ALICE PIEPEr üBEr MATErIALIEN, MusTEr uND DEN IDEALEN MIx

EINRICHTEN DESIGNKLASSIKER
DESIGNKLASSIKER EINRICHTEN
StoffSchau
Vita
Alice Pieper über
Materialien, Muster und
den Idealen Mix
Nach dem Diplom startete Designerin Alice Pieper ihre Laufbahn im Einrichtungshaus Loeser
in Hannover und sammelte dort erste praktische Erfahrungen. „Dadurch habe ich nie vergessen, dass Design immer auch anwendbar sein muss.“ Sie arbeitete als Atelierleiterin bei Vorwerk Arterior, außerdem in gestalterischer Verantwortung bei Tai Ping Carpets, WK-Wohnen,
Taunus Textildruck sowie Sahco. Von 2004 an leitete Alice Pieper die Produktentwicklung bei
Nya Nordiska. Parallel dazu erfüllte sie einen mehrjährigen Lehrauftrag an der Fachschule Hannover für Kunst und Design. Sie ist Jurymitglied beim Audi Fashion Award und den Fahmoda
Fashion Finals. Seit 2013 ist Alice Pieper selbstständig und berät das Nya-Designteam.
Interview: Anita Güpping
Frau Pieper, Fällt Ihnen spontan eine
Kollektion ein, die man als ikonisch
bezeichnen kann?
Bei Textilikonen denke ich zuerst an Jack
Lenor Larsen. In seinen Kollektionen aus den
1950er-Jahren gibt es Farbigkeiten und Designs,
die für mich auch heute noch eine unglaubliche Aktualität besitzen. Und mir fällt Manuel
Canovas ein. Insbesondere seine wundervollen
Kolorits, die Jahrzehnte überdauern. Auch Nya
Nordiska mit ihren nordisch frischen Streifen
und Karos zähle ich dazu.
Welches sind Ihre persönlichen
Stoffklassiker?
Von links nach rechts: „Mega“ setzt
sich aus vier Blockstreifen zusammen
– von Nya Nordiska
Manuel Canovas „Parfum d‘Ete“
entfaltet Blüten in leuchtenden Farben
auf einem Baumwollgrund
Typisch für einen Ikat sind die verlaufenden Farben im Muster – so auch
auf „Aratura“ von Nobilis Fontan
Der Baumwoll-Velours „Primavera“
von Larsen läuft seit mehreren Jahrzehnten in der Kollektion
Für Paisley „Patara“ von Osborne
& Little wurde ein strapazierfähiger
Baumwoll-Velours bedruckt
Für mich sind das Stoffe aus klassischen
Naturmaterialien: Leinen, Baumwolle, Wolle,
Kaschmir, Alpaca und Seide. Natürlich kann
man sie sich auch in edlen Materialkombinationen vorstellen. Hinzu kommen Stoffbindungen
wie Panama, Rips, Fischgrat, Satin und Velours.
Der Griff in ein kühlendes Leinen, das Knirschen einer reinen Seide und der edle Fall eines
Wollsatins faszinieren mich. Mit diesen Materialien arbeite ich seit 45 Jahren. Gleichwohl habe
ich auch gute Erfahrungen mit Hightech-Fasern
gemacht.
wir haben über Materialien gesprochen, wie sieht es mit Mustern aus?
Grafische und geometrische Muster, die wir aus
der Bauhaus-Ära kennen. Oder klassische schottische Tartans, die man heute mitunter modern
übersetzt. Blüten – traditionell und modern –
aus Italien, Frankreich, England, Skandinavien
inspiriert. Zu meinen Stoffikonen gehört auch
das Paisley. Bis heute ist nicht eindeutig geklärt,
wo das Tropfenmuster ursprünglich herkommt
– ob aus dem Iran, der Türkei oder Indien.
Nicht zu vergessen die Ikats aus Peru, die ihre
Schönheit durch den Einsatz bedruckter Kettfäden erhalten. Außerdem Afrikamotive: Diese
tauchen in der Mode und in Wohntextil-Kollektionen wieder vermehrt auf. Als Letztes möchte
ich die Kunst der Aborigines nennen. In ihren
Zeichnungen reihen sie Punkte aneinander, die
für die Stationen ihres Lebens stehen. Diese
Darstellungen beeindrucken mich sehr.
Und wie haben sich die Einrichtungsstile entwickelt?
Im Moment beobachte ich eine Besinnung auf
traditionelle Werte. Die Menschen achten auf
Ursprünglichkeit bei der Materialauswahl und
den Fertigungstechniken. Sie beschäftigen sich
mit der Verknappung von Ressourcen, sie werden von Globalisierung und Migration geprägt.
Menschen lernen von anderen Kulturen, das
beeinflusst ihre Ernährung, ihre Kleidung, ihren
Lebensstil. Mode heißt heute immer, Dinge
miteinander zu kombinieren. Ähnlich ist das
bei der Einrichtung, auch hier wird gemixt.
Man bringt sich Erinnerungsstücke von Reisen
mit und stellt sie zu seinen klassisch modernen
Möbeln. Und wenn Sie sich dazu die Farbigkeiten und Dessins der Stoffklassiker vorstellen,
dann ist das heute ein Ausdruck von Zeitgeist
und Modernität.
Man übt sich heute also in der Kunst
des Zitierens?
Ja, das könnte man so ausdrücken. Man möchte
auf Dinge Bezug nehmen.
Welche Jahrzehnte sind für Sie
stilbildend?
Ich sehe eine ganz starke Beeinflussung durch
das Bauhaus. Dabei denke ich an die klare,
reduzierte Architektur, an helle, lichtdurchflutete Räume, ein reduziertes Möbeldesign. Mies
van der Rohe, Walter Gropius sind die Namen,
die diese Entwicklungen angestoßen haben. Die
bekannte Bauhaus-Künstlerin Gunta Stölzl hat
Stoffe aus natürlichen Materialien gewebt, die
mich auch heute noch beeindrucken. Parallel
sehe ich auch den Einfluss aus Amerika, da
möchte ich die Namen Charles Eames und
Florence Knoll nennen. Nicht zu vergessen
die Irin Eileen Grey sowie Fritz Hansen und
Holmegaard aus Skandinavien. Bis heute sind
das Entwürfe, die eine eigenständige geistige
Haltung ausdrücken. Wir beschäftigen uns
wieder sehr mit dieser Zeit.
Schauen wir mehr zurück als nach
vorne?
Das sehe ich nicht so. Wenn sich Formen der
Architektur, Stoffe oder Möbel als bewährt herausgestellt haben, dann besinnt man sich gern
wieder auf sie. Das ist eher ein Kompliment
als eine Rückschrittlichkeit. Außerdem werden
diese Dinge neu interpretiert. Die Farben sind
völlig andere und somit erhalten Möbel und
Stoffe eine andere Aussage. Ein gutes Beispiel
dafür liefert meines Erachtens das Interiorlabel
Hay, ein Möbelproduzent aus Dänemark, der
alte Entwürfe in einer subtilen Farbigkeit wieder
auflegt.
Ist der Raumausstatter als ein
Bewahrer alter Werte gefragt?
Auf jeden Fall! Ein hochwertiges Möbel, das
auch formal seine Berechtigung hat, wird gerne
vererbt. Ich beobachte das im Bekanntenkreis.
Kanapees und Recamieren werden mit hippen
Stoffen bezogen. Da werden Regeln bewusst
konterkariert. Meiner Meinung nach ist das
eine Schulung für das Auge. Und es macht
Freude, bewusst mit Gegensätzen zu spielen.
Vielen Dank für das Gespräch.
KnowHow:
StoffBindungen
Panama: Sie ist eine Variante der
Leinwand-Bindung. Dabei kreuzen
sich zwei oder mehrere Kett- und
Schussfäden. Auf diese Weise ergibt
sich eine feine Würfeloptik.
Rips: Diese Ableitung der Leinwand-Bindung entsteht, indem immer
mehrere Fäden gleich gebunden werden, beim Längs-/Kettrips mehrere
Kettfäden und beim Quer-/Schussrips mehrere Schussfäden. Vom
„falschen“ Rips spricht man, wenn die
Rippen durch besonders dicke Garne
gebildet werden.
Fischgrat/Fischgrät: Dieses diagonal
verlaufende Muster entsteht in
Köper-Bindung (sein Rapport geht
über mindestens drei Kett- und drei
Schussfäden). Ein Fischgrat wird mit
regelmäßig wechselnder Gratrichtung
gewebt.
Satin: Der Satin wird auch Atlas
genannt. Beim Kett-Atlas sind nur die
Kettfäden, beim Schuss-Atlas nur die
Schussfäden sichtbar. So ergibt sich
ein glattes, glänzendes Gewebe. Das
jeweils hochwertigere Material liegt
dabei auf der Schauseite.
Velours: Französisch für Samt. Bei
Velours-Geweben entsteht der Flor
in W- oder V-Bindung oder durch
Aufschneiden der Polschlinge. Der
aufstehende Flor ist länger als beim
Samt, der ansonsten gleich hergestellt
wird. Velours können gemustert oder
unifarben sein.
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