Das Magazin der Kulturstiftung der Länder 1 2015 GERHARD ALTENBOURG IN BERLIN NORDRHEIN-WESTFALEN: DIE SAMMLUNG SUERMONDT IN AACHEN KÜNSTLER NACHLÄSSE MAX SLEVOGT UND MAX PECHSTEIN EDITORIAL Was bleibt? Isabel Pfeiffer-Poensgen, Generalsekretärin der Kulturstiftung der Länder Liebe Leserin, lieber Leser, Johann Heiss (M emm in gen 1 6 40 - 1 704 Aug s b urg ) A r te mis vo n E ph e s us a l s A l l e go r i e d e r Fr uc htb ar kei t Öl a u f Leinwan d, M a ß e : 1 2 5 x 9 2 c m G a l e r ie N e u s e Ku n s tha nde l G m b H , A c h i m N e u s e Volker Wurs ter Co ntre s c a rp e 1 4 , 28 2 0 3 B re m e n , Te l . : 04 2 1 3 2 56 4 2 , w w w. galerieneus e . co m was vom Leben bleibt, ist ein fundamentaler Gedanke der menschlichen Kultur. Und nicht nur was es ist, das bleibt, sondern immer auch: wo es bleibt. Die Künstler sind es oder deren Erben, die sich diesen Fragen zu stellen haben. Manuskripte und Bücher, Gemälde und Skulpturen brauchen Platz, Pflege, Aufarbeitung. Nicht jedem Künstler war der Weg in die Museen und großen Sammlungen zu Lebzeiten vergönnt, und den allermeisten wird er wohl verschlossen bleiben. Alles lässt sich nicht bewahren, doch Kunst vernichten weckt – ganz besonders in unserem Land – wenig gute Erinnerungen. Keine Generation sollte sich die Möglichkeiten für Entdeckungen nehmen lassen, denn ob ein Künstler Geschichte schreibt oder in Vergessenheit gerät, hängt von vielen Faktoren ab – nicht nur von der Qualität, deren Empfinden ohnehin dem Zeitgeschmack obliegt. Was also tun? Unser Autor Michael Zajonz sucht in diesem Heft nach Antworten. Nicht nur die Kunst indessen sucht nach Raum, auch der Raum sucht Kunst: Wie glücklich schätzen sich Museen und Archive, wenn sie das Schaffen eines großen Künstlers verbreitern und vertiefen können und wenn zu Bildwerken schlussendlich auch die Dokumente kommen, die ein Künstlerleben in der Rückschau abrunden. So manchen Nachlass konnte auch die Kulturstiftung der Länder in den letzten Jahren bewahren helfen. Große Namen sind darunter – wie Slevogt oder Pechstein, von denen wir Ihnen heute berichten möchten –, aber auch weniger bekannte oder fast vergessene, denken Sie nur an die wunderbaren Scherenschnitte von Lotte Reiniger im Tübinger Stadtmuseum oder den ARSPROTOTO 1 2015 grandiosen „Krabat“-Illustrator Herbert Holzing, dessen Nachlass nach Troisdorf in das Bilderbuchmuseum Burg Wissem gelangt ist. Was bleibt? Nicht nur Künstler haben sich diese Frage gestellt, sondern ganz besonders auch die Sammler. Und manche haben folgenreiche Antworten gegeben. Mit ihren Vermächtnissen wurden sie zu Gründern ganzer Weltmuseen, die für uns heute längst zu Pfeilern unserer kulturellen Identität geworden sind: Das Städel, die Ludwig-Museen, das Museum Folkwang in Essen, die Sammlung Schack in München, ja selbst die Berliner Nationalgalerie – sie, und viele Museen mehr, verdanken ihr Entstehen der Initiative von privaten Sammlern, die ein Zeichen setzen wollten und wollten, dass etwas von ihnen: bleibt. Solche Männer und Frauen möchten wir Ihnen in den kommenden 16 Ausgaben von Arsprototo vorstellen. Uta Baier, Autorin unserer nun abgeschlossenen Serie über Deutschlands Künstlerinnen und Künstler, beginnt die Reihe der Geschichten in Nordrhein-Westfalen. Pars pro toto für das Land, dem wir unser erstes Heft in diesem Jahr widmen möchten, erzählen wir vom Auf und Ab des großen Sammlers und Museumsstifters Barthold Suermondt. Ich wünsche Ihnen und Ihren Familien einen schönen Frühlingsanfang! Ihre Max Pechstein, Kopf eines Indios, Postkarte vom 28.2.1909; Kunstsammlungen Zwickau, Max-Pechstein-Museum 3 AUTOREN SIGRUN PAAS Sigrun Paas bereiste die halbe Welt, um Bilder ihrer Lieblingskünstler Goya und Manet zu sehen: Die Begeisterung für die beiden Maler teilt sie mit Max Slevogt, der der Kunsthistorikerin immer wieder bei ihren Forschungen begegnete – so beispielsweise als Mitarbeiter von Cassirers Zeitschrift „Kunst und Künstler“, über die Paas in Heidelberg promovierte. Doch nie hätte Paas damals gedacht, dass ihr berufliches Leben einmal so tief von der Auseinandersetzung mit dem Pfälzer Impressionisten Slevogt geprägt sein würde. Nach Stationen in Karlsruhe, Ludwigshafen, Hamburg und Darmstadt arbeitete Paas seit 1990 am Landesmuseum Mainz, ab 1995 übernahm sie zusätzlich die Leitung der Max Slevogt-Galerie in der Südpfalz. Hier veranstaltete sie mehr als 80 Ausstellungen zu Slevogt und seinem Umfeld. „Licht und Farbe in Slevogts Malerei stehen zeichnerischer Esprit, böser Witz und abgründige Düsternis in der Graphik gegenüber. Mich faszinieren solche Brüche“, sagt Sigrun Paas, der 2012 die Max-Slevogt-Medaille für ihre Verdienste um den berühmten Landessohn verliehen wurde. Seit 2006 war sie maßgeblich an der Erwerbung des Slevogt-Nachlasses durch das Land Rheinland-Pfalz beteiligt, die Preziosen des graphischen Bestands enthüllt Sigrun Paas nun in ihrem Artikel für Arsprototo. ––– Seite 20 ARMIN SCHLECHTER Armin Schlechter, im Landesbibliothekszen trum Speyer zuständig für Handschriften, Alte Drucke und Nachlässe, studierte in 4 IMPRESSUM Heidelberg Altgermanistik, Mittellatein und Geschichte. Seine wissenschaftlichen Schwerpunkte sind die Buch- und Bibliotheks geschichte, die südwestdeutsche Landesgeschichte sowie die Heidelberger Romantik. Im Zusammenhang mit der Beschäftigung mit frühen Drucken entdeckte Schlechter 2004 eine kunsthistorische Sensation, die früheste Notiz zu Leonardo da Vincis „Mona Lisa“. Für Arsprototo beschreibt er den für die Pfälzische Landesbibliothek erworbenen schriftlichen Nachlass des impressionistischen Malers und Graphikers Max Slevogt. Schlechter fasziniert dabei besonders, aus vielen Perspektiven detaillierte Einblicke in die Biographie einer Person zu gewinnen, dabei gleichzeitig aber auch den Nachlass als Spiegel der Zeitgeschichte zu erleben. ––– Seite 27 Arsprototo Das Magazin der Kulturstiftung der Länder Lützowplatz 9, 10785 Berlin Telefon 030 - 89 36 35-0 Redaktion 030 - 89 36 35-27 Fax 030 - 8914251 E-Mail [email protected] Internet www.kulturstiftung.de Herausgeberin Isabel Pfeiffer-Poensgen, Generalsekretärin der Kulturstiftung der Länder Projektleitung Dr. Stephanie Tasch Chefredakteurin Carolin Hilker-Möll Geschäftsführender Redakteur Johannes Fellmann Redaktionelle Mitarbeit Jenny Berg, Matthias Müller, Laura Hoßfeld Senior Editor Dieter E. Beuermann Consulting Editor Dr. Philipp Demandt Konzeption und Gestaltung Stan Hema mit Vladimir Llovet Casademont, www.stanhema.com Vertriebsleitung, Abonnement, Internet Johannes Fellmann Anzeigen Jenny Berg, Telefon 030 - 89 36 35-21 INHALT 3 EDITORIAL TITELTHEMA KÜNSTLERNACHLÄSSE 4 AUTOREN / IMPRESSUM 8 IE LABUNG D von Hans von Marées 20 12 SALONFLÜGEL VON PETER BEHRENS Abonnements Arsprototo – Abonnementservice, Bessemerstraße 51, 12103 Berlin E-Mail [email protected] Telefon 030 - 89 36 35-29––Fax 030 - 26 55 56‑71 Jahresabonnement: 20 Euro Erscheinungsweise Viermal jährlich Erscheinungstermin dieser Ausgabe: 3.3.2015 Gedruckte Auflage dieser Ausgabe: 14.700 AYA SOIKA Aya Soika hat als Autorin des Max PechsteinWerkverzeichnisses und einer Biographie des Malers eng mit dem Nachlass des Künstlers zusammengearbeitet. Die Kunsthistorikerin lehrt am Bard College Berlin und forscht im Bereich des deutschen Expressionismus. Dass Max Pechsteins Briefe an den Studienfreund Alexander Gerbig, die Soika vor zehn Jahren bei ihren Forschungen noch in einer Privatsammlung studierte, nun für die Kunstsammlungen Zwickau – und das neu gegründete Max-Pechstein-Museum – erworben werden konnten, freut sie besonders. Für Arsprototo wirft Soika erneut einen Blick auf den spannenden Briefwechsel Pechsteins mit seinem ältesten und besten Freund Gerbig – 119 Briefe und Karten Pechsteins aus dem Zeitraum zwischen 1901 und 1942 kommen nach Zwickau und vervollständigen die dort bereits vorliegende Korrespondenz. ––– Seite 30 Titelbild: Max Slevogt, Selbstbildnis en face, 1889, 15,2 × 13,1 cm; Landesmuseum Mainz Nachdruck von Bildern und Artikeln, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung der Redaktion. Litho Mega-Satz-Service, Berlin Herstellung Buch- und Offsetdruckerei H. Heenemann GmbH & Co., Berlin Vertrieb OML KG , Berlin ISSN 1860 - 3327 Arsprototo erscheint mit Unterstützung des Freundeskreises der Kulturstiftung der Länder. Kulturstiftung der Länder Stiftung bürgerlichen Rechts Lützowplatz 9, 10785 Berlin Telefon 030 - 89 36 35-0 Fax 030 - 89 14 251 E-Mail [email protected] Internet www.kulturstiftung.de Generalsekretärin Isabel Pfeiffer-Poensgen Stellv. Generalsekretär Prof. Dr. Frank Druffner Dezernenten Dr. Britta Kaiser-Schuster; Dr. Stephanie Tasch Leiterin der Verwaltung Erika Lancelle Finanzbuchhalterin Angela Neumann-Bauermeister Sekretariat Gabriele Lorenz, Monika Michalak Assistentin des Vorstands Jenny Berg MALER DES LICHTES Max Slevogts künstlerischer Nachlass ist nun vollständig in Rheinland-Pfalz vereint — von Sigrun Paas „IN DER MALEREI SIND SIE NOCH NICHT GANZ SO WEIT“ 27 14 ÜNZHUMPEN M von Friedrich Engau 15HANDSCHRIFTEN der Sekundogenitur-Bibliothek Wettin 16 DAGUERREOTYPIE von Bertha Beckmann Max Slevogt und sein schriftlicher Nachlass — von Armin Schlechter 30 „MIT HERZLICHSTEM GRUSS DEIN MAX“ Den Kunstsammlungen Zwickau gelingt der Ankauf von Briefen und Postkarten Max Pechsteins — von Aya Soika Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern e.V. ARSPROTOTO 1 2015 5 INHALT 34 PAPIER BRAUCHT STÄRKE LÄNDERPORTRÄT NORDRHEIN-WESTFALEN Im Papiermuseum Düren soll eine Skulptur von Bernard Schultze restauriert werden 52 MEISTENS MEISTERWERKE GELEHRTER MALER — GELEHRTES PUBLIKUM 36 Das Stadtmuseum Memmingen erwirbt den Gemäldezyklus der „Vier Elemente“ von Johann Heiss — von Stephanie Tasch 41 KUNSTVOLL FÖRDERT KULTURELLE BILDUNG IN FRANKFURT RHEINMAIN DAS GEZEICHNETE ICH Kulturelle Bildung für alle! Es gibt viele Wege zu diesem Ziel. Für den Kulturfonds Frankfurt RheinMain führt der wichtigste über die Schule. Daher bringt der Kulturfonds mit seinem Jugendprogramm KUNSTVOLL seit dem Schuljahr 2013/2014 die Kunst buchstäblich in die Schule. In enger gemeinsamer Arbeit gestalten Schüler und Künstler aus Frankfurt RheinMain über Monate ein Projekt und präsentieren es der Öffentlichkeit. Auf diese Weise leistet der Kulturfonds seinen Beitrag, an den Schulen der Region Zugänge zu herausragender kultureller Bildung zu schaffen. Das Kupferstichkabinett Berlin erwirbt 100 Aquarelle, Zeichnungen und Graphiken von Gerhard Altenbourg — von Anita Beloubek-Hammer 46 VERWANDELTE VERWANDLUNG In der Forschungsbibliothek Gotha konnten Ovids „Metamorphosen“ restauriert werden — von Frank Druffner 48 NEUE BÜCHER 49 SIGMAR POLKE: ALIBIS Eine Ausstellung im Kölner Museum Ludwig würdigt den 2010 verstorbenen Künstler 50 SPENDEN UND ABONNIEREN 51 FÖRDERER / BILDNACHWEIS 6 Die Sammlung Suermondt im Aachener Suermondt-Ludwig-Museum — von Uta Baier 58 KUNST UND KULTUR IN DEN LÄNDERN 62 IE KUNST BLEIBT — D ABER WO? Künstlernachlässe als Herausforderung — von Michael Zajonz 65 NACHRICHTEN 66 S CHÖN IM DEPOT Susanne Titz über Walter De Marias „High Energy Bar“ im Mönchengladbacher Museum Abteiberg BEWERBUNGSSCHLUSS FÜR DAS SCHULJAHR 2015/2016 IST DER 13. MAI 2015 INFORMATION, BERATUNG UND BEWERBUNGSADRESSE Gemeinnützige Kulturfonds Frankfurt RheinMain GmbH z. H. Claudia Oberschäfer Ludwig-Erhard-Anlage 1–5 · 61352 Bad Homburg v. d. Höhe Tel 06172.999.4695 · [email protected] www.kulturfonds-frm.de/kunstvoll In einem Europa der Regionen wollen wir die starke Position von Frankfurt RheinMain festigen und weithin sichtbar machen. Mit diesem Ziel führen wir die kulturellen Aktivitäten unserer Region enger zusammen und fördern neue Kulturprojekte mit nationaler und internationaler Ausstrahlung. Getragen wird der gemeinnützige Fonds vom Land Hessen, von Frankfurt am Main, dem Hochtaunuskreis und dem Main-Taunus-Kreis, Darmstadt, Wiesbaden und Hanau. www.kulturfonds-frm.de | Facebook | Twitter ERWERBUNGEN KEHRSEITE Was die Provenienzforschung mit dem nüchternen Begriff „Rückseitenuntersuchung“ bezeichnet, ist Stoff für Biographen und Romanciers, nicht nur für Kunsthistoriker: Jedes Bild erzählt eine Geschichte, und die Geschichte seines Weges durch die Zeit erzählen scheinbar banale Etiketten, Zahlen und Stempel. Betrachtet man die Spuren auf Leinwand und Rahmen genau, so berichten sie hier von einer Ausstellung in München 1908/09 (110a), zu der das Gemälde aus Rom reiste, wo sein Schöpfer 1887 verstorben war (Zollstempel „Dogana di Roma, 7 DIC 08“). Als es 1925 erstmals in Berlin bei Paul Cassirer versteigert wird, hinterlässt dieser Eigentümerwechsel ebenso eine Spur (104) wie eine zweite Auktion am 23. März 1935 (9), jetzt bei Paul Graupe in Berlin. In dieser Versteigerung muss sich der ursprünglich aus Neuruppin stammende Breslauer Industrielle Max Silberberg, als Jude verfolgt, von seiner bedeutenden Kunstsammlung trennen. Das Gemälde wird einem Berliner Kommissionär zugeschlagen, 1942 werden Silberberg und seine Frau Johanna deportiert und – vermutlich in Theresienstadt – ermordet. 70 Jahre später stoßen die Provenienzforscher des Museums Wiesbaden, in dessen Bestand das Bild 1980 als Stiftung gelangt war, auf die Spur des ehemaligen Eigentümers. Eine bisher einmalige Spendenaktion unter dem Titel „Wiesbaden schafft die Wende“ lenkt die Aufmerksamkeit der Wiesbadener (und vieler an derer!) Bürger auf eine bisher nicht erzählte Geschichte aus der eigenen Sammlung, denn fast zwei Monate ließ sich im Museum nur die Rückseite des Werkes studieren. Der gemeinsame Einsatz – unterstützt u. a. durch die Förderung der Kulturstiftung der Länder und den Freundeskreis des Museums – glückte, und auf die Restitution des Bildes folgte die erhoffte Wende: Die Erben nach Max Silberberg stimmten dem Rück-Kauf durch Wiesbaden zu. Das Gemälde verbleibt im Museum und erinnert an ein Stück deutsch-jüdischer Sammlungsgeschichte. Hans von Marées, Die Labung, 1880, 64 × 85 cm (Gemälderückseite); Museum Wiesbaden 8 9 ERWERBUNGEN SCHAUSEITE Seit der erfolgreichen Wende im Wiesbadener Museum präsentiert sich Hans von Marées’ delikat koloriertes Gemälde „Die Labung“ wieder von seiner besten Seite: Im Eindruck dunkler Farbigkeit zeigt das Spätwerk des Malers eine arkadische Landschaft mit mythologischem Personal – eine freie Adaption der Begrüßung des schiffbrüchigen Odysseus durch die Königstochter Nausikaa, gefasst als überzeitlich-idealistisches Sinnbild menschlichen Verhaltens. Der italienaffine Deutschrömer Hans von Marées (1837–1887) bemalte die 64 × 85 cm große Pappelholztafel um 1880 „im Atelier des Malers Viktor zur Helle sehr schnell zu Demonstra tionszwecken“, wie Julius Meier-Graefe in seiner 1909 erschienenen Marées-Monografie leicht abschätzig zur „Labung“ schreibt. Heute entpuppt sich die allzu rasche Realisierung des Bildes allerdings als wahrer Glücksfall für seinen visuellen Reiz. Denn im Streben nach koloristischer Perfektion experimentierte der Künstler – ohne hinreichende Chemiekenntnisse – mit Bitumen als Malmittel, lasierte einzelne Partien seiner Werke mit zahllosen Schichten wechselnder Öl- und Temperafarbe. Während viele Gemälde Hans von Marées’ aufgrund dieser Technik extrem nachdunkelten und als trübe Ruinen kaum noch ihre einstige Farbpracht versprühen, brilliert das Wiesbadener Gemälde mit leuchtender Intensität. Als Werk einer Zeit des künstlerischen Aufbruchs schlägt die „Labung“ als Scharnier in der Sammlung des Museums eine malerisch glänzende Brücke von den traditionellen Bildauffassungen des 19. Jahrhunderts zur Moderne, auf deren namhafte Vertreter Franz Marc, Paul Klee und Karl Hofer Hans von Marées wirkte. Hans von Marées, Die Labung, 1880, 64 × 85 cm; Museum Wiesbaden 10 11 ERWERBUNGEN Flügelkunst Als „Meisterwerk moderner Technik und hoher Kunst“ feierte die zeitgenössische Presse den Salon flügel, den Peter Behrens 1900 eigens für das Musikzimmer seines neu erbauten Hauses auf der Mathildenhöhe in Darmstadt entwarf. Haus Behrens ist das Debüt des Malers als Architekt: Während alle Wohnund Nutzgebäude der 1899 durch Großherzog Ernst Ludwig von Hessen initiierten Künstlerkolonie vom Architekten Joseph Maria Olbricht konzipiert wurden, traute einzig Peter Behrens (1868 –1940) sich zu, sein Wohnhaus selbst zu planen, einschließlich der Inneneinrichtung sowie aller Ausstattungsgegenstände. Das Musikzimmer war der Höhepunkt von Haus Behrens. Hier bildete der Salonflügel mit Sesseln, Tischchen und Behrens’ Gemälde „Der Traum“ ein raumkünst lerisches Ensemble, in dem alle Objekte eine gemeinsame Bildsprache einte. Rhomben und Rauten, Rechtecke und Quadrate – geometrische Formen dominierten den Raum. Der Salonflügel beeindruckt auf dem geschweiften Hauptdeckel zudem mit einer stilisierten Adlerschwinge, das Strahlenmotiv findet sich als Sonne auf Deckelinnerem und Notenständer wieder. Die konstruierten und organischen Motive symbolisieren die kristallinen Formen des Denkens und den freien Flug der Gedanken, die der Jugendstilbewegung zu Grunde liegen. Die Sinnbilder Diamant, Adler und Sonne zitieren dabei Friedrich Nietzsches Werk „Also sprach Zarathustra“. In sich schon ein Prachtstück, war der Flügel so Teil eines einmaligen Gesamtkunstwerks. Ein Sessel aus dem Musikzimmer befindet sich bereits im Museum für Angewandte Kunst Köln. Dort kann nun das formale wie geistige Zusammenspiel von Instrument und Sitzmöbel wieder dauerhaft erklingen. Peter Behrens, Salonflügel, 1900/01, 190 ×152 × 99 cm; Museum für Angewandte Kunst Köln Historische Aufnahme des Musikzimmers im Haus Behrens, 1901 12 13 IN ZWEITER LINIE ERWERBUNGEN Maß für Maß Eine gleich doppelte Seltenheit ist im Erfurter Angermuseum zu bewundern: Bereits im Dreißigjährigen Krieg ging das Erfurter Ratssilber fast vollständig verloren, und die von Napoleon geforderten Tributzahlungen der besetzten Stadt taten ein Übriges, den Bestand an profaner Gold- und Silberschmiedekunst in Erfurt durch Einschmelzung zu dezimieren. So ist der mit 32 Münzen geschmückte, teilvergoldete und mit reichen getriebenen und gravierten Dekorformen ver sehene Silberhumpen bereits an sich ein Rarissimum. Als der Münzhumpen in einer Londoner Auktion anonym angeboten wurde, erkannte man im Anger14 museum sofort, mit welchem Schatz man es zu tun hatte – die Initialen der Meistermarke führten zu dem Erfurter Meister Friedrich Engau (Meister 1647, erwähnt bis 1662), von dem bisher weder die Marke noch ein erhaltenes Werk bekannt waren. Eine der Münzen auf der Außenwand des Humpens lieferte einen weiteren Hinweis zur Datierung, die sich nun auf sieben Jahre genau – zwischen 1655 und 1662 – eingrenzen lässt. Mit Unterstützung der Kulturstiftung der Länder angekauft, veranschaulicht der Münzhumpen das hohe Niveau der Erfurter Gold- und Silberschmiedekunst des 17. Jahrhunderts. Neben der königlichen Hofbibliothek existierte in Dresden noch ein weiterer Bücher- und Handschriftenschatz, gegründet 1767 von der kunstsinnigen Kurfürstin Maria Antonia (1724 –1780): In der prinzlichen Sekundogenitur-Bibliothek pflegte man die Sammlungen der Zweitgeborenen des Hauses Wettin. Im Zuge der gütlichen Einigung zwischen dem Freistaat Sachsen und dem Haus Wettin (Albertinische Linie) gelang es, mit Hilfe der Kulturstiftung der Länder ein geschlossenes Konvolut von 257 Handschriften in 388 Bänden für die Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden (SLUB) zu erwerben. Die Gründerin Maria Antonia ist in dem Ankauf genauso mit Handschriften vertreten wie ihr Enkel König Johann I. (1801–1873), der neben seinem Hauptberuf als Landesfürst unter dem Pseudonym „Philalethes“ („Freund der Wahrheit“) einer Beschäftigung als bis heute anerkannter Dante-Übersetzer nachging. Ein 29-bändiges, reich ausgestattetes Wappenbuch (1771–1887) kündet von der Bedeutung von Adels geschlechtern wie der Schnorr von Carolsfeld, der Familie des Malers, während eine Vielfalt von Dokumenten Einblick in die Dresdner Hof kultur des 18. und 19. Jahrhunderts bietet. Neben den Überlieferungen zu Militär, Religion und Hofleben sind die Reisetagebücher verschiedener Familienmitglieder von großem wissenschaftlichen Interesse, denn Aufzeichnungen von Reiseeindrücken sind in Deutschland häufig aus bürgerlichen oder adligen Kreisen überliefert, von Mitgliedern eines regierenden Königshauses sind sie eine Rarität. Handschriften der SekundogeniturBibliothek: Titelblatt aus Dante (Alighieri) „La Visione / Poema“, 1629; Titelblatt aus Louis de Silvestre „Observation sur le merite des ouvrages des peintres sculpteurs et graveurs …“, um 1750; Blatt 53 (Schnorr von Carolsfeld) aus J.B. Henze „Sammlung Gräflicher, Freyherrlicher und Adelicher Wappen“, 1887; Blatt 54 aus Carl Gottfried Maximilian Zschaschler „Bas Officier des Ingenieurs: 58 militärische Zeichnungen und Profile, Angriff und Verteidigung ...“ Sammelband, um 1794. Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden ARSPROTOTO 1 2015 15 ERWERBUNGEN Jan Brueghel d. J. · Paradieslandschaft mit dem Sündenfall (Detail) · Um 1630 · Öl auf Holz · 66 x 105 cm AN IMPORTANT OLD MASTER COLLECTION FROM BERLIN'S GOLDEN T WENTIES THE ROHDE-HINZE COLLECTION FOTO-FIEBER Es schickte sich noch nicht für Damen, allein zu reisen, als Bertha Beckmann mutig neue Wege beschritt. Vom Foto-Fieber gepackt – und entgegen aller gesellschaft lichen Konventionen – gab sie ihren einträglichen Beruf als Haarklöpplerin auf, um beim Prager Porträtisten Wilhelm Horn die Kunst der Daguerreotypie zu erlernen. Das war 1842: Frauen hatten weder das Recht auf Bildung noch auf eine selbstständige Erwerbstätigkeit, und das nach seinem Erfinder Louis Daguerre benannte Verfahren, mittels hochgiftiger Quecksilberdämpfe flüchtige Momente dauerhaft auf silberbeschichtetes Kupfer zu bannen, war gerade einmal drei Jahre jung. Mit der technischen Revolution im Gepäck zog Bertha Beckmann (1815 –1901) fortan als Wanderfoto16 grafin umher. In Zeitungen annoncierte die junge Frau ihre Dienste, wobei sie ihr Geschlecht zunächst verheimlichte. Nach Cottbus, Dresden und Leipzig machte sie auch Station im thüringischen Ronneburg. Das dort im Sommer 1843 entstandene Bildnis des Stadtschultheißen Otto Weise überzeugt durch würdige Inszenierung und sorgsames Arrangement. Zudem besticht die Fotografie auf rundem Kupferblech durch eine feine Nuancierung der Graustufen und eine für die Geburtsstunde des Mediums sensationelle Schärfe. Jüngst konnte das Stadtgeschichtliche Museum Leipzig mit dem empfindlichen Schmuckstück die vermutlich früheste erhaltene Aufnahme der ersten Berufsfotografin Europas erwerben. Das Kleinod ergänzt dort den Schatz von über 3.000 Daguerreotypien, Kalotypien, Stereoskopien und Glasnegativen, die Bertha Beckmanns Leben für die Fotografie dokumentieren: Nach der Heirat mit ihrem Kollegen Eduard Wehnert und frühem Witwentum wagte sie 1849 den Sprung nach New York, wo sie in ihrem angesehenen Studio am Broadway sogar den 13. Präsidenten der USA, Millard Fillmore, ablichtete. Ab 1851 wieder in Leipzig ansässig, unterhielt Bertha Wehnert-Beckmann ein florierendes Fotoatelier, mit dem sie sich souverän gegen die starke Konkurrenz in einem männlich geprägten Gewerbe behauptete. Das Stadtgeschichtliche Museum Leipzig ehrt die fast in Vergessenheit geratene Fotopionierin noch bis zum 26. April mit einem Panorama ihrer Lichtbilder. Bertha Beckmann, Porträt des Otto Weise, Daguerreotypie, 1843, Durchmesser 9,5 cm, mit zeitgenössischem Rahmen 16,5 ×15 cm (hier in Originalgröße abgebildet); Stadtgeschichtliches Museum Leipzig Auktion in Berlin · 3. Juli 2015 · Katalogbestellung: [email protected] Sigrun Paas über Max Slevogts künstlerischen Nachlass in der Max Slevogt-Galerie in Edenkoben — Seite 20 Armin Schlechter über Max Slevogts schriftlichen Nachlass in der Landesbibliothek in Speyer — Seite 27 Aya Soika über Briefe und Post karten Max Pechsteins für die Kunstsammlungen Zwickau — Seite 30 TITELTHEMA KÜNSTLERNACHLÄSSE VERSAMMELTES SCHAFFEN Max Slevogt, Schumann-Sonate, 1886, 21 × 33,1 cm; Landesmuseum Mainz 18 ARSPROTOTO 1 2015 19 TITELTHEMA KÜNSTLERNACHLÄSSE MALER DES LICHTES — KÖNIG DER ILLUSTRATION Max Slevogts künstlerischer Nachlass ist endlich vollständig in Rheinland-Pfalz vereint von Sigrun Paas N ach lange sich hinziehenden Verhandlungen konnte Rheinland-Pfalz im Jahr 2014 endlich den letzten Teil des künstlerischen Nachlasses von Max Slevogt ankaufen, der noch im Besitz seiner Erben war. Diesen wichtigen Komplex an Kunstwerken konnte man mit finanzieller Unterstützung u. a. der Kulturstiftung der Länder und der Stiftung RheinlandPfalz für Kultur für die Öffentlichkeit und Forschung sichern. Bereits 1971 hatte das Land einen großen Teil des Slevogt-Nachlasses von Nina Lehmann, der Tochter und Erbin von Max Slevogt, erworben. Der größte Teil dieser Kunstwerke, über 120 Gemälde, kam ab 1980 in der dafür gegründeten Max Slevogt-Galerie auf Schloss Villa Ludwigshöhe in Edenkoben in der Südpfalz zur dauernden Ausstellung. Soweit der Erwerb damals Mobiliar und Bücher betraf, verblieben diese in den von Slevogt auf seinem Landsitz in Neukastel bei Leinsweiler bewohnten Räumen, die in Führungen der Öffentlichkeit zugänglich waren und es auch heute sind. Die Pfälzer zählen Slevogt zu den Ihren, auch wenn er in Bayern geboren wurde, denn Pfalz und Bayern gehörten damals politisch zusammen. Außerdem hatte er dort in seiner Kindheit viele Ferien bei Verwandten verlebt, und er verheiratete sich auch dort. In Berlin zu Ruhm und Ehre gelangt, verbrachte er die Sommerzeit fast immer in Godramstein bei Landau und später auf seinem Landgut Neukastel bei Leinsweiler, wo er 1932 auch gestorben ist. Seine Landschaftsbilder hat er nahezu alle während seiner Aufenthalte in der Pfalz gemalt. Er hat, wie die französischen Impressionisten einst die Seine-Landschaft, die Pfalz zur „Weltlandschaft“ erhoben. Seinen impressionistischen Malstil schärfte er in der Auseinandersetzung mit dem Licht im besonderen Klima dieser Region. Die Landschaft, geprägt von Weinbergen, Kiefern und Esskastanien auf trockenem Sandboden, betrachtete er am liebsten aus der Höhe mit dem Blick über die weite Rheinebene. Das gelang ihm von seinem Anwesen aus, dem heute als „Slevogthof“ bekannten Wohnsitz, den er von der 20 Familie seiner Frau 1914 erworben und nach und nach umgebaut hatte, um ihn den Erfordernissen eines Künstlerdomizils anzupassen: Ab 1922 ließ er einen Anbau errichten, der zunächst seinen Konzertflügel in einem Musiksaal aufnahm, dann, etwas später, seine Bibliothek. Die Wände und Decken der beiden Räume versah er 1924 und 1929 mit Malereien, in welchen er den von ihm am meisten verehrten Komponisten und Dichtern und ihren Werken ein Denkmal schuf. Slevogt, der selbst ausgezeichnet Klavier spielte, bemalte seinen Musiksalon mit Szenen aus Mozarts „Zauberflöte“ und „Don Giovanni“ sowie Wagners „Ring des Nibelungen“, an der Decke seiner Bibliothek huldigte er Homers „Ilias“, Shakespeares „Macbeth“ sowie Coopers „Lederstrumpf“ und den Erzählungen aus „1001 Nacht“. Dass der am 8. Oktober 1868 morgens um halb acht in einer Mietwohnung in der dritten Etage des Landshuter Postamtes geborene Max einst ein begna deter Zeichner und Maler lichtvoller Landschaften werden würde, ahnte damals sicher keiner: nicht der Vater, Friedrich Ritter von Slevogt, ein schneidiger Max Slevogt, Studie einer Schleiertänzerin (Loïe Fuller), um 1895, 10,5 × 16,5 cm (Ausschnitt); Landesmuseum Mainz Max Slevogt, Selbstbildnis mit Hut, 1887, 46,5 × 40,2 cm; Landesmuseum Mainz ARSPROTOTO 1 2015 21 Militär fränkischer Abstammung, in der bayrischen Armee berühmt für seine Schwimmrekorde im Bodensee. Nicht die Mutter, Caroline von Slevogt, geborene Lucas, eine musikliebende, sensible Unternehmers tochter aus der Nähe von Saarbrücken. Doch bereits in seinem vierten Lebensjahr war klar, dass Max Slevogts Hände und Finger außergewöhnlich talentiert waren für Bildnerisches. Die Mutter ließ seine Begabung durch privaten Zeichenunterricht fördern. Slevogt wurde von Ludwig Prechtlein, einem Studienfreund Moritz von Schwinds, unterrichtet. Er musste Themen aus Sagen, Mythologie und Dichtung zeichnen, aber auch Kopien nach Raffael oder eben Moritz von Schwind. Prechtlein achtete sehr auf Genauigkeit. Hier fand Slevogt die strenge Schule, die seine Zeichnungen später so sicher und locker machten. Einige dieser frühen Übungen haben sich im nun erworbenen Nachlass erhalten. Slevogts Vater war bereits 1870 an den Folgen einer Verwundung aus dem Deutsch-Französischen Krieg gestorben, seine Mutter blieb als Witwe alleinerziehend. Mit ihren beiden Söhnen Marquard und Max zog sie nach Würzburg. Hier wurde Max das Schülerleben so vergällt, dass er froh war, mit 16 Jahren nach München an die Kunstakademie zu entkommen. Slevogt studierte ab 1884 an der Münchener Akademie, die damals noch vor der „Düsseldorfer Schule“ rangierte. Er war in den Klassen von Johann Herterich und Wilhelm von Diez, Gabriel von Hackl und Karl Raupp. Er wandte sich jedoch bald ab von der dort gepflegten akademischen Tradition und suchte eigene, „moderne“ Wege, die zunächst an den Münchener Größen Gabriel von Max, sogar Franz von Stuck, dann aber eher an Wilhelm Leibl und den Malern von Barbizon orientiert waren. Heute faszinieren die Arbeiten aus jener Entwicklungsphase, die Slevogt später stets verbarg, weil sie von der aufkommenden Dominanz der impressionistischen Malerei, zu der Slevogt sich später bekennen sollte, noch nichts ahnen lassen. So schrieb Slevogt z. B. seinem Freund Johannes Guthmann, als dieser wegen seiner Monographie über Slevogt sich für dessen frühe Zeichnungen interessierte: „Dass Sie die Jugendzeichnungen nicht entdecken konnten, begreife ich. Ich bitte Sie, sich nicht darauf zu verbeißen.[...] Da die große Menge davon [...] mehr den Durchgangsweg aller Max Slevogts rotes Klebealbum, um 1890; Landesmuseum Mainz 22 Der Nachlass, der seit Slevogts Tod 1932 von seinen beiden Kindern in zwei Räumen des Slevogthofes gesammelt und untergebracht worden war, umfasst zwei Bereiche: erstens rund 2.000 Zeichnungen und Aquarelle, die er Zeit seines Lebens wohl absichtlich nicht verkaufte. Die Blätter reichen von frühen Kinderzeichnungen über das besagte rote Klebealbum mit über 300 Arbeiten aus seiner Zeit als Heranwachsender und junger Schüler der Münchener Akademie bis zu Por trät- und Aktstudien aus seiner akademischen Lehrzeit; sie reichen von Selbstbildnissen des jungen Künstlers, der sich von der Akademie gelöst hatte und die eigene Genialität befragte, zu Bildnissen seiner Familienangehörigen und Freunde, von phantastischen Entwürfen blutiger Ereignisse zu Vorzeichnungen und Detail studien ausgeführter Gemälde und endlich zu Skizzen des fertigen „Meisters“, der in Berlin immer mehr zum angesehenen und gesuchten Maler wurde. In Skizzenbüchern und Kladden notierte Slevogt unbekümmert hintereinander Gesichter, Bewegungsabläufe von Tieren oder spontane Ideen zu Bildkompositionen, er benutzte zum Festhalten seiner Einfälle eigentlich jedes gerade greifbare Papier, Telegramme, Briefumschläge, Konzertprogramme oder Theaterkarten. Es befinden sich im erworbenen Nachlass sowohl bereits bekannte und mehrfach publizierte Zeichnungen, wie die 1914 bei seiner Ägyptenreise entstandenen Bleistift- und Kreidezeichnungen, aber auch unbekannte Szenen von seinem Max Slevogt, Gekreuzigter, 1886, 27,2 × 15 cm; Landesmuseum Mainz erdenkbaren Beeinflussung darstellt – kann es sich nur um einige wenige Eigenproben handeln, bevor ich durch die Akademie und Münchens Kunstleben verdorben wurde und in diese Redseligkeit mit entlehnten Redensarten verfiel.“ Vermutlich ist unter deutschen Künstlernachlässen das „rote Klebealbum“ mit Slevogts Jugendzeichnungen ein Solitär und ein einzigartiges Dokument. Es ist für die Forschung zum späten 19. Jahrhundert und zum Historismus eine wahre Fundgrube. Nach Slevogts Studium der Malerei in München zog er 1901 nach Berlin. Die im Kunsthandel und in der Berliner Sezession tätigen Cousins Bruno und Paul Cassirer hatten dem vielversprechenden Münchener Talent Slevogt einen lukrativen Vertretungsvertrag angeboten, der Slevogt absicherte und den er bis zu seinem Tode einhielt. In der Folge sollte er fast all seine Gemälde über die Galerie Paul Cassirer verkaufen lassen, seine Buch-Illustrationen an den Verlag Bruno Cassirer binden. Sie waren die Garanten für seine Karriere, bald sollte er in Berlin in einem Atemzug mit Max Liebermann und Lovis Corinth genannt werden. Die Berliner Kunstkritiker kürten diese drei Künstler sogar zum „Triumvirat des deutschen Impressionismus“. Max Slevogt, Vorzeichnung zum Blatt „Der Verantwortliche“ aus der graphischen Serie „Gesichte“, 1917, 16 × 10 cm; Landesmuseum Mainz 23 Max Slevogt, Ringerschule, 1893, 137 × 140 cm; Max SlevogtGalerie, Schloss Villa Ludwigshöhe Frontaufenthalt im Ersten Weltkrieg oder Vorzeichnungen zu seiner 1917 geschaffenen, düsteren politischen graphischen Serie „Gesichte“. Die Fülle seiner nach gelassenen Zeichnungen reicht von knappen ersten, schnell hingeworfenen Ideen bis hin zu den ausgefeilten Entwürfen und ihren quadrierten Eins-zu-eins-Um setzungen für sein letztes großes Wandgemälde, das „Golgatha-Fresko“ der Friedenskirche in Ludwigshafen, so dass sich im Material allein die Ausbildung und Entwicklung dieses Künstlers und sein Weg vom 19. ins 20. Jahrhundert verfolgen und belegen lässt, so beispielhaft wie sonst wohl kaum noch bei einem anderen Künstler. Dieser bisher überwiegend unveröffentlichte Teil des Nachlasses wird der kunstwissenschaftlichen Forschung zukünftig einiges an Stoff bieten. Dass die meisten dieser Arbeiten bisher im Dunkel geblieben sind, liegt möglicherweise an der Einschätzung Slevogts selbst, der aus der späteren Sicht des überzeugten Impressionisten heraus die Werke seiner Jugendjahre für unergiebig ansah und sie deshalb zurückhielt. Hier äußert sich eine Ausrichtung am Zeit geschmack der „Moderne“, die im Nachhinein alles Historistische und Romantisch-Symbolistische ablehnte, getreu der Maxime der Impressionisten und der Moderne überhaupt, das „être de son temps“ zu pflegen – sich dem ausschließlichen Malen von zeitgenössischen Themen zu widmen, dem „Realismus“ – und alles Mythologische, Religiöse, Phantastische oder sonst mit der Wirklichkeit des Lebens nicht Übereinstimmende abzulehnen. Heute sieht man die Umbrüche der Kunst vor und um 1900 und deren Inhalte mit neuer Spannung. Ein zweiter, zum Nachlass gehörender Teil besteht aus einer immensen Zahl von Druckgraphiken, die in den drei dafür bisher erschienenen wissenschaftlichen Werkverzeichnissen längst nicht komplett erfasst sind und mit ihrer Fülle von Zustandsdrucken je Platte die erstaunlich innovative wie penible Arbeitsweise Slevogts – im Vergleich zu seiner „schnellen Malerei“ – bezeugen. Hinzu kommen über 40 von Slevogt illustrierte Bücher und Mappenwerke in verschiedenen Ausführungen (Luxus- oder Normalausgaben) und ein bisher völlig unbekanntes, umfangreiches Mappenwerk der 24 Künstlervereinigung „SPOG“, deren führende Köpfe Slevogt wie auch sein Freund Emil Orlik waren. Slevogt wurde in Berlin einst von der Kunstkritik als „König der Illustration“ oder gar als „süddeutscher Menzel“ gefeiert, ein Kritikerpapst wie Julius MeierGraefe erlaubte sich 1904 sogar, Slevogts malerisches Werk im Vergleich zu seiner Zeichenkunst als ganz und gar nebensächlich einzuschätzen. Heute gilt unser Blick wie auch der der meisten Zeitgenossen Slevogts aber hauptsächlich seinem malerischen Werk, weil es Tradition ist, Malerei höher zu gewichten und den Künstler Slevogt im Umfeld der Berliner Sezession als Mitstreiter für den Impressionismus zu sehen. Doch muss angesichts der sprudelnden Fülle von Slevogts Einfällen im graphischen Bereich, wie sie der jetzt erworbene Nachlass sichtbar macht, die Frage nach einer neuen Gewichtung gestellt werden, vor allem deshalb, weil seine Schwarz-Weiß-Kunst weit über das illustrativ Dienende einer Textbegleitung hinausgeht. Denn neben den Zeichnungen für die meist im Bruno Cassirer-Verlag publizierten bibliophilen Bücher, neben den berühmten Randzeichnungen zur Partitur von Mozarts „Zauberflöte“ (1920) oder den kongenialen Illustrationen zu Goethes „Faust II“ (1927) schuf Slevogt mit eigenen druckgraphischen Bildzyklen wie „Schwarze Szenen“ (1904), „Gesichte“ (1917), „Schatten und Träume“ (1924) oder „Reineke Fuchs“ (1928) komplexe, eigenständige Serien an Künstlergraphik, die sich ästhetisch und geistig in die Tradition der großen Schwarz-WeißKünstler von Dürer bis Goya und Dix einreihen. Lässt man Slevogts künstlerische Entwicklung, wie sie sich im Material des Nachlasses darstellt, Revue passieren, so wird in seinem graphischen Werk ein Wesenszug deutlich, den seine Malerei nicht aufweist: ein tiefgründiger, teils schwarzer Humor, der auch Themen durchdringt, die durch und durch politisch sind. Die Tendenz zur Karikatur, den satirischen Zug, hatte Slevogt schon sehr früh, er war sicher auch deshalb zeitweise Mitarbeiter der Münchener politischsatirischen Wochenschrift „Simplicissimus“ gewesen. Max Slevogt, Entwurf zur Ringerschule, 1893, 16 × 24 cm; Landesmuseum Mainz Max Slevogt, Kleine Weinernte, 1913, 17,9 × 27 cm; Max Slevogt-Galerie, Schloss Villa Ludwigshöhe Gerade in zahlreichen Zeichnungen aus dem „roten Klebealbum“, die noch ganz im akademisch-klassizistischen Stil gemacht sind, verbindet sich Slevogts Humor mit dem Makabren und ist hier bereits auf dem Weg zu den 20 Jahre späteren, bitter-bösen, satirisch-zeitkritischen Kommentaren zu den Ereignissen des Ersten Weltkrieges und der Weimarer Republik. Ganz nebenbei durchquert man bei dem Gang durch das vorliegende Material des Nachlasses auch Slevogts Bildungshorizont: Obgleich er Maler war, schöpfte er wie selbstverständlich aus der Literatur der deutschen Klassik, die ihm völlig geläufig war. Schiller, Wieland, Herder, Lessing und vor allem Goethe hatte er gelesen, viele seiner frühen Zeichnungen im Klebealbum be ziehen sich inhaltlich auf Themen aus der Literatur. Slevogt wäre nicht Slevogt, wenn sich daneben nicht auch noch eine andere Welt auftäte: Abenteuerromane, die Indianergeschichten Karl Mays und James Coopers, die Märchen Andersens und der Brüder Grimm, die Erzählungen aus Tausendundeiner Nacht. Hier wurde eine Welt lebendig, die ganz dem neugierigen Wesen eines Künstlers entsprach, der nach den Worten des Schriftstellers Uhde Bernays das berühmte Romanische Café in Berlin betrat, wie wenn „ein Spautzteufelchen aus seiner Schachtel durch die Drehtüre hereinkam“. Slevogt nahm gegenüber dem hohen Bildungsgut des 19. Jahrhunderts nicht die steife, beflissene Haltung des ARSPROTOTO 1 2015 Bildungsbürgers ein. Für ihn zählten der Bilderreichtum der Sprache, die farbige Schilderung, in den Texten wie in der Musik – sie inspirierten sein bildnerisches Talent. Insgesamt vertiefen die im jetzt erworbenen Nachlass enthaltenen Originale und Druckgraphiken die Einsicht in Slevogts Arbeitsweise, sie fügen sich wie Puzzle-Teile zu einem beeindruckenden Gesamtwerk. Die wissenschaftliche Aufbereitung wird in den nächsten Jahren erfolgen. Es ist zu hoffen, dass der Nachlass bald als Gesamtpublikation der Öffentlichkeit zugänglich sein wird. Rheinland-Pfalz, das in den zurückliegenden Jahren für die Max Slevogt-Galerie, als Zweigstelle des Landesmuseums Mainz, bereits zwei graphische Bestände von Slevogt-Sammlern angekauft hat, besitzt somit, noch vor Saarbrücken und Hannover, den reichsten Bestand an Slevogt-Werken. Mit der Slevogt-Galerie und dem bislang erworbenen malerischen, schriftlichen und graphischen Nachlass ist das Land Rheinland-Pfalz auf dem besten Weg, das größte Sammel-Zentrum von Max Slevogt zu werden. Max Slevogt-Galerie, Schloss Villa Ludwigshöhe Villastraße 65, 67480 Edenkoben Telefon 06323 - 9 30 16 Öffnungszeiten unter www.max-slevogt-galerie.de 25 TITELTHEMA KÜNSTLERNACHLÄSSE „IN DER MALEREI SIND SIE NOCH NICHT GANZ SO WEIT“ Max Slevogt und sein schriftlicher Nachlass von Armin Schlechter D Brief von Max Slevogt an seine Frau Antonie aus London mit einer Selbstkarikatur unter den „Söhnen und Töchtern des Nordens und Albions“, 1906; Pfälzische Landesbibliothek Speyer 26 er impressionistische Maler und Graphiker Max Slevogt starb am 20. September 1932 auf seinem über Leinsweiler an der pfälzischen Weinstraße gelegenen Gut, dem „Slevogthof“. Da er offensichtlich keine testamentarische Vorsorge getroffen hatte, verblieben sein künstlerischer und sein schriftlicher Nachlass an diesem Ort im Besitz seiner Erben. Erst im Jahr 2011 konnte das Landesbibliothekszentrum RheinlandPfalz den bis dahin nur sehr eingeschränkt zugäng lichen schriftlichen Nachlass des Künstlers mit Unterstützung der Kulturstiftung der Länder von der Familie erwerben. Es handelt sich um ein Konvolut von etwa 3.700 hand- und maschinenschriftlichen Blättern, die auf mehrere hundert Absender zurückgehen. Neben Briefen Slevogts, die er an seine Familie geschrieben hatte, findet sich hier in erster Linie die eingegangene Korrespondenz. Daneben haben sich einige Lebenszeugnisse erhalten, beispielsweise ein Passierschein der französischen Besatzungsmacht mit Passfoto Slevogts sowie verschiedene eigenhändige Konzepte für Vorreden und Aufsätze. Im Gegensatz zum künstlerischen Nachlass, der für das malerische und graphische Œuvre großen Quellenwert hat, steht im Falle des schrift lichen Nachlasses das persönliche Netzwerk Slevogts im Vordergrund. Es gruppiert sich, von der nicht sehr dichten Überlieferung zur Münchener Schaffensperiode abgesehen, um seine Max Slevogts Passierschein für die Pfalz, beiden späteren Lebensmittelpunkte, die nach dem Ersten Weltkrieg unter das Berlin des späten Kaiserreiches französischer Verwaltung stand, 1919; und der Weimarer Republik sowie die Pfälzische Landesbibliothek Speyer zu dieser Zeit noch zu Bayern gehörende Pfalz. Hier finden sich Briefe von Verwandten und Freunden, ARSPROTOTO 1 2015 Künstlern und Kunsthistorikern, Schriftstellern und Journalisten, Auftraggebern und Sammlern, Museums direktoren, Galeristen und Verlegern. Für viele Kunstwerke und buchgraphische Arbeiten kann der schrift liche Nachlass die genauen Entstehungsumstände erhellen. In den Briefen an seine Familie karikierte sich Slevogt immer wieder selbst. So berichtete er seiner Frau 1906 ausführlich von einer Reise nach London, wo der Deutsche Künstlerbund eine Ausstellung ausrichtete. Zum gesellschaftlichen Leben gehörte der Besuch eines vornehmen Restaurants mit Frackzwang; unter den „Söhnen und Töchtern des Nordens und Albions“ würde er als stämmiger Mann mit Vollbart leicht zu erkennen sein (siehe linke Seite). Eine weitere Selbstkarikatur findet sich in einem Rechnungsbuch, in dem Slevogt seine künstlerische Produktion, die Namen der Käufer sowie jeweils die Erträge verzeichnet hat. Das Frontispiz ziert der Künstler selbst, der einen reiche Geldmengen liefernden Dukatenscheißer mit Farbe füttert (siehe Seite 28). Wie gut ein renommierter Maler zur Zeit Slevogts tatsächlich verdienen konnte, zeigt beispielsweise eine Anfrage von Otto Henkell, Teilinhaber der gleichnamigen Wein- und Sektkellerei in Mainz, aus dem Jahr 1906 nach den Kosten eines Porträts. Der Künstler notierte in Vorbereitung einer Antwort lakonisch: „Knie 4 – 5000, ganze Figur 9 –10.000.“ Das umfangreichste Konvolut innerhalb des schriftlichen Nachlasses ist die Korrespondenz mit den Vettern Bruno und Paul Cassirer, die einerseits einen großen Teil seines buchkünstlerischen Schaffens verlegten, andererseits seine Gemälde und Graphiken vertrieben. Insbesondere Paul Cassirer bewertete die künstle rischen Leistungen Slevogts ganz unverblümt. In einem Brief vom 4. April 1912 warf er ihm beispielsweise vor, sich mit Schmeichlern zu umgeben. „In Ihrer Graphik“, so Cassirer weiter, „sind Sie zu einer Freiheit gekommen, die bewundernswert ist; in der Malerei sind Sie noch nicht ganz so weit.“ Kritiklose Bewunderung dürfe der Künstler nicht von ihm erwarten: „Bin ich 27 Postkarte von Emil Orlik an Max Slevogt mit einer Skizze der Wolkenkratzer von New York, 1924; Pfälzische Landesbibliothek Speyer denn nun wirklich verpflichtet, wie ein Kind oder wie ein Narr alles, was Sie tun, über alle Massen schön zu finden? Oder finden Sie nicht, dass meine Liebe zu Ihnen und zu Ihrer Kunst ehrlicher, tiefer, männlicher ist als die Affenliebe derer, die Sie umgeben und die alles, was Sie machen, gut finden, als wären Sie ein Automat und nicht ein lebendiger, ringender Mensch?“ Eine enge Freundschaft bestand zwischen Slevogt und dem Graphiker und Buchkünstler Emil Orlik. Er wurde 1870 in Prag geboren und erhielt seine künstle rische Ausbildung in München. Von 1905 bis kurz vor seinem Tod 1932 unterrichtete er an der Staatlichen Lehranstalt des Berliner Kunstgewerbemuseums. In seinen Briefen und Postkarten an Slevogt finden sich viele Randzeichnungen. So berichtete Orlik dem Freund im Juli 1923 über eine „Neuerscheinung im Romanischen Cafe“, eine nach der neuesten Mode gekleidete Frau, die Anschluss an die dort verkehrende Künstlerszene suchte (siehe rechte Seite). Das 1916 begründete Romanische Café an der Kaiser-WilhelmGedächtniskirche war in der Weimarer Republik ein wichtiger Treffpunkt für Künstler, Schriftsteller, Schauspieler und Verleger. Der Stammgast Slevogt betrachtete diese Einrichtung aber mit einer gewissen Distanz, wie er im Winter 1928 an seine Frau schrieb: „Im Romanischen war ich erst gestern Abend, freudig begrüßt, und eben der übliche Quatsch.“ Von Dezember 1923 bis April 1924 besuchte Orlik die USA. Auf einer Postkarte an Slevogt skizzierte er die Wolkenkratzer von New York, wo „die Seele friert und hungert“ (siehe oben). Hier habe er, so Orlik in einem Brief vom Februar 1924, „gar oft den Zusammenhang zwischen ruhigem Denken und dem Leben verloren“. Einerseits finde ein Maler hier „ungeahnte, unvorstellbare Bilder“, andererseits sei Europa „wahrhaftig nicht der schlechtere“ Teil der Welt. Weiter notierte er „schauderhafte kalte Geldmenschen“ und die „ewige Jagd und Hast nach dem Dollar“. Aus dem Kreis der zeitgenössischen Künstler ist in erster Linie die Korrespondenz Max Liebermanns mit Slevogt hervorzuheben. Liebermann war von 1920 bis 28 1932 Präsident der Preußischen Akademie der Künste. In dieser Eigenschaft informierte er im Juli 1927 den Kollegen darüber, dass die Akademie zur Feier seines 60. Geburtstages im Folgejahr eine „umfassende […] Ausstellung Ihrer Werke, Oelgemälde, Aquarelle, Graphiken und Zeichnungen“ veranstalten wolle; er hoffe, so Liebermann, dass sich Slevogt darüber freuen würde. Tatsächlich verzeichnet der Katalog zur Ausstellung 444 Kunstwerke Slevogts, der selbst zu dieser Publikation als Vorwort eine Abhandlung über den deutschen Impressionismus und dessen Aktualität beisteuerte. Im Nachlass haben sich vier handschriftliche Vorstufen erhalten, die die Entstehung des Textes erkennen lassen. Auch zu anderen Themen nahm der Künstler immer wieder Stellung. So äußerte er sich 1910/11 über seine Würzburger Schulzeit. Der „unfrohe[n] Erinnerung an diese Schulluft“ und dem seiner Ansicht nach überschätzten „Ideal des humanistischen Gymnasiums“ stellte er die Forderung nach Aufwertung von Naturwissenschaften und lebenden Sprachen gegenüber. 1931 befragte ihn die Berliner Zeitung „Tempo“ zum Schlagwort „Kulturbolschewismus“, mit dem vor allem rechtskonservative Kreise unter anderem moderne Kunstströmungen bekämpften. Slevogt verteidigte in seiner Stellungnahme Kunst, die sich mit „sozialen Problemen“ befasse, griff aber jedwede politisch tendenziöse Kunst scharf an: „Nichtskönner, die sich an die gegebene Marschroute halten, werden immer Nichtskönner bleiben.“ Die absolute Freiheit der Kunst hatte er schon 1920 in einem Gutachten für den Graphiker und Illustrator Brief von Emil Orlik an Max Slevogt mit einer Impression aus dem Romanischen Café, einem wichtigen Treffpunkt der Berliner Kunstszene, 1923; Pfälzische Landesbibliothek Speyer Max Slevogt, Dukatenscheißer, Frontispiz eines Rechnungsbuchs mit Selbstkarikatur, um 1910; Pfälzische Landesbibliothek Speyer Walter Klemm verteidigt. Eine „Erotische Schöpfungsgeschichte“ hatte diesem eine Anklage wegen Herstellung und Verbreitung unzüchtiger Bilder und Schriften eingebracht, worauf Klemm neben Liebermann auch Slevogt um Stellungnahme gebeten hatte. Der schriftliche Nachlass von Max Slevogt enthält reiches biographisches Quellenmaterial, das seine Beziehungen zu ganz verschiedenen Personen und Kreisen erkennen lässt. Insbesondere das Berlin der Weimarer Republik mit seinen Kunstszenen, aber auch die ökonomische Dimension der Kunst ist hier in herausragender Weise dokumentiert. Aber auch zur Pfalz, dem zweiten Lebensmittelpunkt des späten Slevogts, gibt es vielfältige persönliche und künstleri- ARSPROTOTO 1 2015 sche Bezüge, die zeigen, wie sehr der 1868 in Landshut geborene Künstler hier heimisch geworden war. Landesbibliothekszentrum Rheinland-Pfalz Pfälzische Landesbibliothek Speyer Otto-Mayer-Straße 9, 67346 Speyer Telefon 06232 - 9006-242 www.lbz.rlp.de Aus Max Slevogts Briefkasten. Zeugnisse aus seinem schriftlichen Nachlass. Patrimonia 368, hg. von der Kulturstiftung der Länder in Verbindung mit dem Landesbibliothekszentrum Rheinland-Pfalz, Koblenz. 118 Seiten mit 70 Abbildungen, 21 Euro. Bestellbar bei der Kulturstiftung der Länder, Berlin 29 TITELTHEMA KÜNSTLERNACHLÄSSE „MIT HERZLICHSTEM GRUSS DEIN MAX“ Den Kunstsammlungen Zwickau gelingt mit dem Ankauf von Briefen und Postkarten Max Pechsteins eine kleine Wiedervereinigung von Aya Soika D ie schnellen Skizzen auf den Künstlerpostkarten der „Brücke“-Maler bezeugen wie kaum ein anderes Medium die Verschmelzung von Kunst und Leben im Zeitalter der Moderne: Während die Vorderseiten Szenen aus dem Urlaub oder dem Alltag darstellen, liefern die meist frankierten und mit Poststempeln versehenen Rückseiten wertvolle Einblicke in die Biographien der Künstler. Kein Wunder also, dass die kreativen Grüße der Dresdner Maler-Rebellen Erich Heckel, Ernst Ludwig Kirchner, Karl Schmidt-Rottluff oder eben Max Pechstein auf Auktionen der vergangenen Jahre bis zu fünfstellige Ergebnisse erzielten. Angesichts solcher Einzelverkäufe gerät leicht in Vergessenheit, dass die kleinen Kunstwerke oftmals Bestandteil einer jahrzehntelangen Korrespondenz sind, die in ihrem Zusammenhang ein umfassendes Bild vom Leben und Schaffen ergibt, von Freundschaften und Künstlernetzwerken. Das Angebot von ausgewählten, einzelnen Stücken zu hohen Preisen erschwert es Museen, Stiftungen oder Künstlernachlässen, zusammenhängende Konvolute für sich zu sichern und in ihren Bestand einzugliedern. Häuser wie das Berliner BrückeMuseum, das Kirchner Museum in Davos oder die Nolde Stiftung Seebüll haben mitunter nur geringe Chancen, bei Bietergefechten um Künstlerpost mitzuhalten. Die Kunstsammlungen Zwickau bemühen sich schon länger darum, in ihrer Autographen-Sammlung möglichst viel von der Hand des gebürtigen Zwickauers Max Pechstein (1881–1955) zusammenzutragen. Vor etlichen Jahren konnten bereits einige von Pechsteins Briefen und Karten an seinen ältesten und besten Freund, den Maler Alexander Gerbig, für die Sammlung erworben werden. Nun ist mit Hilfe der Kulturstiftung der Länder der Ankauf weiterer 119 Briefe und Karten aus dem Zeitraum zwischen 1901 und 1942 gelungen, darunter 29 illustrierte Postkarten und Briefe. Durch diese umfangreiche Neuerwerbung wurde die mit Gerbigs Tod im Jahre 1948 auseinandergerissene Pechstein-Korrespondenz zu großen Teilen wiedervereint. Somit ergänzen die Autographen den ohnehin schon beachtlichen Pechstein-Bestand der Kunstsammlungen Zwickau, die sich allmählich zu einem Zentrum seiner Nachlasspflege entwickeln. Zusätzlich zum Ankauf der Briefe an Gerbig wurde dem Museum im letzten Jahr von den Nachfahren des Künstlers unter anderem die umfangreiche private Korrespondenz mit Pechsteins erstem Sohn Frank geschenkt. Durch Erwerbungen wie diese signalisieren die Kunstsammlungen Zwickau, dass zu ihren Aufgaben neben der Präsentation auch der Auf- bzw. Ausbau eines Archivs zum Leben und Werk Max Pechsteins Max Pechstein, Boot am Ufer, Postkarte an Alexander Gerbig vom 25.12.1909; Kunstsammlungen Zwickau, Max-Pechstein-Museum Max Pechstein, Akte mit Calla, Brief an Alexander Gerbig vom 18.3.1914; Kunstsammlungen Zwickau, Max-Pechstein-Museum 30 31 gehört, ein zukunftsweisendes Projekt, bei dem die Nachlasspflege Hand in Hand gehen kann mit wissenschaftlicher Aufarbeitung und öffentlicher Aufbereitung. Die Beziehungen zwischen Pechstein und dem Museum reichen bis in die 1920er Jahre zurück. Bereits dem Pionier der Moderne, dem inzwischen durch den „Schwabinger Kunstfund“ fragwürdig gewordenen Museumsmann und Kunsthändler Hildebrand Gurlitt, der das Haus von 1925 bis 1930 leitete, war daran gelegen, mit Arbeiten des in Zwickau geborenen Pechstein zum Profil der modernen Abteilung im wilhelminischen Prunkbau beizutragen. Nach Gurlitts Weggang im April 1930, der von rechtsnational gesinnten Gruppen wie dem „Kampfbund für deutsche Kultur“ erzwungen worden war, verblieben die Werke vorerst in der Sammlung. Später fielen viele von ihnen der Aktion „Entartete Kunst“ zum Opfer. Gurlitt, der als einer von vier Kunsthändlern durch das Propagandaministerium mit dem Verkauf der beschlagnahmten Museumswerke betraut wurde, erwarb im Zuge seiner neuen Tätigkeit mindestens zwei der einst von ihm selbst für Zwickau erstandenen Arbeiten anderer Künstler (etwa von Ernst Ludwig Kirchner und Christian Rohlfs). Ob er noch weitere, 1937 aus der Zwickauer Sammlung beschlagnahmte Objekte ankaufte, wird die Forschung im Rahmen der Aufarbeitung der Sammlung Gurlitt zeigen. Einige weitere Pechstein-Werke, darunter auch ein Gemälde, wurden bei den Beschlagnahmungen über sehen und bildeten nach 1945 den Grundstock für einen Pechstein-Bestand, der in den letzten Jahren von der Sammlungsleiterin Petra Lewey durch zahlreiche benen Briefe liegt auf der Periode seiner frühen künst lerischen Karriere und „Brücke“-Mitgliedschaft in den Jahren 1906 bis 1912 und liefert weitgehend unbekannte Einblicke in Pechsteins erste künstlerische Erfahrungen in Dresden, Rom, Paris und Berlin. Während seiner „Grand Tour“ durch Italien, zu der sich der 27-jährige Sachse im Sommer 1907 aufmachte, äußerte er sich überwältigt von seiner Begegnung mit den Kunstwerken von Giotto, Mantegna und Botticelli. Und beklagte im gleichen Atemzug die kunsthistorische Reizüberflutung, die bei Pechstein zwar nicht – wie bei seinem französischen Vorgänger Stendhal – zur Ohnmacht führte, doch immerhin zu einer gewissen Überforderung: „man weiß [...] gar nicht wohin mit den vielen Eindrücken“. Seinen Brief illustrierte er aber nicht etwa mit einer Skizze der ikonischen Werke, sondern – und das ist für den Tenor der Briefe bezeichnend – mit einer „Pißunkel“, eine Art öffentlicher Toilette an einer „x-beliebigen Hausecke“, über die er bemerkt: „Alle Welt geht vorüber und kann Dich bewundern.“ (Abb. siehe linke Seite) Der über die kulturellen Andersartigkeiten staunende Tourist Pechstein, das erste Mal im Ausland, fuhr direkt im Anschluss weiter nach Paris. Auch hier sind die ausführ lichen Briefe zusammen mit einigen Ansichtskarten die einzigen Quellen über diese Monate. Die geläufigen Darstellungen vom jungen Pechstein, der vor Ort die fauvistischen Maler kennenlernte und deren Techniken und Stil an seine „Brücke“-Kollegen in Dresden kommunizierte, dürfen aufgrund seiner Berichte an Gerbig kritisch hinterfragt werden. Vielmehr erfahren wir, dass ihm die aktuelle Kunst viel zu modern war. Den Salon des Indépendants verlässt er mit „ganz wahnsinnigen Kopfschmerzen“. Für die Exponate fand er keine Worte: „Donnerwetter nochmal, man kann sich keinen Begriff davon machen, wenn man’s nicht gesehen, Max Pechstein, Akte unter Bäumen, Postkarte an Alexander Gerbig vom 17.6.1912; Kunstsammlungen Zwickau, Max-Pechstein-Museum Max Pechstein, Brief an Alexander Gerbig vom 2.11.1907; Kunstsammlungen Zwickau, MaxPechstein-Museum 32 Ankäufe und Dauerleihgaben beachtlich erweitert wurde. Mit einer umfangreichen Neu-Präsentation dieser Ölgemälde wurde im April letzten Jahres in einemTeil der Räume feierlich ein eigenes „Max-PechsteinMuseum“ eröffnet. Hier soll es aber um Erwerbungen gehen, die weniger öffentlichkeitswirksam sind, doch nicht weniger verdienstvoll: Die Briefe und Karten Pechsteins an Alexander Gerbig sind – neben ihrem künstlerischen Wert, den die illustrierte Post besitzt – aus biographischer und kulturhistorischer Sicht höchst aufschlussreich. Pechstein gelingt es in lebhaften Schilderungen, dem in Suhl lebenden Künstler die große Welt nahezubringen, und dies auf eine teilweise sehr humorvolle Art und Weise. Ein zeitlicher Schwerpunkt der erwor- Max Pechstein schreibt an Alexander Gerbig am 12.4.1910: „Lieber Alex, Komme Donnerstag Vormittags über Dresden und hoffe Dich in Deinem Atelier anzutreffen. Habe Dir einen kleinen Niederländer aufgezeichnet Gruß Dein Max.“ Kunstsammlungen Zwickau, Max-Pechstein-Museum ARSPROTOTO 1 2015 Wolfgang Knop, „Mein lieber Alex ... Dein alter Max“. Die Korrespondenz Max Pechsteins mit dem Maler Alexander Gerbig. Hg. von den Kunstsammlungen Zwickau, Max-Pechstein-Museum. 350 Seiten, 270 Abbildungen, 25 Euro Wollte ich Dir eine Schilderung geben, müßte ich auf rotem Papier mit irgendeiner schrecklichen Substanz schreiben.“ Aufgrund seiner mangelnden Sprachkenntnisse gelang es Pechstein nicht, so belegen die Briefe, in den französischen Künstlerkreisen Kontakte zu knüpfen. Stattdessen freundete er sich mit einigen jungen Russen an, von denen er einen porträtierte. Das Porträt ist verschollen, doch Miniatur-Skizzen in seinen Briefen belegen die einstige Existenz dieses und anderer Werke der Pariser Studienzeit. Aber auch Botschaften wie „Mindestens einmal pro Woche muß sich der Mensch waschen n’est pas mon cher Ami“ zeugen von Pechsteins unbeschwertem Lebensgefühl in Paris im Februar 1908. Überhaupt verstehen wir mit Hilfe der ausführ lichen Briefe, wie der ehrgeizige Maler aus der sächsischen Provinz sich von einer vom Jugendstil inspirierten Kunst abwandte, hin zu einer neuen Ausdruckssprache. Spätestens mit Paul Fechters Buch „Der Expressionismus“, das kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs im Juni 1914 erschien, war er als „Führer“ dieser neuen Kunstrichtung bekannt und avancierte schließlich zum Berliner Künstlerstar der Weimarer Republik. Als es im Frühjahr 1912 zum Bruch mit den Kollegen der „Brücke“ kam – ein Ereignis, das bislang weniger aus Pechsteins als aus der Perspektive seiner echauffierten Kollegen dargestellt wurde –, schüttete er Gerbig sein Herz aus. Laut Pechstein war es kein „Ausschluss“ aus der Gruppe, sondern ein freiwilliges Ausscheiden nach Monaten der zunehmenden Verärgerung darüber, sich dem Verdikt der Gruppe beugen zu müssen. Transkriptionen dieser reichhaltigen Korrespondenz mit Gerbig liegen mittlerweile in einem reich bebilderten Katalog vor, der in den Kunstsammlungen Zwickau erhältlich ist. Für die Forschungen sind solche Konvolute eine wahre Schatzkiste. Es wäre mehr als wünschenswert, wenn in den nächsten Jahren noch weitere Autographen in öffentliche Sammlungen übergingen. Kunstsammlungen Zwickau, Max-Pechstein-Museum Lessingstraße 1, 08058 Zwickau Telefon 0375 - 83 45 10 Öffnungszeiten: Di – So 13 – 18 Uhr www.kunstsammlungen-zwickau.de 33 HELFEN SIE MIT: PAPIER BRAUCHT STÄRKE Im Leopold-Hoesch-Museum & Papiermuseum Düren muss eine Papierskulptur von Bernard Schultze dringend restauriert werden von Renate Goldmann Bernard Schultze, Großer PapierMigof-Wald, 1972, 81 × 92 × 76,5 cm (Detail); Leopold-Hoesch-Museum & Papiermuseum Düren 34 D as Leopold-Hoesch-Museum, nach dem Dürener Industriellen Leopold Hoesch (1820 –1899) benannt, wurde 1905 als Universalmuseum eröffnet. Heute zeugt die imposante neobarocke Fassade des Gebäudes von der langen Sammlungsgeschichte und Kunsttradition der Stadt. Gemeinsam mit dem 1990 gegründeten benachbarten Papiermuseum Düren bildet das Leopold-Hoesch-Museum in einem dualen Museumskonzept eine global ausgerichtete Plattform für die Kunst der Gegenwart und die Kulturgeschichte des Papiers mit interdiszi plinären Ausstellungen. Das Peill-Forum, als Erweiterungsbau zwischen 2006 und 2010 von Professor Peter Kulka verwirklicht, unterstützt seine Bedeutung als Kunstmuseum für die Sammlung der Moderne, Zero und der zeitgenössischen Kunst. Im „Jahr des Papiers 2015“ werden sowohl 625 Jahre deutsche Papierher stellung als auch das 25. Jubiläum des Papiermuseums Düren gefeiert. Die Signifikanz dieses Termins ist gerade in dieser Gegend so bedeutungsvoll, da die Kunst des Papiermachens bereits seit dem 16. Jahrhundert in der industriellen Entwicklung Dürens eine wichtige Rolle spielt. Das außergewöhnlich weiche und saubere Wasser der Rur führte dazu, dass Düren als internationales Papiermacherzentrum anerkannt wurde. Durch die glückliche Symbiose zwischen den beiden Museen befinden sich in der ständigen Sammlung auch Papierskulpturen, wie beispielsweise „Großer Papier-Migof-Wald“ von Bernard Schultze aus dem Jahr 1972. Bernard Schultze (* 31. Mai 1915 in Schneidemühl; † 14. April 2005 in Köln) war 1952 Mitgründer der Künstlergruppe Quadriga, der Kerngruppe des deutschen Informel. Schultze, vom Tachismus und Action Painting beeinflusst, schafft farblich kräftige, gestisch abstrakte Gemälde. Er bezieht bei der Gestaltung der Werke stark surreale Komponenten ein, bevorzugt die Intuition und lehnt dabei die Kontrolle ab. Der Wunsch nach einer Erweiterung des Bildes über den Malgrund hinaus führt Schultze ab den 1960ern zu Skulp- ARSPROTOTO 1 2015 Zum „Jahr des Papiers 2015“ zeigt das turen, die er mit dem Begriff Migof beMuseum folgende Ausstellungen: zeichnet. Migofs sind phantasievolle Objekte, „Paper is part of the picture. Europäische die in ihrer Erscheinung als Kunstwesen Künstlerpapiere von Albrecht Dürer bis und Naturgeschöpfe lebendig wirken. Im Gerhard Richter“ (15.3. – 31.5.2015) mit internationaler Fachtagung und „Papier-Migof-Wald“ ranken sich unter „Colour, Space & Paper“ mit Papiereiner Plexiglashaube Pflanzengebilde aus arbeiten von Hans Salentin, Volker Saul, Martin Gerwers, Jorinde Voigt und Ulrich Papier nach oben, die – mit Bleistift Rückriem (14.6. – 22.11.2015) akzentuiert und verziert, teilweise ineinander verwoben und sich gegenseitig Wir bitten Sie herzlich, liebe Leserin und lieber Leser, um Unterstützung für das stützend – ein Dickicht erzeugen. Papiermuseum Düren. Spenden Sie für Schultze erschafft mit diesem Wald eine die Restaurierung von Bernard Schultzes Utopie der Natur, die abstrakt erscheint, Papierskulptur „Papier-Migof-Wald“ aber vor allem experimentell ist. Waldund überweisen Sie bitte unter dem Stichwort „Papiermuseum“ auf eines der einsamkeit, Waldesfühlen und WaldesKonten der Kulturstiftung der Länder. lust – das grüne Naturreich war das Überweisungsträger finden Sie nach der zentrale Sujet der Kunst der Romantik: Seite 50. Vielen Dank! In den Märchen und Sagen der Gebrüder Grimm, den Novellen Tiecks, den Gedichten Novalis’ und Gemälden Caspar David Friedrichs wurde der Wald zum geistigen Erfahrungsraum, zum Ort innerer Einkehr und Stille stilisiert sowie zum ureigenen Symbol deutscher Kultur landschaft erhoben. Schultze lässt den romantischen Mythos als Sinnbild der Naturschönheit in den undurchsichtigen Verästelungen seines dreidimensionalen Blätterwaldes erneut aufleben. Heute bedarf Schultzes „PapierMigof-Wald“ dringlich einer Restaurierung: Harte Knickspuren, verschmutzte Stellen und die Plexiglashaube auf dem Sockel zeigen deutlich, dass sich das Werk in einem schlechten Zustand befindet. Daher kann die Arbeit weder Bernard Schultze, Großer Papierausgestellt noch als Leihgabe verwendet Migof-Wald, 1972, Bleistift auf weißem Karton, 81 × 92 × 76,5 cm; werden. Das ist besonders betrüblich, Leopold-Hoesch-Museum & weil sie hervorragend in die AusstellungsPapiermuseum Düren zyklen im Jahr des Papiers passen würde. Angesichts des zunehmenden Interesses an dem Werkstoff Papier und der musealen Bedeutung ist der derzeitige Zustand des Werks umso bedauerlicher und bedarf dringender Hilfe, um die wir Sie hiermit gerne bitten möchten. Dr. Renate Goldmann ist Direktorin des Leopold-Hoesch-Museum & Papiermuseum Düren. Leopold-Hoesch-Museum & Papiermuseum Düren Hoeschplatz 1, 52349 Düren Telefon 02421- 25-2559 www.leopoldhoeschmuseum.de 35 ERWERBUNGEN GELEHRTER MALER – GELEHRTES PUBLIKUM Das Stadtmuseum Memmingen erwirbt die „Vier Elemente“ von Johann Heiss von Stephanie Tasch V enus und Jupiter betrachten die Gesellen des Schmiedegottes Vulkan bei der Arbeit, Chronos, Herrscher der Zeit, wendet sich der auf Wolken thronenden Juno zu, die Erdmutter Cybele säugt am Boden sitzend ein Kind, umgeben von den reichen Gaben von Äckern und Gärten, und Neptun erreicht mit seiner Gemahlin Amphitrite eine felsgesäumte Küste: Reich ausgebildete Figurengruppen mit vielfältigen Attributen bevölkern in Johann Heiss’ (1640 – 1704) Gemäldezyklus der „Vier Elemente“ eine flache Bildbühne, auf der die Personifikationen der Elemente Feuer, Luft, Erde und Wasser dem Betrachter in Nahsicht gegenübertreten. Großformatig angelegt, scheint der im Element „Luft“ signierte und 1690 datierte Zyklus wie geschaffen für die Gemäldegalerie eines privaten Sammlers mit Sinn für komplexe Bildprogramme. Heiss’ Auftraggeber ist nicht überliefert, aber es lässt sich annehmen, dass der Maler das anspruchsvolle Werk nicht ohne die Sicherheit eines jener Abnehmer aus adeligen, aber zunehmend auch bürgerlichen Kreisen in Angriff genommen hätte, die nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges mit ihren Ankäufen dafür sorgten, dass Augsburg als Handelsplatz für Kunst, Kunsthandwerk und Graphik ein Zentrum künstle- 36 rischer Ideen blieb. Die Gemälde aus Johann Heiss’ Werkstatt gelangten auf diese Weise bis nach Böhmen und Mähren; in Norddeutschland hat Peter Königfeld, der Autor des Werkverzeichnisses, eine Gruppe von Bildern in den ehemaligen Sammlungen von Salzdahlum, dem Lustschloss Herzog Anton Ulrichs von Braunschweig-Wolfenbüttel (1633 – 1714) nachgewiesen. Die Personifikationen, welche antike Gottheiten im Historiengemälde in allegorische Repräsentanten von Elementen oder Jahreszeiten verwandeln, waren dem Publikum des 17. Jahrhunderts ein Begriff, oder man unterstellt zumindest, dass dies so war. Dass der von Malern wie Johann Heiss aufgerufene visuelle Bildungshorizont nicht notwendig allen Betrachtern zugänglich war, zeigt ein amüsanter Archivfund Königfelds. 1684 heißt es im Inventar der aus dem herzoglichen Kabinett in Stuttgart an die neue Kunstkammer überwiesenen Objekte von einer Darstellung des „Triumph des Bacchus“: „Eine große Satirey vom heißen zu Memmingen / gemählt mit tanzenden Kindern“. Aufklärung versprachen Schriften wie die 1704 in Hamburg erschienene Publikation „Die geöffneten Raritäten- und Naturalien-Kammern“, „worinnen der galanten Jugend, anderen Curieusen und Reisenden gewiesen wird, wie sie Galerien, Kunst- und RaritätenKammern mit Nutzen besehen und davon raisonieren sollen“. Der im schwäbischen Memmingen geborene Heiss war in den 1660er Jahren am Hof des württembergischen Herzogs Eberhard III. in Stuttgart tätig, bevor er sich nach einem Umweg über seine Heimatstadt 1677 endgültig in Augsburg niederließ. Man hat sich den Künstler zu diesem Zeitpunkt wohl als einen vielseitig interessierten, mit dem Humanismus seiner Zeit vertrauten und gut vernetzten Mann vorzustellen. Augsburg war in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts ein Zentrum der graphischen Künste, und die zahlreichen Hinweise in seinen Bildern auf künstlerische Vorbilder, wie sie damals im Medium der Graphik vervielfältigt und verbreitet wurden, sind ein Spiegel des Bilderschatzes, der Heiss zur Verfügung stand. Aber neben den – bis heute – vor allem für Kenner zu identifizierenden Bildquellen gibt es künstlerische Einflüsse auf Heiss’ Werk, die über Anleihen aus der Graphik hinausgehen. Die historischen Quellen geben keine Auskunft darüber, ob Heiss jemals über die Grenzen von Memmingen, Augsburg und Umgebung hinaus gekommen ist und zu welchen Kunstsammlungen seiner Zeit er Zugang hatte, aber es lässt sich mit einigem Recht über eine Reise nach Italien spekulieren. Dort hätte Heiss die Werke der venezianischen Malerei im Original studieren können, ebenso wie die Gemälde Nicolas Poussins (1594 –1665), der jahrzehntelang in Rom gearbeitet hatte. Seine Farbigkeit hinterließ wie die Tizians und Tintorettos ihre Spuren in Heiss‘ Bildern. Dass die Bedeutung Poussins für seine Bild erfindungen bereits früh wahrgenommen wurde, zeigt ein Zitat des Berliner Unternehmers, Kunsthändlers und -sammlers Johann Ernst Gotzkowsky (1710 –1775), der 1759 ein Gemälde von Heiss wie folgt anbot: „Mars und Venus, ganze Figuren, auf Leinwand gemalt. Dieses Bild ist so schön als von Poussin.“ Kunst kommt im Falle Heiss ganz exemplarisch von Kunst, und bei allem gelehrten barocken Klassizismus fällt in seinen Gemälden eine Art bodenständige Erzählfreude auf: Die Körper seiner Götter sind zwar nackt, aber nur bedingt ideal, und man ist versucht, von Allegorien im Gewand der niederländischen Genremalerei des 17. Jahrhunderts zu sprechen. Mit Unterstützung der Kulturstiftung der Länder aus Privatbesitz für die Barockgalerie im Stadtmuseum Memmingen angekauft, ergänzt der ElementeZyklus auf exemplarische Weise eine frühere Förderung für die Sammlungen von Werken Johann Heiss’ in seiner Heimatstadt, den 1676 entstandenen Zyklus der „Vier Jahreszeiten“. Dr. Stephanie Tasch ist Dezernentin der Kulturstiftung der Länder. Stadtmuseum Memmingen Zangmeisterstraße 8, 87700 Memmingen Telefon 08331- 850-134 Öffnungszeiten: Di – So 10 –12 und 14 –16 Uhr www.memmingen.de Die Seiten 37 bis 40 zeigen den Gemäldezyklus „Die Vier Elemente – Feuer, Luft, Erde und Wasser“ von Johann Heiss, hier: Allegorie des Feuers, 1690, 114 × 91 cm; Stadtmuseum Memmingen ARSPROTOTO 1 2015 37 Johann Heiss, Allegorie der Luft, 1690, 114 × 91 cm; Stadtmuseum Memmingen 38 Johann Heiss, Allegorie der Erde, 1690, 114 × 91 cm; Stadtmuseum Memmingen ARSPROTOTO 1 2015 39 ERWERBUNGEN DAS GEZEICHNETE ICH Das Kupferstichkabinett Berlin erwirbt eine schwedische Privatsammlung mit mehr als 100 Aquarellen, Zeichnungen und Graphiken Gerhard Altenbourgs von Anita Beloubek-Hammer D Johann Heiss, Allegorie des Wassers, 1690, 114 × 91 cm; Stadtmuseum Memmingen as Berliner Kupferstichkabinett konnte im Sommer 2014 mit der großzügigen Unterstützung der Kulturstiftung der Länder und der Ernst von Siemens Kunststiftung die ausschließlich dem Werk des bedeutenden Zeichners und Graphikers Gerhard Altenbourg (1926 –1989) gewidmete Privatsammlung von Solgärd und Rolf Walter aus Stockholm erwerben. Mit ihrem Schwerpunkt auf dem eigenwilligen Frühwerk des Künstlers stellt diese Neuerwerbung eine wunderbare und zugleich fundamentale Bereicherung des bisherigen – zwar erlesenen, aber recht überschaubaren – eigenen Museumsbestandes dar, in dem das spätere Schaffen dominiert. Durch den Zugewinn von 30 Aquarellen bzw. Zeichnungen, mehr als 70 Einzelgraphiken (Holzschnitte, Lithographien, Kaltnadelradierungen), vier Künstlerbüchern bzw. Mappenwerken sowie zahlreichen Vorzugsausgaben von Katalogen und Büchern mit Einzeichnungen oder originalgraphischen Beilagen in der Sammlung Walter ist das Berliner Kupferstichkabinett nunmehr in der Lage, in einer repräsentativen, die gesamte Schaffenszeit umfassenden Werkschau (1948 bis 1988) die erstaunliche Kontinuität und Qualität dieses außergewöhnlichen bildnerischen Poeten vor Augen zu führen. Altenbourg, der eigentlich Gerhard Ströch hieß und um 1955 den Künstlernamen – in Anlehnung an seinen thüringischen Wohnort Altenburg – annahm, kam durch einen Autounfall am Jahresende 1989, wenige Wochen nach dem Fall der Berliner Mauer, ums Leben. Kein deutscher Nachkriegskünstler war vom Schicksal der deutschen Teilung so betroffen wie gerade er. Berlin, die geteilte Stadt mit ihren zweigeteilten Kunstinstitutionen war von Anbeginn ein Fixpunkt seiner künstlerischen Karriere, fördernd einerseits, was den Bezug zum westlichen Teil der Stadt betrifft, hemmend andererseits durch das Walten der Funktionäre in Ostberlin. So unterstreicht auch diese biographische Konstellation über die künstlerisch herausragende Bedeutung hinaus die Wichtigkeit, einen solchen, 40 ARSPROTOTO 1 2015 nahezu ausschließlich auf Papier arbeitenden Künstler aussagestark in der Sammlung des Berliner Kupferstichkabinetts vertreten zu sehen. In Ausstellungen der Westberliner Galerie Springer wurde das Werk des Künstlers bereits seit 1952 privaten Sammlern bekannt, die ihn auch in den Jahren nach dem Bau der Berliner Mauer über die innerdeutsche Grenze hinweg unterstützten. Zu ihnen gehörte seit 1966 auch Rolf Walter. Nach Rudolf Springer setzte sich die Galerie Brusberg – zunächst von Hannover, dann seit Anfang der 1980er Jahre von Berlin aus – für Altenbourg ein, der auch von der Westberliner Akademie der Künste gefördert und geehrt wurde: 1961 mit einem Gastatelier, 1968 mit dem ersten Will-Grohmann-Preis, 1970 mit der Wahl zu ihrem Mitglied und folgenden Ausstellungsbeteiligungen. Dagegen gingen von Ostberlin als Hauptstadt der DDR viele Jahre kulturpolitische Restriktionen gegen den nonkonformistischen Künstler aus. Gerhard Altenbourg, Stalins Geburtstag, 1950, 61 × 51,5 cm; Kupferstichkabinett, Staatliche Museen zu Berlin 41 Mutter - Sohn, 1956, 35 × 19,6 cm; Kupferstichkabinett, Staatliche Museen zu Berlin linke Seite: Gerhard Altenbourg, Kreidelithographien aus der Sammlung Walter; Kupferstichkabinett, Staatliche Museen zu Berlin obere Reihe (v.l.n.r): Es erhält den Namen, 1949; Er tut das Maul auf, 1949; Knaben, 1950 mittlere Reihe: Phönix, 1949; Dreispitz, 1950; Meine Mutter Anna, 1950 untere Reihe: Vater-Sohn, 1950; Tier der Anfechtung, 1950; Don Quijote, 1949 ARSPROTOTO 1 2015 43 Gerhard Altenbourg, Fern das Gebirge, 1952, 68,8 × 51 cm; Kupferstichkabinett, Staatliche Museen zu Berlin Altenbourgs künstlerische Karriere begann in Weimar, wo sich der Anfang Zwanzigjährige im Herbst 1948 an der Hochschule für Bildende Künste einschrieb. Die 1946 als erste Kunstakademie nach dem Krieg in der sowjetisch besetzten Zone wiedereröffnete Hochschule wollte zunächst programmatisch an die zwölf Jahre verfemte Moderne, speziell an die dortigen Wurzeln des Bauhauses, anknüpfen, doch wurde bereits 1948 ein Kurswechsel in Richtung Realismus nach sowjetischem Vorbild erzwungen. Altenbourg, der den Vorbildern der klassischen und zeitgenössischen Moderne (etwa Jean Dubuffet) folgte, kommentierte dies mit Arbeiten wie der zeichnerischen Persiflage „Stalins Geburtstag“, einem Vexierbild mit deutlichen Hinweisen auf das Tierreich und damit auf Gewalt und Bedrohung. Als er wegen „fachlichen und gesellschaftlichen Außenseitertums“ im Frühjahr 1950 exmatrikuliert wurde, konnte er allerdings als künstlerischen Ertrag seiner kurzen Studienzeit einen abseits vom Lehrbetrieb geschaffenen Komplex von knapp 50 außergewöhn lichen Lithographien verbuchen, die zu den Höhepunkten der deutschen Nachkriegsgraphik zu zählen sind. Es sind vieldeutige, jeweils nur in wenigen Exemplaren gedruckte Meisterblätter, die weit gespannte, mythenhaltige Phantasien in oftmals paradoxen Formkombinationen darstellen, erotische Symbole verwenden, insektenartige Gebilde mit menschlichen Assoziationen verbinden, allgemein ambivalente Figurationen, Janushaftes, zeigen und damit die phantastische farbige Bildwelt des späteren Œuvres in Schwarz-Weiß vorwegnehmen. Obsessiv haben die Walters mehr als 30 dieser 44 seltenen Blätter zusammengetragen. Altenbourg erklärte später die besonderen psychischen Bedingungen, unter denen diese eigenartigen Gebilde entstanden, mit Hinweis auf die Psychoanalyse als „ein Bewusstwerden des Tragisch-Grotesken, dass die Bemühungen des Menschen ins Leere laufen, ein Gefühl des Abstands, der Mitleidlosigkeit, des Vergnügens am Erfolglosen der Tätigkeit, eine Freude am Brutalen, die aus tiefer innerer Verletztheit aufsteigt“. Wenige Jahre zuvor hatte er als 17-jähriger Wehrmachtssoldat die Schrecken des Krieges erfahren, als er – Sohn eines freikirchlichen Predigers, im Geiste der christlichen Ethik erzogen – sich gezwungen sah, im Nahkampf einen russischen Soldaten zu töten. Dieses Trauma prägte sein weiteres Leben und seine Kunst. Geradezu eruptiv äußerte es sich in einem aggressiven, parallel zu den frühen Lithographien geschaffenen Zeichenwerk mit monströsen Zwitterdarstellungen von Mensch und Tier (im Sinne von Gottfried Benns Ekel: „Die Krone der Schöpfung, das Schwein, der Mensch“), schreienden Köpfen mit Narrenkappen sowie drei monumentalen Ecce homo-Darstellungen, metaphorischen Selbstbildnissen mit Wunden und Narben, von denen sich die größte, nahezu drei Meter hohe Fassung bereits seit einigen Jahren als Leihgabe im Kupferstichkabinett befindet. Die frühen psychischen Verletzungen fanden eine Fortsetzung durch eine rigide Kulturpolitik in Ostdeutschland, wo der Künstler bis zum Beginn der 1980er Jahre nicht ausstellen durfte. Seine Kontakte zu seinem Kunsthändler und zahlreichen Sammlern im Westen wurden beargwöhnt, 1964 wurde ihm gar wegen angeblicher Zollvergehen ein Prozess gemacht. Altenbourg reagierte auf die Verletzungen von außen mit dem Rückzug nach innen: „Das, was geschieht, geschieht in dir (und nur in dir), oder es wird nicht sein“, so der Künstler. So wehrte er denn auch ab, als Freunde im Westen sich für seine Ausreise aus der DDR einsetzen wollten. „Versunken im Ich-Gestein“ ist der Titel eines tiefernsten metaphorischen Selbstbildnisses (1971); die unserem Ausstellungstitel beigefügte Gerhard Altenbourg, Flottenversteck, 1955, 32 × 61,5 cm; Kupferstichkabinett, Staatliche Museen zu Berlin Gerhard Altenbourg, Komm über die Brücke, ja komm. Erinnerung an eine blaue Stunde, 1976, 30,8 × 39,8 cm; Kupferstichkabinett, Staatliche Museen zu Berlin druckgraphischen Werken – aufwändig kombinierten S entenz „das gezeichnete Ich“, einem melancholischen Farbholzschnitten, silbrig schimmernden LithograGedicht des verehrten Gottfried Benn entlehnt, hat phien, zarten Radierungen voll köstlicher Erotik – ist Altenbourg in der ambivalenten Deutung – das vom höchste Meisterschaft und Brillanz erreicht. Leben „gezeichnete Ich“ zu zeichnen – wiederholt auf Die Bewunderung für das so besondere Œuvre von sein eigenes Schaffen bezogen. Der erzwungenen räumGerhard Altenbourg mit seiner existenziellen Tiefe, lichen Isolierung setzte der Bücher-Besessene seine Beschäftigung mit der geistigen Welt über alle Grenzen erfinderischen Vielfalt und staunenswerten Schönheit schließt auch das Bewusstsein der Wahrhaftigkeit ihres und Zeiten hinweg entgegen und war überzeugt, dass Schöpfers ein, der unbeirrbaren Treue zu seinen ureige„man in der Einsamkeit besser zu sich finden, auf die nen Überzeugungen selbst in widriger Zeit. eigene Stimme hören [kann]“. Der Sarkasmus und die Aggressivität in den Gestal- Dr. Anita Beloubek-Hammer ist Kuratorin am Berliner tungen der Nachkriegszeit wandelten sich mit der Zeit Kupferstichkabinett. in eine größere Gelassenheit in der Menschenbetrachtung und -darstellung. Die Natur wurde in Verbindung Kupferstichkabinett, Staatliche Museen zu Berlin Matthäikirchplatz, 10785 Berlin mit fernöstlicher Weisheit ein dominanter BezugsTelefon 030 - 266424242 punkt, was zu einem Verwobensein des Menschen mit Di – Fr 10 – 18, Sa, So 11 – 18 Uhr dem Reich der Pflanzen, der Bäume und auch mit Stein www.smb.museum und Hügel führte. Mit erlesenen Tuschen und Farben Ausstellungshinweis: sowie unzähligen Tüpfelchen mit feinen Marderhaar„Gerhard Altenbourg. Das gezeichnete Ich“ pinseln hat der Künstler eine oft ikonenhafte Kostbar20. März bis 7. Juni 2015, Kupferstichkabinett keit, ein Leuchten der Farbe und ein feines Geflecht der der Staatlichen Museen zu Berlin Linien erzielt, wodurch eine immer subtiler und vielschichtiger werdende Bilderwelt entstand. Auch in den ARSPROTOTO 1 2015 45 FREUNDESKREIS DIE VERWANDLUNG DER „VERWANDLUNGEN“ Der Freundeskreis der Kulturstiftung der Länder ermöglichte die Restaurierung einer illustrierten Handschrift von Ovids „Metamorphosen“ in der Forschungsbibliothek Gotha von Frank Druffner Weshalb gibt es das Atlasgebirge? Warum heißen Blumen Hyazinthe und Narzisse? Und woher stammt der Begriff Echo? Es ist der antike Schriftsteller Ovid, der uns die Antworten auf all diese Fragen liefert. Mit seinen „Metamorphosen“ hat er gleichsam eine Schöpfungs geschichte auf der Grundlage der antiken Mythologie geschaffen. So lesen wir, dass der beleidigte Perseus dem Titanen Atlas das abgeschlagene Medusenhaupt ent gegenhielt, wodurch sich dieser in einen riesigen Felsen, eben das Atlasgebirge, verwandelte. Hyacinthus, ein schöner Jüngling, wurde von seinem göttlichen Liebhaber Apoll aus Versehen durch einen Diskus getötet, worauf der trauernde Gott aus dem Blut des Opfers eine edle Blume entstehen ließ. Der hoch mütige Narcissus, den seine Schönheit zur Überheblichkeit trieb, wurde von der Rachegöttin zu unstillbarer Selbstliebe verdammt und verliebte sich in sein eigenes, im Wasser einer Quelle entdecktes Spiegelbild. Schmachtend starb er und wurde ebenfalls in eine Blume verwandelt. Die Nymphe Echo, die 46 Nach Petrus Berchorius, Illustrierte Ovid-Handschrift „Metamorphosen“, um 1350, 36,5 × 25,5 cm; Forschungsbibliothek Gotha. Gesamtaufnahmen der Blätter 10 und 11: Blatt 10 weist eine große Fehlstelle mit Riss am Blattrand auf. Das rechte Blatt zeigt vier einzelne Miniaturen, auf Zeus’ Gattin während dessen amourösen Abenteuern durch das Erzählen von Geschichten ablenken sollte, wurde von Hera nach Aufdeckung der List der Sprache beraubt – fortan konnte sie nur noch die letzten an sie gerichteten Worte wiederholen. Ovid führt in seinem Werk zahlreiche Tiere, Pflanzen, Gebirge und Stern- bilder auf ähnliche Verwandlungen (eben „Metamorphosen“) infolge von Liebeshändeln zurück. Und auch wenn das Ansehen antiker Autoren im Mittelalter nicht das beste war, erlebte Ovid alsbald eine Renaissance. Das lag vor allem an dem Umstand, dass sich seine „Metamorphosen“ christlich-allegorisch umdeuten ließen. Immerhin ging das Werk denen die Metamorphose der Nymphe Yo erzählt wird. Yo wird von Jupiter in eine Kuh ver wandelt, um seine heimliche Beziehung mit ihr vor seiner Gemahlin Juno zu verheimlichen von einem Schöpfergott aus, dem Erde, Himmel, Tier- und Pflanzenreich und schließlich der Mensch ihre Existenz verdankten. Es dauerte nicht lange, bis mittelalterliche Kommentatoren den Römer zum heimlichen Christen ummünzten. Manche Interpreten deuteten seine Werke, vor allem die „Verwand lungen“, nach dem so genannten mehr ARSPROTOTO 1 2015 fachen Schriftsinn – seine Episoden wurden dadurch im theologischen Sinn „moralisiert“, sie gewannen heilsgeschichtliche Bedeutung. Zu den christlichen Autoren, die Ovid zu einem „Ovidius moralizatus“ umschrieben, gehörte der französische Benediktinermönch Petrus Berchorius (um 1290 –1362). Seine theologische Interpretation der „Metamorphosen“ ist immerhin in etwa 60 Handschriften überliefert, was für die Popularität des Themas spricht. Und so dauerte es auch nicht lange, bis auf seiner Textgrundlage um 1350 in Bologna erstmals eine Illustrationsfolge entstand, die auf mehr als 200 Bilder angelegt war. Lediglich drei illustrierte Manuskripte sind heute noch bekannt. Das älteste Exemplar liegt in der Forschungsbibliothek Gotha, in deren Sammlungen es vor 1714 gelangt sein muss. Es enthält immerhin 104 der vorgesehenen 200 Illustrationen und ist damit das vollständigste und das künst lerisch anspruchsvollste der erhaltenen Stücke. Begleitend zu der 2013 begonnenen Edition und Kommentierung konnte im vergangenen Jahr dank der finanziellen Unterstützung des Freundeskreises der Kulturstiftung der Länder eine aufwändige Restaurierung der Pergamenthandschrift vorgenommen werden. Die empfindlichen Pergamentblätter wellten sich, der Einband war verzogen, in der Malschicht hatten sich Haarrisse gebildet, mancherorts lösten sich Schollen vom Malgrund. Aufgrund dieser Schäden, die vor allem die wertvollen, mit Goldgrund versehenen Miniaturen betrafen, konzentrierte sich der Restaurator darauf, Verluste und Risse behutsam zu behandeln, insbesondere aber das Abspringen weiterer Farbschollen durch den Auftrag bestimmter Festigungsmittel zu verhindern. Dabei waren sorgfältige Voruntersuchungen und die Anwendung alter Rezepturen vonnöten, um die Verträglichkeit der Maßnahmen zu gewährleisten. Die lange zu Unrecht unbekannt gebliebene Handschrift erstrahlt nun, gleichsam als verwandelte „Verwandlung“, in neuem Glanz und vermag dadurch umso intensiver das Interesse der Forschung und der Öffentlichkeit auf sich zu ziehen. Prof. Dr. Frank Druffner ist Stellvertretender Generalsekretär der Kulturstiftung der Länder. 47 NEUE BÜCHER VOGELMALEREI DES NIEDERLÄNDISCHEN BAROCKS Aufgescheuchte Hühner, geschwätzige Elstern, eitle Pfauen und schimpfende Rohrspatzen – Vögel bevölkern als Sinnbilder nicht nur unsere Sprache, das liebe Federvieh hat auch seit jeher in der Malerei seinen festen Platz. Besonders in den Niederlanden des 17. Jahrhunderts erfreuten sich detailreiche Darstellungen geflügelten Getiers großer Beliebtheit beim Bürgertum, das seine Häuser sowohl mit kleinen Vogelporträts als auch mit raumfüllenden wandbehangsels voller Vogelscharen schmückte. König des Genres war der als „Raffael“ der Vogelmaler bezeichnete Melchior D’Hondecoeter: Mit feinmalerischer Finesse verstand er es in seiner Kunst, das farbenfrohe Gefieder von Kronenkranich, Rohrdommel, Eichelhäher und Dompfaff wissenschaftlich präzise ins Bild zu setzen und die tierischen Protagonisten in kleine Geschichten einzubinden. Dem Phänomen Vogelmalerei im niederländischen Barock widmete nun Lisanne Wepler eine erste monographische Studie. Dabei untersucht die Kunsthistorikerin vor allem die komplexen Bilderzählungen innerhalb der Gemälde, die dem Publikum moralisierende, aber auch politische Botschaften vermittelten. Neben Einblicken in die literarische Welt der Vogel-Fabeln bietet der Band mit seiner groß zügigen Bebilderung höchsten ornithologischen Kunstgenuss. Lisanne Wepler, Bilderzählungen in der Vogelmalerei des niederländischen Barocks. Michael Imhof Verlag, Petersberg. 240 Seiten mit 245 Abbildungen in Farbe, 49,95 Euro 48 LEITBILDER EINER NATION Seit drei Jahren bringt das Zentralarchiv der Staatlichen Museen zu Berlin seine eigene wissenschaftliche Reihe „Schriften zur Geschichte der Berliner Museen“ heraus. Im jüngst erschienenen, vierten Band spürt Jörn Grabowski der wechselvollen Sammlungs- und Präsentationsgeschichte der Berliner Nationalgalerie vom Deutschen Kaiserreich bis zur Nachkriegszeit nach. Das Gebäude, die Lebensläufe der Mitarbeiter, Ausstellungen, Forschungsvorhaben, Erwerbungen ebenso wie Sammlungsverluste: In ihnen manifestieren und materialisieren sich die Wechselfälle der vergangenen Jahrhunderte, ihre historischen Glanz- und Krisenzeiten. Zunächst als Magazinverwalter an der Nationalgalerie tätig, wechselte Grabowski 1988 als wissenschaftlicher Mitarbeiter zum Berliner Zentralarchiv, wo er bereits vier Jahre später zum Leiter ernannt wurde. Mit der Geschichte und Sammlung der Berliner Nationalgalerie seit mehr als 40 Dienstjahren vertraut, spiegeln die wissenschaftlichen Beiträge nicht nur das Lebenswerk des – 2014 in den Ruhestand verabschiedeten – Autors wieder, sondern im selben Maße die Entwicklung einer international herausragenden Institution. Jörn Grabowski, Leitbilder einer Nation. Zur Geschichte der Berliner Nationalgalerie. Böhlau Verlag, Köln, Weimar, Wien. 310 Seiten mit 60 schwarzweißen Abbildungen, 34,90 Euro DIE KINDER DES PROMETHEUS Hören wir ein kollektives Murmeln am abend lichen Feuer des Neandertalers oder tauschten unsere frühzeitlichen Verwandten schon angeregt die besten Jagdtipps aus? Manche Fragen, besonders die nach der Sprache, muss der Prähistoriker und Leibniz-Preisträger Hermann Parzinger offen lassen in seinem an Erkenntnisfülle reichen Opus Magnum über die Menschheit vor der Schrift. Gute 800 Seiten lang kann man staunen, sich wundern, überrascht werden, nie aber soll über Ungewisses spekuliert werden – in der Zusammenschau aller wissenschaftlicher Gewissheiten über die dann gar nicht mehr so graue Vorzeit entfaltet sich ein Panorama aus Millionen Jahren schriftlosen Menschseins: Von der ersten Speerschleuder zur Erfindung der Nähnadel samt Faden, von der Verwandlung des Vegetariers über den Aasfresser in einen gewieften Jäger mit Pfeil und Bogen, der das Feuer beherrschen lernte, von der Wandlung des Wildbeuters in den Bauern, der Tiere zähmen kann, geht Parzingers Weltreise. Dabei liest der Autor nimmermüde aus den Überresten aus Stein, Knochen, Holz, Metall, Keramik und Textilien, er begibt sich in die Arktis ebenso wie die Sahara, in die Hoch anden ebenso wie an den Jangtse oder die pazifischen Inseln. Parzinger blickt auch auf globale Klimaveränderungen und die großen Wanderbewegungen der Menschen, die damals alle von einem Hauptmotiv angetrieben wurden: Nahrungssuche. Der vorliegende Band entpuppt sich im Rausch seiner abertausend Entdeckungen als eine unverzichtbare Enzyklopädie von Kulturen, die zwar untergingen, von denen wir alle doch unleugbar geprägt wurden. AUSSTELLUNGEN SIGMAR POLKE Eine Ausstellung im Kölner Museum Ludwig würdigt den 2010 verstorbenen Künstler von Jenny Berg Hermann Parzinger, Die Kinder des Prometheus. Eine Geschichte der Menschheit vor der Erfindung der Schrift. Verlag C.H. Beck, München. 848 Seiten mit 110 Abbildungen und 19 Karten, meist farbig, 39,95 Euro DIE ZERRISSENEN JAHRE Mit „Der taumelnde Kontinent“ hat er eine brillante Analyse der Jahre vor dem Ersten Weltkrieg vorgelegt, nun legt er nach: Philipp Blom. In seinem neuesten Werk „Die zerrissenen Jahre“ widmet er sich der Zwischenkriegszeit. 1918 ist der Weltenbrand zu Ende, aber die Welt findet keinen Frieden. „Eine Generation“, so Walter Benjamin, „die noch mit der Pferdebahn zur Schule gefahren war, stand unter freiem Himmel in einer Landschaft, in der nichts unverändert geblieben war als die Wolken und unter ihnen, in einem Kraftfeld zerstörender Ströme und Explosionen, der winzige, gebrechliche Menschenkörper.“ Alle Gewissheiten sind ins Wanken geraten, und so geht der Kampf weiter: zwischen Linken und Rechten, Konservativen und Modernisten, Arbeitern und Unternehmern. Philipp Blom erzählt von den Jahren 1918 bis 1938 und erweitert dazu den Horizont bis in die USA. Der Jazz verbreitet ein neues Freiheitsgefühl, gleichzeitig gerät die Demokratie unter Druck. Zeitung und Radio erleben ihre besten Jahre, trotzdem brennen in Berlin die Bücher. „Die zerrissenen Jahre“ macht auf einmalige Weise jene Zeit anschaulich, die in den Zweiten Weltkrieg führte. Philipp Blom, Die zerrissenen Jahre 1918 –1938. Carl Hanser Verlag, München. 572 Seiten mit 127 schwarzweißen und 14 farbigen Abbildungen, 27,90 Euro Sigmar Polke, Freundinnen, 1965/1966, 150 ×190 cm; Froehlich Sammlung, Stuttgart Zinksulfid, Cadmiumoxid, Silbernitrat, Iodide oder Kobaltchloride – nicht selten dürfte Sigmar Polkes Atelier einem professionellen Chemielabor geglichen haben. Selbst von giftigen Stoffgemischen ließ sich der experimentierfreudige Künstler nicht einschüchtern und schuf alchemistische Zeugnisse im Großformat, die ihr Aussehen je nach Lichteinfall, Feuchtigkeit und Temperaturunterschied verändern konnten. Doch ist dies nur eine der vielen Seiten Polkes. Immer auf der Suche nach neuen Materialien und Medien, hantierte er mit transparenten Bildflächen, phosphoreszierenden Flüssigkeiten und fließenden Farben, entwarf Skulpturen wie die rotierende Kartoffelmaschine, zeichnete, fotografierte, filmte und bediente sich an den Motivvorlagen der Massenmedien, die zu seinen berühmten Rasterbildern führten. Über fünfzig Jahre hinweg schuf Sigmar Polke ein Werk, das durch ARSPROTOTO 1 2015 Ironie, Beweglichkeit und Komplexität besticht. International bereits zu Lebzeiten bekannt und erfolgreich, war Sigmar Polke (1941– 2010) im Rheinland zu Hause. Nach seiner Lehre zum Glas maler in Düsseldorf-Kaiserswerth studierte der gebürtige Schlesier von 1961 bis 1969 an der Kunstakademie Düsseldorf bei Gerhard Hoehme und Karl Otto Goetz, bevor er Anfang der 1970er Jahre nach Köln zog. Hier lebte und arbeitete er bis zu seinem Tod. Nun wird dem Künstler in seiner einstigen Heimatstadt erstmals eine posthume Retrospektive gewidmet: Vorab im Museum of Modern Art in New York und in der Tate Modern in London zu sehen, werden Polkes vielseitige Arbeiten nun im Museum Ludwig in Köln präsentiert. Von den rund 200 Werken aus den Jahren von 1963 bis 2010 wurden einige noch nie in Europa und Deutschland gezeigt, darunter auch die 1988 entstandene Gemäldegruppe „The Spirits that Lend Strength are Invisible“. Ergänzt wird die Schau in Köln durch Werke aus dem eigenen Bestand, so das Transparentbild „Fensterfront“ aus dem Jahr 1994, das die Sammlerin Irene Ludwig dem Museum 2002 als Geschenk übergab. Auch das mit 180 Objekten nahezu vollständig zusammengetragene Konvolut der Editionen wird thematisch in die Ausstellung eingebunden. Seit 2009 im Besitz des Museum Ludwig, zeugen die – im industriell geprägten Offset-Verfahren – reproduzierten Blätter vom hintersinnigen Witz des rheinischen Raster-Künstlers. Einen weiteren Schwerpunkt legt die Kölner Schau auf die filmischen Arbeiten. Ab Mitte der 1960er Jahre bis zu seinem Tod war die Kamera Polkes ständiger Begleiter: im Atelier, auf Reisen, bei Ausstellungsaufbauten oder bei seiner Tätigkeit als Lehrer an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg. Durch Doppel-, Über- und Unterbelichtung bewusst verfremdet, fingen die zu Lebzeiten weitgehend unveröffentlichten Aufnahmen die öffentliche wie private Seite des umtriebigen Multitalents ein. Die von der Kulturstiftung der Länder und der Kulturstiftung des Bundes gemeinsam geförderte Retrospektive im Museum Ludwig bietet die einmalige Gelegenheit, das oft ironische, gleichwohl kritische Werk Sigmar Polkes in seiner Heterogenität nachzuvollziehen und seine abwechslungsreichen Schaffensphasen dank des medial breiten Spektrums der präsentierten Arbeiten in ein neues Verhältnis zu setzen. Jenny Berg ist Assistentin des Vorstands der Kulturstiftung der Länder. Alibis: Sigmar Polke. Retrospektive Museum Ludwig, Köln 14.3. – 5.7.2015 www.museum-ludwig.de Kathy Halbreich, mit Mark Godfrey, Lanka Tattersall und Magnus Schaefer (Hg.), Sigmar Polke: Alibis. 1963 – 2010. Prestel Verlag, München. 328 Seiten mit 520 farbigen Abbildungen, 49,90 Euro 49 UNTERSTÜTZEN SIE UNS RETTEN SIE KUNST Unterstützen Sie die Spendenaufrufe von Arsprototo. Spenden Sie unter dem Stichwort „Papiermuseum“ und helfen Sie dem Leopold-Hoesch-Museum & Papier museum Düren bei der Restaurierung seiner Papier skulptur von Bernard Schultze. ––– Siehe Seite 34 Haben Sie weitere Fragen zu den Projekten? Rufen Sie die Redaktion unter 030 - 89 36 35 27 an. DIE KULTURSTIFTUNG DER LÄNDER Die Kulturstiftung der Länder ist eine Stiftung bürger lichen Rechts und verfolgt ausschließlich gemeinnützige Zwecke. Sie hat die Berechtigung, steuerlich wirksame Spendenbescheinigungen auszustellen. Spenden an die Kulturstiftung der Länder sind steuerlich abzugsfähig. Die Kulturstiftung der Länder wurde 1987 von den Ländern der Bundesrepublik Deutschland gegründet und nahm am 1. April 1988 in Berlin ihre Arbeit auf. Im Oktober 1991 traten die neuen Bundesländer bei. Die Kulturstiftung der Länder unterstützt und berät deutsche Museen, Bibliotheken und Archive bei der Erwerbung und Bewahrung von national wertvollem Kulturgut. Darüber hinaus widmet sie sich wichtigen kulturpolitischen Themen wie dem „Deutsch-Russischen Museumsdialog“ und hat mit „Kinder zum Olymp!“ eine erfolgreiche Bildungs initiative für Kinder und Jugendliche ins Leben gerufen. www.kulturstiftung.de FÖRDERER BESTELLEN SIE ARSPROTOTO Arsprototo, das Magazin der Kulturstiftung der Länder, erscheint viermal im Jahr. Das Abonnement ist kostenlos. Wir möchten Sie dennoch herzlich bitten, sich mit einem kleinen Beitrag an den Herstellungs- und Vertriebskosten zu beteiligen. Bitte überweisen Sie unter dem Stichwort „Arsprototo“ auf eines unserer Konten (beispielsweise 20 Euro). Vielen Dank! Leider können wir Ihnen für diesen Beitrag keine Spendenbescheinigung ausstellen. So können Sie Arsprototo bestellen: mit der Postkarte am hinteren Heftumschlag per E-Mail: [email protected] per Fax: 030 - 26 55 56 71 telefonisch: 030 - 89 36 35 0 im Internet: www.kulturstiftung.de Auch vorangegangene Hefte von Arsprototo sind bei der Kulturstiftung der Länder bestellbar – folgende Ausgaben sind jedoch vergriffen: 2/2005, 1/2007, 2/2007, 4/2007, 2/2009, 3/2009, 2 – 4/2010, 1– 4/2011, 1– 4/2012, 1/2014, 4/2014 Seite 9/11: Hans von Marées, Die Labung; Museum Wiesbaden Kulturstiftung der Länder, Freunde der Kunst im Museum Wiesbaden e.V., Hessische Kulturstiftung, Spendenaktion „Wiesbaden schafft die Wende“ Seite 12: Peter Behrens, Salonflügel; Museum für Angewandte Kunst Köln Kulturstiftung der Länder, Stadt Köln Seite 14: Friedrich Engau, Münzhumpen; Angermuseum Erfurt Kulturstiftung der Länder, Rudolf-August Oetker Stiftung PATRIMONIA Die Kulturstiftung der Länder gibt seit 1988 die Schriftenreihe PATRIMONIA heraus, in der sie ihre wichtigsten Förderungen ediert. Bislang sind über 350 Bände erschienen. Die Bände der PATRIMONIAReihe entstehen in den geförderten Institutionen in Zusammenarbeit mit der Kulturstiftung der Länder. Sie spiegeln das breite Förderspektrum der Kulturstiftung der Länder und stellen ausgewählte Erwerbungsförderungen in wissenschaftlich fundierten Einzel betrachtungen vor. Einzelhefte können Sie – soweit nicht vergriffen – bei der Kulturstiftung der Länder bestellen. Eine vollständige Liste mit Kurzbeschreibungen der einzelnen Bände und Preisangaben finden Sie auf unserer Webseite. Die Rechnung erhalten Sie mit der Lieferung Ihrer Ausgabe von PATRIMONIA. www.kulturstiftung.de/publikationen/patrimonia/ 50 ERWERBUNGEN DEUTSCHER MUSEEN, BIBLIOTHEKEN UND ARCHIVE IN DIESEM HEFT UND IHRE FÖRDERER Seite 14: Prinzliche Sekundogenitur-Bibliothek; Sächsische Landesbibliothek – Staatsund Universitätsbibliothek Dresden (SLUB) Kulturstiftung der Länder, Freistaat Sachsen Seite 16: Bertha Beckmann, Daguerreotypie Porträt des Otto Weise; Stadtgeschichtliches Museum Leipzig Kulturstiftung der Länder, Stadt Leipzig, Sächsische Landesstelle für Museumswesen Seite 18: Max Slevogt, Graphischer Nachlass; Landesmuseum Mainz Kulturstiftung der Länder, Stiftung RheinlandPfalz für Kultur, Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz, Sparkassenstiftung Südliche Weinstraße Seite 36: Johann Heiss, Die Vier Elemente; Stadtmuseum Memmingen Kulturstiftung der Länder, Sparkassenstiftung Memmingen-Mindelheim, Ernst von Siemens Kunststiftung, Stadt Memmingen, Geschwister Rittmayer Stiftung, Kurt und Felicitas Viermetz Stiftung, Bezirk-Schwaben-Stiftung für Kultur und Bildung Seite 38: Gerhard Altenbourg, Sammlung Walter; Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett Kulturstiftung der Länder, Ernst von Siemens Kunststiftung, Stiftung Preußischer Kulturbesitz Seite 27: Max Slevogt, Schriftlicher Nachlass; Landesbibliothekszentrum Rheinland-Pfalz Kulturstiftung der Länder, Stiftung RheinlandPfalz für Kultur, Landesbibliothekszentrum Rheinland-Pfalz BILDNACHWEIS Titel: © GDKE, Landesmuseum Mainz / Foto: Uta Süße-Krause; S. 3 o.: © Oliver Helbig; S. 3 u.: © Kunstsammlungen Zwickau, Max-Pechstein-Museum / 2015 Pechstein, Hamburg/Tökendorf; S. 4 l.o.: © Henner Hess; S.4 l.u., r.o.: privat; S. 4 r.u.: © GDKE, Landesmuseum Mainz / Foto: Uta Süße-Krause; S. 5 l.: privat; S. 5 r.o.: © GDKE, Landesmuseum Mainz; S. 5 r.u.: © Landesbibliothekszentrum Rheinland-Pfalz / Foto: Ralf Niemeyer; S. 6 l.: © Stiftung Gerhard Altenbourg, Altenburg / VG Bild-Kunst, Bonn 2015 / Foto: bpk / Kupferstichkabinett, SMB / Volker-H. Schneider; S. 6 r.: © bpk / Gemäldegalerie, SMB / Jörg P. Anders; S. 8-11: © Museum Wiesbaden; S. 12: Aus: The Studio: an illustrated magazine of fine and applied art, 1901; S. 12/13: © Museum für Angewandte Kunst Köln / Foto: Rheinisches Bildarchiv, Marion Mennicken; S. 14: © Angermuseum Erfurt / Foto: Dirk Urban; S. 15: © SLUB Dresden, Deutsche Fotothek / 36.8.5743, Mscr.Dresd.App.581, Mscr.Dresd.App.533,Bd.27, Mscr.Dresd. App.1898; S. 16: © Stadtgeschichtliches Museum Leipzig; S. 18/19: © GDKE, Landesmuseum Mainz, Slevogt-Archiv/ Grafischer Nachlass; S. 20, S. 21, S. 22 r.o.: © GDKE, Landesmuseum Mainz, Slevogt-Archiv/Grafischer Nachlass / Foto: Uta Süße-Krause; S. 22 l.u., S. 23: © GDKE, Landesmuseum Mainz, Slevogt-Archiv/Grafischer Nachlass / Foto: Ursula Rudischer; S. 24 l.o., r.u.: © GDKE Rheinland-Pfalz, Landesmuseum Mainz, Max Slevogt-Galerie / Foto: Uta Süße-Krause; S. 25: GDKE Rheinland-Pfalz, Landesmuseum Mainz, Max Slevogt-Galerie / Foto: Axel Brachat; S. 26-29: © Landesbibliothekszentrum Rheinland-Pfalz / Foto: Ralf Niemeyer; S. 30-33: © Kunstsammlungen Zwickau, Max-Pechstein-Museum / Pechstein, 2015 Hamburg/Tökendorf; S. 34, S. 35: © VG Bild-Kunst, Bonn 2015 / Foto: Peter Hinschläger; S. 37-40: © Stadtmuseum Memmingen / Foto: Heribert Thanner; S. 41: © Stiftung Gerhard Altenbourg, Altenburg / VG Bild-Kunst, Bonn 2015 / Foto: bpk / Kupferstichkabinett, SMB / Jan-Erik Johansson; S. 42: © Stiftung Gerhard Altenbourg, Altenburg / VG Bild-Kunst, Bonn 2015 / Foto: bpk / Kupferstichkabinett, SMB ARSPROTOTO 1 2015 Seite 30: Konvolut von Schriftwechseln Max Pechsteins; Kunstsammlungen Zwickau, Max-Pechstein-Museum Kulturstiftung der Länder, Ernst von Siemens Kunststiftung, Zwickauer Energieversorgung / Volker-H. Schneider; S. 43: © Stiftung Gerhard Altenbourg, Altenburg / VG Bild-Kunst, Bonn 2015 / Foto: bpk / Kupferstichkabinett, SMB / Jan-Erik Johansson; S. 44 l.o.: © Stiftung Gerhard Altenbourg, Altenburg / VG Bild-Kunst, Bonn 2015 / Foto: bpk / Kupferstichkabinett, SMB / Jörg P. Anders; S. 44 r.u., S. 45: © Stiftung Gerhard Altenbourg, Altenburg / VG Bild-Kunst, Bonn 2015 / Foto: bpk / Kupferstichkabinett, SMB / Jan-Erik Johansson; S. 46, S. 47: © Universität Erfurt, Forschungsbibliothek Gotha / Foto: Sergej Tan; S. 48: © bei den Verlagen; S. 49 o.: © 2015 The Estate of Sigmar Polke / VG Bild-Kunst, Bonn / Foto: Archiv Sammlung Froehlich; S. 47 u.: Prestel-Verlag, München; S. 50: © VG Bild-Kunst, Bonn 2015 / Foto: Peter Hinschläger; S. 51 u.r.: © VG Bild-Kunst, Bonn 2015 / Foto: bpk / Kupferstichkabinett, SMB / Jan-Erik Johansson; S. 52, S. 53: © Suermondt-Ludwig-Museum, Aachen / Foto: Anne Gold; S. 54: © bpk / Gemäldegalerie, SMB / Foto: Jörg P. Anders; S. 55: © Suermondt-Ludwig-Museum Aachen / Foto: Anne Gold; S. 56: © bpk / Gemäldegalerie, SMB / Foto: Jörg P. Anders; S. 57: © bpk / Gemäldegalerie, SMB / Foto: Klaus Göken; S. 58 l.: © Arnulf Rainer; S. 58 2.v.l.: © Bayerisches Nationalmuseum München; S. 58 3.v.l.: © VG Bildkunst, Bonn 2015 / Foto: Franzeska Megert, ZERO foundation, Düsseldorf; S. 58 r.: © Museum Neuruppin; S. 59 l.: © RMN-Grand Palais (Musée d'Orsay) / Foto: Patrice Schmidt; S. 59 2.v.l.: © VG Bild-Kunst, Bonn 2015; S. 59 3.v.l.: © bpk, RMN-Grand Palais (Musée d'Orsay) / Foto: Hervé Lewandowski; S. 59 r.: © Studio Scully; S. 60 l.: © Roemer- und Pelizaeus-Museum Hildesheim / Foto: Sh. Shalchi; S. 60 2.v.l.: © VG Bild-Kunst, Bonn 2015 / Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen / Foto: Peter Cox, Eindhoven, Niederlande; S. 60 3.v.l.: © VG Bild-Kunst, Bonn 2015 / Foto: Gunther Balzer, Kaiserslautern; S. 60 r.: © Saarlandmuseum Saarbrücken, Stiftung Saarländischer Kulturbesitz; S. 61 l.: © Kupferstich-Kabinett, Staatliche Kunstsammlungen Dresden / Foto: Herbert Boswank; S. 61 2.v.l.: © VG Bild-Kunst, Bonn 2015; S. 61 3.v.l.: © Mia Pearlman; S. 61 r.: © Klassik Stiftung Weimar; S. 65: © Kinder zum Olymp! / Foto: Stefan Gloede; S. 66: © Oliver Mark / Walter De Maria / VG Bild-Kunst, Bonn 2015 51 LÄNDERPORTRÄT NORDRHEIN-WESTFALEN Ludwig Knaus, Bildnis Barthold Suermondt, 1852, 196 × 134 cm; SuermondtLudwig-Museum, Aachen Die Sammlung Suermondt MEISTENS MEISTERWERKE Mit den Schenkungen des Sammlers und Mäzens Barthold Suermondt beginnt die Geschichte des Aachener Suermondt-Ludwig-Museums von Uta Baier 52 Jan Boeckhorst, Höllensturz der Verdammten, um 1640, 118 × 92 cm; Suermondt-Ludwig-Museum, Aachen E in Mann liegt im Sterben – die Ärzte haben ihn aufgegeben. Er ordnet seine Angelegenheiten, lässt sich die Bilder seiner Kunstsammlung einzeln ans Bett bringen und bestimmt 51, die er dem örtlichen Kunstverein schenkt. Es ist der 5. Oktober 1882. Fünf Tage später sind Todesangst und lebensbedrohliche Krankheit vorbei. Barthold Suermondt (1818 –1887), damals 64 Jahre alt, steht vom Totenbett auf und schenkt dem Aachener Kunstverein noch einmal 53 Bilder. Vielleicht ist einiges an dieser Geschichte Legende, fest steht, dass der Museumsverein in Aachen nach den Schenkungen von Barthold Suermondt ein Museum gründen konnte und es – zu Ehren des Stifters – Suermondt-Museum nannte. Es sollte nicht die letzte Gabe Suermondts bleiben. Insgesamt schenkte er 141 Gemälde und 41 graphische Arbeiten. Der Kunstverein, der bereits seit 1877 existierte, aber vor allem eine stadtgeschichtliche, archäologische und naturwissenschaftliche Sammlung besaß, konnte 1883 die Museumsgründung erreichen – schließlich mussten die Suermondt-Bilder gezeigt werden. Dass es heute Suermondt-Ludwig-Museum heißt, liegt an einer zweiten ARSPROTOTO 1 2015 großen Stiftung: Das Aachener Sammlerpaar Irene und Peter Ludwig schenkte 1977 aus seiner riesigen Sammlung 150 Werke. Die Ludwigs setzten eine Tradition fort, die mit Barthold Suermondt begann und in seiner Nachfolge viele Aachener Sammler zu Stiftern machte. Daher war es kein Wunder, dass das erste Ausstellungshaus in der „Alten Redoute“ schnell zu klein wurde und das Museum schon 1901 neue, größere Räume in der Villa Cassalette bezog. Dort befindet es sich – um einen modernen Anbau erweitert – noch heute. Die Sammlung wuchs und wurde zur Keimzelle für andere Museen. 1910 konnte die archäologische Sammlung ausgegliedert und in ein eigenes Haus überführt werden, 1912 eröffnete das städtische Kunstgewerbemuseum und entlastete das Kunstmuseum. Barthold Suermondt wurde nach seiner Schenkung nicht nur zum Ehrenbürger der Stadt, sondern auch zum Ehrenkonservator auf Lebenszeit ernannt. Das war mehr als eine Geste an den edlen Stifter, denn Suermondt war einer der kenntnisreichsten Sammler seiner Zeit, dessen Kunstwerke nicht nur das Aachener Museum begründeten, sondern der zuvor schon der 53 Berliner Gemäldegalerie zu einigen ihrer wichtigsten Stücke verholfen hatte. Vorgezeichnet war ihm diese Karriere nicht. Geboren 1818 in Utrecht als Sohn des Direktors der belgischen Münze, wurde Suermondt schon mit 18 Jahren Sekretär des Großindustriellen John Cockerill und später sein Erbe. Suermondt leitete Cockerills Unternehmen, gründete eigene Bergbauunternehmen, Stahlwerke und eine Privatbank. Er besaß Firmen in Belgien und Deutschland, Polen und Russland. Museumskurator wird man mit so einem Lebenslauf nicht zwangsläufig, Kunstsammler schon eher, denn es gehörte durchaus zum „Sport der Reichen, Kunst zu sammeln“, wie es in einem Nachruf heißt. Doch Barthold Suermondt sammelte mit Bedacht und nach ausführlichem Studium. Mit den Jahren wurde er zu einem der besten Kenner altniederländischer Malerei. 1852 kaufte er 150 Bilder der berühmten Sammlung des Preußischen Gesandten in Spanien, Andreas Daniel von Schepeler, mit spanischer und niederländischer Malerei. Bald zählten zu seiner Sammlung Werke von van Eyck und Vermeer, Brueghel, Rubens, Rembrandt, Cranach, um nur die bedeutendsten zu nennen. Den „Raisonnirenden Catalog der Gemälde-Sammlung des Herrn Barthold Suermondt zu Aachen“ schrieb 1859 kein geringerer als Friedrich Waagen, Direktor der Gemäldegalerie der Königlichen Museen zu Berlin. Das war weniger ein Freundschaftsdienst als Ausdruck größter Wertschätzung des privaten Sammlers durch den Museumsmann. Die „Zeitschrift für Bildende Kunst“ lobte Suermondt 1874 für seine „volle Sachkunde und unausgesetzte, hingebende Tätigkeit, die alle Wege des Kunsthandels kennt, immer aufspürt, immer das einmal ins Auge Gefasste verfolgt, keine Mühe scheut, keine Entfernung kennt [und] stets im rechten Moment zur Stelle ist“. Es existieren Geschichten über den Sammler Suermondt, der immer mit einer Lupe unterwegs gewesen sein soll und jedes Kunstwerk genau und persönlich prüfte – auch eine kleinere Version von Rubens’ „Höllensturz der Verdammten“, die er in Paris gesehen hatte. Mit dem „Bild im Kopf“ soll er sofort nach München gereist sein, um es mit dem großen Original zu vergleichen. Da der Vergleich positiv ausfiel, reiste er zurück nach Paris und kaufte das Gemälde. Als später Zweifel an der Eigenhändigkeit aufkamen, schickte Suermondt sein Bild sowohl nach München als auch nach Ant werpen, damit man es neben Rubens-Originale hänge. Letztlich entschied sich Suermondt für die Echtheit – wie zuvor schon die Kommission der St.-Lukas-Gilde in Antwerpen. Der wurde das Gemälde am 21. September 1754 zur Begutachtung vorgelegt. „Die Fachleute entschieden sich für eine Zuweisung an Rubens, das Ganze wurde mit einem großen Lacksiegel an der Rückseite dokumentiert“, sagt Michael Rief, Kustos 54 Rembrandt Harmensz van Rijn, Bildnis eines alten Mannes, 1645, 112 × 83,9 cm; Gemäldegalerie, Staatliche Museen zu Berlin am Suermondt-Ludwig-Museum. Heute jedoch gilt das Bild als Gemälde von Jan Boeckhorst, einem Mitarbeiter von Peter Paul Rubens. „Boeckhorst fertigte die kleinere Version möglicherweise im Auftrag seines Meisters für das Werkstattarchiv“, ist Riefs Überlegung. „Oder“, so Rief weiter, „es entstand in den Jahren nach Rubens’ Tod als Kunstkammerbild.“ Sich hier zu irren, war also keine Schande. Doch wenn sich der Sammler einmal für die Echtheit eines Bildes entschieden hatte, wurde er zum eifrigen Streiter für diese, seine Zuschreibung. Der Berliner Museumsdirektor Wilhelm von Bode kritisierte daher: „Von jedem Künstler glaubte er das Meisterwerk zu besitzen, von einzelnen gleich ein halbes Dutzend, und bei seiner eindringlichen Überredungsgabe wußte er die meisten zu überzeugen. Ja, es war ihm gelungen, Fachleute wie Waagen, Woltmann, C. v. Lützow und andere zu überreden, daß sie gerade die zweifelhaftesten Bilder als die bedeutendsten aus posaunten. Der Katalog seiner Ausstellung in Brüssel zählte sechs Bilder von Rembrandt auf, während nur eines vom Meister herrührte, drei Vermeer statt eines echten, fünf A. Cuyp statt eines oder höchstens zwei usw.“ Trotzdem wusste Bode, dass die Suermondt’sche Sammlung die bedeutendste Privatsammlung altdeutscher, altniederländischer und spanischer Gemälde in Deutschland war. Deshalb gehörte er von Anfang an zu den Befürwortern eines Ankaufs der Sammlung, die Suermondt Preußen 1873/74 offerierte. Außerdem, Melchior d’Hondecoeter, Trompe-l’œil mit Krammetsvögeln, um 1660 -70, 84 × 66 cm; Suermondt-Ludwig-Museum, Aachen 55 Frans Hals, Malle Babbe, 1633/35, 78,5 × 66,2 cm; Gemäldegalerie, Staatliche Museen zu Berlin argumentierte Bode, würde dieser Ankauf die Berliner Museen endlich den Münchner und Dresdner Museen ebenbürtig machen – auch wenn er lieber nicht so viel Geld ausgegeben hätte. „Suermondt hatte die Sammlung seit 1873 in Brüssel ausgestellt, offenbar schon in der Absicht, sie zu verkaufen, da er – was uns bei unserer damaligen mangelhaften Fühlung mit Finanzkreisen nicht bekannt war – durch die Krisis von 1873 außer ordentliche Verluste gehabt hatte und zu dem Verkauf geradezu gezwungen war“, schrieb Bode in seinen Erinnerungen. Es dauerte Monate bis man sich einigte, denn es gab durchaus Stimmen, die nur die wichtigsten Werke ankaufen wollten. Bode plädierte für einen Komplettankauf und rechnete vor, dass ein Ankauf einzelner Bilder teurer wäre als die Pauschale. Letztlich zahlte der Preußische Staat 340.000 Taler für 215 Gemälde und rund 400 Handzeichnungen. Zu den bedeutendsten Gemälden, die entscheidend zum Ruf der Berliner Altmeistersammlungen beigetragen haben, gehören die wunderbare „Madonna in der Kirche“ von Jan van Eyck, Rembrandts „Bildnis eines alten Mannes“, und Vermeers „Mädchen mit dem Perlenhalsband“, um nur drei zu nennen. Bald nach diesem Verkauf gingen die Geschäfte wieder besser und Suermondt konnte erneut Kunst kaufen – wenn auch in bescheidenerem Maße. Seine zweite Sammlung wurde vergleichbar groß, aber nicht mehr so bedeutend wie die erste. „Doch trug Suermondt als nunmehr erfahrener Sammler mit einer gereiften Erfahrung qualitätvolle Bilder zusammen. Seine Kenntnis des Kunstmarktes, seine Kennerschaft und ein gutes Gespür für Werte in der Kunst halfen ihm, in wenigen Jahren wiederum eine beachtliche Kollektion zusammenzubringen“, schreibt die Kunsthistorikerin Christine Vogt in einem Aachener Sammlungskatalog. Die Sammlung bestand nun aus Werken „talentierter niederländischer Maler des 16. und 17. 56 Jahrhunderts, deren Namen im 19. Jahrhundert in Vergessenheit geraten waren“, wie Vogt weiter darlegt, und die deshalb zu den „Goede Onbekende“, den sogenannten guten Unbekannten, gehörten. So enthält die zweite Sammlung unter anderen Werke von Willem Kalf, Gerhard Houckgeest, Pieter de Bloot und Adrian von Ostade. „Man kann auch an diesen Kunstwerken, die Suermondt mit wesentlich weniger Geld kaufte, sehen, wie unglaublich gut das Auge des Sammlers war. Er sammelte mit großem Sachverstand und großer Leidenschaft, wie Peter und Irene Ludwig. Deshalb bin ich so stolz darauf, dieses Museum zu leiten“, sagt sein Direktor Peter van den Brink. Das „Trompe l’œil mit Krammetsvögeln“ von Melchior d’Hondecoeter, das Suermondt dem Museum 1882 schenkte, ist das Werk, das am häufigsten für Ausstellungen angefragt wird – aus der gesamten Aachener Sammlung. Viele Bilder gelten heute als Kriegsverluste. Aachen lagerte seine Kunstschätze zusammen mit dem Domschatz 1939 nach Schloss Bückeburg aus, das aber schon 1941 nicht mehr als sicher galt. Deshalb brachte man die Aachener Gemälde auf die Albrechtsburg in Meißen, denn dort war bereits Dresdner Kunst untergebracht. Als die Ostfront 1944 immer näher an Meißen heranrückte, sollten die Kunstwerke erneut umgelagert werden, doch es stand lediglich ein einziger Laster zum Transport zur Verfügung, so dass nur das Wichtigste in Sicherheit gebracht werden konnte. Nach 1945 wurde die Albrechtsburg durch sowjetische Truppen besetzt, ein Teil der Aachener Kunstwerke kam ins Meißner Stadtmuseum und von dort teilweise und nach und nach zurück nach Aachen. Etwa 200 Gemälde, darunter viele Suermondt-Bilder, blieben verschollen – bis Museumsdirektor Peter van den Brink 2008 eine E-Mail bayerischer Krim-Reisender bekam. Die hatten das Kunstmuseum in Simferopol besucht und eine Ausstellung mit 87 Bildern aus dem Suermondt-Ludwig-Museum gesehen, wie ihnen eine Informationstafel verkündete. Seitdem gibt es Kontakte zwischen den Museen und Wissenschaftlern in der Frans Snyders, Stillleben mit Früchteschale, o. J., 51 × 70 cm; Gemäldegalerie, Staatliche Museen zu Berlin Lucas Cranach d. Ä., Judith mit dem Haupt des Holofernes, 1531, 73 × 56 cm; SuermondtLudwig-Museum, Aachen Ukraine und in Aachen. Zu dem von beiden Seiten geplanten Tausch einiger Bilder kam es aufgrund der jüngsten politischen Entwicklungen nicht. Heute begrüßen die Porträts von Barthold Suermondt und seiner Frau Amalie Elisabeth den Besucher im Eingang des Museums. Umfassend erforscht ist der große Aachener Stifter jedoch nicht. Es gibt keine Biografie und auch kein Gesamtverzeichnis seiner Sammlung. Das wird sich in den kommenden Jahren ändern, verspricht Museumsdirektor van den Brink, denn 2018 ehrt das Aachener Museum den Sammler anlässlich seines 200. Geburtstages mit einer großen Ausstellung. Dafür werden sicher auch Bilder aus der ersten ARSPROTOTO 1 2015 Sammlung Suermondt aus Berlin nach Aachen reisen. Wenn es nach den Wünschen der Aachener geht: nur die besten. Angefragt werden sollen Vermeer und Jan Steen, Franz Hals und Gerard ter Borch und auch Jan van Eyck und Hans Holbein. Eine Ausleihe wird nicht einfach, denn sie gehören zu den größten Schätzen, die es in Berlin zu sehen gibt. Doch es wäre eine absolut einmalige Chance, die Bedeutung dieses außergewöhnlichen Sammlers anhand seiner beiden Sammlungen umfassend darstellen und würdigen zu können. Uta Baier ist Kunsthistorikerin und Journalistin in Berlin. 57 KUNST UND KULTUR IN DEN LÄNDERN BREMEN HAMBURG HESSEN MECKLENBURG-VORPOMMERN von Carolin Hilker-Möll BADEN-WÜRTTEMBERG BAYERN BERLIN BRANDENBURG Sean Scully, Change I, 1975 Hubert Gerhard, Jagdhund, 1589 Gustav Kühn, Elephant und Panter – Neue Schießscheibe zur Belustigung der Knaben, um 1855 BELLA FIGURA Arnulf Rainer, Der Verkündigungsengel, 1995-98 ARNULF RAINER Seine in den 1950er Jahren entwickelten Übermalungen machten den österreichischen Maler und Zeichner Arnulf Rainer (*1929) weltweit bekannt. Jetzt würdigt das Museum Frieder Burda den Künstler anlässlich seines 85. Geburtstages mit einer umfassenden Retrospektive, in der wesentliche Stationen seines komplexen Schaffens mit Schlüsselwerken präsentiert werden. Der Bogen spannt sich dabei vom Frühwerk mit den Zentralgestaltungen, Übermalungen und Kruzifikationen über die Selbstdarstellungen der Face Farces und Body Poses und deren Überarbeitungen bis hin zu den Totenmasken und Schleierbildern. Rainers intensive Suche nach neuen künstlerischen Wegen wie auch seine faszinierenden Strategien und seine experimentelle Vorgehensweise machen ihn zu einem besonders einflussreichen Gegenwartskünstler. Museum Frieder Burda www.museum-frieder-burda.de bis 3.5.2015 LEGENDÄRE MEISTERWERKE Spektakuläre Steinzeitkunst und kostbare Grabbeigaben zeigen die „Legendären Meisterwerke“ im Landesmuseum Württemberg. Das jetzt mit Hilfe der Kulturstiftung der Länder angekaufte „Fürstengrab von Gammertingen“ bildet einen neuen Höhepunkt der Ausstellung: Die darin entdeckten Beigaben gehören zu den kostbarsten, die je aus dem 6. Jahrhundert in Mitteleuropa gefunden wurden. Landesmuseum Württemberg, Altes Schloss, Stuttgart www.landesmuseum-stuttgart.de Dauerausstellung 58 Anhand von rund 80 Meisterbronzen sowie etwa 25 Zeichnungen und druckgraphischen Arbeiten beleuchtet das Bayerische Nationalmuseum die europäische Bronzekunst in Süddeutschland um 1600. Beauftragt von den Fuggern oder den bayerischen Herzögen, schufen hier italienische Künstler im technisch aufwändigen Bronzegussverfahren Werke für die höfische, städtische und kirchliche Repräsentation wie Brunnenanlagen, Gartenplastiken, Fassadenschmuck, Grabmäler und Altäre. Kleinformatige Aktfiguren fanden als exklusive Kunstkammerobjekte Eingang in fürstliche Sammlungen. Eines der Hauptthemen der von der Kulturstiftung der Länder geförderten Ausstellung ist der menschliche Akt, der in der manieristischen Bronzekunst in komplizierten Drehungen und Posen all ansichtig präsentiert wurde. Bayerisches Nationalmuseum, München www.bayerisches-nationalmuseum.de bis 25.5.2015 AUGUST MACKE UND FRANZ MARC — EINE KÜNSTLERFREUNDSCHAFT Rund 100 Jahre nach dem Tod von August Macke setzt sich das Lenbachhaus mit der Freundschaft von August Macke und Franz Marc und ihrem künstlerischen Austausch auseinander. Rund 200 Gemälde, Arbeiten auf Papier, kunstgewerbliche Objekte und private Dokumente führen Leben und Werk der beiden Künstler von 1910 bis 1914 vor Augen und verdeutlichen nicht nur, wie sich Macke und Marc gegenseitig inspirierten, sondern auch, wie eng und herzlich ihre Freundschaft war. Lenbachhaus, München www.lenbachhaus.de bis 3.5.2015 Christian Megert, Nul 62, 1962 MUSEUM NEURUPPIN ZERO — DIE INTERNATIONALE KUNSTBEWEGUNG DER 1950ER UND 60ER JAHRE 1958 gründeten Heinz Mack und Otto Piene die Düsseldorfer Künstlergruppe ZERO, die – später verstärkt durch Günther Uecker – getragen war von der Idee eines absoluten Neubeginns der Kunst nach dem Zweiten Weltkrieg, einer „Stunde Null“. Eine neu gewonnene Freiheit im Hinblick auf Materialien führte dazu, dass die Themen Licht, Raum, Bewegung, Reflexion, Vibration, Struktur und Farbe heterogene Formen annahmen. Über 50 Jahre nach Gründung der ZEROBewegung widmet sich die Ausstellung nicht nur den ersten Gründungskünstlern, sondern auch den ZERO nahestehenden internationalen Künstlern wie Yves Klein und Lucio Fontana und den in Vergessenheit geratenen Künstlern wie Hermann Goepfert, Oskar Holweck oder Hans Salentin. Nach zweijähriger Sanierungsphase ist das Museum Neuruppin, erweitert um einen modernen Anbau, wiedereröffnet worden. Die neue Dauerausstellung präsentiert die Urund Frühgeschichte im Ruppiner Land sowie die Stadtgeschichte bis in die Gegenwart. Dabei widmet sie sich auch Neuruppiner Persönlichkeiten wie Karl Friedrich Schinkel, Wilhelm Gentz und Theodor Fontane und zeigt die bunte Welt der Neuruppiner Bilderbogen, für die die Stadt einmal international bekannt war. Mit „Heimat schaffen – home is where the heart is (II)“ (bis 13.9.2015) gibt der bei Neuruppin lebende Künstler Anton Henning (*1964) den Eröffnungsauftakt des neuen Raumes für Wechselausstellungen. In der eigens dafür konzipierten Installation verbindet er u. a. Malerei, Collagen, Skulpturen und Möbelobjekte zu einem liebevoll und zugleich subversiven, romantisch-ironisch formulierten Heimatbegriff. Martin-Gropius-Bau, Berlin www.berlinerfestspiele.de 21.3. – 8.6.2015 Museum Neuruppin www.museum-neuruppin.de Dauerausstellung BAUHAUS-ARCHIV CHRISTIANE WARTENBERG Das Bauhaus-Archiv präsentiert 80 Neuerwerbungen der vergangenen zehn Jahre: Zu sehen sind Arbeiten u. a. von Marcel Breuer, Marianne Brandt, Lyonel Feininger, László Moholy-Nagy und Oskar Schlemmer. Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf der Fotografie. Aufnahmen von Werner David Feist, Paul Citroën, Yasuhiro Ishimoto und Nathan Lerner zeigen ein faszinierendes Spektrum neuer Fotografie zwischen Bauhaus und New Bauhaus. Unter dem Titel „überkreuz – Gehäuse und Wortbilder“ präsentiert die Ausstellung Plastiken, Malerei, Graphiken und Installationen der brandenburgischen Bildhauerin Christiane Wartenberg (*1948) aus unterschiedlichen Werkphasen. Das Behaustsein des Menschen bleibt dabei stets ihr bildnerisches und ethisches Grundthema. Bauhaus-Archiv, Berlin www.bauhaus.de 18.3. – 25.5.2015 Museum Junge Kunst Frankfurt (Oder), Rathaushalle www.museum-junge-kunst.de 1.3. –10.5.2015 SEAN SCULLY Emile Bernard, Badende mit roter Kuh, 1889 Hans-Peter Feldmann, Ohne Titel, o. J. EMILE BERNARD — AM PULS DER MODERNE PICASSO IN DER KUNST DER GEGENWART Claude Monet, Hôtel des Roches Noires, Trouville, 1870 Der französische Maler, Graphiker und Kunsttheoretiker Emile Bernard (1868 –1941) war ein wichtiger Impulsgeber der symbolistischen Kunst, befreundet mit Henri de Toulouse-Lautrec, Vincent van Gogh und Paul Gauguin, in deren Schatten er zeitlebens stand. Die Retrospektive der Kunsthalle Bremen gibt einen umfassenden Einblick in sein vielfältiges Œuvre und präsentiert ihn als einen der innovativsten, aber auch eigensinnigsten Künstler des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Die Schau verfolgt Bernards Entwicklung von den ersten Versuchen des ganz jungen Künstlers über die spektakulären Innovationen in Pont-Aven, wo er mit Gauguin arbeitete, bis in das kaum bekannte Spätwerk. Anlässlich ihres 25-jährigen Bestehens zeigen die Deichtorhallen Hamburg in ihrer soeben modernisierten Halle für aktuelle Kunst eine breit gefächerte Ausstellung zum Thema „Picasso in der zeitgenössischen Kunst“. 80 internationale Künstler wie Andy Warhol, Roy Lichtenstein, Claes Oldenburg, Asger Jorn, David Hockney, Martin Kippenberger und Jasper Johns sind mit ihren Werken vertreten und lassen Pablo Picasso als Inspirationsquelle präsent werden. Eigens für die Schau produzierte Arbeiten u. a. von John Stezaker oder Robert Longo beziehen sich explizit auf Picasso, ebenso wie die Frühwerke von Jonathan Meese. MONET UND DIE GEBURT DES IMPRESSIONISMUS Kunsthalle Bremen www.kunsthalle-bremen.de bis 31.5.2015 WILHELM MORGNER — MALEREI 1910 –1913 Wilhelm Morgner (1891–1917) gilt als Ausnahmetalent des Expressionismus. Seine Bilder, die sich zwischen Figuration und Abstraktion bewegen, beeindrucken durch die ausdrucksstarke Leuchtkraft ihrer Farben und die Rhythmisierung von Motiv und Bildraum durch Linien, Wellen, Kreise und Punkte. Obwohl Morgners erstaunliche Entwicklung durch den Ersten Weltkrieg jäh beendet wird, hinterlässt er ein beachtliches Werk, das richtungsweisend für die Moderne ist. Paula Modersohn-Becker Museum, Bremen www.museen-boettcherstrasse.de bis 14.6.2015 ARSPROTOTO 1 2015 Deichtorhallen, Hamburg www.deichtorhallen.de 1.4. –12.6.2015 VERZAUBERTE ZEIT — CÉZANNE, VAN GOGH, BONNARD, MANGUIN Die Ausstellung präsentiert die historische Sammlung des Schweizer Ehepaares Arthur und Hedy Hahnloser-Bühler, die zwischen 1906 und 1936 eine beeindruckende Anzahl an Meisterwerken der Kunst des Postimpressionismus zusammenführen konnten. So erwarben sie wichtige Gemälde der großen Vorreiter der künstlerischen Moderne Paul Cézanne, Vincent van Gogh, Auguste Renoir und Édouard Manet. Die Ausstellung zeigt über 200 ausgewählte Werke von 20 Künstlern aus der berühmten Sammlung, die nun erstmals in Deutschland zu sehen ist. Hamburger Kunsthalle www.hamburger-kunsthalle.de bis 16.8.2015 Die groß angelegte Ausstellung im Frankfurter Städel widmet sich der Entstehung und frühen Entwicklung des Impressionismus. Im Blickpunkt stehen Claude Monet (1840 –1926) als Schlüsselfigur des Impressionismus und seine Künstlerkollegen Auguste Renoir, Édouard Manet, Berthe Morisot, Edgar Degas, Alfred Sisley und Camille Pissarro, die innerhalb weniger Jahre die Malerei revolutionierten. Die Ausstellung beleuchtet, wie diese Künstler während der 1860er und 1870er Jahre ihre neuen Seherfahrungen umsetzten und ein neuer Stil und neue Themen heranreiften: so das Verhältnis von Mensch und Natur, die moderne Freizeitgestaltung oder die Beschleunigung des Lebens durch den technischen Fortschritt. Neben den rund 100 Meisterwerken aus internationalen Sammlungen werden auch Fotografien und Karikaturen gezeigt, die sich mit der Kunstströmung auseinandersetzen. Städel Museum, Frankfurt am Main www.staedelmuseum.de 11.3. – 21.6.2015 ISA GENZKEN — NEW WORKS Mit Isa Genzken (*1948) würdigt das MMK Museum für Moderne Kunst Frankfurt am Main eine international renommierte deutsche Bildhauerin mit einer ganz eigenständigen und unverwechselbaren Bildsprache. Im Zentrum der Schau stehen rund 20 skulpturale Einzelfiguren und Figurengruppen, die stark verfremdete Selbstporträts der Künstlerin darstellen. Der irisch-amerikanische Künstler Sean Scully (*1945) ist bekannt für seine abstrakten Bildreihen, die von klar strukturierten farbigen Rastern dominiert werden. Die Ausein andersetzung mit zeitgenössischer abstrakter Kunst prägt sein gesamtes Schaffen, und bereits in seinen frühen, figurativen Werken setzt er sich mit grundlegenden Fragen zu Kunst und Sprache auseinander. Auch bei der radikalen Hinwendung zur Abstraktion reflektiert der Künstler die emotionale und semantische Wirkung seiner Techniken. Das Spannungsfeld von Figuration und Abstraktion bleibt dabei immer erhalten, sodass gerade die Gegenüberstellung des frühen und späten Œuvres fasziniert. Diesen Dialog greift die Kunsthalle Rostock erstmals museal auf. Kunsthalle Rostock www.kunsthallerostock.de bis 3.5.2015 MAX UHLIG — FRÜHE LANDSCHAFTEN Ein ganzes Konvolut von Landschaftsbildern zeugt von Max Uhligs regelmäßigen Aufenthalten in Penzlin zwischen 1973 und 1984. In diesen frühen Arbeiten entwickelt Uhlig (*1937) seine unverwechsel bare Handschrift: Bunte Gitter liegen über den Bildmotiven, die für den Betrachter kaum noch zu erkennen sind. Die Ausstellung gibt erstmalig einen Einblick in den geschlossenen Werkkomplex aus Gemälden, Aquarellen und Handzeichnungen. Kunstsammlung Neubrandenburg kunstsammlung-neubrandenburg.de bis 7.6.2015 Museum für Moderne Kunst, Frankfurt am Main www.mmk-frankfurt.de 14.3. – 31.5.2015 59 NIEDERSACHSEN NORDRHEIN-WESTFALEN RHEINLAND-PFALZ Unbekannter Künstler, Gemälde der Gründungslegende, o. J. Otto Dill, Palermo, 1924 DIE WURZELN DER ROSE ITALIA — AMORE MIO Vom Bischofssitz zur Bürgerstadt: Anlässlich des 1200-jährigen Jubiläums der Bistumsgründung Hildesheim präsentiert das Roemer- und Pelizaeus-Museum die neuesten archäologischen Schätze der 2013 abgeschlossenen Grabung im Hildesheimer Dom. Ergänzt durch kostbare Urkunden und Objekte aus dem Stadtarchiv sowie die umfangreichen Grabungsfunde, die seit dem 19. Jahrhundert gesammelt wurden, möchte die von der Kulturstiftung der Länder geförderte Schau die soziale und politische Geschichte der Stadt vom frühen Mittelalter bis heute nachzeichnen. Unter Bezugnahme auf das gegenwärtige Stadtbild soll nicht nur deutlich werden, dass hier europäische Geschichte stattgefunden hat, sondern vor allem, dass diese heute noch spürbar ist. Roemer- und Pelizaeus-Museum Hildesheim www.rpmuseum.de 31.3. – 4.10.2015 Günther Uecker, Bewegtes Feld, 1964 UECKER Die Kunstsammlung NordrheinWestfalen gratuliert Günther Uecker zu seinem 85. Geburtstag und widmet ihm in seiner Wahlheimat Düsseldorf eine umfassende, von der Kulturstiftung der Länder unterstützte Einzelausstellung. Auf rund 1.500 qm werden Ueckers Malereien, Objekte, Skulpturen, Filme und Dokumentationen seiner Aktionen präsentiert. Zentrale Werkkomplexe wie das „Terrororchester“, die „Verletzungsworte“ oder „Brief an Peking“ werden ebenso zu sehen sein wie die berühmten Nagel reliefs. Parallel dazu wird der Jubilar im LABOR des K20 seine eigens für den Raum konzipierte Arbeit „Briefe an einen Unbekannten“ vorstellen. Seit Mitte der 50er Jahre aktiv, gilt Günther Uecker heute als einer der wichtigsten deutschen Künstler der Gegenwart. K20 Grabbeplatz, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf www.kunstsammlung.de bis 10.5.2015 PAUL KLEE — MEISTERWERKE AUS DER KUNSTSAMMLUNG NRW EWALD MATARÉ — DIE BERLINER JAHRE Das vielseitige Œuvre Paul Klees (1879 –1940) steht im Mittelpunkt einer Ausstellung der Kunsthalle Emden. Die rund 80 präsentierten Gemälde, Aquarelle und Zeichnungen von 1909 bis 1940 aus dem Bestand der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen umfassen alle wichtigen Werkphasen Klees und bieten somit einen einzig artigen Einblick in die unerschöpfliche Kreativität dieses bedeutenden Künstlers. Kunsthalle Emden kunsthalle-emden.de 21.3. – 12.7.2015 60 Mit herausragenden Werken aus dem eigenen Sammlungsbestand wirft die Ausstellung des Museum Kurhaus Kleve einen Blick auf die frühe Schaffensphase des rheinischen Künstlers Ewald Mataré (1887 –1965). Ergänzt durch Leihgaben, rückt die Schau nicht nur die bildhauerischen und graphischen Arbeiten in den Fokus, sondern erstmals auch Matarés nicht so bekannte Tätigkeit als Maler. Museum Kurhaus Kleve www.museumkurhaus.de 29.3. – 28.6.2015 Kaum ein anderes Land verkörpert die Sehnsucht und das Fernweh der Deutschen so sehr wie Italien. Nicht nur zahlreiche Dichter, Denker und Literaten haben sich in der Vergangenheit mit dem beliebten mediterranen Reiseziel auseinandergesetzt und ihre Leidenschaft für dieses Land zum Ausdruck gebracht. Auch in der bildenden Kunst hat das Thema eine lange Tradition. Nun zeigt das Museum Pfalzgalerie Kaiserslautern graphische Werke aus der eigenen – rund 20.000 Blatt umfassenden – Sammlung und gewährt einen spannenden Einblick in das Italienbild deutscher Künstler. Ein besonderer Fokus der Sonderausstellung liegt auf dem Kreis der in den 1950er-Jahren auf Ischia tätigen Maler, darunter Max PeifferWatenphul, Eduard Bargheer und Werner Gilles. Museum Pfalzgalerie Kaiserslautern www.mpk.de 8.3. – 25.5.2015 DIE REVOLUTION DER BILDER — VON POUSSIN BIS MONET Von Nicolas Poussin über Auguste Renoir bis hin zu Paul Cezanne: Die Ausstellung im Arp Museum in Rolandseck beleuchtet die Entwicklung der französischen Malerei und Bildhauerei vom 17. Jahrhundert bis in die Moderne und veranschaulicht mit rund 50 Gemälden und Objekten, wie sie sich im Laufe der Jahrhunderte radikal von den künstlerischen Regeln und Traditionen befreite. Arp Museum Bahnhof Rolandseck, Remagen www.arpmuseum.org 22.3. – 6.9.2015 SAARLAND SACHSEN-ANHALT SACHSEN Anlässlich des 100. Todestages von Albert Weisgerber (1878 –1915) zeigt das Saarlandmuseum in Kooperation mit der Albert-Weisgerber-Stiftung St. Ingbert aus ihren umfangreichen Sammlungsbeständen Gemälde, Studien und Zeichnungen des Künstlers. Ergänzt durch Leihgaben aus renommierten Museen in ganz Deutschland, würdigt die Retrospektive mit rund 130 Exponaten Weisgerbers vielschichtiges Œuvre und dessen Bedeutung innerhalb der europäischen Kunstgeschichte. Im Spannungsfeld der Avantgarden zu Beginn des 20. Jahrhunderts behauptete der deutsche Maler und Graphiker eine kompromisslose, eigenständige Position und gilt heute als bedeutender Vertreter der Münchner Moderne. Saarlandmuseum, Moderne Galerie, Saarbrücken www.kulturbesitz.de 21.3. – 5.7.2015 MEISTERWERKE DER MODERNE Parallel zur Retrospektive über Albert Weisgerber präsentiert das Saarlandmuseum Meisterwerke der Klassischen Moderne aus den eigenen Beständen. Max Liebermann, Lovis Corinth, Heinrich Campendonk, Pablo Picasso, Alexander Archipenko oder Gabriele Münter – die Auswahl von rund 80 Gemälden und Skulpturen sowie rund 30 Arbeiten auf Papier offenbart das breite Spektrum dieser hochkarä tigen Sammlung. Saarlandmuseum, Moderne Galerie, Saarbrücken www.kulturbesitz.de bis 30.9.2015 THÜRINGEN Karl Schmidt-Rottluff, Du und ich, 1919 Albert Weisgerber, Ausritt im Englischen Garten, 1910 ALBERT WEISGERBER — RETROSPEKTIVE SCHLESWIG-HOLSTEIN Nach Hieronymus Bosch, Phantastische Figuren, um 1570–1600 HIERONYMUS BOSCHS ERBE Der niederländische RenaissanceMaler Hieronymus Bosch (um 1450 –1516) ist für seine einprägsame Bildsprache bekannt. Im ausgehenden Mittelalter beschäftigten ihn Themen aus Religion und Alltagsleben, die er zwar realistisch, aber mit grotesk-satirischen Elementen darstellte. Das KupferstichKabinett im Dresdner Residenzschloss zeigt nun, wie der Künstler die Druckgraphik bis ins 18. Jahrhundert hinein beeinflusst hat. Anlass dazu gibt das neu erworbene Triptychon „Die Endzeit, Himmel und Hölle“ (um 1560) nach Bosch. Neben weiteren Einzelarbeiten und Auszügen aus druckgraphischen Serien werden Bücher, Gemälde sowie Objekte der Schatzkunst und des Kunstgewerbes ausgestellt. Dabei lässt sich überall mit symbolhaften Monstern, Dämonen und Fantasiewesen die groteske Ästhetik wiederfinden, die auf Bosch zurückgeht. Kupferstich-Kabinett, Staatliche Kunstsammlungen Dresden www.skd.museum 19.3. – 15.6.2015 PAUL KLEE — SONDERKLASSE Mit der Zusammenstellung von über 300 seiner Werke für eine Schau- und Nachlasssammlung konzipierte Paul Klee (1879 –1940) gewissermaßen selbst eine Retrospektive seines Schaffens. Die mit „Skl“ oder „Scl“ bezeichneten Bilder erachtete der Künstler als schöpferisch oder persönlich besonders wertvoll, sodass die Ausstellung einen privaten und intimen Eindruck von Klees Werk vermittelt. Museum der bildenden Künste Leipzig www.mdbk.de bis 25.5.2015 ARSPROTOTO 1 2015 DU UND ICH — BILDNISSE UND SELBSTPORTRÄTS DER BRÜCKE-MALER Die Sammlung Hermann Gerlinger zählt zu den bedeutenden deutschen Privatsammlungen und widmet sich ausschließlich den Malern der Künstlergemeinschaft Brücke. Monografische Darstellungen sind Schwerpunkt der Sammlung und bieten in der Sonderausstellung tiefe Einblicke in Lebensverhältnisse und Persönlichkeit des jeweiligen Künstlers. In etwa 70 Werken können die Wirkungsmechanismen expressionistischer Kunst nachempfunden werden – Farbigkeit und Formenreichtum steigern die Ausdruckskraft und schärfen die Wahrnehmung. Der Titel „Du und ich“ beschreibt damit die ausgestellten Werke, Bildnisse und Selbstporträts, aber auch den Eindruck des Betrachters, mit einem allgemeinen menschlichen Spiegelbild konfrontiert zu sein. Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale) www.kunstmuseum-moritzburg.de bis 3.5.2015 FIGUR & GEFÄSS Seit der Gründung der Burg Giebichenstein Kunsthochschule in Halle 1915 ist die dortige Ausbildung gleichermaßen künstlerischer wie kunsthandwerklicher Natur. Zum 100. Jubiläum der Hochschule zeigt die Ausstellung, wie durchlässig die im deutschen Sprachraum gezogene Trennung von Freien und Angewandten Künsten dadurch ist. Aus Kunstmuseum und Kulturhistorischem Museum Magdeburg sind Objekte von Künstlern zu sehen, die in der Burg ausgebildet wurden oder gelehrt haben. Kunstmuseum Kloster Unser Lieben Frauen Magdeburg www.kunstmuseum-magdeburg.de 12.3. – 3.5.2015 Mia Pearlman, Momento, 2012 Cranach d. Ä., Sibylle von Cleve, PAPERMANIA — PAPIER ALS Lucas 1526, Ausschnitt MEDIUM IN DER ZEITGENÖSSISCHEN KUNST CRANACH IN WEIMAR Das Museum Kunst der Westküste widmet dem Medium Papier eine Ausstellung jenseits der Funktionalität als Bild- und Schriftträger. Vertreten sind elf internationale Künstler, die sich ein Material zunutze machen, das sowohl leicht und zart als auch widerständig und plastisch sein kann. Filigrane Papierschnitte, papierne Alltagsgegenstände und metergroße Schiffe greifen die beiden Themen „Meer und Küste“ sowie „Reisen und Natur“ auf. Ergänzt wird die Werkauswahl durch Videoarbeiten und Rauminstallationen. Durch Falten und Formen, Knüllen und Schneiden entsteht eine künstlerische Vielfalt, die einen neuen Blick auf den sonst so schlichten Werkstoff ermöglicht. Museum Kunst der Westküste www.mkdw.de bis 12.7.2015 CAUBOYS — KUNST UND UNIVERSITÄT Den 350. Jahrestag ihrer Gründung feiert die Christian-Albrechts-Universität (CAU) mit weit mehr als Campusfest und wissenschaftlicher Tagung. Die Ausstellung spiegelt die enge Verbindung von Kunst und Universität in der Holstenstadt. Zu sehen sind neben Herzogs- und Professorenporträts auch Werke der Ehrendoktoren und Universitäts zeichenlehrer, unter ihnen der documenta-Künstler Franz Gertsch. Besonders die klassische Moderne ist mit Werken von Emil Nolde, Erich Heckel und Karl Schmidt-Rottluff stark vertreten. Kunsthalle zu Kiel www.kunsthalle-kiel.de bis 11.10.2015 Mit dem Dreiflügelaltar in der Stadtkirche St. Peter und Paul befindet sich eine der wichtigsten bildlichen Darstellungen der Reformationszeit in Weimar. Als begnadete Bild-Chronisten trugen Cranach der Ältere (1472 –1553) und Cranach der Jüngere (1515 –1586) mit ihren Bildmotiven zur Verbreitung der neuen Lehre bei. Neben der Arbeit im Dienst der Reformation vermittelt die Schau den Bezug von Vater und Sohn zu Weimar, ihre Aufgaben am Hof Johann Friedrichs des Großmütigen und schließlich Wirkung und Rezeption der Cranach-Werkstatt. Die Ausstellung ist Teil des Themenjahrs „Bild und Botschaft – Cranach in Thüringen 2015“ anlässlich des 500. Geburtstags Cranach des Jüngeren. Klassik Stiftung Weimar, Schiller-Museum www.klassik-stiftung.de 3.4. – 14.6.2015 ÄGYPTOMANIE IM 19. JAHRHUNDERT — UNBEKANNTE SCHÄTZE AUS DEN SAMMLUNGEN Museumsgründer Bernhard August von Lindenau (1779 –1854) war auf der Höhe seiner Zeit, als er seine Kunstsammlung um altägyptische Werke, Plastiken und historische Bücher ergänzte. Seit Napoleons Ägyptenfeldzug Ende des 18. Jahrhunderts eroberten Kunsthandwerk wie Ornamentik im Stil des Alten Ägyptens Europa. Neben den erworbenen Schätzen zeugen touristische Fotografien um 1900 und ein Kairo-Panorama von der Ägypto manie im 19. Jahrhundert. Lindenau Museum Altenburg www.lindenau-museum.de 7.3. – 14.6.2015 61 ESSAY Die Kunst bleibt – aber wo? Künstlernachlässe als Herausforderung von Michael Zajonz D er alte, auf die Kunstproduktion jenseits ästhetischer Streicheleinheiten gemünzte Spruch „Ist das Kunst oder kann das weg?“ trifft en passant einen wunden Punkt materieller Überlieferung. Jeder Künstler, der nicht zu den Glücklichen gehört (statistisch gesehen dürfte das im Promillebereich liegen), denen langanhaltende Kunstmarkterfolge vergönnt sind, wird sich die Frage irgendwann stellen: Wie überlebt mein Werk mich selbst? Wer soll all die künstlerischen Arbeiten und Dokumente aus meinem Besitz künftig aufbewahren, mehr noch: so bewahren, dass nachfolgende Generationen meine Botschaft empfangen können? Seit gut einem Jahrzehnt wird unter Künstlern und Kunstvermittlern in Deutschland über das Thema Nachlassgestaltung diskutiert, mit zunehmender Dringlichkeit, wie zahlreiche Symposien und immer mehr lokal oder regional verankerte Initiativen zur Nachlasspflege zeigen. Viele Künstler erleben es schmerzlich, dass das von ihnen geschaffene Œuvre nur zum kleinen Teil über den Kunstmarkt abzusetzen ist. Auf den Van-Gogh-Effekt, dass ein Künstler nach seinem Tod entdeckt wird, sollte niemand hoffen. Künstler sollten tragfähige Lösungen für ihren Nachlass schon zu Lebzeiten anstreben, die Möglichkeit eines Vorlasses ist stets mitzudenken. Die Annahme, dass immer mehr Künstler (zu) viel Kunst produzieren, ist selbst unter Akteuren des „Betriebssystems Kunst“ verbreitet, auch wenn belastbare Zahlen fehlen und obwohl künstlerische Über produktion kein neues Phänomen ist. Die große Zahl niederländischer Maler im 17. Jahrhundert ist legendär, ihre qualitative Bandbreite dürfte jedoch weitaus größer gewesen sein als es die materielle Überlieferung nahelegt. Auch das 19. Jahrhundert trug mit seinen professionalisierten akademischen Ausbildungsstätten zu einer gesteigerten Kunstproduktion bei, von der trotz Kriegen und anderen Katastrophen noch immer mehr vorhanden ist als der Kunstmarkt aufnehmen kann. 62 Unabhängig davon, ob heute mehr und umfangreichere Künstlernachlässe überliefert werden als früher, hat sich die Kultur des Vererbens selbst gewandelt. Nachkommen, so vorhanden, leben weit entfernt und drängen im Erbfall oft auf eine möglichst schnelle und vollständige Auflösung des Haushalts. Da geraten sperrige Dinge zum Problemfall. Eine intellektuelle und emotionale Herausforderung sind Künstlernachlässe sowieso. Doch der Wunsch, mit dem Andenken des Künstlers auch dessen materielle Hinterlassenschaft und damit kulturelle Werte zu bewahren, darf noch immer vorausgesetzt werden. Wer käme schon auf die Idee, Kunst wegzuwerfen? Genau das will Uwe Degreif nicht ausschließen. In einem Beitrag im aktuellen Themenheft der Zeitschrift „art value. Positionen zum Wert der Kunst“ (Heft 14 „Künstlernachlässe“, www.art-value.de) klassifiziert der am Museum Biberach tätige Kunsthistoriker Künstlernachlässe in vier Materialgruppen. Degreifs Systematik unterscheidet sehr gute Werke, von denen sich der Künstler zeitlebens nicht trennen wollte – die künstlerische Quintessenz seines Œuvres (Gruppe A, 1–10 % des Nachlasses); gute Werke, meist aus der Hauptschaffenszeit (Gruppe B, 20 – 30 %); weniger gelungene und unvollendete Arbeiten (Gruppe C) sowie Dokumente, Fotos, Briefe, also all das, was Archivare als schriftlichen oder dokumentarischen Nachlass bezeichnen (Gruppe D). Im öffentlichen Auftrag in Museen zu sammeln, zu bewahren, zu erforschen und zu vermitteln seien lediglich Bestände der Gruppen A und D. Alles andere müsse verkauft, verschenkt oder – ultima ratio – entsorgt werden. „Von mindestens 90 Prozent, manchmal 95 Prozent muss man sich trennen, anzustreben ist der Erhalt von circa 5, höchstens 10 Prozent. Bei einem durchschnittlichen Œuvre von 2.000 bis 3.000 Werken sind das immer noch 100 bis 200 Werke, die es in [öffentlichen] Sammlungen unterzubringen gilt. Keine leichte Aufgabe.“ Derartige Thesen, die Degreif bereits während eines Symposiums des Künstlerbunds Baden-Württemberg („Was bleibt. Konzepte zum Umgang mit KünstlerNachlässen“, Karlsruhe 25.10.2014) vorgestellt hat, finden nicht nur Zustimmung. Aus Museumssicht jedoch formuliert er keine Extremposition. Die Direktorin der Karlsruher Kunsthalle Pia Müller-Tamm forderte auf derselben Tagung: „Kunstsammlungen sollten eher in die Tiefe als in die Breite wachsen. Das Museum sollte nicht passiv entgegennehmen, was auf es zukommt.“ Thomas Köhler, Direktor der Berlinischen Galerie, plädiert im „art value“-Interview nicht nur für eine rigorose Auswahl, sondern für deren strategische Verteilung: „Wir empfehlen, dass sich jeder Künstler rechtzeitig die Frage stelle, welche, sagen wir 20 Werke im Schaffen seines Lebens zu den wichtigsten zählen und mit welchen Museen sie in inhaltlicher oder formaler Verbindung stehen.“ Museale Speicherkapazitäten sind kompletten Künstlernachlässen nicht gewachsen, Museumsmitarbeiter hingegen, so Pia Müller-Tamm, tragen als „Sachwalter des materiellen kulturellen Erbes unserer Gesellschaft […] Verantwortung für die künstlerische Hinterlassenschaft“. Das kann die Beratung orientierungssuchender Erben einschließen, damit das Schlimmste verhindert wird. Zudem haben Museen immer wieder Nach- oder Vorlässe aufgenommen und tun dies weiterhin. Museale Begierden lösen künstlerische Nachlässe aus, sofern eine qualitativ begründete Auswahl möglich ist, die das Sammlungsprofil des Hauses schärft und nicht die Depots verstopft. Dem 1964 eröffneten Wilhelm Lehmbruck Museum Duisburg etwa gelang es 2009 mit Unterstützung der Kulturstiftung der Länder und weiterer Förderer, den umfangreichen Nachlass des 1881 nahe Duisburg geborenen Bildhauers von der Erbengemeinschaft zu erwerben. Neben 33 Skulpturen sowie dem beinahe gesamten malerischen, zeichnerischen und druckgraphischen Œuvre übergaben Lehmbrucks Erben das von der Witwe geführte „Gusstagebuch“, das alle legalen posthumen Güsse aufführt. Nachlasshalter, egal ob privat oder öffentlich, sollten bei posthumen Güssen für größtmögliche Transparenz sorgen, die in der Vergangenheit – man denke an die Diskussionen über das Werk von Hans Arp oder Ernst Barlach – nicht immer gegeben war. Das Lindenau-Museum Altenburg betreut seit 2013 im Auftrag der Stiftung Gerhard Altenbourg das Haus des Künstlers. Es ist ein über Jahrzehnte gewachsenes Gesamtkunstwerk, dessen beweglicher Inhalt – darunter 6.300 Papierarbeiten, 100 Druckstöcke, 7.000 Bücher, Briefe, Fotos, Familiendokumente – derzeit im Rahmen einer auf drei Jahre angelegten Inventarisation bearbeitet wird, ehe das Haus öffentlich zugänglich werden soll. Die künftige Finanzierung als Künstlergedenkstätte ist noch nicht gesichert. Direktorin Julia M. Nauhaus resümiert: „Gerhard Altenbourg ist für das ARSPROTOTO 1 2015 Lindenau-Museum eines seiner Alleinstellungsmerk male. Daher betrachte ich den Zugewinn dieser ‚Außenstelle‘ als außerordentlichen Schatz, um das Museum als Zentrum der Altenbourg-Forschung […] zu etablieren.“ Dokumente, Briefe, Tagebücher, Geschäftsunter lagen, kurz: Der dokumentarische oder Schriftnachlass sollte jedoch im Regelfall von einem Archiv betreut werden. Kunstmuseen sind damit methodisch und logistisch überfordert. Andererseits wird die saubere Trennung zwischen künstlerischem und dokumentarischem Nachlass – und damit der geeignete Aufbewahrungsort – bei Gegenwartskünstlern immer fragwürdiger: Ist ein Video, das eine ephemere oder performative Arbeit für die Nachwelt überliefert, integraler Bestandteil des Werks oder nur ein Vehikel zur Dokumenta tion, das ohnehin schleunigst auf andere Datenträger überspielt gehört? Nur wenige Großinstitutionen wie die 2004 in die Trägerschaft des Bundes übernommene Akademie der Künste in Berlin vereinen Archiv und Kunstsammlung unter einem Dach. In den 1950er Jahren begannen die Nachfolgeinstitutionen der Preußischen Akademie der Künste unabhängig voneinander in Ost- und West- Berlin mit dem Sammeln von Schriftnachlässen ihrer Mitglieder. 1993/94 wiedervereinigt, sieht sich die Einrichtung „als bedeutendstes interdisziplinäres Archiv zu Kunst und Kultur seit 1900 im deutschen Sprachraum“. Interdisziplinär, weil bildende, darstellende, performative und angewandte Künste gleichberechtigt gesammelt werden. Allein die Archivabteilung Bildende Kunst betreut derzeit rund 100 dokumentarische Vorund Nachlässe: von Lovis Corinth und Charlotte Berend-Corinth bis zum unlängst seinen 85. Geburtstag feiernden Bildhauer Wieland Förster. „Die Erben denken häufig, sie müssten alles zusammenlassen“, sagt Birgit Jooss, die als Leiterin des Deutschen Kunstarchivs im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg für knapp 1.400 Bestandseinheiten – über 2,8 Regalkilometer Archivgut – verantwortlich ist. Jooss, die Anfang April die Leitung des Archivs der Berliner Akademie der Künste übernimmt, hat Kunstgeschichte und Archivwissenschaft studiert. Sie verweist darauf, dass Kunsthistoriker in ihrer Ausbildung nicht gelernt haben, Schriftnachlässe zu sichten, zu verzeichnen und fachgerecht zu erschließen, zudem würde es Museen an Leseplätzen für externe Benutzer mangeln. In der Praxis habe sich die Konzentration des Deutschen Kunstarchivs auf Schriftnachlässe von Künstlern, Kunsthistorikern und Kunsthändlern bewährt. Man versteht sich nicht nur als Anlaufstelle für Wissenschaftler aus aller Welt, sondern konzipiert eigene Publika tionen und Ausstellungen mit Archivalien aus dem eigenen Bestand und geliehenen Kunstwerken. Mit Museen wie dem Franz Marc Museum in Kochel am 63 See oder dem Gerhard-Marcks-Haus in Bremen bestehen längerfristige Kooperationen. Auch Thomas Deecke, früher Direktor des Museums Weserburg in Bremen, empfiehlt das Deutsche Kunstarchiv als geeigneten Ort für umfangreichere Schriftnachlässe. Deecke berät Künstler und Erben, die einen Vor- oder Nachlass in das 2010 eröffnete Archiv für Künstlernachlässe der Stiftung Kunstfonds geben wollen. Alle Bewerber stellen sich einer Aufnahmekommission, der namhafte Künstler und Kunstvermittler angehören. In der ehemaligen Abtei Brauweiler bei Köln stehen moderne Depotflächen zur Verfügung. Weitere 2.000 Quadratmeter sollen in einem neu zu errichtenden Schaulager hinzukommen. Brauweiler versteht sich als Modellprojekt mit bundesweiter Ausstrahlung. „Unser Archiv bewegt sich im Zwischenraum von Atelier und Museum“, erklärt Karin Lingl, Geschäftsführerin der Stiftung Kunstfonds. „Wir gehen von der Perspektive der Künstler aus und wollen deren künstlerische Intuitionen visualisieren können.“ Aufgenommen wird, was den Künstlern selbst am Herzen lag: signifikante Werke und Werkgruppen, die möglichst oft als Leihgaben in der Öffentlichkeit zirkulieren sollen. Auf keinen Fall, so Lingl, dürfe „ein Œuvre in der Versenkung verschwinden und sich die Tore der Gruft schließen“. Im Zweifelsfall können das auch die Depottüren eines Museums sein. „Ein Künstler kann schnell in Vergessenheit geraten, wenn sein Nachlass schlecht gemanagt wird“, bestätigt Markus Eisenbeis, Geschäftsführer des Kölner Auktionshauses Van Ham, und präzisiert: „Ein Œuvre bleibt nur lebendig, wenn es am Markt präsent ist.“ Aus diesem Grund hat Eisenbeis Van Ham Art Estate gegründet, zum Portfolio gehören derzeit Nachlässe oder Teilnachlässe von Karl Hofer, Karl Fred Dahmen, der Becher-Schülerin Tata Ronkholz und der wissenschaftliche Nachlass des Bildhauers Ernst Seger. Eisenbeis kann von der fachgerechten Sichtung und Einlagerung über die wissenschaftliche Bearbeitung bis zur strategischen Platzierung am Markt ein attraktives Gesamtpaket anbieten, wirbt jedoch für Geduld: „Wir gehen in Vorleistung. Nachlassentwicklung macht viel Arbeit und kostet erst einmal Geld. Erben sollten 10 bis 20 Jahre Zeit mitbringen.“ Das kommerzielle Modell – seit jeher von Kunsthändlern und Galeristen gepflegt – funktioniert natürlich nur, wenn der Künstler einen Marktwert oder zumindest Potential hat. Gute Kunst muss nicht marktgängig sein. „Jenseits von Mainstream und von Moden entstehen immer wieder existenziell bedeutende Werke, die zeitweise gesehen und manchmal wieder vergessen werden“, erklärte der Künstler Bogomir Ecker bei der Eröffnung des Nachlassarchivs Brauweiler und formulierte damit das Credo für alle vergleichbaren Initiativen. 64 Das älteste Projekt dieser Art ist das Forum für Künstlernachlässe e.V. in Hamburg. 2003 gegründet, arbeitet es noch immer als Verein. 160 Quadratmeter Lager fläche im Künstlerhaus Sootbörn müssen reichen für die künstlerischen und dokumentarischen Nachlässe von derzeit über 30 mit Hamburg verbundenen Künstlern. Die „Warteliste“ ist zehnmal länger. „Es sind Manpower und Fachkompetenz, die das Ganze zusammenhalten“, sagt die Kunstwissenschaftlerin und Vereinsvorsitzende Gora Jain über das 15- bis 20-köpfige „Kernexpertenteam“. Finanzielle Förderung hat man auch von mehreren Hamburger Unternehmen und Stiftungen eingeworben, doch ohne die Begeisterungsfähigkeit der Ehrenamtlichen hätte das Forum nie so erfolgreich sein können. Ein Sonderfall ist das Rheinische Archiv für Künstlernachlässe in Bonn, da es ausschließlich Schriftnachlässe im Rheinland tätiger Künstler aufnimmt. „Ich glaube, dass die künstlerischen Arbeiten immer in irgendeiner Weise überleben“, erklärt der Kunsthistoriker Daniel Schütz den Ansatz der von einer Industriellenfamilie ins Leben gerufenen Stiftung bürgerlichen Rechts. Schütz’ Sammelleidenschaft entspringt leidvoller Erfahrung, war doch der Schriftnachlass des Künstlers, über den er seine Magisterarbeit schreiben wollte, kurz zuvor im Müll gelandet. Geschätzte 90 Prozent der ihm angebotenen Nachlässe muss Schütz ablehnen, auch wenn er die Infrastruktur des Bonner Stadtarchivs mitnutzen kann. „Der Beratungsbedarf bei den Erben nimmt immer mehr zu“, weiß Schütz, „wir bräuchten eine Art Nachlass-Feuerwehr.“ Beratung wird auch beim jüngsten der Regionalprojekte groß geschrieben. „[Private] Künstlernachlässe im Land Brandenburg“ nennt sich die Initiative, die sich Ende Januar in Potsdam als Verein konstituiert hat. Mit Hilfe zur Selbsthilfe ließe sich der Grundgedanke umschreiben, der sich hinter dem Begriff „mobiler Nachlass-Service“ verbirgt und Nachlasshalter dazu befähigen soll, ihre Schätze in situ zu erhalten und selbstständig mittels einer bereitgestellten Software zu inventarisieren. Vorrangiges Ziel ist hier keine Archiv lösung, die aus Sicht der Brandenburger zwangsläufig an Kapazitätsgrenzen stößt, sondern der Aufbau einer regionalen, einfach zu handhabenden, technisch kompatiblen Nachlass-Datenbank. Wobei das Web formular, wie Liane Burkhardt als Mitinitiatorin des Projekts betont, natürlich auch für Vorlässe geeignet sei. Der Ausspruch, man müsse sehr sorgsam sein bei der Auswahl seiner zukünftigen Witwe, wird sowohl dem Fotografen Heinz Hajek-Halke wie der BrechtWitwe Helene Weigel zugeschrieben. Liebe Künstler, vielleicht nehmen Sie Ihren Nachlass am besten selbst in die Hand! Michael Zajonz ist Kunsthistoriker und Journalist in Berlin. NACHRICHTEN UNBEDINGT! ZUTRITT FÜR ALLE ZU KUNST UND KULTUR Kinder zum Olymp! Kongress in Freiburg am 25. und 26. Juni 2015 Zweifellos bewegt sich vieles in der kulturellen Bildung. Neben den zahl reichen Einzelprojekten, die landesweit neu entwickelt wurden, lassen die gut ausgestatteten Programme der großen Akteure auf eine weitere positive Entwicklung hoffen. Aber haben wir damit die Lösung gefunden? Investieren wir richtig? Hat jedes Kind, jeder Jugendliche zumindest mittelfristig die Chance, Kunst und Kultur kennenzulernen, zu erfahren und aktiv auf Dauer in sein Leben einzubauen? Wie sehen die Zugänge, wie die Hindernisse aus? Bestimmen nicht nach wie vor Zufälle die kulturelle Bildungsbiografie von Kindern und Jugendlichen stärker als die Strukturen, die eine Begegnung mit den Künsten ermöglichen sollen? Wie können wir erreichen, dass gleiche auch gerechte Chancen bedeuten? Der siebte Kinder zum Olymp!Kongress, der am 25. und 26. Juni 2015 in Freiburg stattfindet, untersucht die Zugangsmöglichkeiten zu Kunst und Kultur für Kinder und Jugendliche. Mit Vorträgen, Podien und einem künstle rischen Programm im Plenum sowie parallelen, interaktiven Foren zu spezi fischen Aspekten des Feldes liefert der Kongress Anregungen für die Praxis und bietet darüber hinaus eine Plattform für den Austausch der Akteure. Er wendet sich an Vertreter aus Kultur und Verwaltung, Schule und Kindergarten, aber auch an Eltern, Künstler, Vermittler und Wissenschaftler. Das Theater Freiburg als Hauptveranstaltungsort der Konferenz ist ein inspirierender Kongressort, von dem sich die Veranstalter wichtige Impulse für die Tagung erhoffen. Durch das besondere Engagement von Intendantin Barbara Mundel steht seit Jahren die Entwicklung eines aktiven und rezep tiven Angebots für Kinder und Jugend liche auf der Agenda und erfährt eine engagierte Umsetzung. Ein konkretes Beispiel ist für die Teilnehmer des Kongresses unmittelbar zu erleben: Die Stadt-Oper „Die gute Stadt“ von Sinem Altan und Tina Müller, die junge und alte Freiburger Bürger gemeinsam mit Profis auf der Bühne agieren lässt, kommt im Rahmen des Kongresses zur Aufführung. Die Kulturstiftung der Länder veranstaltet den Kongress gemeinsam mit der Kulturstiftung des Bundes und der Bundeszentrale für politische Bildung. Kooperationspartner sind das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg, die Robert Bosch Stiftung und das Bundesministerium für Bildung und Forschung. Anmeldungen und Informationen zum Kongress ab 30. März 2015 unter www.kinderzumolymp.de Kulturgut Künstlernachlässe Tagungen in Potsdam und Bonn Mit einer bundesweiten Werkstatt-Tagung im Potsdam Museum – Forum für Kunst und Geschichte möchte die Initiative „Private Künstlernachlässe im Land Brandenburg“ am 24. und 25. April 2015 das komplexe Thema der Künstlernachlässe und ihrer langfristigen Sicherung ins öffentliche Bewusstsein rücken. In vier Podiumsdiskussionen wird mit Vertretern aus der Kulturpolitik, mit Museumsfachleuten, Archivaren und Hochschuldozenten ein zukünftiger Umgang mit dem kulturellen Erbe erörtert. Zum Austausch unter allen Teilnehmern sollen Impulsreferate von Experten anregen. Die Tagung findet in Kooperation mit dem Potsdamer Kunstverein e.V. statt, der zeitgleich eine Ausstellung aus dem zeichnerischen Nachlass des Potsdamer Malers Hubert Globisch (1914 –2004) zeigt. Den Stellenwert von Künstlernachlässen für die Forschung im europäischen Vergleich beleuchtet die Vortragsveranstaltung des Rheinischen Kunstarchivs für Künstlernachlässe am 16. und 17. Oktober 2015 in der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn. Mit Fragen nach einer länderspezifischen Erinnerungskultur und der Wertschätzung von Künstlernachlässen angesichts verschiedener politischer Strukturen im Vordergrund, versteht sich das Kolloquium als erster Versuch einer europäischen Bestandsaufnahme der Institutionen und der Methoden, die zur Bewahrung, Erschließung und Nutzbarmachung von Nachlässen bildender Künstler beitragen. Eine weiterführende Vernetzung der Institutionen untereinander im Sinne einer grenzüberschreitenden Forschung soll Ziel dieses Austausches sein. Tagung des Vereins Private Künstlernachlässe im Land Brandenburg Potsdam Museum – Forum für Kunst und Geschichte, www.private-kuenstlernach laesse-brandenburg.de, 24./25. April 2015 Tagung des Rheinischen Kunstarchivs für Künstlernachlässe: European Heritage. Künstlernachlässe als Kulturgut Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn, www.rak-bonn.de, 16./17. Oktober 2015 ARSPROTOTO 1 2015 65 SCHÖN IM DEPOT Was verbergen Sie eigentlich vor uns, Frau Titz? Fische mit Blue Jeans. Oder ohne. Einige unserer wertvollsten Werke sind beinahe immateriell, Zeichnungen, Schrift stücke, Zertifikate mit einigen Sätzen, die eine Anweisung geben, Rechte artikulieren. Es handelt sich um Dokumente der kulturund selbstkritischen Haltung von Künstlern am Ende der Moderne: Sie sahen, dass bildende Kunst zu einem reinen Konsum- und Wertobjekt zu werden drohte und setzten ihre Energie dafür ein, die Kunst zu entmaterialisieren und deren Betrachter für ihre Gegenwart und die gesamte existentielle Realität des Menschlichen zu sensibilisieren. Ich liebe die Zertifikate und Anweisungen von Sol LeWitt, Hanne Darboven, Stanley Brouwn, Gerhard Richter und 66 vielen anderen, die meine Vorgänger erworben haben. Das Museum in Mönchengladbach hat ihre Gedanken ernst genommen und viele ‚Zettelwerke’ gekauft, das gab es nur in wenigen Museen. Angesichts der heutigen Situation, in der die bildende Kunst und die Museen tatsächlich oft nur noch in Konsum- und Aktienwert betrachtet werden, ist die Sammlung dieser Blätter ein Aufruf zum Widerstand, den wir hin und wieder aufführen können. So zum Beispiel Lawrence Weiners Text von 1974, als er den Mitgliedern des Museumsvereins das Privateigentum ihrer Jahresgabe entziehen wollte: „Broken off is a public freehold work of Lawrence Weiner. [...] The best translation for Public Freehold is: Öffentliches Eigentum.“ Oder Walter De Marias Zertifikat der High Energy Bars von 1966 (Sammlung Etzold), worin er den Käufern darlegt, dass sie durch Zertifikat (und De Marias Hinterlegung aller Namen bei einer Schweizer Bank) immer eingetragene Besitzer bleiben, auch wenn sie diese schönen Edelstahl-Energiebarren an andere Sammler verkaufen wollen. Susanne Titz, Direktorin des Museums Abteiberg in Mönchengladbach, mit Walter De Marias 1966 entstandenem „High Energy Bar“ mit Zertifikat von 1968 im Depot des Museums, fotografiert von Oliver Mark 100 Jahre Staunen www.museum-wiesbaden.de Der digitale Kunstführer für das Ruhrgebiet gefördert durch die www.kunstgebiet.ruhr
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