludwig-Museum heißt, liegt an einer zweiten
ARSPROTOTO 1 2015
großen Stiftung: Das Aachener Sammlerpaar Irene und
Peter Ludwig schenkte 1977 aus seiner riesigen Sammlung 150 Werke.
Die Ludwigs setzten eine Tradition fort, die mit
Barthold Suermondt begann und in seiner Nachfolge
viele Aachener Sammler zu Stiftern machte. Daher war
es kein Wunder, dass das erste Ausstellungshaus in
der „Alten Redoute“ schnell zu klein wurde und das
Museum schon 1901 neue, größere Räume in der Villa
Cassalette bezog. Dort befindet es sich – um einen
modernen Anbau erweitert – noch heute. Die Sammlung wuchs und wurde zur Keimzelle für andere Museen. 1910 konnte die archäologische Sammlung ausgegliedert und in ein eigenes Haus überführt werden,
1912 eröffnete das städtische Kunstgewerbemuseum
und entlastete das Kunstmuseum.
Barthold Suermondt wurde nach seiner Schenkung
nicht nur zum Ehrenbürger der Stadt, sondern auch
zum Ehrenkonservator auf Lebenszeit ernannt. Das
war mehr als eine Geste an den edlen Stifter, denn
Suermondt war einer der kenntnisreichsten Sammler
seiner Zeit, dessen Kunstwerke nicht nur das Aachener
Museum begründeten, sondern der zuvor schon der
53
Berliner Gemäldegalerie zu einigen ihrer wichtigsten
Stücke verholfen hatte.
Vorgezeichnet war ihm diese Karriere nicht. Geboren 1818 in Utrecht als Sohn des Direktors der belgischen Münze, wurde Suermondt schon mit 18 Jahren
Sekretär des Großindustriellen John Cockerill und
später sein Erbe. Suermondt leitete Cockerills Unternehmen, gründete eigene Bergbauunternehmen, Stahlwerke und eine Privatbank. Er besaß Firmen in Belgien
und Deutschland, Polen und Russland.
Museumskurator wird man mit so einem Lebenslauf nicht zwangsläufig, Kunstsammler schon eher,
denn es gehörte durchaus zum „Sport der Reichen,
Kunst zu sammeln“, wie es in einem Nachruf heißt.
Doch Barthold Suermondt sammelte mit Bedacht und
nach ausführlichem Studium. Mit den Jahren wurde er
zu einem der besten Kenner altniederländischer Malerei. 1852 kaufte er 150 Bilder der berühmten Sammlung des Preußischen Gesandten in Spanien, Andreas
Daniel von Schepeler, mit spanischer und niederländischer Malerei. Bald zählten zu seiner Sammlung Werke
von van Eyck und Vermeer, Brueghel, Rubens, Rem­br­andt, Cranach, um nur die bedeutendsten zu nennen.
Den „Raisonnirenden Catalog der Gemälde-Sammlung
des Herrn Barthold Suermondt zu Aachen“ schrieb
1859 kein geringerer als Friedrich Waagen, Direktor
der Gemäldegalerie der Königlichen Museen zu Berlin.
Das war weniger ein Freundschaftsdienst als Ausdruck
größter Wertschätzung des privaten Sammlers durch
den Museumsmann. Die „Zeitschrift für Bildende
Kunst“ lobte Suermondt 1874 für seine „volle Sachkunde und unausgesetzte, hingebende Tätigkeit, die alle
Wege des Kunsthandels kennt, immer aufspürt, immer
das einmal ins Auge Gefasste verfolgt, keine Mühe
scheut, keine Entfernung kennt [und] stets im rechten
Moment zur Stelle ist“.
Es existieren Geschichten über den Sammler Suermondt, der immer mit einer Lupe unterwegs gewesen
sein soll und jedes Kunstwerk genau und persönlich
prüfte – auch eine kleinere Version von Rubens’ „Höllensturz der Verdammten“, die er in Paris gesehen hatte.
Mit dem „Bild im Kopf“ soll er sofort nach München
gereist sein, um es mit dem großen Original zu vergleichen. Da der Vergleich positiv ausfiel, reiste er zurück
nach Paris und kaufte das Gemälde. Als später Zweifel
an der Eigenhändigkeit aufkamen, schickte Suermondt
sein Bild sowohl nach München als auch nach Ant­
werpen, damit man es neben Rubens-Originale hänge.
Letztlich entschied sich Suermondt für die Echtheit –
wie zuvor schon die Kommission der St.-Lukas-Gilde in
Antwerpen. Der wurde das Gemälde am 21. September
1754 zur Begutachtung vorgelegt. „Die Fachleute
entschieden sich für eine Zuweisung an Rubens, das
Ganze wurde mit einem großen Lacksiegel an der
Rückseite dokumentiert“, sagt Michael Rief, Kustos
54
Rembrandt Harmensz van Rijn, Bildnis eines alten
Mannes, 1645, 112 × 83,9 cm; Gemäldegalerie, Staatliche
Museen zu Berlin
am Suermondt-Ludwig-Museum. Heute jedoch gilt
das Bild als Gemälde von Jan Boeckhorst, einem Mitarbeiter von Peter Paul Rubens. „Boeckhorst fertigte die
kleinere Version möglicherweise im Auftrag seines
Meisters für das Werkstattarchiv“, ist Riefs Überlegung.
„Oder“, so Rief weiter, „es entstand in den Jahren nach
Rubens’ Tod als Kunstkammerbild.“ Sich hier zu irren,
war also keine Schande.
Doch wenn sich der Sammler einmal für die Echtheit eines Bildes entschieden hatte, wurde er zum
eifrigen Streiter für diese, seine Zuschreibung. Der
Berliner Museumsdirektor Wilhelm von Bode kritisierte daher: „Von jedem Künstler glaubte er das Meisterwerk zu besitzen, von einzelnen gleich ein halbes
Dutzend, und bei seiner eindringlichen Überredungsgabe wußte er die meisten zu überzeugen. Ja, es war
ihm gelungen, Fachleute wie Waagen, Woltmann,
C. v. Lützow und andere zu überreden, daß sie gerade
die zweifelhaftesten Bilder als die bedeutendsten aus­
posaunten. Der Katalog seiner Ausstellung in Brüssel
zählte sechs Bilder von Rembrandt auf, während nur
eines vom Meister herrührte, drei Vermeer statt eines
echten, fünf A. Cuyp statt eines oder höchstens zwei
usw.“ Trotzdem wusste Bode, dass die Suer­mondt’sche
Sammlung die bedeutendste Privatsammlung altdeutscher, altniederländischer und spanischer Gemälde in
Deutschland war. Deshalb gehörte er von Anfang an zu
den Befürwortern eines Ankaufs der Sammlung, die
Suermondt Preußen 1873/74 offerierte. Außerdem,
Melchior d’Hondecoeter, Trompe-l’œil mit Krammetsvögeln,
um 1660 -70, 84 × 66 cm; Suermondt-Ludwig-Museum, Aachen
55
Frans Hals, Malle Babbe, 1633/35, 78,5 × 66,2 cm;
Gemäldegalerie, Staatliche Museen zu Berlin
argumentierte Bode, würde dieser Ankauf die Berliner
Museen endlich den Münchner und Dresdner Museen
ebenbürtig machen – auch wenn er lieber nicht so viel
Geld ausgegeben hätte. „Suermondt hatte die Sammlung seit 1873 in Brüssel ausgestellt, offenbar schon in
der Absicht, sie zu verkaufen, da er – was uns bei unserer damaligen mangelhaften Fühlung mit Finanzkreisen
nicht bekannt war – durch die Krisis von 1873 außer­
ordentliche Verluste gehabt hatte und zu dem Verkauf
geradezu gezwungen war“, schrieb Bode in seinen
Erinnerungen. Es dauerte Monate bis man sich einigte,
denn es gab durchaus Stimmen, die nur die wichtigsten
Werke ankaufen wollten. Bode plädierte für einen
Komplettankauf und rechnete vor, dass ein Ankauf
einzelner Bilder teurer wäre als die Pauschale. Letztlich
zahlte der Preußische Staat 340.000 Taler für 215
Gemälde und rund 400 Handzeichnungen. Zu den
bedeutendsten Gemälden, die entscheidend zum Ruf
der Berliner Altmeistersammlungen beigetragen haben,
gehören die wunderbare „Madonna in der Kirche“
von Jan van Eyck, Rembrandts „Bildnis eines alten
Mannes“, und Vermeers „Mädchen mit dem Perlenhalsband“, um nur drei zu nennen.
Bald nach diesem Verkauf gingen die Geschäfte
wieder besser und Suermondt konnte erneut Kunst
kaufen – wenn auch in bescheidenerem Maße. Seine
zweite Sammlung wurde vergleichbar groß, aber nicht
mehr so bedeutend wie die erste. „Doch trug Suermondt als nunmehr erfahrener Sammler mit einer
gereiften Erfahrung qualitätvolle Bilder zusammen.
Seine Kenntnis des Kunstmarktes, seine Kennerschaft
und ein gutes Gespür für Werte in der Kunst halfen
ihm, in wenigen Jahren wiederum eine beachtliche
Kollektion zusammenzubringen“, schreibt die Kunsthistorikerin Christine Vogt in einem Aachener Sammlungskatalog. Die Sammlung bestand nun aus Werken
„talentierter niederländischer Maler des 16. und 17.
56
Jahrhunderts, deren Namen im 19. Jahrhundert in
Vergessenheit geraten waren“, wie Vogt weiter darlegt,
und die deshalb zu den „Goede Onbekende“, den
sogenannten guten Unbekannten, gehörten. So enthält
die zweite Sammlung unter anderen Werke von Willem
Kalf, Gerhard Houckgeest, Pieter de Bloot und Adrian
von Ostade. „Man kann auch an diesen Kunstwerken,
die Suermondt mit wesentlich weniger Geld kaufte,
sehen, wie unglaublich gut das Auge des Sammlers war.
Er sammelte mit großem Sachverstand und großer
Leidenschaft, wie Peter und Irene Ludwig. Deshalb bin
ich so stolz darauf, dieses Museum zu leiten“, sagt sein
Direktor Peter van den Brink. Das „Trompe l’œil mit
Krammetsvögeln“ von Melchior d’Hondecoeter, das
Suermondt dem Museum 1882 schenkte, ist das Werk,
das am häufigsten für Ausstellungen angefragt wird
– aus der gesamten Aachener Sammlung.
Viele Bilder gelten heute als Kriegsverluste. Aachen
lagerte seine Kunstschätze zusammen mit dem Domschatz 1939 nach Schloss Bückeburg aus, das aber
schon 1941 nicht mehr als sicher galt. Deshalb brachte
man die Aachener Gemälde auf die Albrechtsburg in
Meißen, denn dort war bereits Dresdner Kunst untergebracht. Als die Ostfront 1944 immer näher an Meißen
heranrückte, sollten die Kunstwerke erneut umgelagert
werden, doch es stand lediglich ein einziger Laster zum
Transport zur Verfügung, so dass nur das Wichtigste in
Sicherheit gebracht werden konnte.
Nach 1945 wurde die Albrechtsburg durch sowjetische Truppen besetzt, ein Teil der Aachener Kunstwerke
kam ins Meißner Stadtmuseum und von dort teilweise
und nach und nach zurück nach Aachen. Etwa 200
Gemälde, darunter viele Suermondt-Bilder, blieben
verschollen – bis Museumsdirektor Peter van den Brink
2008 eine E-Mail bayerischer Krim-Reisender bekam.
Die hatten das Kunstmuseum in Simferopol besucht
und eine Ausstellung mit 87 Bildern aus dem Suermondt-Ludwig-Museum gesehen, wie ihnen eine
Informationstafel verkündete. Seitdem gibt es Kontakte
zwischen den Museen und Wissenschaftlern in der
Frans Snyders, Stillleben mit Früchteschale, o. J., 51 × 70 cm;
Gemäldegalerie, Staatliche Museen zu Berlin
Lucas Cranach d. Ä.,
Judith mit dem Haupt
des Holofernes, 1531,
73 × 56 cm; SuermondtLudwig-Museum, Aachen
Ukraine und in Aachen. Zu dem von beiden Seiten
geplanten Tausch einiger Bilder kam es aufgrund der
jüngsten politischen Entwicklungen nicht.
Heute begrüßen die Porträts von Barthold Suermondt und seiner Frau Amalie Elisabeth den Besucher
im Eingang des Museums. Umfassend erforscht ist der
große Aachener Stifter jedoch nicht. Es gibt keine Biografie und auch kein Gesamtverzeichnis seiner Sammlung. Das wird sich in den kommenden Jahren ändern,
verspricht Museumsdirektor van den Brink, denn 2018
ehrt das Aachener Museum den Sammler anlässlich
seines 200. Geburtstages mit einer großen Ausstellung. Dafür werden sicher auch Bilder aus der ersten
ARSPROTOTO 1 2015
Sammlung Suermondt aus Berlin nach Aachen reisen.
Wenn es nach den Wünschen der Aachener geht: nur
die besten. Angefragt werden sollen Vermeer und Jan
Steen, Franz Hals und Gerard ter Borch und auch Jan
van Eyck und Hans Holbein. Eine Ausleihe wird nicht
einfach, denn sie gehören zu den größten Schätzen, die
es in Berlin zu sehen gibt. Doch es wäre eine absolut
einmalige Chance, die Bedeutung dieses außergewöhnlichen Sammlers anhand seiner beiden Sammlungen
umfassend darstellen und würdigen zu können.
Uta Baier ist Kunsthistorikerin und Journalistin in Berlin.
57
KUNST UND KULTUR IN DEN LÄNDERN
BREMEN
HAMBURG
HESSEN
MECKLENBURG-VORPOMMERN
von Carolin Hilker-Möll
BADEN-WÜRTTEMBERG
BAYERN
BERLIN
BRANDENBURG
Sean Scully, Change I, 1975
Hubert Gerhard, Jagdhund, 1589
Gustav Kühn, Elephant und Panter – Neue
Schießscheibe zur Belustigung der Knaben, um 1855
BELLA FIGURA
Arnulf Rainer, Der Verkündigungsengel,
1995-98
ARNULF RAINER
Seine in den 1950er Jahren entwickelten Übermalungen machten den
österreichischen Maler und Zeichner Arnulf Rainer (*1929) weltweit
bekannt. Jetzt würdigt das Museum
Frieder Burda den Künstler anlässlich seines 85. Geburtstages mit
einer umfassenden Retrospektive,
in der wesentliche Stationen seines
komplexen Schaffens mit Schlüsselwerken präsentiert werden. Der
Bogen spannt sich dabei vom Frühwerk mit den Zentralgestaltungen,
Übermalungen und Kruzifikationen über die Selbstdarstellungen der
Face Farces und Body Poses und deren Überarbeitungen bis hin zu den
Totenmasken und Schleierbildern.
Rainers intensive Suche nach neuen
künstlerischen Wegen wie auch
seine faszinierenden Strategien und
seine experimentelle Vorgehensweise
machen ihn zu einem besonders einflussreichen Gegenwartskünstler.
Museum Frieder Burda
www.museum-frieder-burda.de
bis 3.5.2015
LEGENDÄRE MEISTERWERKE
Spektakuläre Steinzeitkunst und
kostbare Grabbeigaben zeigen die
„Legendären Meisterwerke“ im Landesmuseum Württemberg. Das jetzt
mit Hilfe der Kulturstiftung der
Länder angekaufte „Fürstengrab von
Gammertingen“ bildet einen neuen
Höhepunkt der Ausstellung: Die
­darin entdeckten Beigaben gehören
zu den kostbarsten, die je aus dem
6. Jahrhundert in Mitteleuropa gefunden wurden.
Landesmuseum Württemberg,
Altes Schloss, Stuttgart
www.landesmuseum-stuttgart.de
Dauerausstellung
58
Anhand von rund 80 Meisterbronzen sowie etwa 25 Zeichnungen
und druckgraphischen Arbeiten beleuchtet das Bayerische Nationalmuseum die europäische Bronzekunst
in Süddeutschland um 1600. Beauftragt von den Fuggern oder den
bayerischen Herzögen, schufen hier
italienische Künstler im technisch
aufwändigen Bronzegussverfahren
Werke für die höfische, städtische
und kirchliche Repräsentation wie
Brunnenanlagen, Gartenplastiken,
Fassadenschmuck, Grabmäler und
Altäre. Kleinformatige Aktfiguren
fanden als exklusive Kunstkammerobjekte Eingang in fürstliche Sammlungen. Eines der Hauptthemen der
von der Kulturstiftung der Länder geförderten Ausstellung ist der
menschliche Akt, der in der manieristischen Bronzekunst in komplizierten Drehungen und Posen all­
ansichtig präsentiert wurde.
Bayerisches Nationalmuseum,
München
www.bayerisches-nationalmuseum.de
bis 25.5.2015
AUGUST MACKE UND FRANZ
MARC — EINE KÜNSTLERFREUNDSCHAFT
Rund 100 Jahre nach dem Tod von
August Macke setzt sich das Lenbachhaus mit der Freundschaft von
August Macke und Franz Marc und
ihrem künstlerischen Austausch
auseinander. Rund 200 Gemälde,
Arbeiten auf Papier, kunstgewerbliche Objekte und private Dokumente führen Leben und Werk der
beiden Künstler von 1910 bis 1914
vor Augen und verdeutlichen nicht
nur, wie sich Macke und Marc gegenseitig inspirierten, sondern auch,
wie eng und herzlich ihre Freundschaft war.
Lenbachhaus, München
www.lenbachhaus.de
bis 3.5.2015
Christian Megert, Nul 62, 1962
MUSEUM NEURUPPIN
ZERO — DIE INTERNATIONALE
KUNSTBEWEGUNG DER
1950ER UND 60ER JAHRE
1958 gründeten Heinz Mack und
Otto Piene die Düsseldorfer Künstlergruppe ZERO, die – später verstärkt durch Günther Uecker –
getragen war von der Idee eines
absoluten Neubeginns der Kunst
nach dem Zweiten Weltkrieg, einer
„Stunde Null“. Eine neu gewonnene
Freiheit im Hinblick auf Materialien führte dazu, dass die Themen
Licht, Raum, Bewegung, Reflexion,
Vibration, Struktur und Farbe heterogene Formen annahmen. Über 50
Jahre nach Gründung der ZEROBewegung widmet sich die Ausstellung nicht nur den ersten Gründungskünstlern, sondern auch den
ZERO nahestehenden internationalen Künstlern wie Yves Klein und
Lucio Fontana und den in Vergessenheit geratenen Künstlern wie
Hermann Goepfert, Oskar Holweck
oder Hans Salentin.
Nach zweijähriger Sanierungsphase
ist das Museum Neuruppin, erweitert um einen modernen Anbau,
wiedereröffnet worden. Die neue
Dauerausstellung präsentiert die Urund Frühgeschichte im Ruppiner
Land sowie die Stadtgeschichte bis
in die Gegenwart. Dabei widmet sie
sich auch Neuruppiner Persönlichkeiten wie Karl Friedrich Schinkel,
Wilhelm Gentz und Theodor Fontane und zeigt die bunte Welt der
Neuruppiner Bilderbogen, für die
die Stadt einmal international bekannt war. Mit „Heimat schaffen –
home is where the heart is (II)“ (bis
13.9.2015) gibt der bei Neuruppin
lebende Künstler Anton Henning
(*1964) den Eröffnungsauftakt des
neuen Raumes für Wechselausstellungen. In der eigens dafür konzipierten Installation verbindet er
u. a. Malerei, Collagen, Skulpturen
und Möbelobjekte zu einem liebevoll und zugleich subversiven,
romantisch-ironisch formulierten
Heimatbegriff.
Martin-Gropius-Bau, Berlin
www.berlinerfestspiele.de
21.3. – 8.6.2015
Museum Neuruppin
www.museum-neuruppin.de
Dauerausstellung
BAUHAUS-ARCHIV
CHRISTIANE WARTENBERG
Das Bauhaus-Archiv präsentiert 80
Neuerwerbungen der vergangenen
zehn Jahre: Zu sehen sind Arbeiten
u. a. von Marcel Breuer, Marianne
Brandt, Lyonel Feininger, László
Moholy-Nagy und Oskar Schlemmer. Ein besonderer Schwerpunkt
liegt auf der Fotografie. Aufnahmen
von Werner David Feist, Paul Citroën, Yasuhiro Ishimoto und Nathan
Lerner zeigen ein faszinierendes
Spektrum neuer Foto­grafie zwischen
Bauhaus und New Bauhaus.
Unter dem Titel „überkreuz – Gehäuse und Wortbilder“ präsentiert
die Ausstellung Plastiken, Malerei, Graphiken und Installationen
der brandenburgischen Bildhauerin
Christiane Wartenberg (*1948) aus
unterschiedlichen Werkphasen. Das
Behaustsein des Menschen bleibt
dabei stets ihr bildnerisches und
ethisches Grundthema.
Bauhaus-Archiv, Berlin
www.bauhaus.de
18.3. – 25.5.2015
Museum Junge Kunst Frankfurt
(Oder), Rathaushalle
www.museum-junge-kunst.de
1.3. –10.5.2015
SEAN SCULLY
Emile Bernard, Badende mit roter Kuh, 1889
Hans-Peter Feldmann, Ohne Titel, o. J.
EMILE BERNARD — AM PULS
DER MODERNE
PICASSO IN DER KUNST
DER GEGENWART
Claude Monet, Hôtel des Roches Noires,
Trouville, 1870
Der französische Maler, Graphiker und Kunsttheoretiker Emile
Bernard (1868 –1941) war ein wichtiger Impulsgeber der symbolistischen Kunst, befreundet mit Henri
de Toulouse-Lautrec, Vincent van
Gogh und Paul Gauguin, in deren
Schatten er zeitlebens stand. Die
Retrospektive der Kunsthalle Bremen gibt einen umfassenden Einblick in sein vielfältiges Œuvre und
präsentiert ihn als einen der innovativsten, aber auch eigensinnigsten
Künstler des späten 19. und frühen
20. Jahrhunderts. Die Schau verfolgt Bernards Entwicklung von den
ersten Versuchen des ganz jungen
Künstlers über die spektakulären Innovationen in Pont-Aven, wo er mit
Gauguin arbeitete, bis in das kaum
bekannte Spätwerk.
Anlässlich ihres 25-jährigen Bestehens zeigen die Deichtorhallen
Hamburg in ihrer soeben modernisierten Halle für aktuelle Kunst
eine breit gefächerte Ausstellung
zum Thema „Picasso in der zeitgenössischen Kunst“. 80 internationale Künstler wie Andy Warhol,
Roy Lichtenstein, Claes Oldenburg,
Asger Jorn, David Hockney, Martin Kippenberger und Jasper Johns
sind mit ihren Werken vertreten
und lassen Pablo Picasso als Inspirationsquelle präsent werden. Eigens
für die Schau produzierte Arbeiten
u. a. von John Stezaker oder Robert
Longo beziehen sich explizit auf Picasso, ebenso wie die Frühwerke von
Jonathan Meese.
MONET UND DIE GEBURT
DES IMPRESSIONISMUS
Kunsthalle Bremen
www.kunsthalle-bremen.de
bis 31.5.2015
WILHELM MORGNER — MALEREI 1910 –1913
Wilhelm Morgner (1891–1917) gilt
als Ausnahmetalent des Expressionismus. Seine Bilder, die sich zwischen Figuration und Abstraktion
bewegen, beeindrucken durch die
ausdrucksstarke Leuchtkraft ihrer
Farben und die Rhythmisierung von
Motiv und Bildraum durch Linien,
Wellen, Kreise und Punkte. Obwohl
Morgners erstaunliche Entwicklung
durch den Ersten Weltkrieg jäh beendet wird, hinterlässt er ein beachtliches Werk, das richtungsweisend
für die Moderne ist.
Paula Modersohn-Becker Museum,
Bremen
www.museen-boettcherstrasse.de
bis 14.6.2015
ARSPROTOTO 1 2015
Deichtorhallen, Hamburg
www.deichtorhallen.de
1.4. –12.6.2015
VERZAUBERTE ZEIT — CÉZANNE, VAN GOGH,
BONNARD, MANGUIN
Die Ausstellung präsentiert die historische Sammlung des Schweizer
Ehepaares Arthur und Hedy Hahnloser-Bühler, die zwischen 1906 und
1936 eine beeindruckende Anzahl
an Meisterwerken der Kunst des
Postimpressionismus zusammenführen konnten. So erwarben sie
wichtige Gemälde der großen Vorreiter der künstlerischen Moderne
Paul Cézanne, Vincent van Gogh,
Auguste Renoir und Édouard Manet. Die Ausstellung zeigt über 200
ausgewählte Werke von 20 Künstlern aus der berühmten Sammlung,
die nun erstmals in Deutschland zu
sehen ist.
Hamburger Kunsthalle
www.hamburger-kunsthalle.de
bis 16.8.2015
Die groß angelegte Ausstellung
im Frankfurter Städel widmet sich
der Entstehung und frühen Entwicklung des Impressionismus. Im
Blickpunkt stehen Claude Monet
(1840 –1926) als Schlüsselfigur des
Impressionismus und seine Künstlerkollegen Auguste Renoir, Édouard Manet, Berthe Morisot, Edgar
Degas, Alfred Sisley und Camille
Pissarro, die innerhalb weniger Jahre
die Malerei revolutionierten. Die
Ausstellung beleuchtet, wie diese
Künstler während der 1860er und
1870er Jahre ihre neuen Seherfahrungen umsetzten und ein neuer Stil
und neue Themen heranreiften: so
das Verhältnis von Mensch und Natur, die moderne Freizeitgestaltung
oder die Beschleunigung des Lebens
durch den technischen Fortschritt.
Neben den rund 100 Meisterwerken aus internationalen Sammlungen werden auch Fotografien und
Karikaturen gezeigt, die sich mit der
Kunstströmung auseinandersetzen.
Städel Museum, Frankfurt am Main
www.staedelmuseum.de
11.3. – 21.6.2015
ISA GENZKEN — NEW WORKS
Mit Isa Genzken (*1948) würdigt
das MMK Museum für Moderne
Kunst Frankfurt am Main eine international renommierte deutsche
Bildhauerin mit einer ganz eigenständigen und unverwechselbaren
Bildsprache. Im Zentrum der Schau
stehen rund 20 skulpturale Einzelfiguren und Figurengruppen, die
stark verfremdete Selbstporträts der
Künstlerin darstellen.
Der irisch-amerikanische Künstler
Sean Scully (*1945) ist bekannt für
seine abstrakten Bildreihen, die von
klar strukturierten farbigen Rastern dominiert werden. Die Ausein­
andersetzung mit zeitgenössischer
abstrakter Kunst prägt sein gesamtes Schaffen, und bereits in seinen
frühen, figurativen Werken setzt er
sich mit grundlegenden Fragen zu
Kunst und Sprache auseinander.
Auch bei der radikalen Hinwendung zur Abstraktion reflektiert der
Künstler die emotionale und semantische Wirkung seiner Techniken.
Das Spannungsfeld von Figuration
und Abstraktion bleibt dabei immer
erhalten, sodass gerade die Gegenüberstellung des frühen und späten
Œuvres fasziniert. Diesen Dialog
greift die Kunsthalle Rostock erstmals museal auf.
Kunsthalle Rostock
www.kunsthallerostock.de
bis 3.5.2015
MAX UHLIG — FRÜHE
LANDSCHAFTEN
Ein ganzes Konvolut von Landschaftsbildern zeugt von Max Uhligs
regelmäßigen Aufenthalten in Penzlin zwischen 1973 und 1984. In
diesen frühen Arbeiten entwickelt
Uhlig (*1937) seine unverwechsel­
bare Handschrift: Bunte Gitter
liegen über den Bildmotiven, die
für den Betrachter kaum noch
zu erkennen sind. Die Ausstellung
gibt erstmalig einen Einblick in
den geschlossenen Werkkomplex
aus Gemälden, Aquarellen und
Handzeichnungen.
Kunstsammlung Neubrandenburg
kunstsammlung-neubrandenburg.de
bis 7.6.2015
Museum für Moderne Kunst,
Frankfurt am Main
www.mmk-frankfurt.de
14.3. – 31.5.2015
59
NIEDERSACHSEN
NORDRHEIN-WESTFALEN
RHEINLAND-PFALZ
Unbekannter Künstler, Gemälde der Gründungslegende, o. J.
Otto Dill, Palermo, 1924
DIE WURZELN DER ROSE
ITALIA — AMORE MIO
Vom Bischofssitz zur Bürgerstadt:
Anlässlich des 1200-jährigen Jubiläums der Bistumsgründung Hildesheim präsentiert das Roemer- und
Pelizaeus-Museum die neuesten
archäologischen Schätze der 2013
abgeschlossenen Grabung im Hildesheimer Dom. Ergänzt durch
kostbare Urkunden und Objekte
aus dem Stadtarchiv sowie die umfangreichen Grabungsfunde, die seit
dem 19. Jahrhundert gesammelt
wurden, möchte die von der Kulturstiftung der Länder geförderte Schau
die soziale und politische Geschichte
der Stadt vom frühen Mittelalter bis
heute nachzeichnen. Unter Bezugnahme auf das gegenwärtige Stadtbild soll nicht nur deutlich werden,
dass hier europäische Geschichte
stattgefunden hat, sondern vor allem, dass diese heute noch spürbar ist.
Roemer- und Pelizaeus-Museum
Hildesheim
www.rpmuseum.de
31.3. – 4.10.2015
Günther Uecker, Bewegtes Feld, 1964
UECKER
Die Kunstsammlung NordrheinWestfalen gratuliert Günther Uecker
zu seinem 85. Geburtstag und widmet ihm in seiner Wahlheimat Düsseldorf eine umfassende, von der
Kulturstiftung der Länder unterstützte Einzelausstellung. Auf rund
1.500 qm werden Ueckers Malereien, Objekte, Skulpturen, Filme
und Dokumentationen seiner Aktionen präsentiert. Zentrale Werkkomplexe wie das „Terrororchester“,
die „Verletzungsworte“ oder „Brief
an Peking“ werden ebenso zu sehen sein wie die berühmten Nagel­
reliefs. Parallel dazu wird der Jubilar
im LABOR des K20 seine eigens
für den Raum konzipierte Arbeit
„Briefe an einen Unbekannten“ vorstellen. Seit Mitte der 50er Jahre
aktiv, gilt Günther Uecker heute
als einer der wichtigsten deutschen
Künstler der Gegenwart.
K20 Grabbeplatz, Kunstsammlung
Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf
www.kunstsammlung.de
bis 10.5.2015
PAUL KLEE — MEISTERWERKE
AUS DER KUNSTSAMMLUNG
NRW
EWALD MATARÉ — DIE
BERLINER JAHRE
Das vielseitige Œuvre Paul Klees
(1879 –1940) steht im Mittelpunkt einer Ausstellung der Kunsthalle Emden. Die rund 80 präsentierten Gemälde, Aquarelle und
Zeichnungen von 1909 bis 1940
aus dem Bestand der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen umfassen alle wichtigen Werkphasen Klees
und bieten somit einen einzig­
artigen Einblick in die unerschöpfliche Kreativität dieses bedeutenden
Künstlers.
Kunsthalle Emden
kunsthalle-emden.de
21.3. – 12.7.2015
60
Mit herausragenden Werken aus
dem eigenen Sammlungsbestand
wirft die Ausstellung des Museum
Kurhaus Kleve einen Blick auf die
frühe Schaffensphase des rheinischen Künstlers Ewald Mataré
(1887 –1965). Ergänzt durch Leihgaben, rückt die Schau nicht nur die
bildhauerischen und graphischen
Arbeiten in den Fokus, sondern
erstmals auch Matarés nicht so bekannte Tätigkeit als Maler.
Museum Kurhaus Kleve
www.museumkurhaus.de
29.3. – 28.6.2015
Kaum ein anderes Land verkörpert
die Sehnsucht und das Fernweh
der Deutschen so sehr wie Italien.
Nicht nur zahlreiche Dichter, Denker und Literaten haben sich in der
Vergangenheit mit dem beliebten
mediterranen Reiseziel auseinandergesetzt und ihre Leidenschaft für
dieses Land zum Ausdruck gebracht.
Auch in der bildenden Kunst hat
das Thema eine lange Tradition.
Nun zeigt das Museum Pfalz­galerie
Kaiserslautern graphische Werke
aus der eigenen – rund 20.000 Blatt
umfassenden – Sammlung und gewährt einen spannenden Einblick
in das Italienbild deutscher Künstler. Ein besonderer Fokus der Sonderausstellung liegt auf dem Kreis
der in den 1950er-Jahren auf Ischia
tätigen Maler, darunter Max PeifferWatenphul, Eduard Bargheer und
Werner Gilles.
Museum Pfalzgalerie Kaiserslautern
www.mpk.de
8.3. – 25.5.2015
DIE REVOLUTION DER
BILDER — VON POUSSIN BIS
MONET
Von Nicolas Poussin über Auguste
Renoir bis hin zu Paul Cezanne:
Die Ausstellung im Arp Museum in
Rolandseck beleuchtet die Entwicklung der französischen Malerei und
Bildhauerei vom 17. Jahrhundert
bis in die Moderne und veranschaulicht mit rund 50 Gemälden und
Objekten, wie sie sich im Laufe der
Jahrhunderte radikal von den künstlerischen Regeln und Traditionen
befreite.
Arp Museum Bahnhof Rolandseck,
Remagen
www.arpmuseum.org
22.3. – 6.9.2015
SAARLAND
SACHSEN-ANHALT
SACHSEN
Anlässlich des 100. Todestages von
Albert Weisgerber (1878 –1915)
zeigt das Saarlandmuseum in Kooperation mit der Albert-Weisgerber-Stiftung St. Ingbert aus ihren
umfangreichen Sammlungsbeständen Gemälde, Studien und Zeichnungen des Künstlers. Ergänzt
durch Leihgaben aus renommierten
Museen in ganz Deutschland, würdigt die Retrospektive mit rund 130
Exponaten Weisgerbers vielschichtiges Œuvre und dessen Bedeutung
innerhalb der europäischen Kunstgeschichte. Im Spannungsfeld der
Avantgarden zu Beginn des 20. Jahrhunderts behauptete der deutsche
Maler und Graphiker eine kompromisslose, eigenständige Position und
gilt heute als bedeutender Vertreter
der Münchner Moderne.
Saarlandmuseum, Moderne Galerie,
Saarbrücken
www.kulturbesitz.de
21.3. – 5.7.2015
MEISTERWERKE DER
MODERNE
Parallel zur Retrospektive über
Albert Weisgerber präsentiert das
Saarlandmuseum Meisterwerke der
Klassischen Moderne aus den eigenen Beständen. Max Liebermann,
Lovis Corinth, Heinrich Campendonk, Pablo Picasso, Alexander
Archipenko oder Gabriele Münter
– die Auswahl von rund 80 Gemälden und Skulpturen sowie rund 30
Arbeiten auf Papier offenbart das
breite Spektrum dieser hochkarä­
tigen Sammlung.
Saarlandmuseum, Moderne Galerie,
Saarbrücken
www.kulturbesitz.de
bis 30.9.2015
THÜRINGEN
Karl Schmidt-Rottluff, Du und ich, 1919
Albert Weisgerber, Ausritt im Englischen
Garten, 1910
ALBERT WEISGERBER — RETROSPEKTIVE
SCHLESWIG-HOLSTEIN
Nach Hieronymus Bosch, Phantastische
Figuren, um 1570–1600
HIERONYMUS BOSCHS ERBE
Der niederländische RenaissanceMaler Hieronymus Bosch (um
1450 –1516) ist für seine einprägsame Bildsprache bekannt. Im ausgehenden Mittelalter beschäftigten ihn Themen aus Religion und
Alltagsleben, die er zwar realistisch,
aber mit grotesk-satirischen Elementen darstellte. Das KupferstichKabinett im Dresdner Residenzschloss zeigt nun, wie der Künstler
die Druckgraphik bis ins 18. Jahrhundert hinein beeinflusst hat. Anlass dazu gibt das neu erworbene
Triptychon „Die Endzeit, Himmel
und Hölle“ (um 1560) nach Bosch.
Neben weiteren Einzelarbeiten und
Auszügen aus druckgraphischen Serien werden Bücher, Gemälde sowie
Objekte der Schatzkunst und des
Kunstgewerbes ausgestellt. Dabei
lässt sich überall mit symbolhaften
Monstern, Dämonen und Fantasiewesen die groteske Ästhetik wiederfinden, die auf Bosch zurückgeht.
Kupferstich-Kabinett, Staatliche
Kunstsammlungen Dresden
www.skd.museum
19.3. – 15.6.2015
PAUL KLEE — SONDERKLASSE
Mit der Zusammenstellung von
über 300 seiner Werke für eine
Schau- und Nachlasssammlung konzipierte Paul Klee (1879 –1940) gewissermaßen selbst eine Retrospektive seines Schaffens. Die mit „Skl“
oder „Scl“ bezeichneten Bilder erachtete der Künstler als schöpferisch
oder persönlich besonders wertvoll,
sodass die Ausstellung einen privaten und intimen Eindruck von
Klees Werk vermittelt.
Museum der bildenden Künste
Leipzig
www.mdbk.de
bis 25.5.2015
ARSPROTOTO 1 2015
DU UND ICH — BILDNISSE
UND SELBSTPORTRÄTS DER
BRÜCKE-MALER
Die Sammlung Hermann Gerlinger zählt zu den bedeutenden deutschen Privatsammlungen und widmet sich ausschließlich den Malern
der Künstlergemeinschaft Brücke.
Monografische Darstellungen sind
Schwerpunkt der Sammlung und
bieten in der Sonderausstellung
tiefe Einblicke in Lebensverhältnisse und Persönlichkeit des jeweiligen Künstlers. In etwa 70 Werken
können die Wirkungsmechanismen
expressionistischer Kunst nachempfunden werden – Farbigkeit und
Formenreichtum steigern die Ausdruckskraft und schärfen die Wahrnehmung. Der Titel „Du und ich“
beschreibt damit die ausgestellten
Werke, Bildnisse und Selbstporträts, aber auch den Eindruck des
Betrachters, mit einem allgemeinen
menschlichen Spiegelbild konfrontiert zu sein.
Kunstmuseum Moritzburg Halle
(Saale)
www.kunstmuseum-moritzburg.de
bis 3.5.2015
FIGUR & GEFÄSS
Seit der Gründung der Burg Giebichenstein Kunsthochschule in
Halle 1915 ist die dortige Ausbildung gleichermaßen künstlerischer
wie kunsthandwerklicher Natur.
Zum 100. Jubiläum der Hochschule
zeigt die Ausstellung, wie durchlässig die im deutschen Sprachraum
gezogene Trennung von Freien und
Angewandten Künsten dadurch ist.
Aus Kunstmuseum und Kulturhistorischem Museum Magdeburg sind
Objekte von Künstlern zu sehen, die
in der Burg ausgebildet wurden oder
gelehrt haben.
Kunstmuseum Kloster Unser Lieben
Frauen Magdeburg
www.kunstmuseum-magdeburg.de
12.3. – 3.5.2015
Mia Pearlman, Momento, 2012
Cranach d. Ä., Sibylle von Cleve,
PAPERMANIA — PAPIER ALS Lucas
1526, Ausschnitt
MEDIUM IN DER ZEITGENÖSSISCHEN KUNST
CRANACH IN WEIMAR
Das Museum Kunst der Westküste
widmet dem Medium Papier eine
Ausstellung jenseits der Funktionalität als Bild- und Schriftträger. Vertreten sind elf internationale Künstler, die sich ein Material zunutze
machen, das sowohl leicht und zart
als auch widerständig und plastisch
sein kann. Filigrane Papierschnitte,
papierne Alltagsgegenstände und
metergroße Schiffe greifen die beiden Themen „Meer und Küste“ sowie „Reisen und Natur“ auf. Ergänzt
wird die Werkauswahl durch Videoarbeiten und Rauminstallationen.
Durch Falten und Formen, Knüllen
und Schneiden entsteht eine künstlerische Vielfalt, die einen neuen
Blick auf den sonst so schlichten
Werkstoff ermöglicht.
Museum Kunst der Westküste
www.mkdw.de
bis 12.7.2015
CAUBOYS — KUNST UND
UNIVERSITÄT
Den 350. Jahrestag ihrer Gründung
feiert die Christian-Albrechts-Universität (CAU) mit weit mehr als
Campusfest und wissenschaft­licher
Tagung. Die Ausstellung spiegelt
die enge Verbindung von Kunst
und Universität in der Holstenstadt.
Zu sehen sind neben Herzogs- und
Professorenporträts auch Werke der
Ehrendoktoren und Universitäts­
zeichenlehrer, unter ihnen der documenta-Künstler Franz Gertsch.
Besonders die klassische Moderne ist
mit Werken von Emil Nolde, Erich
Heckel und Karl Schmidt-Rottluff
stark vertreten.
Kunsthalle zu Kiel
www.kunsthalle-kiel.de
bis 11.10.2015
Mit dem Dreiflügelaltar in der
Stadtkirche St. Peter und Paul befindet sich eine der wichtigsten bildlichen Darstellungen der Reformationszeit in Weimar. Als begnadete
Bild-Chronisten trugen Cranach
der Ältere (1472 –1553) und Cranach der Jüngere (1515 –1586) mit
ihren Bildmotiven zur Verbreitung
der neuen Lehre bei. Neben der
Arbeit im Dienst der Reformation
vermittelt die Schau den Bezug von
Vater und Sohn zu Weimar, ihre
Aufgaben am Hof Johann Friedrichs des Großmütigen und schließlich Wirkung und Rezeption der
Cranach-Werkstatt. Die Ausstellung
ist Teil des Themenjahrs „Bild und
Botschaft – Cranach in Thüringen
2015“ anlässlich des 500. Geburtstags Cranach des Jüngeren.
Klassik Stiftung Weimar,
Schiller-Museum
www.klassik-stiftung.de
3.4. – 14.6.2015
ÄGYPTOMANIE IM 19. JAHRHUNDERT — UNBEKANNTE
SCHÄTZE AUS DEN
SAMMLUNGEN
Museumsgründer Bernhard August von Lindenau (1779 –1854)
war auf der Höhe seiner Zeit, als er
seine Kunstsammlung um altägyptische Werke, Plastiken und historische Bücher ergänzte. Seit Napoleons Ägyptenfeldzug Ende des 18.
Jahrhunderts eroberten Kunsthandwerk wie Ornamentik im Stil des
Alten Ägyptens Europa. Neben den
erworbenen Schätzen zeugen touristische Fotografien um 1900 und ein
Kairo-Panorama von der Ägypto­
manie im 19. Jahrhundert.
Lindenau Museum Altenburg
www.lindenau-museum.de
7.3. – 14.6.2015
61
ESSAY
Die Kunst bleibt – aber wo?
Künstlernachlässe
als Herausforderung
von Michael Zajonz
D
er alte, auf die Kunstproduktion jenseits ästhetischer Streicheleinheiten gemünzte Spruch „Ist das
Kunst oder kann das weg?“ trifft en passant einen
wunden Punkt materieller Überlieferung. Jeder
Künstler, der nicht zu den Glücklichen gehört (statistisch gesehen dürfte das im Promillebereich liegen),
denen langanhaltende Kunstmarkterfolge vergönnt
sind, wird sich die Frage irgendwann stellen: Wie
überlebt mein Werk mich selbst? Wer soll all die
künstlerischen Arbeiten und Dokumente aus meinem
Besitz künftig aufbewahren, mehr noch: so bewahren,
dass nachfolgende Generationen meine Botschaft
empfangen können?
Seit gut einem Jahrzehnt wird unter Künstlern und
Kunstvermittlern in Deutschland über das Thema
Nachlassgestaltung diskutiert, mit zunehmender
Dringlichkeit, wie zahlreiche Symposien und immer
mehr lokal oder regional verankerte Initiativen zur
Nachlasspflege zeigen. Viele Künstler erleben es
schmerzlich, dass das von ihnen geschaffene Œuvre
nur zum kleinen Teil über den Kunstmarkt abzusetzen
ist. Auf den Van-Gogh-Effekt, dass ein Künstler nach
seinem Tod entdeckt wird, sollte niemand hoffen.
Künstler sollten tragfähige Lösungen für ihren Nachlass
schon zu Lebzeiten anstreben, die Möglichkeit eines
Vorlasses ist stets mitzudenken.
Die Annahme, dass immer mehr Künstler (zu)
viel Kunst produzieren, ist selbst unter Akteuren des
„Betriebssystems Kunst“ verbreitet, auch wenn belastbare Zahlen fehlen und obwohl künstlerische Über­
produktion kein neues Phänomen ist. Die große Zahl
niederländischer Maler im 17. Jahrhundert ist legendär,
ihre qualitative Bandbreite dürfte jedoch weitaus größer
gewesen sein als es die materielle Überlieferung
nahelegt. Auch das 19. Jahrhundert trug mit seinen
professionalisierten akademischen Ausbildungs­stätten zu einer gesteigerten Kunstproduktion bei,
von der trotz Kriegen und anderen Katastrophen
noch immer mehr vorhanden ist als der Kunstmarkt
aufnehmen kann.
62
Unabhängig davon, ob heute mehr und umfangreichere
Künstlernachlässe überliefert werden als früher, hat sich
die Kultur des Vererbens selbst gewandelt. Nachkommen, so vorhanden, leben weit entfernt und drängen
im Erbfall oft auf eine möglichst schnelle und vollständige Auflösung des Haushalts. Da geraten sperrige
Dinge zum Problemfall. Eine intellektuelle und
emotionale Herausforderung sind Künstlernachlässe
sowieso. Doch der Wunsch, mit dem Andenken des
Künstlers auch dessen materielle Hinterlassenschaft und
damit kulturelle Werte zu bewahren, darf noch immer
vorausgesetzt werden. Wer käme schon auf die Idee,
Kunst wegzuwerfen?
Genau das will Uwe Degreif nicht ausschließen. In
einem Beitrag im aktuellen Themenheft der Zeitschrift
„art value. Positionen zum Wert der Kunst“ (Heft 14
„Künstlernachlässe“, www.art-value.de) klassifiziert der
am Museum Biberach tätige Kunsthistoriker Künstlernachlässe in vier Materialgruppen. Degreifs Systematik
unterscheidet sehr gute Werke, von denen sich der
Künstler zeitlebens nicht trennen wollte – die künstlerische Quintessenz seines Œuvres (Gruppe A, 1–10 %
des Nachlasses); gute Werke, meist aus der Hauptschaffenszeit (Gruppe B, 20 – 30 %); weniger gelungene und
unvollendete Arbeiten (Gruppe C) sowie Dokumente,
Fotos, Briefe, also all das, was Archivare als schriftlichen
oder dokumentarischen Nachlass bezeichnen (Gruppe
D). Im öffentlichen Auftrag in Museen zu sammeln, zu
bewahren, zu erforschen und zu vermitteln seien
lediglich Bestände der Gruppen A und D. Alles andere
müsse verkauft, verschenkt oder – ultima ratio – entsorgt werden. „Von mindestens 90 Prozent, manchmal
95 Prozent muss man sich trennen, anzustreben ist der
Erhalt von circa 5, höchstens 10 Prozent. Bei einem
durchschnittlichen Œuvre von 2.000 bis 3.000 Werken
sind das immer noch 100 bis 200 Werke, die es in
[öffentlichen] Sammlungen unterzubringen gilt. Keine
leichte Aufgabe.“
Derartige Thesen, die Degreif bereits während eines
Symposiums des Künstlerbunds Baden-Württemberg
(„Was bleibt. Konzepte zum Umgang mit KünstlerNachlässen“, Karlsruhe 25.10.2014) vorgestellt hat,
finden nicht nur Zustimmung. Aus Museumssicht
jedoch formuliert er keine Extremposition. Die
Direktorin der Karlsruher Kunsthalle Pia Müller-Tamm
forderte auf derselben Tagung: „Kunstsammlungen
sollten eher in die Tiefe als in die Breite wachsen. Das
Museum sollte nicht passiv entgegennehmen, was auf es
zukommt.“ Thomas Köhler, Direktor der Berlinischen
Galerie, plädiert im „art value“-Interview nicht nur für
eine rigorose Auswahl, sondern für deren strategische
Verteilung: „Wir empfehlen, dass sich jeder Künstler
rechtzeitig die Frage stelle, welche, sagen wir 20 Werke
im Schaffen seines Lebens zu den wichtigsten zählen
und mit welchen Museen sie in inhaltlicher oder
formaler Verbindung stehen.“
Museale Speicherkapazitäten sind kompletten
Künstlernachlässen nicht gewachsen, Museumsmitarbeiter hingegen, so Pia Müller-Tamm, tragen als
„Sachwalter des materiellen kulturellen Erbes unserer
Gesellschaft […] Verantwortung für die künstlerische
Hinterlassenschaft“. Das kann die Beratung orientierungssuchender Erben einschließen, damit das
Schlimmste verhindert wird. Zudem haben Museen
immer wieder Nach- oder Vorlässe aufgenommen und
tun dies weiterhin. Museale Begierden lösen künstlerische Nachlässe aus, sofern eine qualitativ begründete
Auswahl möglich ist, die das Sammlungsprofil des
Hauses schärft und nicht die Depots verstopft.
Dem 1964 eröffneten Wilhelm Lehmbruck
Museum Duisburg etwa gelang es 2009 mit Unterstützung der Kulturstiftung der Länder und weiterer
Förderer, den umfangreichen Nachlass des 1881 nahe
Duisburg geborenen Bildhauers von der Erbengemeinschaft zu erwerben. Neben 33 Skulpturen sowie dem
beinahe gesamten malerischen, zeichnerischen und
druckgraphischen Œuvre übergaben Lehmbrucks
Erben das von der Witwe geführte „Gusstagebuch“, das
alle legalen posthumen Güsse aufführt. Nachlasshalter,
egal ob privat oder öffentlich, sollten bei posthumen
Güssen für größtmögliche Transparenz sorgen, die in
der Vergangenheit – man denke an die Diskussionen
über das Werk von Hans Arp oder Ernst Barlach –
nicht immer gegeben war.
Das Lindenau-Museum Altenburg betreut seit
2013 im Auftrag der Stiftung Gerhard Altenbourg das
Haus des Künstlers. Es ist ein über Jahrzehnte gewachsenes Gesamtkunstwerk, dessen beweglicher Inhalt –
darunter 6.300 Papierarbeiten, 100 Druckstöcke, 7.000
Bücher, Briefe, Fotos, Familiendokumente – derzeit im
Rahmen einer auf drei Jahre angelegten Inventarisation
bearbeitet wird, ehe das Haus öffentlich zugänglich
werden soll. Die künftige Finanzierung als Künstlergedenkstätte ist noch nicht gesichert. Direktorin Julia M.
Nauhaus resümiert: „Gerhard Altenbourg ist für das
ARSPROTOTO 1 2015
Lindenau-Museum eines seiner Alleinstellungsmerk­
male. Daher betrachte ich den Zugewinn dieser
‚Außenstelle‘ als außerordentlichen Schatz, um das
Museum als Zentrum der Altenbourg-Forschung […]
zu etablieren.“
Dokumente, Briefe, Tagebücher, Geschäftsunter­
lagen, kurz: Der dokumentarische oder Schriftnachlass
sollte jedoch im Regelfall von einem Archiv betreut
werden. Kunstmuseen sind damit methodisch und
logistisch überfordert. Andererseits wird die saubere
Trennung zwischen künstlerischem und dokumentarischem Nachlass – und damit der geeignete Aufbewahrungsort – bei Gegenwartskünstlern immer fragwürdiger: Ist ein Video, das eine ephemere oder performative
Arbeit für die Nachwelt überliefert, integraler Bestandteil des Werks oder nur ein Vehikel zur Dokumenta­
tion, das ohnehin schleunigst auf andere Datenträger
überspielt gehört?
Nur wenige Großinstitutionen wie die 2004 in die
Trägerschaft des Bundes übernommene Akademie der
Künste in Berlin vereinen Archiv und Kunstsammlung
unter einem Dach. In den 1950er Jahren begannen die
Nachfolgeinstitutionen der Preußischen Akademie der
Künste unabhängig voneinander in Ost- und West-­
Berlin mit dem Sammeln von Schriftnachlässen ihrer
Mitglieder. 1993/94 wiedervereinigt, sieht sich die
Einrichtung „als bedeutendstes interdisziplinäres Archiv
zu Kunst und Kultur seit 1900 im deutschen Sprachraum“. Interdisziplinär, weil bildende, darstellende,
performative und angewandte Künste gleich­berechtigt
gesammelt werden. Allein die Archiv­abteilung Bildende
Kunst betreut derzeit rund 100 dokumentarische Vorund Nachlässe: von Lovis Corinth und Charlotte
Berend-Corinth bis zum unlängst seinen 85. Geburtstag feiernden Bildhauer Wieland Förster.
„Die Erben denken häufig, sie müssten alles
zusammenlassen“, sagt Birgit Jooss, die als Leiterin des
Deutschen Kunstarchivs im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg für knapp 1.400 Bestandseinheiten
– über 2,8 Regalkilometer Archivgut – verantwortlich
ist. Jooss, die Anfang April die Leitung des Archivs der
Berliner Akademie der Künste übernimmt, hat Kunstgeschichte und Archivwissenschaft studiert. Sie verweist
darauf, dass Kunsthistoriker in ihrer Ausbildung nicht
gelernt haben, Schriftnachlässe zu sichten, zu verzeichnen und fachgerecht zu erschließen, zudem würde es
Museen an Leseplätzen für externe Benutzer mangeln.
In der Praxis habe sich die Konzentration des Deutschen Kunstarchivs auf Schriftnachlässe von Künstlern,
Kunsthistorikern und Kunsthändlern bewährt. Man
versteht sich nicht nur als Anlaufstelle für Wissenschaftler aus aller Welt, sondern konzipiert eigene Publika­
tionen und Ausstellungen mit Archivalien aus dem
eigenen Bestand und geliehenen Kunstwerken. Mit
Museen wie dem Franz Marc Museum in Kochel am
63
See oder dem Gerhard-Marcks-Haus in Bremen
bestehen längerfristige Kooperationen.
Auch Thomas Deecke, früher Direktor des Museums Weserburg in Bremen, empfiehlt das Deutsche
Kunstarchiv als geeigneten Ort für umfangreichere
Schriftnachlässe. Deecke berät Künstler und Erben, die
einen Vor- oder Nachlass in das 2010 eröffnete Archiv
für Künstlernachlässe der Stiftung Kunstfonds geben
wollen. Alle Bewerber stellen sich einer Aufnahmekommission, der namhafte Künstler und Kunstvermittler
angehören. In der ehemaligen Abtei Brauweiler bei
Köln stehen moderne Depotflächen zur Verfügung.
Weitere 2.000 Quadratmeter sollen in einem neu zu
errichtenden Schaulager hinzukommen.
Brauweiler versteht sich als Modellprojekt mit
bundesweiter Ausstrahlung. „Unser Archiv bewegt sich
im Zwischenraum von Atelier und Museum“, erklärt
Karin Lingl, Geschäftsführerin der Stiftung Kunstfonds.
„Wir gehen von der Perspektive der Künstler aus und
wollen deren künstlerische Intuitionen visualisieren
können.“ Aufgenommen wird, was den Künstlern selbst
am Herzen lag: signifikante Werke und Werkgruppen,
die möglichst oft als Leihgaben in der Öffentlichkeit
zirkulieren sollen. Auf keinen Fall, so Lingl, dürfe „ein
Œuvre in der Versenkung verschwinden und sich die
Tore der Gruft schließen“. Im Zweifelsfall können das
auch die Depottüren eines Museums sein.
„Ein Künstler kann schnell in Vergessenheit
geraten, wenn sein Nachlass schlecht gemanagt wird“,
bestätigt Markus Eisenbeis, Geschäftsführer des Kölner
Auktionshauses Van Ham, und präzisiert: „Ein Œuvre
bleibt nur lebendig, wenn es am Markt präsent ist.“
Aus diesem Grund hat Eisenbeis Van Ham Art Estate
gegründet, zum Portfolio gehören derzeit Nachlässe
oder Teilnachlässe von Karl Hofer, Karl Fred Dahmen,
der Becher-Schülerin Tata Ronkholz und der wissenschaftliche Nachlass des Bildhauers Ernst Seger.
Eisenbeis kann von der fachgerechten Sichtung und
Einlagerung über die wissenschaftliche Bearbeitung bis
zur strategischen Platzierung am Markt ein attraktives
Gesamtpaket anbieten, wirbt jedoch für Geduld: „Wir
gehen in Vorleistung. Nachlassentwicklung macht viel
Arbeit und kostet erst einmal Geld. Erben sollten 10 bis
20 Jahre Zeit mitbringen.“
Das kommerzielle Modell – seit jeher von Kunsthändlern und Galeristen gepflegt – funktioniert
natürlich nur, wenn der Künstler einen Marktwert oder
zumindest Potential hat. Gute Kunst muss nicht
marktgängig sein. „Jenseits von Mainstream und von
Moden entstehen immer wieder existenziell bedeutende
Werke, die zeitweise gesehen und manchmal wieder
vergessen werden“, erklärte der Künstler Bogomir Ecker
bei der Eröffnung des Nachlassarchivs Brauweiler und
formulierte damit das Credo für alle vergleichbaren
Initiativen.
64
Das älteste Projekt dieser Art ist das Forum für Künstlernachlässe e.V. in Hamburg. 2003 gegründet, arbeitet
es noch immer als Verein. 160 Quadratmeter Lager­
fläche im Künstlerhaus Sootbörn müssen reichen für
die künstlerischen und dokumentarischen Nachlässe
von derzeit über 30 mit Hamburg verbundenen
Künstlern. Die „Warteliste“ ist zehnmal länger. „Es
sind Manpower und Fachkompetenz, die das Ganze
zusammenhalten“, sagt die Kunstwissenschaftlerin und
Vereinsvorsitzende Gora Jain über das 15- bis 20-köpfige „Kernexpertenteam“. Finanzielle Förderung hat man
auch von mehreren Hamburger Unternehmen und
Stiftungen eingeworben, doch ohne die Begeisterungsfähigkeit der Ehrenamtlichen hätte das Forum nie so
erfolgreich sein können.
Ein Sonderfall ist das Rheinische Archiv für
Künstlernachlässe in Bonn, da es ausschließlich Schriftnachlässe im Rheinland tätiger Künstler aufnimmt.
„Ich glaube, dass die künstlerischen Arbeiten immer in
irgendeiner Weise überleben“, erklärt der Kunsthistoriker Daniel Schütz den Ansatz der von einer Industriellenfamilie ins Leben gerufenen Stiftung bürgerlichen
Rechts. Schütz’ Sammelleidenschaft entspringt leidvoller Erfahrung, war doch der Schriftnachlass des Künstlers, über den er seine Magisterarbeit schreiben wollte,
kurz zuvor im Müll gelandet. Geschätzte 90 Prozent der
ihm angebotenen Nachlässe muss Schütz ablehnen,
auch wenn er die Infrastruktur des Bonner Stadtarchivs
mitnutzen kann. „Der Beratungsbedarf bei den Erben
nimmt immer mehr zu“, weiß Schütz, „wir bräuchten
eine Art Nachlass-Feuerwehr.“
Beratung wird auch beim jüngsten der Regionalprojekte groß geschrieben. „[Private] Künstlernachlässe
im Land Brandenburg“ nennt sich die Initiative, die
sich Ende Januar in Potsdam als Verein konstituiert hat.
Mit Hilfe zur Selbsthilfe ließe sich der Grundgedanke
umschreiben, der sich hinter dem Begriff „mobiler
Nachlass-Service“ verbirgt und Nachlasshalter dazu
befähigen soll, ihre Schätze in situ zu erhalten und
selbstständig mittels einer bereitgestellten Software zu
inventarisieren. Vorrangiges Ziel ist hier keine Archiv­
lösung, die aus Sicht der Brandenburger zwangsläufig
an Kapazitätsgrenzen stößt, sondern der Aufbau einer
regionalen, einfach zu handhabenden, technisch
kompatiblen Nachlass-Datenbank. Wobei das Web­
formular, wie Liane Burkhardt als Mitinitiatorin des
Projekts betont, natürlich auch für Vorlässe geeignet sei.
Der Ausspruch, man müsse sehr sorgsam sein bei
der Auswahl seiner zukünftigen Witwe, wird sowohl
dem Fotografen Heinz Hajek-Halke wie der BrechtWitwe Helene Weigel zugeschrieben. Liebe Künstler,
vielleicht nehmen Sie Ihren Nachlass am besten selbst
in die Hand!
Michael Zajonz ist Kunsthistoriker und Journalist
in Berlin.
NACHRICHTEN
UNBEDINGT!
ZUTRITT FÜR
ALLE ZU KUNST
UND KULTUR
Kinder zum Olymp! Kongress in Freiburg am
25. und 26. Juni 2015
Zweifellos bewegt sich vieles in der
kulturellen Bildung. Neben den zahl­
reichen Einzelprojekten, die landesweit
neu entwickelt wurden, lassen die gut
ausgestatteten Programme der großen
Akteure auf eine weitere positive Entwicklung hoffen.
Aber haben wir damit die Lösung
gefunden? Investieren wir richtig? Hat
jedes Kind, jeder Jugendliche zumindest
mittelfristig die Chance, Kunst und
Kultur kennenzulernen, zu erfahren und
aktiv auf Dauer in sein Leben einzubauen? Wie sehen die Zugänge, wie die
Hindernisse aus? Bestimmen nicht nach
wie vor Zufälle die kulturelle Bildungsbiografie von Kindern und Jugendlichen
stärker als die Strukturen, die eine Begegnung mit den Künsten ermöglichen
sollen? Wie können wir erreichen, dass
gleiche auch gerechte Chancen bedeuten?
Der siebte Kinder zum Olymp!Kongress, der am 25. und 26. Juni 2015
in Freiburg stattfindet, untersucht die
Zugangsmöglichkeiten zu Kunst und
Kultur für Kinder und Jugendliche. Mit
Vorträgen, Podien und einem künstle­
rischen Programm im Plenum sowie
parallelen, interaktiven Foren zu spezi­
fischen Aspekten des Feldes liefert der
Kongress Anregungen für die Praxis und
bietet darüber hinaus eine Plattform für
den Austausch der Akteure. Er wendet
sich an Vertreter aus Kultur und Verwaltung, Schule und Kindergarten, aber
auch an Eltern, Künstler, Vermittler und
Wissenschaftler.
Das Theater Freiburg als Hauptveranstaltungsort der Konferenz ist ein
inspirierender Kongressort, von dem
sich die Veranstalter wichtige Impulse
für die Tagung erhoffen. Durch das
besondere Engagement von Intendantin
Barbara Mundel steht seit Jahren die
Entwicklung eines aktiven und rezep­
tiven Angebots für Kinder und Jugend­
liche auf der Agenda und erfährt eine
engagierte Umsetzung. Ein konkretes
Beispiel ist für die Teilnehmer des Kongresses unmittelbar zu erleben: Die
Stadt-Oper „Die gute Stadt“ von Sinem
Altan und Tina Müller, die junge und
alte Freiburger Bürger gemeinsam mit
Profis auf der Bühne agieren lässt,
kommt im Rahmen des Kongresses zur
Aufführung.
Die Kulturstiftung der Länder
veranstaltet den Kongress gemeinsam
mit der Kulturstiftung des Bundes und
der Bundeszentrale für politische Bildung. Kooperationspartner sind das
Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg,
die Robert Bosch Stiftung und das
Bundesministerium für Bildung und
Forschung.
Anmeldungen und Informationen
zum Kongress ab 30. März 2015 unter
www.kinderzumolymp.de
Kulturgut
Künstlernachlässe
Tagungen in Potsdam
und Bonn
Mit einer bundesweiten Werkstatt-Tagung
im Potsdam Museum – Forum für Kunst
und Geschichte möchte die Initiative
„Private Künstlernachlässe im Land
Brandenburg“ am 24. und 25. April 2015
das komplexe Thema der Künstlernachlässe und ihrer langfristigen Sicherung ins
öffentliche Bewusstsein rücken. In vier
Podiumsdiskussionen wird mit Vertretern
aus der Kulturpolitik, mit Museumsfachleuten, Archivaren und Hochschuldozenten ein zukünftiger Umgang mit dem
kulturellen Erbe erörtert. Zum Austausch
unter allen Teilnehmern sollen Impulsreferate von Experten anregen. Die Tagung
findet in Kooperation mit dem Potsdamer
Kunstverein e.V. statt, der zeitgleich eine
Ausstellung aus dem zeichnerischen
Nachlass des Potsdamer Malers Hubert
Globisch (1914 –2004) zeigt.
Den Stellenwert von Künstlernachlässen
für die Forschung im europäischen Vergleich beleuchtet die Vortragsveranstaltung des Rheinischen Kunstarchivs für
Künstlernachlässe am 16. und 17. Oktober 2015 in der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland,
Bonn. Mit Fragen nach einer länderspezifischen Erinnerungskultur und der Wertschätzung von Künstlernachlässen angesichts verschiedener politischer Strukturen
im Vordergrund, versteht sich das Kolloquium als erster Versuch einer europäischen Bestandsaufnahme der Institutionen und der Methoden, die zur Bewahrung, Erschließung und Nutzbarmachung
von Nachlässen bildender Künstler beitragen. Eine weiterführende Vernetzung der
Institutionen untereinander im Sinne
einer grenzüberschreitenden Forschung
soll Ziel dieses Austausches sein.
Tagung des Vereins Private Künstlernachlässe im Land Brandenburg
Potsdam Museum – Forum für Kunst und
Geschichte, www.private-kuenstlernach­
laesse-brandenburg.de, 24./25. April 2015
Tagung des Rheinischen Kunstarchivs für
Künstlernachlässe: European Heritage.
Künstlernachlässe als Kulturgut
Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn,
www.rak-bonn.de, 16./17. Oktober 2015
ARSPROTOTO 1 2015
65
SCHÖN IM DEPOT
Was verbergen Sie eigentlich vor uns, Frau Titz?
Fische mit
Blue Jeans.
Oder ohne.
Einige unserer wertvollsten Werke sind beinahe immateriell, Zeichnungen, Schrift­
stücke, Zertifikate mit einigen Sätzen, die
eine Anweisung geben, Rechte artikulieren.
Es handelt sich um Dokumente der kulturund selbstkritischen Haltung von Künstlern
am Ende der Moderne: Sie sahen, dass bildende Kunst zu einem reinen Konsum- und
Wertobjekt zu werden drohte und setzten
ihre Energie dafür ein, die Kunst zu entmaterialisieren und deren Betrachter für ihre
Gegenwart und die gesamte existentielle
Realität des Menschlichen zu sensibilisieren.
Ich liebe die Zertifikate und Anweisungen von Sol LeWitt, Hanne Darboven,
Stanley Brouwn, Gerhard Richter und
66
vielen anderen, die meine Vorgänger erworben haben. Das Museum in Mönchengladbach hat ihre Gedanken ernst genommen und viele ‚Zettelwerke’ gekauft,
das gab es nur in wenigen Museen. Angesichts der heutigen Situation, in der die
bildende Kunst und die Museen tatsächlich
oft nur noch in Konsum- und Aktienwert
betrachtet werden, ist die Sammlung dieser
Blätter ein Aufruf zum Widerstand, den wir
hin und wieder aufführen können. So zum
Beispiel Lawrence Weiners Text von 1974,
als er den Mitgliedern des Museumsvereins
das Privateigentum ihrer Jahresgabe entziehen wollte: „Broken off is a public freehold work of Lawrence Weiner. [...] The
best translation for Public Freehold is:
Öffentliches Eigentum.“ Oder Walter De
Marias Zertifikat der High Energy Bars von
1966 (Sammlung Etzold), worin er den
Käufern darlegt, dass sie durch Zertifikat
(und De Marias Hinterlegung aller Namen
bei einer Schweizer Bank) immer eingetragene Besitzer bleiben, auch wenn sie
diese schönen Edelstahl-Energiebarren an
andere Sammler verkaufen wollen.
Susanne Titz, Direktorin des Museums
Abteiberg in Mönchengladbach, mit Walter
De Marias 1966 entstandenem „High Energy
Bar“ mit Zertifikat von 1968 im Depot des
Museums, fotografiert von Oliver Mark
100 Jahre Staunen
www.museum-wiesbaden.de
Der digitale
Kunstführer
für das
Ruhrgebiet
gefördert durch die
www.kunstgebiet.ruhr